Blog-Update: Teile Deine Erfolge 52 Wochen = 52 Betriebe: Chefredakteur Patrick Neumann unterwegs im deutschen Handwerk

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3D-Drucker, Digitalisierung, Energieeffizienz, Energiesparen, Fachkräftemangel, Geschäftsideen, Metzger, Mitarbeitermotivation, Mobiler Kunde, Nachfolge und Onlinemarketing

Lockdowns, Corona-Wellen und Betriebsinhaber am Limit: Die Aktion „52 Wochen = 52 Betriebe“ von Chefredakteur Patrick Neumann lag ziemlich lange auf Eis. Leider ist Anfang 2023 immer noch Krise, auch wenn die Herausforderungen ganz andere sind. Doch das Momentum könnte für einen Betriebsbesuch nicht besser sein. Warum? Der Chefredakteur möchte die Weisheit der Community anzapfen. „Teile Deine Erfolge“ – unter diesem neuen Motto startet der „Roadtrip“ 2023 wieder. Impressionen von ganz besonderen Betriebsbesuchen.

Patrick Neumann
Vorfreude darauf, das deutsche Handwerk genau kennenzulernen: Patrick Neumann, Chefredakteur von handwerk magazin. – © Rohde Fotografie
Matthias Brack, Schreinermeister und Geschäftsführer von Brack Wintergarten im bayerischen Altusried, brennt für Erklärvideos.
Matthias Brack, Schreinermeister und Geschäftsführer von Brack Wintergarten im bayerischen Altusried, brennt für Erklärvideos. – © Patrick Neumann

01.03.2023: Matthias Brack, Unter­nehmer aus Altusried (Allgäu)

Wie es sich fürs Allgäu gehört, liegt vor dem „La Casa Allgäu“ in Dietmannsried ziemlich viel Schnee. Matthias Brack, Handwerkschef in vierter Generation, schnappt sich die Schaufel – und macht den Weg frei. Der Schreinermeister, Betriebswirt und Holztechniker hatte ursprünglich die Idee für das besondere Netzwerk, für das das imposante „La Casa Allgäu“ steht. Acht unterschiedliche Handwerks­betriebe befinden sich hier seit 2018 unter einem Dach. „Die Kunden sparen sich damit Zeit, Kosten und die Koordination der einzelnen Gewerke“, erklärt Brack bei einer Tasse Kaffee. Und sie können auf rund 1.000 Quadratmetern Fläche elf komplett eingerichtete Wintergärten, Garten- und Wohnbereiche erleben. „Durch die Zusammenarbeit können wir alles ab­decken“, sagt der Unternehmer.

Youtube-Präsenz: Film ab! Nicht nur in Sachen Ausstellung geht der Betrieb, dessen Stammsitz in Altusried ist und der 28 Mitarbeiter beschäftigt, neue Wege. „Es wäre cool, Videos zu machen“ – so ein spontaner Impuls von Brack während des Lockdowns. Heute verfügt er bereits über einen Drohnenführerschein, einen eigenen Greenscreen und ein gutes Renommee auf YouTube. 40.000 Zugriffe haben dort die besten Videos. Ein echter Kundenmagnet: 30 Prozent der Kunden und Interessenten kämen mittlerweile über diesen Kanal, so Brack. Auch die Drehbücher schreibt er selbst. „Ich bin einfach interessiert“, sagt Brack lachend. Das gilt auch fürs Thema Mitarbeiterführung. Seit Anfang des Jahres dürfen sich die Monteure über eine Vier-Tage-Woche freuen. Mehr noch: Sie bekommen vier Stunden geschenkt, bei vollem Lohnausgleich.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Netzwerk: Das Handwerker-Netzwerk, das Unternehmer Matthias Brack unter dem Dach des „La Casa Allgäu“ versammelt hat, hilft den Betrieben bei der Fokussierung. Und die Kunden schätzen das One-Stop-Shopping in unmittelbarer Nähe der Autobahn A7. Wintergärten, Terrassendächer, Whirlpools, Sonnenschutz und Gartengestaltung – die Netzwerkpartner setzen die jeweiligen Träume individuell um.
  2. YouTube: Erklärvideos des Chefs machen das Thema Wintergärten auf dem „La Casa Allgäu“-Kanal plastischer. Glasdach oder Lamellendach für meine Terrasse? Solche Fragen beantwortet Brack im Bewegtbild. Aber auch für seine internen Prozesse setzt der Handwerksmeister auf dieses Medium. Sein Tipp: Schon mit Equipment in Höhe von 2.500 Euro kommt man ziemlich weit. Also einsteigen und nachmachen!
  3. Vier-Tage-Woche: Brack sieht sich in der Rolle des Feelgood-Managers – und geht bewusst diesen modernen Schritt. Eine spezielle Betriebsvereinbarung regelt rechtsverbindlich den Rahmen. „Offiziell ist jetzt Freitag frei“, so Brack. Bedeutet für seine Privatkunden: Wintergärten und Glasüberdachungen werden jetzt nur noch von Montag bis Donnerstag montiert – und die Kunden entsprechend aufgeklärt.

