Wegbrechende Aufträge Betriebsbedingte Kündigung oder Kurzarbeit: Instrumente gegen Schieflagen unter der Lupe

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Arbeitsrecht, Fachkräftemangel und Kündigung

Energiepreise, Lieferkettenprobleme, steigende Zinsen, Inflation: Obwohl in vielen Branchen die Auftragslage gut ist, kann sich das jederzeit ändern. Chefinnen und Chefs denken dann konsequenterweise über Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen nach. Wann was Sinn ergibt und welche rechtlichen Voraussetzungen gelten.

Bevor Handwerkschefs eine betriebsbedingte Kündigung formulieren, loten sie andere Optionen aus.
Bevor Handwerkschefs eine betriebsbedingte Kündigung formulieren, loten sie andere Optionen aus. - © Rawpixel.com - stock.adobe.com

Die deutsche Wirtschaftslage präsentiert sich im Moment ambivalent: Viele Handwerksbetriebe arbeiten volle Auftragsbücher ab, anderen Unternehmen begegnen raue Böen. So legte der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) alarmierende Zahlen vor: 33 Prozent weniger Aufträge im Wohnungsbau im Januar sowie ein Rückgang der Baugenehmigungen um ­30 Prozent.

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB, kommentiert: „Die Auftragsbestände gehen jetzt zügig in die Abarbeitung, Anschlussaufträge für die Betriebe fehlen.“ Er fügt hinzu: „Wir bekommen erste Rückmeldungen aus den Unternehmen zu in Anspruch genommener und anstehender Kurzarbeit.“ Laut Bundesagentur für Arbeit wurde im März für 50.000 Arbeitnehmer Kurzarbeit angezeigt – deutlich mehr als im Juni des Vorjahres, dem letzten Tiefpunkt.

Baunahen Tätigkeiten drohen Personalabbaumaßnahmen

Unterdessen prognostizieren führende Wirtschaftsforschungsinstitute einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent für das laufende Jahr und revidieren Negativ-Prognosen aus dem Herbst.

Nicole Golomb, Ecovis-Rechtsanwältin aus Regensburg, und Dr. Uwe Schlegel, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der ETL Rechtsanwälte GmbH in Köln, registrieren im Moment keine Nachfragen zu betriebsbedingten Kündigungen: „Die schlechte Stimmung kann ich nicht nachvollziehen, meine Mandanten haben zu tun“, erklärt Schlegel, was Golomb für ihre Klientel bestätigt. „Das Blatt kann sich aber drehen, wenn Großaufträge im öffentlichen Sektor ausbleiben oder Betriebe wegen steigender Kreditzinsen keine Aufträge mehr von privaten Bauherren erhalten“, betont Schlegel. Dr. Daniel Dommermuth, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Noerr in München, führt solche Unternehmen in seinem Mandantenstamm: „Gerade bei baunahen Tätigkeiten haben wir es mit Personalabbaumaßnahmen in größerem Umfang zu tun.“

Prekäre Zeiten Überbrücken

Aber ist eine Kündigung immer zielführend? „Nein“, sagt ETL-Rechtsanwalt Schlegel. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels gelte es, die Mitarbeiter an Bord zu halten. Zunächst sollten Betriebe daher prüfen, ob sich prekäre Lagen nicht über Urlaubsregelungen, freie, unbezahlte Zeiten (nicht länger als vier Wochen, um den Sozialversicherungsschutz nicht zu gefährden) oder Fortbildungsmaßnahmen überbrücken lassen. „Sind die Auftragsbücher voll, doch es fehlt an Liquidität, könnte man die Belegschaft auch auf Gehaltsverzichte oder den Wegfall des Weihnachtsgelds einstimmen“, erklärt Dommermuth. „Hier kommt es vor allem auf gute Kommunikation an“, betont er.

Handelt es sich nur um kurzfristige Veränderungen im Betrieb, die sich nicht ad hoc lösen lassen, ist das Anzeigen von Kurzarbeit angeraten. „Das lohnt sich, wenn der Chef an eine Wende glaubt, etwa, dass der Lieferengpass nach einer gewissen Zeit wegfällt“, erklärt Dommermuth. Gunnar Rudolphi, Berater für Arbeitgeberleistungen bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, erläutert: „Kurzarbeitergeld kommt infrage, wenn ein Auftrags- oder Absatzmangel aus äußeren Umständen rührt und eine Schieflage entstanden ist, obwohl der Unternehmer alles in seiner Macht Stehende getan hat.“ Ein kurzfristiger Arbeitsausfall sei ein guter Grund, steigende Betriebskosten hingegen greifen nicht für die Berechtigung zur Kurzarbeit. Er empfiehlt Chefs, möglichst frühzeitig in die Beratung der Agenturen für Arbeit zu kommen.

