Alternative zu Kündigungen Kurzarbeit anzeigen: Welche Besonderheiten Handwerkschefs beachten müssen

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Kurzarbeit hilft Betrieben, Mitarbeiter an Bord zu halten, obwohl es vorübergehend an Aufträgen mangelt. Doch es gelten spezielle Auflagen, die Chefinnen und Chefs kennen müssen. Silvio Flemmig, Optikermeister aus Metzingen in Baden-Württemberg, berichtet von seinen Erfahrungen mit Kurzarbeit, Gunnar Rudolphi, Berater Arbeitgeberleistungen bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, erklärt, worauf speziell Handwerksunternehmer achten.

Handwerkschefs beachten Formalitäten, ehe sie die Belegschaft in Kurzarbeit schicken.
Handwerkschefs sollten alle Formalitäten beachten, ehe sie die Belegschaft in Kurzarbeit schicken. - © Roman_23203 - stock.adobe.com

Optikermeister Silvio Flemmig und seine Frau Melanie führen den Optikerbetrieb Optik Wagner mitten in Metzingen in Baden-Württemberg seit Januar 2019. Die beiden hatten nach der Übernahme keinen leichten Start, denn just im Februar 2020 wurden sie vom Lockdown, ausgelöst durch die Pandemie, überrascht. „Das war vor allem ärgerlich, weil wir gerade alle Neuerungen abgeschlossen hatten, die Digitalisierung und Runderneuerung der beiden Messräume war fertig für den Start“, erinnert sich der Unternehmer. Bereits im ersten Monat des Lockdowns hatte Flemmig 75 Prozent Umsatzeinbußen, obwohl die Werkstatt weiter in Betrieb blieb. „Es fehlte vor allem die Laufkundschaft, die Fußgängerzone war ja quasi verwaist“, erklärt der Unternehmer. Schweren Herzens schickte das Unternehmerpaar seine Belegschaft – fünf Mitarbeiter und einen Lehrling – bereits im April 2020 in Kurzarbeit. „Wir hatten über die Medien von dem Instrument der Kurzarbeit auch für Kleinstbetriebe erfahren und haben uns gleich mit unserem Steuerberater zusammengesetzt“, schildert Flemmig seine Erfahrungen.

Dass das Team ohne weiteres mitmachte, verdankt Flemmig seinem offenen Führungsstil: "Wir haben dem Team unsere Situation dargelegt und dann mit jedem einzelnen Mitarbeiter eine Vereinbarung über Kurzarbeit für sechs Monate getroffen, mit der Option, den Zeitraum um weitere sechs Monate zu verlängern", erinnert sich der Optikermeister. Der Steuerberater und Rechtsbeistand prüfte die Formulierung, so dass die Flemmigs die Kurzarbeit bei der Arbeitsagentur anzeigen konnten. "Uns war wichtig, die jeweiligen Lebensumstände der MItarbeiter zu berücksichtigen, damit jeder seine Rechnungen bezahlen kann", erklärt Flemmig seine Methode. "Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt und im Team verhandelt, was für wen möglich ist." So hätte etwa ein MItarbeiter mitten im Hausbau gestanden – andere hatten Unterhaltspflichten zu erfüllen.

Kurzarbeit statt Kündigungen

Damals seien auch die Mitarbeiter froh gewesen, dass sie den Lockdown über die Kurzarbeit überstehen und alle bleiben konnten. "Wir waren ein sehr junges Unternehmen und die Herausforderungen waren enorm", betont Flemmig. Auch Kündigungen hätten natürlich im Raum gestanden. "Als junges Unternehmen konnten wir noch keine Förderung beanspruchen, wir existierten noch nicht lange genug am Markt", erklärt Flemmig und fügt hinzu: "Dabei liefen die Kreditraten weiter." Wie sie es dann doch geschafft haben? "Wir wollten das Unternehmen auf jeden Fall am Leben erhalten, Kredite hin oder her", so der Handwerkschef in der Rückschau. Er gibt aber auch zu: "Wäre der Lockdown um zwei bis drei Monate verlängert worden, hätten wir das mit Sicherheit nicht überstanden", ist er überzeugt.

Insgesamt waren Flemmigs Mitarbeiter letztendlich zwei Monate in Kurzarbeit. Und auch nur mit einem Arbeitsausfall von 25 Prozent, erinnert sich der Unternehmer. Heute läuft der Betrieb wieder reibungslos, wenngleich Flemmig durchaus bemerkt, dass sich die Stimmung bei Kundschaft und Belegschaft verändert hat. Er will sein Team auf jeden Fall zusammenhalten, was ihm über Anreize wie 4,5 Tage-Woche oder Kostenerstattungen für Kinderbetreuung gut gelinge. Inzwischen zählen ein weiterer Vollzeit-Mitarbeiter zu Flemmigs siebenköpfigem Team. „Gut, dass es das Instrument der Kurzarbeit auch für Kleinbetriebe gibt", sagt er, "nicht auszudenken, wenn wir unseren Mitarbeitern hätten kündigen müssen.“ Als Negativ-Beispiel führt er die Gastronomie an: "Kollegen, die ihre Mitarbeiter damals ziehen ließen,kriegen ihr Personal jetzt nicht zurück."