03.09.2020: City Bau GmbH aus Neuötting (Oberbayern)

Helmut Ecklkofer (rechts) überreicht Patrick Neumann seinen handsignierten Essayband. – © City Bau

Wenig überraschend: Natürlich hat die Covid-19-Pandemie auch meiner Aktion „52 Wochen = 52 Betriebe“ einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch jetzt kann es wieder losgehen – unter Einhaltung jeglicher Vorsichts- und Hygienemaßnahmen, versteht sich.

Also, wie hat die Pandemie sein Geschäft nun beeinträchtigt? „Auf den Baustellen lief es gut“, resümiert Ecklkofer die letzten sechs Corona-Monate. Doch die Genehmigungsphasen würden unendlich lange dauern. Für einen Macher wie ihn, der sich selbst als Perfektionist beschreibt, ein Unding. Schließlich möchte er seine Firma City Bau, die sein Großvater Andreas Ecklkofer 1931 als Baugeschäft gegründet hatte, voranbringen. Gutes Bauen statt Masse – das zählt für ihn. Demnach läuft er auch nicht dem Hype „immer schneller, höher und weiter“ hinterher, sondern plädiert für ein moderates Wachstum. Maximal 15 Objekte im Jahr setzt er mit seinem 15 Mitarbeiter großen Team um. „Wir bauen sehr hochwertig, sind aber preiswert.“ Das komme sehr gut an.

Mein Eindruck: Firmenchef Ecklkofer macht sich viele strategische Gedanken über die Ausrichtung des Betriebs, aber auch über seine Rolle als Unternehmer. Beispielsweise hat er sich während Corona viel mit Stärken und Schwächen beschäftigt. Negatives ins Positive drehen – das sei sein Lebensmotto. Beeindruckend, zumal in diesen Zeiten.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Die Digitalisierung stellt für den Unternehmer keine große Herausforderung dar. Ecklkofer: „Wir sind digital sehr gut aufgestellt“. So startete er etwa bereits 2011 Deutschlands erste Bau-Trainer-App für iPhone und iPad von Apple. Auch die digitalen internen Prozesse haben die Bayern im Griff. Und: Bereits 2001 ging die erste Website online .
  2. Ecklkofer nimmt sich Freiräume – auch für Kreativität. Stolz zeigt er mir seine 2019er-Zielbilder, übrigens für sein Unternehmen und sich.
  3. Als erfolgreicher Unternehmer möchte der Neuöttinger etwas zurückgeben. So spendet er beispielsweise die Erlöse aus seinen Lesungen für einen guten Zweck .

03.03.2020: Die Dachfenster-Retter aus Marbach (Landkreis Ludwigsburg)

Dachfenster-Retter Sara und Oliver Dundiew
Auf Social-Media-Kanälen und Youtube setzen die zwei ihre Dienstleistungen gekonnt in Szene. – © neumann/handwerk magazin