Rudolphi nennt Beispiele aus der Praxis: „Ziehen Auftraggeber erteilte Aufträge kurzfristig zurück oder verschieben sie zeitlich, wenn notwendige Leistungen anderer Gewerke bei einem Hausbau nicht rechtzeitig fertiggestellt wurden, wäre dies ein Fall für die Anzeige von Kurzarbeit.“ Alles, was der Betrieb nicht selbst beeinflussen könne, führe in der Regel dorthin. „Für Ursachen, die sich auf Dauer auf den Betrieb auswirken, wenn etwa einer von zwei Auftraggebern wegfällt, kann das Kurzarbeitergeld nicht genutzt werden. Denn so ein Ausfall lässt sich nicht unmittelbar ersetzen“, erklärt der Berater.

Fallstricke: So klappt die betriebsbedingte Kündigung

Um im Fall einer Kündigungsschutzklage gut aufgestellt zu sein, sollten Chefs Formalitäten beachten. Etwa die gut lesbare Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben, die korrekte Zustellung der Kündigung, die Begründung und – für den Fall, dass das Unternehmen einen Betriebsrat hat – die Anhörung des Betriebsrats.

  1. Begründung
    Taktisch geschickt ist die Begründung einer betriebsbedingten Kündigung mit innerbetrieblichen Maßnahmen, etwa wenn ein Bereich geschlossen werden muss. Denn vor Gericht lässt sich schwer nachweisen, dass solche Gründe nicht vorgelegen haben. Schwieriger wird es, wenn nachgewiesen werden muss, dass der Beschäftigungsbedarf tatsächlich dauerhaft nicht mehr vorhanden ist. Stellt sich heraus, dass der Beschäftigungsbedarf nur vorübergehend nicht besteht, etwa weil Lieferungen nicht eingetroffen sind oder Aufträge storniert wurden, schließt dies eine betriebsbedingte Kündigung aus.
  2. Schriftform
    Die Kündigung muss schriftlich erfolgen. Damit sie gültig ist, sollten Chefs mit einem Kugelschreiber unterschreiben und den ganzen Namen ausformulieren. Nur X oder Strich könnten die Ungültigkeit herbeiführen, selbst, wenn der Chef nachweislich immer so unterschreibt.
  3. Zustellung der Kündigung
    Im Kündigungsschutzverfahren achten die Gerichte auf Details. Ist die Kündigung überhaupt fristgemäß zugegangen? Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, empfiehlt sich die persönliche Übergabe in Anwesenheit eines Zeugen, die Zustellung per Einschreiben Einwurf oder per Bote mit Protokoll und zweifacher Unterschrift des Überbringers – die erste bei der Abholung und die zweite nach dem Einwurf. Halten Sie als Chef die Fristen ein, um nicht ein zusätzliches Gehalt bezahlen zu müssen.
  4. Betriebsratsanhörung
    Der Betriebsrat ist anzuhören, bevor die Kündigung ausgesprochen wird. Ihm müssen alle Gründe genannt werden, die für die Kündigung wesentlich sind. Wird der Betriebsrat nicht oder unvollständig angehört, kann die Kündigung unwirksam sein. Die Anhörung im Nachgang ist nicht möglich, ist der Prozess erst einmal im Gang.
  5. Massenentlassungsverfahren
    Kündigt ein Betrieb mit mehr als 20 Mitarbeitern mindestens sechs Arbeitnehmern, ist ein Massenentlassungsverfahren durchzuführen. Das heißt, neben dem Hinzuziehen des Betriebsrats sind auch der Agentur für Arbeit die bevorstehenden Kündigungen anzuzeigen. Und zwar bevor die Kündigungen ausgesprochen werden können. Beruht die Massenentlassung auf einer sogenannten Betriebsänderung, sind vor Ausspruch der Kündigungen ein Interessensausgleich und ein Sozialplan zu verhandeln.

Kurzarbeit: Leichter Zugang endet

Bis Juni 2023 haben Betriebe die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, wenn mindestens zehn Prozent ihrer Beschäftigten einen Entgeltausfall von mehr als zehn Prozent in einem Monat haben. Danach greift wieder die Regelung von vor der Coronapandemie, wonach der Entgeltausfall von mindestens einem Drittel der Beschäftigten bei mehr als zehn Prozent liegen muss. Überstunden sind in der Regel vorher abzubauen, ehe die Bundesagentur für Arbeit 60 Prozent des entfallenen Netto-Entgelts übernimmt.