So gehen Handwerkschef vor, wenn sie Kurzarbeit anzeigen möchten

Gunnar Rudolphi ist Berater für Arbeitgeberleistungen bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. handwerk magazin sprach mit Ihm, worauf Unternehmer achten müssen, wenn sie Kurzarbeit für den Betrieb anzeigen. Achtung: Zum 30. Juni 2023 ändern sich die Rahmenbedingungen für Betriebe:

Herr Rudolphi, Haben Sie Zahlen, wie viele Personen sich aktuell in Kurzarbeit befinden, wie hoch der Arbeitsausfall liegt und über welchen Zeitraum Betriebe das Kurzarbeitergeld beanspruchen oder in der Vergangenheit genutzt haben?

Vom 1. bis 27. März 2023 gingen 2.800 Anzeigen über Kurzarbeit für 50.000 Beschäftigte ein. Zwar liegt die Zahl unter der des Vormonats, nichts desto trotz: Das Niveau von vor der Corona-Krise wird weiter deutlich überschritten. Aktuell liegt das vor allem an den Materialengpässen, wirtschaftlichen Belastungen aufgrund der hohen Energiepreise sowie Unsicherheiten durch den Ukrainekrieg. Insgesamt befanden sich im Januar 2023 140.000 Personen in Kurzarbeit. Der durchschnittliche Arbeitsausfall ist auf 31 Prozent im Januar 2023 gestiegen gegenüber 27 Prozent noch im Dezember.

Wann darf ein Handwerkerchef denn überhaupt Kurzarbeit beantragen?

Zunächst muss er belegen können, dass zehn Prozent seiner Beschäftigten im Betrieb aktuell einen Arbeitsausfall von mehr als zehn Prozent zu verzeichnen hat. Diese Regelung – es handelt sich um den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld aufgrund der Pandemie – gilt bis Juni 2023. Zudem müssen keine negativen Arbeitszeitsalden angehäuft werden. Ab Kalendermonat Juli 2023 muss ein Drittel der Beschäftigten im Betrieb einen Arbeitsausfall von mehr als zehn Prozent feststellen, damit der Betrieb Kurzarbeit anzeigen kann. Wichtig ist: Es muss sich um Arbeitsausfälle aus wirtschaftlichen Gründen handeln. Wobei die Auslöser dafür sehr unterschiedlich sein können. Dass ein Vorgewerk nicht fertig geworden ist, wäre ebenso denkbar wie dass das Material, das etwa ein Garten- und Landschaftsbauer verbauen will, trotz rechtzeitiger Bestellung nicht zum Termin ankommt. Ein Auftragsmangel kann also durchaus auch vorliegen, wenn der benötigte Rohstoff oder das Material nicht lieferbar ist.

Zusammenfassend könnte man sagen: Es muss sich um Ursachen handeln, die von außen auf den Betrieb wirken und für den Handwerkschef zuvor nicht absehbar waren. Und dann ist noch etwas als Anhaltspunkt zu sehen, falls Chefs nicht einschätzen können, ob Sie anspruchsberechtigt sind: Der Betrieb hat alles in seiner Macht Stehende getan – und trotzdem ist er in der misslichen Lage.

Welche Daten muss der Handwerkschef sinnvollerweise vorhalten, um Kurzarbeit anzuzeigen?

Neben Darlegung der betrieblichen Situation sind zunächst Aussagen von Auftraggebern hilfreich. Der Handwerkschef könnte etwa Stornierungen vorlegen oder das Schreiben der Stadt, wonach das Ladengeschäft aufgrund von Straßenbaumaßnahmen über einen längeren Zeitraum nicht erreichbar ist. Oder aber der Schriftverkehr des Zulieferers belegt, dass das Material erst in zwei Wochen lieferbar ist.

Und wie sieht es aus, wenn etwa ein Glasbläser zu Ihnen kommt, weil er die hohen Energiekosten nicht mehr stemmen kann?