Draußen die historische Fassade, drinnen im schmucken Gebäude jede Menge neue Ideen: Ich bin zu Besuch bei den Dachfenster-Rettern in Marbach am Neckar. Noch vor den Ausgangsbeschränkungen der Corona-Pandemie , die im Eiltempo meine Aktion „52 Wochen = 52 Betriebe“ auf Eis legte. Aber wie heißt es ja so schön: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Sara und Oliver Dundiew hatten mich zu sich eingeladen, vor allem der Satz „Wir sind ständig im Wandel“ machte mich neugierig. Und die Neugierde wächst während unseres Treffens. Denn wir sprechen kaum über das Zimmerer-Handwerk, aus dem Oliver Dundiew ursprünglich kommt und für das er immer noch brennt, sondern vor allem über digitale Tools und Prozesse. Kennen Sie beispielsweise die „Notfall Nora“? Dahinter verbirgt sich der WhatsApp-Kanal des 2017 gegründeten und bewusst spitz positionierten Unternehmens. Seit gut einem Jahr ist der Bot „Nörchen“, so der Spitzname, im Einsatz. Ärgert sich beispielsweise ein Kunde über ein klemmendes Dachfenster, schickt er eine WhatsApp – und Notfall Nora schaltet sich ein und qualifiziert die Anfrage. Dieser Weg erleichtere den Arbeitsablauf enorm, so die Gründer. Nur noch die Bilder des kaputten Fensters und das fotografierte Typenschild checken, schon können die Schwaben beraten und Angebote kalkulieren. Zum Hintergrund: Die noch junge Firma ist spezialisiert auf Reparatur, Wartung, Einbau und Austausch von Dachfenstern. Neben dem handwerklichen Know-how kommt es dabei auf einen ausgeprägten Servicegedanken an.

Und die Nachfrage ist groß – vor allem in der Internetgemeinde. „80 Prozent der Anfragen kommen bei uns übers Web“, so Sara Dundiew. Deshalb sei auch die professionelle Website so wichtig, ergänzt ihr Ehemann. Auch auf Social-Media-Kanälen und Youtube setzen die zwei ihre Dienstleistungen gekonnt in Szene. Darüber hinaus denken sie derzeit über On-Demand-Webinare nach. „Jeder kann von jedem lernen“, betont Oliver Dundiew im Gespräch mit mir. Und wie lebt es sich so in der Nische? „Die Spezialisierung ist die Zukunft des Handwerks“, ist sich Sara Dundiew sicher. Da wären wir wieder beim Wandel, dem sich der Sechs-Mann-Betrieb täglich stellt.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Mit der spitzen Positionierung haben sich die Dachfenster-Retter in der Nische etabliert. Jetzt heißt es, den Dienstleistungs- und Servicegedanken hochzuhalten.
  2. Dank des WhatsApp-Bots können potenzielle Kunden zeit- und ortsunabhängig die Profis um Hilfe fragen. Und: Der Kunden fühlt sich vermutlich nicht so gehemmt, weil er vielleicht nicht so genau erklären kann, was bei seinem Dachfenster eigentlich defekt ist.
  3. Laut dem Unternehmer-Ehepaar können gerade kleine Handwerksunternehmen die Digitalisierung schnell umsetzen. Die Marbacher sind das beste Beispiel dafür!

02.03.2020: Scholl Orthopädie Schuhtechnik in Remchingen (Enzkreis/Baden)

52Wochen: Thomas Scholl, Scholl Orthopädie Schuhtechnik
Das handwerkliche Können von Thomas Scholl hat sich mittlerweile in ganz Deutschland herumgesprochen. Alle kommen zu ihm nach Remchingen. „Man muss den Fuß live sehen“, erklärt er dazu. – © handwerk magazin/neumann

Weil Deutschland Rücken hat, ist Thomas Scholl ein gefragter Mann. Der Unternehmer, der die heutige Scholl Orthopädie Schuhtechnik GmbH vor gut 30 Jahren aus der Taufe hob, hat sich als Problemlöser einen Namen gemacht. Kunden aus dem ganzen Bundesgebiet geben die Hauptstraße 36 in Remchingen ins Navi ein, um Antworten auf lästige wie schmerzende Probleme mit Füßen, Gelenken, Rücken oder Faszien zu erhalten. „Man braucht ein sehr großes Hintergrundwissen“, betont Scholl. Er strebe immer die beste und optimale Lösung für den Kunden an, heißt es im westlichen Enzkreis.

