Diplom Ingenieur Robert Grave, Standortleiter des Maschinenbauers ANR Systech GmbH mit 30 Mitarbeitern aus Borken in Nordrhein-Westfalen, bildet zwei junge Menschen aus der Ukraine in seinem Betrieb aus. Sie werden über die Einstiegsqualifizierung der Bundesarbeitsagentur fit für den deutschen Arbeitsmarkt gemacht. Was es damit auf sich hat, erklärt er im Interview.

In vielen Regionen und Branchen fehlen Fachkräfte. Denken Sie, die Akquise im Nicht-EU-Ausland kann das Fachkräfteproblem eindämmen? Wo fehlen Fachkräfte am meisten?
Die Beschäftigung von Fachkräften aus dem EU- oder Nicht-EU-Ausland könnte das Fachkräfteproblem durchaus eindämmen beziehungsweise mindern. In unserem Fall haben wir gerade zwei Auszubildende aus der Ukraine im Rahmen eines Einstiegsqualifizierungsjahres (EQJ) einstellen können.
Das ist für uns von großem Vorteil. Durch die über die Jahre reformierte Spezialisierung der Ausbildungsberufe in Deutschland, stehen unzählige spannende Ausbildungsberufe für ein Fachgebiet zur Verfügung, was somit den jungen Leuten die Auswahl bzw. für deren zukünftige Berufswahl erschwert.
In der Vergangenheit gab es nur den sogenannten „Schlosser“, heute resultieren durch die Spezialisierung die Ausbildungsberufe zum Feinwerkmechaniker, Industriemechaniker, Metallbauhelfer, um nur einige zu nennen. Viele junge Leute sind durch die Vielzahl der möglichen Ausbildungsberufe überfordert, um sich für eine Sache zu entscheiden.
Wir beschäftigen daher diese beiden, einen jungen Mann und eine junge Frau aus dem Nicht-EU-Ausland, weil sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen möchten. Es fehlen und vorrangig Fachkräfte im Bereich der praktisch auszuübenden Tätigkeiten oder Handfertigkeiten. Dafür qualifizieren wir sie über die Einstiegsqualifizierung, die von der Bundesarbeitsagentur gefördert wird.
Sie haben zwei Auszubildende aus Drittländern eingestellt, die Sie im Zuge der Einstiegsqualifizierung der Bundesarbeitsagentur rekrutieren konnten. Beschreiben Sie bitte, wie es genau dazu kam und welche Erfahrungen Sie machten bzw. machen?
Wir wurden von einem unserer Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht, dass aus seinem Bekanntenkreis eine junge Frau und ein junger Mann aus der Ukraine über das sogenannte Einstiegsqualifizierungsjahr (EQJ) der Bundesarbeitsagentur eine Anstellung suchen. Die beiden sind bereits 20 Jahre alt und haben eine gute Schulbildung in der Ukraine genossen. Wir haben mit den zwei jungen Menschen ein Vorgespräch geführt und im Anschluss einen weiteren gemeinsamen Termin mit der zuständigen Betreuerin des Jobcenters Bocholt abgestimmt.
Nach diesen Gesprächen wurden die Anträge in Kooperation mit dem Jobcenter gestellt, die uns zuvor zum Teil bereits ausgefüllt zur Verfügung gestellt wurden. So konnte der Start des EQJ für beide Mitarbeiter relativ kurzfristig erfolgen. Ziel ist in erster Linie das Sprachniveau der beiden zu erhöhen. Nach spätestens einem Jahr stellt sich dann die Frage zusammen mit der Berufsschule, ob die persönliche Eignung/ Neigung und das erreichte Niveau der Qualifizierung für das Absolvieren einer Ausbildung ausreicht.
Das ist durchaus sinnvoll, denn wenn die jungen Leute dem Unterricht in der Berufsschule nicht folgen können, werden sie auch unweigerlich die Prüfungen nicht bestehen. Wir freuen uns jedenfalls aktuell, über diesen Weg zwei junge motivierte Mitarbeiter gefunden zu haben.
So finden Handwerkschefs Auszubildende über die Einstiegsqualifizierung
Die Einstiegsqualifizierung der Bundesarbeitsagentur ist ein sozialversicherungspflichtiges Praktikum, wobei Betriebe von den Agenturen für Arbeit oder den Jobcentern durch einen Zuschuss zur Praktikumsvergütung und mit einer Pauschale für die Beiträge zur Sozialversicherung gefördert werden. Vorteil: Als Chef lernen Sie potenzielle Auszubildende erst einmal kennen und können sich womöglich fähige zukünftige Fachkräfte sichern. Um Fragen zu Visa und Aufenthaltstitel müssen sich Chefs in diesem Fall nicht kümmern.
Eine Einstiegsqualifizierung dauert mindestens vier und höchstens zwölf Monate. Der Förderzeitraum beginnt frühestens ab dem 1. Oktober eines Jahres, kann aber auch schon ab dem 1. August erfolgen. Durch die Einstiegsqualifizierung bereiten Unternehmen die Neuankömmlinge auf eine Ausbildung in einem konkreten Beruf vor. Ziel ist es, dass sie eine Ausbildung in dem Betrieb machen können, den sie bereits kennengelernt haben.
Auch hierbei unterstützt die Arbeitsagentur, etwa durch eine Assistierte Ausbildung (AsA): Dabei erhält der Auszubildende eine persönliche Förderung neben der Ausbildung – beispielsweise in Form von Stützunterricht oder einer sozialpädagogischen Betreuung. Auch Sprachbarrieren sollten über die Einstiegsqualifizierung abgebaut werden.
Welche Rolle spielte oder spielt die Handwerkskammer in diesem Prozess?