Dann wäre das kein primärer Grund, Kurzarbeit anzuzeigen. Schließlich handelt es sich nicht um einen sogenannten erheblichen Arbeitsausfall. Betriebskosten können immer steigen und fallen, das liegt im Risikobereich eines Unternehmers und es ist seine Aufgabe dies einzukalkulieren und gegebenenfalls vorzubauen. Wenn aber Kunden einen konkreten Auftrag absagen, dann sieht die Sache anders aus. Das war schließlich für den Chef nicht vorherzusehen, sein Team steckt quasi in den Startlöchern und kann aber nicht arbeiten.

Woran erkennen Chefs, dass die Anzeige von Kurzarbeit keinen Sinn mehr ergibt, sondern tatsächlich betriebsbedingte Kündigungen die bessere Lösung sind. Helfen Sie als Bundesarbeitsagentur in der Beratung bei solchen Entscheidungen?

Wir als Bundesarbeitsagentur können nur sagen, ob Kurzarbeit gerechtfertigt ist, oder nicht. Letztlich ist es Sache des Handwerkschefs abzuwägen, ob er in der Durststrecke zum Beispiel Tätigkeiten vorzieht oder Innovationen vorantreibt, um das Personal zu behalten. Im Übrigen erhalten Betriebe, die die Kurzarbeit für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten nutzen, die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge und unter bestimmten Voraussetzungen (nach Paragraph 106a Sozialgesetzbuch III) auch die Lehrgangskosten erstattet. Dies gilt bis 31. Juli 2023.

Kurzarbeit ist ein sehr flexibles Instrument, heißt es. Wie genau sieht das in der Praxis aus?

Ja, Kurzarbeit ist definitiv kein Korsett. Theoretisch könnten die Beschäftigten in der einen Woche 20 Stunden arbeiten, in der nächsten 30 Stunden. Das lässt sich sehr flexibel je nach Auftragslage managen. Allerdings ist die Arbeits- und Ausfallzeit der Beschäftigten in den betroffenen Monaten zu dokumentieren. Der Betrieb kann übrigens sofort aus der Kurzarbeit heraus, wenn sich die Auftragslage wieder verbessert. Der Unternehmer kann die Kurzarbeit sogar monatsweise unterbrechen, etwa wenn er kleinere Aufträge annimmt und die Belegschaft für einen kurzen Zeitraum wieder arbeitet. Ausgesetzte Monate hängt man dann einfach hinten an, falls dann noch Bedarf ist. Denn die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld ist auf maximal zwölf Monate begrenzt.

Um den Mitarbeitern Kurzarbeitergeld auszahlen zu können, müssen Chefs die Anträge korrekt stellen, das Kurzarbeitergeld zahlen Sie als Bundesarbeitsagentur zunächst vorläufig aus, Sie prüfen nach dem Ende der Kurzarbeit dann die Rechtmäßigkeit. Was sind die häufigsten Fehler, die Chefs im Antragsverfahren machen? Und: Kommt es tatsächlich vor, dass Sie einen Rückzieher machen müssen, weil die Formalitäten nicht stimmen?

Dass die Formalitäten nicht korrekt vorliegen, kommt eher nicht vor. Schwieriger wird es, wenn das Kurzarbeitergeld für Feiertage und Urlaub abgerechnet wurde. In der Regel besteht für diese Zeiträume zwar Anspruch auf Arbeitsentgelt, nicht aber auf Kurzarbeitergeld, da an diesen Tagen üblicherweise nicht gearbeitet wird. Um das Kurzarbeitergeld zu gefährden muss tatsächlich Gravierendes passieren, etwa dass die Belegschaft gekündigt wird, ohne dass dies bei der Abrechnung von Kurzarbeitergeld berücksichtigt wird. Denn mit einer betriebsbedingten Kündigung erlischt unmittelbar der Anspruch auf Kurzarbeitergeld. In so einem Fall müssten wir das Geld zurückfordern, wenn für Zeiträume nach Kündigungsausspruch noch Kurzarbeitergeld abgerechnet wurde. Daher ist es so wichtig, dass sich die Unternehmer bei den Beratungsstellen der Arbeitsagenturen vor Ort beraten lassen und engmaschig Kontakt halten.

Können Sie absehen, dass es für den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld, der ja zum 30. Juni 2023 enden soll, eine Verlängerung gibt? Gerade da auch die Baubranche aufgrund des steigenden Zinsniveaus ins Straucheln geraten könnte?

Nein, davon ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszugehen. Zuletzt entspannte sich die Materialknappheit merklich, in einigen Branchen bestand sie jedoch weiterhin. Gleichzeitig blieb der Inflationsdruck hoch und die Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg hielten an. Die Baubranche ist natürlich aktuell ein Thema, aber Chefs können sicher davon ausgehen, dass das Bundesarbeitsministerium die Themen im Auge behält und gegebenenfalls schnell reagiert.