Doch welche Leistungen bietet der 22 Mitarbeiter große Betrieb überhaupt an? Scholl spricht ausführlich über Einlagen, Bandagen, Arbeitssicherheitsschuhe, Diabetes- und Kompressionsversorgung, Podologie, Laserbehandlung, Ganganalyse und orthopädische Maßschuhe. Letztere fertigen drei Mitarbeiter in der eigenen Designwerkstatt speziell an. Das Material und die Farbe dafür können sich die Kunden natürlich aussuchen. Ein imposantes Leistungsportfolio, so mein Eindruck. Der Rundgang durch den Betrieb und die vielen zufrieden wirkenden Mitarbeiter untermauern die Lebensleistung des engagierten Orthopädie-Schuhtechniker-Meisters noch. Scholl stoppt während des Rundgangs kurz und zeigt mir stolz sein „neuestes Baby“: einen 3D-Scanner zur Schuhproduktion. Auch in diesem Gewerk bietet die Digitalisierung eine Menge Chancen.

Satte 27.500 aktive Kunden befinden sich in seiner Kartei, erzählt mir der Handwerkschef bei meinem Besuch. Darunter auch eine Gruppe, die man nicht unbedingt erwartet hätte: die Spielerinnen der Rutronik Stars Keltern, die von den Fans liebevoll „die Sterne“ genannt werden. Das Top-Team mischt die Basketball-Bundesliga der Frauen auf und wird auch von Scholls Team betreut. Für beide Seiten gilt: Sie wollen Spuren hinterlassen.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Thomas Scholl investiert nicht viel Geld in Werbung. Das handwerkliche Können des Betriebs spricht sich rum – in ganz Deutschland. „Man muss den Fuß live sehen“, erklärt der Unternehmer. Eine Tatsache, die den Bestand des stationären Betriebs auch zukünftig sichert.
  2. Trotzdem macht der Unternehmer, der selbst viel ausbildet, Werbung für sein Gewerk – nämlich an Schulen. Und eine Sache ärgert ihn auch am Markt: „Das Engagement für die jungen Menschen fehlt mir.“
  3. Ob sich dann abends daheim auch alles um Spezialeinlagen & Co. dreht? Thomas Scholl lacht: „An der Wohnungstür ist Feierabend!“ Das gute Klima möchte er auch nicht gefährden. Denn: „Die funktionierende Familie ist ein Geheimnis meines Erfolgs.“

02.03.2020: Metzgerei Böbel in Rittersbach (Mittelfranken)

Claus Böbel in seinem  Bratwursthotel
Hier geht es um die Wurst: Metzgermeister Claus Böbel in seinem Bratwursthotel im mittelfränkischen Roth. – © handwerk magazin/neumann

Waren Sie schon einmal im Bratwursthotel? Ich schon – bei meinem fünften Betriebsbesuch. Hier die Wurstspezialitäten-Tapete, da die Nackenrolle in Wurstoptik, dort die Silhouette eines duschenden Schweines an der Badezimmertüre. Stolz zeigt mir Metzgermeister Claus Böbel seine Erlebnis-Herberge in Rittersbach, die er im September 2018 wenige Schritte von seiner Metzgerei Böbel entfernt eröffnet hat. Im Mittelpunkt des Ganzen steht die fränkische Bratwurst, die hier im Dialekt natürlich „Broudwuarschd“ heißt – und auf der ganzen Welt Fans hat. Die wiederum können nun die besonderen Zimmer buchen und nachts von Wurstspezialitäten träumen. „In Deutschland fehlen Visionäre“, betont Unternehmer Böbel, Jahrgang 1970. Fehlende Visionen kann man dem engagierten Handwerkschef nicht vorwerfen. Mit Blick in die Zukunft möchte er sein Hotel noch cooler machen, noch mehr auf Bratwurst-Erlebniswelt trimmen. Sein Tipp für Handwerksbetriebe: „Inszenieren statt präsentieren.“ Das gelingt im mittelfränkischen Landkreis Roth ganz vorbildlich.