Was viele nicht wissen: Das Instrument der Kurzarbeit lässt sich flexibel einsetzen, etwa wenn es tageweise Aufträge gibt, an anderen nicht. „Wir empfehlen regelmäßige Telefonate mit dem Team, wer wann wie viel arbeitet, um den Bedarf korrekt einschätzen und der Arbeitsagentur die Zeiten exakt durchgeben zu können“, erklärt Rudolphi. Wichtig ist, die Arbeits- und Ausfallzeiten der Betroffenen täglich zu dokumentieren. Die Übermittlung erfolgt via App an die Arbeitsagenturen. Ob es den vereinfachten Zugang auch nach dem 30. Juni dieses Jahres geben wird, lässt sich im Moment nicht einschätzen. Dommermuth ist sich sicher: „Die Politik wird den vereinfachten Zugangs zur Kurzarbeit nicht zur Dauerlösung machen.“

Wie aber bringt man der Belegschaft bei, dass nun Kurzarbeit bevorsteht? „Chefs sind auf die Zustimmung des Teams angewiesen“, erklärt Dommermuth. Die Einführung muss mit dem Betriebsrat im Unternehmen abgestimmt werden – sofern vorhanden – und über eine Betriebsvereinbarung oder individuelle Regelungen vertraglich fixiert werden. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer nicht zustimmt, hält Nicole Golomb eine Option bereit: „Wenn es keine Rechtsgrundlage gibt, etwa weil der Arbeitsvertrag es nicht hergibt, kann man die Kurzarbeit auch über eine Änderungskündigung einführen.“ „Dies ginge in der Theorie sogar fristlos“, sagt Dommermuth.

Kleinbetriebe im Vorteil

Was beachten Chefs, die langfristig agieren müssen, weil die Gründe eben nicht von außen wirken? Schlegel erläutert: „Hat der Betrieb nicht mehr als zehn Mitarbeiter, wird er als Kleinbetrieb gesehen und kann eine Kündigung mit Kündigungsfrist ohne Weiteres aussprechen.“ Die Mitarbeiterzahl ergibt sich nicht nach Köpfen, sondern errechnet sich anhand geleisteter Stundenzahl. Als Vollzeitbeschäftigter werde etwa nur gezählt, wer mehr als 30 Stunden pro Woche arbeitet, als 0,75-Mitarbeiter, wer mehr als 20, aber nicht mehr als 30 Stunden Dienst tut. Teilzeit-Kräfte, deren Vertrag 20 oder weniger Wochenstunden vorgibt, würden mit nur der Hälfte angesetzt. „Chef und Chefin sowie Auszubildende zählen nicht“, betont Schlegel. So kann ein Betrieb mit deutlich mehr als zehn Mitarbeitern je nach Stundenzahl der Belegschaft eventuell als Kleinbetrieb durchgehen.

Unternehmer mit mehr als zehn Vollzeit-Arbeitnehmern müssen dagegen differenzierter vorgehen. „Nach dem Gesetz bedarf es dringender betrieblicher Erfordernisse“, erklärt Golomb. Noerr-Anwalt Dommermuth besteht bei seinen Mandanten auf grundsätzlichen Überlegungen vorab: „Ich lasse mir ein Organigramm des Ist-Zustands im Betrieb vorlegen und ebenso ein Zielbild.“ Das erleichtere auch Chefs den Zugang zur Thematik. Das Delta zwischen Ist und Soll müsse man sich dann genauer ansehen: „Am besten mit einer Personalliste und einer Erklärung, warum die jeweilige Stelle entfallen soll.“ Offene Stellen dürfe es im Betrieb derweil nicht geben, auch von Stellenausschreibungen solle man absehen, wenn Kündigungen bevorstehen. In einem nächsten Schritt sei eine Auswahl nach den vier sozialen Kriterien zu treffen: Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten oder Schwer­behinderung. „Leistungsträger müssen nicht einbezogen werden“, sagt Golomb. Für Schwangere und Schwerbehinderte gilt ein Sonderkündigungsschutz. Nicht unter den Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz fallen Mitarbeiter, die dem Betrieb nicht länger als sechs Monate angehören. Genauigkeit ist gefragt, weil Unternehmer im Fall eines Kündigungsschutzprozesses gut argumentieren müssen. Schlegel weiß aus Erfahrung, dass Arbeitgeber in über 80 Prozent der Fälle im Prozess unterliegen würden, wenn sie keinen Vergleich mit dem Arbeitnehmer treffen würden. „Im Einzelfall sind viele Nachweise zu erbringen. Der Richter verlangt etwa eine nachvollziehbare Negativ-Prognose und lässt sich betriebswirtschaftliche Auswertungen und Jahresabschlüsse zeigen“, sagt er.

