Mitarbeiter kündigen Mindestlohn-Erhöhung 2024: Was tun mit alten Arbeitsverträgen?

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Zum 1. Januar 2024 stieg der Mindestlohn auf 12,41 Euro pro Stunde – nach mehreren Erhöhungen im Jahr 2022. Zuletzt hatte die Mindestlohnkommission, in der Gewerkschaften und Arbeitgeber vertreten sind, den Mindestlohn am 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angeglichen. Eine weitere Erhöhung ist für 1. Januar 2025 geplant. Dann soll der Mindestlohn 12,82 Euro pro Stunde betragen. Wie sich ein neues Lohnniveau auf bestehende Arbeitsverträge auswirkt.

Von Ulla Farnschläder

Der gesetzliche Mindestlohn stieg zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro. - © PhotoSG - stock.adobe.com

Die Bundesregierung hat die Mindestlohnerhöhung zunächst in zwei Schritten für 2022 auf den Weg gebracht: Von 9,60 Euro stieg der Satz am 1. Januar 2022 auf 9,82 pro Stunde. Zum 1. Juli 2022 erhöhte er sich dann auf 10,45 Euro pro Stunde und erneut ab 1. Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde. Nun erfolgte im Januar 2024 eine erneute Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12,41 Euro. Doch welche Auswirkungen hat dies auf bestehende Arbeitsverträge?

Mindestlohn in alten Verträgen: Ein Fallbeispiel

Gehen wir von folgendem Sachverhalt aus: Ein Arbeitsvertrag wurde über zwölf Euro pro Stunde geschlossen. Der neue gesetzliche Mindestlohn soll nun 12,41 Euro betragen. Eine Erhöhung des vertraglich vereinbarten Stundenlohnes erfolgt nicht. Der Handwerkschef plant, das Arbeitsverhältnis aufgrund des staatlichen Eingriffes in die Lohngestaltung des Unternehmers zu kündigen. Doch ist das rechtens?

Mindestlohnerhöhung: Nur die betriebsbedingte Kündigung wäre rechtens

„Haben die Arbeitsvertragsparteien eine Vergütung vereinbart, die unterhalb des neuen gesetzlichen Mindestlohns pro Stunde liegt, und will oder kann der Arbeitgeber den neuen Mindestlohn pro Stunde nicht zahlen, bliebe ihm nur die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu kündigen“, bestätigt Gunnar Roloff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Ecovis in Rostock. „Allerdings braucht er hierzu – jedenfalls in einem Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitnehmern – einen Kündigungsgrund.“ Dieser sei aber allein durch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns nicht gegeben. „Die Mindestlohnerhöhung stellt für sich keinen Grund für eine betriebsbedingte Kündigung dar“, betont Roloff. Für eine solche betriebsbedingte Kündigung wäre erforderlich, dass der Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers nicht weiter beschäftigt werden kann, was allein durch die Erhöhung des Mindestlohns nicht der Fall ist.

Gründe für eine betriebsbedingte Kündigung wären etwa betriebliche Erfordernisse. Das könnte etwa der Fall sein, wenn durch Umstrukturierungen oder Entscheidungen der Arbeitsanfall deutlich reduziert ist. In einem Kündigungsschutzprozess müsste der Arbeitgeber dies aber nachweisen und sehr genau belegen können. Die betriebsbedingte Kündigung ist beispielsweise unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer auf irgendeinem anderen, freien Arbeitsplatz eingesetzt werden kann. Für den erfolgreichen Ausgang eines Verfahrens kann es deshalb schädlich sein, wenn der Arbeitgeber freie Stellen inseriert. „Die Arbeitsgerichte merken oft ziemlich schnell, ob es sich tatsächlich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt oder ob dieser Grund tatsächlich nur vorgeschoben ist“ erklärt Roloff.

Mindestlohnerhöhung: Kündigung im kleinen Handwerksbetrieb

Gänzlich anders ist die Rechtslage bei einem Kleinbetrieb mit bis zu zehn Mitarbeitern. Hier haben die Arbeitnehmer keinen allgemeinen Kündigungsschutz. Kündigungen können deshalb ausgesprochen werden, ohne dass ein Grund vorliegt. Das Gericht würde in einem Fall lediglich prüfen, ob die Kündigung fristgemäß und schriftlich erklärt worden ist. „Deshalb sind Kündigungen im Kleinbetrieb nur selten unwirksam“ schildert Roloff seine Erfahrungen. Die Erfolgsaussichten sind entsprechend hoch, wenn der Mitarbeiter nicht über einen besonderen Kündigungsschutz verfügt. Dies ist zum Beispiel bei Schwerbehinderten und Schwangeren der Fall. In jedem Fall sind die vereinbarten oder gesetzlichen Kündigungsfristen zu beachten und die Kündigung schriftlich zu verfassen. „Der Chef sollte selbst unterschreiben“ rät Roloff, „eine Nachricht per WhatsApp genügt formell nicht.“

Mindestlohnerhöhung: Im Arbeitsvertrag schriftlich fixieren

Sollte der neue Mindestlohn zu einer Erhöhung der Vergütung des Arbeitnehmers führen, sollte dies auch schriftlich fixiert werden. Es empfiehlt sich in derartigen Konstellationen, einen kurzen Änderungsvertrag so zu schließen, dass ab einem bestimmten Termin eine Vergütung in Höhe des dann geltenden Mindestlohns gezahlt wird. „Die Erhöhung der Vergütung bietet aber auch die Gelegenheit zu prüfen, ob die vertraglichen Regelungen insgesamt noch passen“ empfiehlt Roloff.