Apropos Inszenierung. Früh erkannte Böbel, wie das World Wide Web sein Unternehmen pushen kann. „Im Zeitalter der Digitalisierung ist der Standort egal“, sagt er heute. 1997 ging er mit seiner Metzgerei ins Netz, 2007 startete er den Online-Verkauf. 4.000 bis 5.000 Pakete verlassen die Metzgerei, die heute neun Mitarbeiter beschäftigt, im Jahr. In einer speziellen Isolierverpackung aus 100 Prozent Papier. Das beliebteste Produkt – wie kann es anders sein –: die fränkische Bratwurst. Böbel: „Jede zweite Wurst geht bei uns im Paket weg.“

Digitalisierung als Herausforderung fürs Handwerk? Auch Unternehmer Böbel betrachtet die Digitalisierung als Herausforderung, aber als eine mit gigantischen Chancen. Er persönlich forciert den digitalen Small Talk, nicht die Big-Data-Strategie. „Ich poste Storys aus dem täglichen Leben.“ Kein Wunder, dass der Unternehmer, der schon immer gestalten wollte, auch als Vortragsredner gefragt ist.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Metzgermeister Böbel macht für seinen Webshop, der im 50 Prozent seines Umsatzes garantiert, keine Werbung. „Ich brauche Bestandskunden, die immer wieder kommen“, lautet seine Devise. Qualität entscheidet!
  2. Der Handwerksunternehmer setzt nicht nur auf Wurst & Co. So bietet er Wurstkurse und -erlebnisse an. „Ich verkaufe nicht nur Waren, sondern auch mein Wissen“, erzählt er mir im Gespräch. Die Seminare würden sehr gut angenommen. Selbst ein Teilnehmer aus Australien buchte schon den „German Sausage Course“. Das deutsche Handwerk sei gefragt.
  3. Unternehmertum in Problemlagen? Metzgermeister Böbel beschritt deshalb ungewöhnliche und unkonventionelle Wege – der Erfolg gibt ihm heute recht.

11.02.2020: Bleher Raumdesign & Handwerk in Nürtingen (Landkreis Esslingen)

#52Wochen: Bleher Raumdesign & Handwerk
Das Team bei Bleher Raumdesign & Handwerk: Laura Kindl, Michael Bleher, Dorian Kapaun und Gina Lara Blankenhorn (v.l.n.r.). – © handwerk magazin/neumann

„Wir legen Ihnen den Boden zu Füßen“ – so steht es auf dem Flyer, den ich in der Kirchheimer Straße 1 in Nürtingen in die Hand nehme. Gleich treffe ich Michael Bleher und sein Team. Doch das Gespräch läuft anders, als erwartet: Wir sprechen kaum über Bodenbelagsarbeiten, Wand- und Deckengestaltung oder die Wünsche seiner Privatkunden, sondern vor allem über die Digitalisierung . „Wir stellen das Ding komplett auf den Kopf, ohne die Prinzipien des traditionellen Handwerks aus dem Blick zu verlieren“, erklärt der Raumausstattermeister. Mit „das Ding“ meint Michael Bleher sein Unternehmen Bleher Raumdesign & Handwerk, das er 1992 dem Vater abgekauft und das sein Großvater 1946 gegründet hatte. „Das ist mein Leben. Ich mache das echt gerne.“ Heute beschäftigt er insgesamt sieben Mitarbeiter . Zuhörer, Ideengeber, Planer und Macher: So sehen sie sich in Nürtingen .

Der Handwerkschef ist in seinem Berufsleben viel in der Welt herumgekommen. Die Stationen lauten Dublin, Singapur oder Puerto Rico. Eigenen Angaben zufolge waren das die Wanderjahre in der Ferne. Dabei hat er sich stets den Blick für Neues und Trends bewahrt, so mein Eindruck. Mit der Konsequenz, dass er seinen Nürtinger Betrieb jetzt auf digital trimmt. „Wir sind heute schon weitgehend digital“, betont Michael Bleher. Er erklärt mir den Einsatz der eigenen Cloud, spricht über die passenden Schnittstellen, zeigt mir innovative PDF-Formulare und erläutert mir die Vorteile des papierlosen Büros und die ausgeklügelte IT-Logik, an der er zusammen mit einem Entwickler seit fünf Jahren dran ist. Auch interessant: Im August 2019 stattete er sein Team mit Apple iPads aus. Von Papier und Aktenordnern möchte man sich kurzfristig verabschieden. „Die Entscheidung, es jetzt richtig zu machen, hat mich sehr motiviert.“ Und diese Motivation kann man als Gesprächspartner nahezu greifen.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Raumausstattermeister Michael Bleher setzt auf die Kombination: den persönlichen Kontakt mit dem Kunden und die digitalen Abläufe . Demnach hat der stationäre Laden in der Kirchheimer Straße 1 auch künftig seine Berechtigung. Schließlich wollen die Privatkunden aus der Region Muster, Stoffe & Co. anfassen – damit dann Blehers Team später die richtige Atmosphäre schaffen und die handwerkliche Perfektion zeigen kann.
  2. Der Handwerkschef lebt seinem jungen Team die Veränderung vor. Er bemängelt die festgefahrenen Strukturen in vielen Betrieben und möchte mit gutem Beispiel vorangehen und sein Wissen weitergeben. Heute im eigenen Betrieb, später aber auch in anderen Handwerksunternehmen.
  3. Für Michael Bleher kommt es aufs Netzwerken an. „Ein Netzwerk mit Kollegen finde ich super wichtig.“ Selbst im Fitnessstudio knüpft der ehemalige Weltenbummler Kontakte fürs Business.

