Krisenmanagement im Handwerk Corona-Folgen abwehren: Wie Betriebe den Turnaround schaffen

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Die Coronakrise stellt viele Handwerker vor riesige Herausforderungen – trotz staatlicher Förderungen, zinsgünstiger Kredite und Steuererleichterungen. Was können Unternehmen jetzt tun, um die Krise zu meistern?

Krisenabwehr
Die Abwärtsspirale stoppen: Laut Steuerberater Michael Stoll zählt in der Krisenphase in erster Linie die Liquidität des Unternehmens. Und die gelte es entschieden zu verfolgen. - © doidam10 - stock.adobe.com

handwerk magazin sprach mit Steuerberater Michael Stoll aus Pforzheim, der seit vielen Jahren als Krisenberater in Handwerksbetrieben unterwegs ist.

Wie viele Handwerksbetriebe sind nach Ihrer Einschätzung durch die Corona-Krise gefährdet? Kann man das schon absehen?

Eine seriöse Aussage ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Ich gehe aber davon aus, dass 60 Prozent der Handwerksbetriebe jetzt in eine krisenhafte Situation geraten. Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen beschäftigt, desto mehr Handlungsmasse steht zur Verfügung. Kleinere Betriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern stehen schnell mit dem Rücken an der Wand. Besonders betroffen sind aus meiner Sicht auch zulassungsfreie Handwerker, etwa Trockenbauer.

Was sind die häufigsten Probleme von Unternehmen, warum geraten sie jetzt in Schieflage?

Die Unternehmensstrategie ist oftmals nicht klar definiert. Der Nutzen der Produkte für die Zielgruppe und die Alleinstellungsmerkmale wurden nicht deutlich herausgearbeitet. Dabei ist es besonders jetzt wichtig, Problemlöser für eine bestimmte Zielgruppe zu sein. Denn der Rückgang der Umsätze und Erträge schmälert die Liquidität. In erster Linie geht es jetzt um Liquidität .

Sind Fehler, die vor Corona-Zeiten begangen wurden, jetzt noch rückgängig zu machen?

Viele Handwerk arbeiten super, sie sind absolute Spezialisten in ihrem Fach. Aber es gibt keinen Businessplan oder sonst irgendeine Planung, es fehlt die Strategie. Viele wussten bereits vor der Krise nicht, wo sie stehen, haben ihre Buchführung nicht im Blick. Das aber genau müssen sie, um jetzt die schwierigen Zeiten zu überwinden, ohne Schiffbruch zu erleiden. Es gilt aber auch die Devise: Wer jetzt das Ruder herumreißen möchte, hat gute Chancen auf Erfolg. Denn es kommt die Zeit nach dem Tiefpunkt. Man muss nur entschlossen, mutig und schnell Entscheidungen treffen.

Was verschärft die Situation?

An erster Stelle steht die Kapitalschwäche, dann fällt ein Großkunde weg oder der Chef muss in Quarantäne. Kommen Überforderung im Alltag hinzu oder Produkte und Leistungen sind nicht marktgerecht und zukunftsfähig, wird es eng für Betriebe. Auch die falschen Mitarbeiter, keine Notfallplanung, schlechte Vermarktung sind Auslöser.

Was beobachten Sie derzeit bei Ihren Klienten?

Viele Betriebsinhaber sitzen wie das Kaninchen vor der Schlange, verharren in einer Art Schockstarre. Dabei gilt es schnell zu handeln. Ich rate meinen Klienten, in einem ersten Schritt Ziele und Strategien aufzuschreiben. Auch ist jetzt ein guter Zeitpunkt, den Businessplan zu verfassen, wenn es ihn tatsächlich noch nicht gibt und Vertretungs- und Notfallpläne zu erstellen.

Wie manövriert sich ein Handwerker geschickt wieder heraus?

Behalten Sie das „Jetzt“ im Auge. Jetzt zählt die Liquidität des Unternehmens. Und die gilt es entschieden zu verfolgen. Auch mit Hilfe von Beratern .

Was muss der Inhaber selbst leisten, wie können ihn Profis unterstützen?