Mindestlohn: Wer hat Anspruch, was ist zu dokumentieren

Nach dem Mindestlohngesetz hat grundsätzlich jeder Arbeitnehmer Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Ausnahmen gelten lediglich für Auszubildende, Praktikanten und Ehrenamtliche. Missachten Chefs die geltenden Bestimmungen zum Mindestlohn, können sie dafür rechtlich belangt werden. Arbeitnehmer, die in einem Minijob arbeiten, haben ebenfalls Anspruch auf Mindestlohn. Laut Bundesarbeitsministerium sind Arbeitgeber in bestimmten Fällen verpflichtet, geleistete Arbeitsstunden und die Bezahlung ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren. Zum Beispiel in Baugewerbe und Messebau, im Speditions-, Transport und Logistikbereich, in der Gebäudereinigung, und in der Fleischwirtschaft. Die Dokumentationspflichten bestehen auch für Minijobber im Betrieb.

Arbeitszeiterfassung: Was nach dem BAG-Urteil gilt

Das Thema Arbeitszeiterfassung befindet sich rechtlich aktuell in der Schwebe. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 2022 entschieden, dass die Arbeitszeit grundsätzlich zu erfassen ist. "Genaueres weiß man allerdings heute immer noch nicht", sagt Roloff und ergänzt: "Ein Unterlassen der Arbeitszeiterfassung bleibt aktuell noch sanktionslos." Das Bundesarbeitsministerium wollte längst einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben, der die Einzelheiten zur Arbeitszeiterfassung regeln soll. Dieses hatte bereits kurz nach der Veröffentlichung der Entscheidung angekündigt, eine Gesetzgebung zu erlassen, um praxisnahe Lösungen zu finden, die Flexibilität ermöglichen. "Es kann durchaus sein, dass dann bestimmte Bereiche von der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung ausgenommen werden", meint Roloff. So soll beispielsweise Vertrauensarbeitszeit auch zukünftig möglich sein. "Bislang gibt es hier aber nach unserer Kenntnis noch keinen neuen Stand. Insbesondere ist nicht absehbar, wann das entsprechende Gesetz verabschiedet wird", erläutert Roloff weiter.

Insofern sei es ratsam, der Empfehlung des Bundesarbeitsministeriums zu folgen, grundsätzlich Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeiter zu erfassen. Die Dokumentation kann auf einem einfachen Stundenzettel vermerkt werden, die Auflistung von Ort und Dauer von Pausen ist demnach nicht erforderlich.

Vorsicht: Subunternehmer und Mindestlohn

Ein Unternehmer, der Subunternehmer heranzieht, um seine Aufträge abzuarbeiten, haftet für die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns seines Subunternehmers und der wiederum für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch seine Auftragnehmer. Die Ausbeutung von Arbeitnehmern über sogenannte Subunternehmerketten soll so verhindert werden.

Mindestlohnerhöhung: Die Rolle des Zoll

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Bundeszollverwaltung führt Prüfungen auf Grundlage des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG - §§ 2ff) durch. „Dabei verfolgt die FKS grundsätzlich einen ganzheitlichen Prüfungsansatz“, betont Sarah Garbers, von der Generalzolldirektion in Bonn. Dies bedeute, dass bei jeder Kontrolle geprüft werde, ob Arbeitgeber ihre Beschäftigten ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet haben, ob Sozialleistungen zu Unrecht bezogen wurden, ob Ausländer notwendige Aufenthaltstitel haben und auch, ob die jeweils einschlägigen Mindestlohnvorschriften eingehalten werden. „Die Prüfungen erfolgen grundsätzlich verdachtsunabhängig durch Personenbefragungen und Prüfungen der Geschäftsunterlagen der Arbeitgeber“, sagt Garbers und führt weiter aus: „Sofern konkrete Hinweise von betroffenen Arbeitnehmern eingehen, werden diese an zentraler Stelle bei den Hauptzollämtern erfasst und im Anschluss daran auf Qualität und Plausibilität geprüft.“ Führe die Bewertung eines Hinweises dazu, dass ein Anfangsverdacht vorliege, leite die FKS ein Ermittlungsverfahren ein. Kann aus dem Hinweis kein Anfangsverdacht abgeleitet werden, prüft die FKS, ob eine Prüfmaßnahme eingeleitet werden muss.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls hat laut Garbers im Jahr 2023  mehr als 4.200 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstößen gegen Mindestentgeltvorschriften (2022: 3.600; 2021: 3.200) eingeleitet. "Damit liegt das Ergebnis über dem Ergebnis der Vorjahre," sagt Garbers. Diese Feststellungen beträfen die Nichtzahlung der nach dem Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sowie dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgelegten Mindestlöhne bzw. Lohnuntergrenze. Wie die Nachrichtenagentur dpa mitteilte, sah die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls 2023 bei 42.631 Arbeitgebern genauer hin.

Mindestlohn: Hotline bietet Information für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Zur Beantwortung von Fragen rund um den Mindestlohn hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales überdies eine Mindestlohn-Hotline eingerichtet. Die Mindestlohn-Hotline ist allgemeine Anlaufstelle für alle Fragen zu den Mindestlöhnen nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) sowie der Lohnuntergrenze nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Das Angebot richtet sich an Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Soweit bei der Mindestlohnhotline des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Hinweise - ob anonym oder unter Namensnennung - auf Mindestlohnverstöße eingehen, werden die Hinweisgeber an das zuständige Hauptzollamt verwiesen.

Gunnar Roloff
Gunnar Roloff

Gunnar Roloff ist Steuerberater und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Ecovis in Rostock. Für das Beratungsunternehmen arbeiten in Deutschland rund 2.500 Mitarbeiter in mehr als 100 deutschen Büros sowie weltweit in Partnerkanzleien in fast 80 Ländern.