11.02.2020: Kiesel Elektrotechnik in Rottenburg (Landkreis Tübingen)

 Patrick Neumann und Volker Kiesel
„Ich bin in einer extremen Nische unterwegs“, erklärt Elektrotechnikermeister Volker Kiesel (re.) Chefredakteur Patrick Neumann bei dessen Betriebsbesuch. – © Kiesel Elektrotechnik/handwerk magazin

Das grüne Nachlicht-Band am Boden zeigt den direkten Weg ins Bad, das Bett im Schlafzimmer hebt einen auf Knopfdruck elegant aus den Federn und dank des höhenverstellbaren Herds kommen auch Rollstuhlfahrer beim Kochen nicht ins Schwitzen. Herzlich Willkommen im Tübinger LebensPhasenHaus. Elektrotechnikermeister Volker Kiesel hat mich hierher eingeladen – und somit unser Treffen kurzerhand von seinem Büro an einen besonderen Ort verlegt. An einen „Ort für Forschung, Demonstration und Wissenstransfer“, wie es offiziell heißt. Seit seiner feierlichen Eröffnung am 18. Mai 2015 kann man im LebensPhasenHaus die Zukunft anfassen und sich die Möglichkeiten fürs selbstbestimmte Wohnen besser vorstellen. Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich Gesehenes in den eigenen Kontext übertrage.

„Ich bin in einer extremen Nische unterwegs“, erklärt Volker Kiesel. Der Elektrotechnikermeister, der 2004 seinen Betrieb Kiesel Elektrotechnik gegründet hat und heute als 2,5-Mann-Firma unterwegs ist, spielt hier auf Privatkunden an, die lange zu Hause wohnen wollen. Ganz wichtig bei dieser Klientel: Vertrauen zu gewinnen. Und sie als Kümmerer oder „Lieblingshandwerker“ auf der digitalen Reise zu begleiten. „Das Thema Digitalisierung treibt mich natürlich täglich mit Smart Home und Assistenzsystemen für Senioren und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen um“, so Kiesel. Interessant: Einige der „Oldies“ schlüpfen für Handwerkschef Kiesel in die Rolle des Testkunden – und prüfen neue Geräte oder Tools intensiv.

Apropos Unterstützung. „Smart Home & Living“ bietet Handwerksbetrieben, auch im Zuge des demografischen Wandels, interessante Chancen und Perspektiven. Insbesondere, wenn man als Netzwerkpartner agiert. Auf das professionelle Zusammenspiel kommt es dabei an. „Netzwerkdenken ist uns ganz wichtig“, betont Kiesel. Mit „uns“ meint er die fünf Experten, die er einen Tag nach Orkan Sabine an den großen Tisch im LebensPhasenHaus geholt hat: Sabine Goetz und Andreas Baum vom Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Baden-Württemberg, Sylvia Weinhold von der Handwerkskammer Reutlingen, Michael Lucke vom Kreisseniorenrat und Thomas Heine von der Eberhard Karls Universität Tübingen. Gut eineinhalb Stunden diskutieren wir intensiv über gesundes wie selbstbestimmtes Leben und die Rolle des Handwerks als Multiplikator. Forschung, Handwerk und Ehrenamt – eine tolle Kombination.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Volker Kiesel bringt die Menschen zusammen. Barrierefreiheit 4.0 ist für ihn ein Megathema – und dafür hat er sich das richtige Netzwerk aufgebaut. Der Elektrotechnikermeister bringt sich ein, fungiert am Markt als Türöffner und brennt für sein Handwerk.
  2. Der Handwerkschef trägt das Thema in die Breite. Beispielsweise ist er Dozent an einer Meisterschule für Elektrotechnik. Oder er hält als Experte Vorträge auf Messen und vor Seniorengruppen.
     