Haben alle Kunden ihre Rechnungen beglichen, sollte in einem nächsten Schritt die Buchhaltung auf den neuesten Stand gebracht werden, um dem Finanzamt gegenüber steuerliche Hilfen (Reduzierung der Steuervorauszahlung, Stundung) durchsetzen zu können und die staatlichen Förderungen zu erhalten. Auch führen Sie Verhandlungen mit dem Vermieter, Leasingfirmen und dem Finanzamt.  Sind alle staatlichen Förderungen ausgeschöpft, rate ich auch dazu, Zweitwagen oder das teure Sport-Bike zu verkaufen. Die private Lebensführung muss mit auf den Prüfstand .

Woran erkennt ein Handwerker, dass die Situation ausweglos ist?

Bei Kapitalgesellschaften, etwa GmbH oder UG gibt es zwei Insolvenzgründe: Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis 30.9.2020 wird manche Insolvenz verhindern. Bei Einzelunternehmen oder Personengesellschaft (GbR oder OHG) gibt es keine Pflicht zur Insolvenzbeantragung. Bei drohender Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit sollten Betriebe dennoch Insolvenz beantragen, sonst droht gegebenenfalls etwa der Verlust der Restschuldbefreiung.

Was kann der Handwerker aus der aktuellen Situation für die Zukunft lernen?

Vor allem sollte ein Kosten-Controlling stattfinden, statt immer mehr Fixkosten aufzubauen. Die Auswirkungen von Steuern auf das Betriebsergebnis und die Liquidität werden immer noch unterschätzt und in der Planung nicht berücksichtigt.

Wie aber kann ein Turnaround in der Krise gelingen?

Indem die Betriebe Berater einschalten, möglichst mit entsprechender Erfahrung. Gerade im Krisenfall sind Geschäftspartner oder Gläubiger kooperativer, wenn der Betriebsinhaber gemeinsam mit einem externen Experten auftritt. Auch einen kompetenten Anwalt sollten sie hinzuziehen, selbst wenn die finanziellen Ressourcen knapp sind. Ich selbst arbeite mit einer SOKO Handwerk, bestehend aus etwa 100 Partnern, die aus vielen Bereichen kommen. In solchen Netzwerken ist viel möglich, weil man von den Erfahrungen vieler profitiert.

Und was, wenn alles nichts hilft?

Stellt sich nach Analysen heraus, dass Liquidität nicht zu gewährleisten ist, bleibt eventuell die schonende Liquidation. Das heißt, das Betriebsvermögen wird versilbert, um die Firma abzuwickeln und etwas Neues zu beginnen.

Welche Maßnahmen unternehmen Sie am Unfallort?

Ich sehe mir in einem Quick-Check den Finanzstatus des Betriebs an (siehe auch Download am Ende des Beitrags), etwa welche Reserven noch zur Verfügung stehen. Es folgen Verhandlungen mit den Hauptgläubigern, Banken und Lieferanten mit Vereinbarung einer Stillhaltefrist von etwa acht Wochen. Es gibt einen Ausgabe- und Investitionsstopp. Gemeinsam mit dem Chef prüfe ich, inwieweit Gesellschaftereinlagen eine Kapitalerhöhung möglich machen, eine Krediterhöhung bei der Hausbank in Frage kommt oder befreundete Unternehmer oder Geschäftspartner mit günstigen Krediten aushelfen. Eventuell finden sich auch Gesellschafter.

Würden Sie sagen: Jedes Unternehmen kann gerettet werden?

Definitiv nein. Unterkapitalisierte Unternehmen werden jetzt vom Markt verschwinden. Wer sich aber hinsetzt und seine Hausaufgaben macht, kann womöglich weitermachen, analog des Zitats, das Bertolt Brecht zugeschrieben wird: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat bereits verloren“ .

Danke für das Gespräch!
Vita:
Michael Stoll, Steuerberater
Michael Stoll, Steuerberater - © StB Michael Stoll

Michael Stoll ist Steuerberater in Pforzheim und Mitglied einer Soko bestehend aus etwa 100 Partnern vieler Bereiche (Investoren, Kreditgeber, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Anwälte, Berater für Marketing, Werbung, Coaching, Inkasso). Das Handelsblatt listete ihn soeben zum zweiten Mal (2018 und 2020) unter „Beste Steuerberater 2020 für Handwerk und Startups“, u.a. für Krisenmanagement.