Option Aufhebungsvertrag

Chefs schließen daher oft einen Vergleich vor Gericht und umgehen so das Risiko, dass der Mitarbeiter nach gewonnenem Prozess wieder in der Werkhalle steht. Langwierige Verfahren zermürben zudem. „Um eine Kündigungsschutzklage zu verhindern, könnte man statt einer Kündigung auch einen Aufhebungsvertrag mit sofortigem Ende in Erwägung ziehen – der Mitarbeiter muss aber mitmachen“, erklärt Golomb. Denn der Arbeitnehmer sei dann gegenüber der Arbeitsagentur für zwölf Wochen gesperrt. Als Faustformel für Abfindungen habe sich ein halbes Bruttomonatsgehalt je Betriebszugehörigkeitsjahr etabliert – auch für den Vergleichs-Fall.

Kann der Chef kündigen, wenn sich der Mitarbeiter bereits in Kurzarbeit befindet? „Ja, das geht“, erläutert Dommermuth, „aber es wird komplizierter.“ Der Unternehmer müsse sich dann rechtfertigen, warum er ursprünglich nur von einer vorübergehenden Situation ausgegangen sei. Dommermuth empfiehlt in diesem Fall, die ursprünglich abgegebene Prognose zu aktualisieren und dies zu dokumentieren.

Situation klären: Wie Chefs die Entscheidung angehen

In unsicheren Gewässern braucht es einen kühlen Kopf. Diese Anhaltspunkte helfen Unternehmern dabei abzuschätzen, ob das Team in Kurzarbeit zu schicken ist oder tatsächlich betriebsbedingte Kündigungen bevorstehen.

KurzarbeitBetriebsbedingte Kündigung
Fallen kurzfristig Aufträge weg oder Kunden stornieren ein bereits eingeplantes Projekt, sodass es zu einem vorübergehenden Arbeitsausfall des Teams kommt, ist die Anmeldung von Kurzarbeit bei der Agentur für Arbeit das probate Mittel.
Gleiches gilt, wenn Vor-Gewerke nicht zum Termin fertig geworden sind und sich der Start verschiebt oder Material kurzfristig nicht lieferbar ist, um auf der Baustelle aktiv zu werden.
Für betriebsbedingte Kündigungen muss der Chef nachweisen, dass es sich um dauerhafte Veränderungen in seinem Betrieb handelt, die ihn zu dem Schritt bewegen. Voraussetzung einer betriebsbedingten Kündigung ist der dauerhafte und endgültige Entfall von Beschäftigungsbedarf für die betroffenen Stellen.
Wichtig: Es muss sich um Ursachen handeln, die spontan von außen auf das Unternehmen einwirken und vorher nicht absehbar waren.Es handelt sich nicht um ein vorübergehendes Problem, es fehlt dauerhaft Arbeit.
Keine Begründung für die Kurzarbeit sind etwa gestiegene Material- oder Energiepreise.Gestiegene Material- oder Energiepreise könnten als Grund genannt werden.
Vorteil der Kurzarbeit: Sie lässt sich individuell und flexibel auf die betrieblichen Erfordernisse anpassen und wird für zwölf Monate gewährt. Das heißt, theoretisch kann der Chef auch von Tag zu Tag und von Woche zu Woche planen, zwischendurch Aufträge annehmen, das Team aus der Kurzarbeit herausnehmen und gegebenenfalls die Monate, die die Belegschaft zwischendurch nicht in Kurzarbeit war, hinten anhängen.Nachteil der betriebsbedingten Kündigung: In Zeiten des Fachkräftemangels ist es unter Umständen kontraproduktiv, sich von Mitarbeitern zu trennen. Chefs wägen daher sehr genau ab, ob es tatsächlich Sinn ergibt, das Team zum jetzigen Zeitpunkt zu dezimieren.
Hat sich die Prognose während des Bezugs von Kurzarbeitergeld verschlechtert, muss der Chef dies protokollieren, um betriebsbedingte Kündigungen im Nachgang rechtssicher durchsetzen zu können. Vorsicht: Mit der Kündigung endet für davon betroffene Beschäftigte die Berechtigung zur Kurzarbeit.Betriebsbedingte Kündigungen bedürfen einer umfassenden Vorbereitung, am besten mit anwaltlicher Beratung. Zu kündigende Mitarbeiter sind nach sozialen Kriterien auszuwählen. Es muss außerdem geprüft werden, ob es nicht zum Beispiel eine andere Stelle für die Person im Betrieb gibt.