  3. Und der Unternehmer sucht aktiv nach neuen Wegen. So war er drei Jahre lang Projektpartner von „ Hammer 4.0“. Dessen Ziel: die Erschließung neuer Geschäftsfelder für Handwerk, Handel und Dienstleister im Bereich „Smart Home & Living“.

30.01.2020: Riebl-Siebdruck in Ergolding (Niederbayern)

52 Betriebe: Hannes Riebl, Riebl-Siebdruck
Firmenchef Hannes Riebl zeigt beim Besuch von Patrick Neumann stolz seine Produkte. – © handwerk magazin/neumann

Hannes Riebl ist ein innovativer Unternehmer – und der Gastgeber meines zweiten Betriebsbesuchs. Heute bin ich beim Siebdrucker, ein kaum bekannter Beruf. Der Gründer von Riebl-Siebdruck selbst spricht von „Exoten im Handwerksbereich“. Doch was fertigen die Niederbayern eigentlich? Beispielsweise Funktions- und Tastaturfolien sowie Typen- und Geräteschilder. „Alles, was die Maschinen- und Geräteindustrie benötigt“, so Riebl. Stolz zeigt er mir Muster, erklärt mir im Schnelldurchgang spezielle Verfahren und Ähnliches. Namhafte Unternehmen geben sich in Ergolding die Klinke in die Hand. Als Spezialist für technische Produkte rund ums Gerät ist man offensichtlich gefragt – auch in China. „Unsere Stärke ist, Lösungen für den Kunden zu finden.“

Bevor wir eine Tour durch seinen Betrieb machen, bei dem ich vielen motivierten Mitarbeitern und den modernsten Maschinen begegne, steht ein Powerpoint-Vortrag an. Ein kurzer Ritt durch die Firmenhistorie – vom Start als Ein-Mann-Betrieb 1977 bis zum innovativen Produktionsunternehmen mit 30 Mitarbeitern heute. Während des Vortrags wird mir schnell klar, wie viel der umtriebige Unternehmer erreicht hat: Drei Mal erhielt der Betrieb den Bayerischen Qualitätspreis, als erste Siebdruckerei war man nach ISO 9001 zertifiziert (1994), dann die Auszeichnung zum „Top Innovator“ (2016) und selbst Kanzlerin Angela Merkel besuchte den Handwerksunternehmer 2017 an seinem IHM-Stand – um nur einen kurzen Auszug zu nennen. Alles andere würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Der Unternehmer hat sich früh damit beschäftigt, in seiner Firma eine Philosophie, ein Leitbild, eine Politik, ein Managementsystem einzuführen. So lautet beispielsweise das Firmenmotto: „Gemeinsam sind wir stark“. Zudem stehe der Mensch im Mittelpunkt des Handelns. Riebl spricht von Menschlichkeit und Fairness, sowohl was die Mitarbeiter als auch die Geschäftspartner angeht. Ethische Grundsätze stehen hier im Mittelpunkt. Riebl: „Unternehmenskultur hat in unserem Hause schon immer einen hohen Stellenwert.“ Demnach verwundert es auch kaum, wie die Vision des Unternehmens aussieht: begeisterte Kunden.
  2. Der Siebdruckmeister hat sich immer ehrenamtlich engagiert: Wie mir Riebl erzählt, war er viele Jahre stellvertretender Innungsmeister der Bundesinnung sowie im Prüfungsausschuss und bei der Erstellung der Prüfungsaufgaben tätig. „Im Verband Druck und Medien Bayern bin ich seit 15 Jahren stellvertretender Vorsitzender“, ergänzt er. Das Netzwerk muss groß sein.
  3. Und Hannes Riebl kann loslassen . Zum Jahreswechsel 2019/2020 hat er den Betrieb, eigenen Angaben zufolge eine der führenden europäischen Siebdruckereien, an seine Tochter Joana Harrer-Riebl und seinen Schwiegersohn Florian Harrer übergeben. Die Zukunft ist somit gesichert!