Da das EQJ im ersten Ausbildungsjahr an die verpflichtende Teilnahme am Unterricht der Berufsschule geknüpft ist, wurden wir durch die Handwerkskammer (HWK) dabei unterstützt, möglichst ortsnah die passende Schule zu benennen. Die Anmeldung an den Berufsschulen nahmen wir selbst vor, was hätte aus meiner Sicht aber die HWK für uns übernehmen können, da dies nach erfolgter EQJ-Vertragsunterzeichnung auch schriftlich zustimmen muss. Tatsächlich spielt die HWK im gesamten Prozess nur eine untergeordnete Rolle, könnte sich aber noch intensiver in die Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Jobcentern einbringen.
Welche Fragen sind vom Gesetzgeber noch nicht abschließend gelöst? Wo benötigen Sie als Unternehmer Entlastungen, um sich so einem Verfahren – Mitarbeiter aus Drittländern zu akquirieren – zu stellen? Beziehungsweise, wie sähe das optimale Procedere für Sie aus?
Grundsätzlich benötigt ein kleineres mittelständisches Unternehmen keine Referenten gestützte Vorträge oder Broschüren, die über die Akquirierung von Mitarbeitern aus Drittländern informieren. Oft werden hier Gesetzestexte zitiert, die ohne juristischen Beistand kaum zu verstehen sind. Da die potenziellen Mitarbeiter aus Drittländern sowieso bereits in den Datenbanken der Zuwanderungsbehörden geführt werden, erwarten wir eigentlich die aktive Vermittlung dieser Personen durch die Behörden. Diese sollten die Firmen kontaktieren sowie bei Anträgen und Schriftverkehr behilflich sein. Hier könnte doch die Devise „Alles aus einer Hand“ zum Einsatz kommen. Die Behörde bzw. der Ansprechpartner würden bei einer Übereinkunft den potenziellen Mitarbeiter und die potenzielle Firma in allen Belangen beraten, betreuen und unterstützen.
Wir müssen davon ausgehen, dass sich viele kleine Betriebe trotz Fachkräftemangels scheuen, für eine jungen Mann oder eine junge Frau aus dem Nicht-EU-Ausland zu entscheiden. Können Sie Zauderern aus Ihrer Erfahrung heraus Mut machen?
Falls die Unterstützung der Behörden in der angeführten Form annähernd stattfinden würde, wie wir sie bei unseren EQJ´lern erfahren haben, können wir die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland nur unterstützen und befürworten. Man darf auch feststellen, dass diese jungen Leute, die aus Drittstaaten zu uns kommen, große Lust haben zu lernen und zu arbeiten. Sie sind hochmotiviert und bringen großes Verantwortungsbewusstsein mit.
Sobald alle Formalitäten erledigt sind – haben Sie Ihre Azubis bei der Wohnungssuche, dem Nachzug der Familie, mit der Eröffnung eines Kontos unterstützt? Wie steht es um Sprachkenntnisse und wie gehen die Teamkollegen mit Ihren Neuen um?
Unsere Auszubildenden waren ja schon in Deutschland, sie sind gut untergebracht und hatten bereits Bankverbindungen, daher war keine unmittelbare Unterstützung erforderlich. Falls sie sich im Nachgang entschließen, eine andere Wohnung zu beziehen, helfen wir ihnen natürlich bei der Suche im Rahmen unserer Möglichkeiten. Allerdings: Der Nachzug der Familie ist nicht die Aufgabe der einzustellenden Firma.
Eine Unterstützung sollte schon durch die betreuende Behörde erfolgen, zumal dieser Nachzug erheblichen Formularaufwand mit sich bringt. Wir haben das bereits einmal mit einer Fachkraft erlebt, was sich als sehr aufwändig darstellte. Was die Sprachkenntnisse anbelangt: Die betreuende Behörde hat unsere Auszubildenden zu Sprachkursen angemeldet. Unsere Mitarbeiter sind froh über die neuen Kollegen, auch weil diese Tugenden mitbringen, die heute nicht mehr selbstverständlich sind.
Planen Sie auch, weitere Arbeitskräfte aus dem Nicht-EU-Ausland – womöglich mit beruflicher Qualifizierung – für Ihren Betrieb zu gewinnen? Oder suchen Sie erst einmal auf dem regionalen Markt nach neuen Fachkräften?
Ja definitiv. Denn man muss leider sagen, dass der Markt bei uns wirklich leergefegt ist. Durch unsere Produktspezifikation brauchen wir aber Spezialisten, und damit wird es noch schwieriger. Wir setzen daher bewusst auf junge Leute - gern aus dem Ausland -, um sie so auszubilden und mit der nötigen Berufserfahrung auszustatten, die wir für die Fertigung unserer Produkte benötigen.
Natürlich leben wir dann auch mit dem Risiko, dass wir zunächst viel investieren – denken Sie nur an die anfänglichen Sprachbarrieren – um die jungen Menschen später eventuell an die Industrie zu verlieren. Denn oftmals zahlen Industriebetriebe deutlich höhere Stundensätze, die im Mittelstand mit deren Tarifverträgen nicht darstellbar sind. Aber all das nehmen wir gern in Kauf.
Vielen Dank!
Der Interviewpartner
Diplom-Ingenieur Robert Grave leitet die ANR Systech GmbH seit 13 Jahren. Herzstück des Betriebes ist das Ingenieurbüro A&R Engineering. Seit drei Jahren wird das Angebot ergänzt um eine Fertigung mit 32 Mitarbeitern. Der Betrieb, der in die Handwerksrolle eingetragen ist, stellt Abwasseraufbereitungsanlagen für den Industriebedarf her und hat sich darüber hinaus auf die Dienstleitungsfertigung im Bereich Maschinen- und Anlagenbau spezialisiert.