24.01.2020: Elektro-Netzwerk Ramsauer in Velden (Niederbayern)

52 Betriebe: Barbara Ramsauer und  Patrick Neumann
Auftakt in Niederbayern: Der erste von 52 Betriebsbesuchen führte Chefredakteur Patrick Neumann zu Barbara Ramsauer nach Velden. – © Anna Ramsauer

Es geht los! Der erste meiner 52 Betriebsbesuche, die ich mir heuer vorgenommen habe, ist quasi ein Heimspiel. Gute 60 Kilometer von München entfernt liegt der Markt Velden – im niederbayerischen Landkreis Landshut. „Perle des Vilstals“ steht auf einem Schild am Straßenrand, wenige Hundert Meter entfernt vom Elektro-Netzwerk Ramsauer. Die Sonne verwöhnt am heutigen Freitag diese Perle, wenngleich das Thermometer schattige 1,5 Grad anzeigt. Doch was erwartet mich bei meinem ersten Besuch? Welche Erwartungen gibt es? Und wo drückt am meisten der Schuh?

Die engagierte Unternehmerfrau Barbara Ramsauer, die gemeinsam mit ihrem Mann Rudolf den Betrieb 1993 im privaten Wohnhaus startete, hatte mich zu sich nach Niederbayern eingeladen. Rund 30 Mitarbeiter kümmern sich um Elektro-, Netzwerk und Sicherheitstechnik – ausschließlich im öffentlichen Bereich. Zudem offeriert der Handwerksbetrieb Services für Bauherren, etwa Wartungsverträge.

Die erste Überraschung: Der Ramsauer-Fuhrpark befindet sich vollständig auf dem Hof. Der Grund, wie ich später im modernen Betrieb erfahren sollte: Man setzt hier auf eine Vier-Tage-Woche. Freitags sind die Mitarbeiter bereits im Wochenende, ihr Stundenkonto haben sie schon von Montag bis Donnerstag gefüllt.

So sonnig wie das Wetter ist dann auch der Empfang der Ramsauers. Neben Barbara und Rudolf Ramsauer nehmen auch Tochter Anna und Sohn Andreas, beide schon im Betrieb aktiv, am Gespräch teil. Eine ganz kurzweilige Unterhaltung über Herausforderungen, Trends & Co.

Drei Dinge sind mir aufgefallen:
  1. Barbara Ramsauer nimmt den Fachkräftemangel nicht einfach hin, sondern unternimmt aktiv etwas dagegen. So stellte sie unter anderem kürzlich in ihrer Heimatgemeinde eine Ausbildungsmesse auf die Beine – mit 19 ortsansässigen Handwerksbetrieben. Ein Novum. Das Konzept am Ramsauer-Stand: Der Lehrling kümmerte sich um den potenziellen Azubi, die Chefs um dessen Eltern. „Lockeres Kennenlernen und Kontakte anbahnen“, so das Motto von Barbara Ramsauer. Natürlich durften neben einem Roll-up auch Werkzeuge und Gitterkäfig nicht fehlen.
  2. Dauerbrenner Digitalisierung : Bei Elektro-Netzwerk Ramsauer möchte man einige Prozesse umstellen. „Diese Jahr ist das Jahr der Digitalisierung “, betont Barbara Ramsauer. Unterstützung holt man sich dafür von externen Beratern. „Unser nächster Schritt ist die digitale Zeiterfassung.“ Keine Angst, dass der eine oder andere Mitarbeiter nicht mitziehen könnte? Barbara Ramsauer winkt ab. „Wir haben eine sehr gute Situation, weil wir einen sehr jungen Mitarbeiterstamm haben.“ Wo ergibt Digitalisierung einen Sinn und was bringt den Betrieb weiter – diesen Grundsatz verfolgen die Niederbayern.
  3. Wären wir bei Punkt drei, der Nachfolgeregelung. Von den drei Kindern sollen die bereits erwähnten Anna und Andreas später einmal als Doppelspitze den Handwerksbetrieb führen. Behutsam werden sie an diese Aufgaben herangeführt, so mein Eindruck vor Ort. Die Wertigkeit und den Stolz des Handwerks leben sie heute schon. Vorbildlich!

Patrick Neumann
patrick.neumann@handwerk-magazin.de