Coronavirus-Krise Urlaub: Anspruch bleibt trotz Kurzarbeitergeld erhalten

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Die geltende Rechtsprechung macht Unternehmer unsicher: Dürfen sie ihren Mitarbeitern in Kurzarbeit den Urlaub kürzen? Vorsicht! Handwerkerchefs landen hier juristisch schnell in einer Grauzone.

Urlaubsanspruch
Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit - © Jenny Sturm - stock.adobe.com

Es gibt zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die sich mit der Thematik Urlaubsanspruch in der Kurzarbeit beschäftigen. Da ist zum einen das aus dem Jahr 2012 zu nennen. Damals stellten die Richter in Luxemburg klar, dass es mit Eu­ro­pa­recht durchaus ver­ein­ba­r sei, wenn Ar­beit­neh­mer für die Zeit ei­ner Kurz­ar­beit null kei­ne neu­en Ur­laubs­an­sprü­che er­wer­ben (Ur­teil vom 08.11.2012, Aktenzeichen C-229/11 und C-230/11). Die Situation eines Kurzarbeiters sei mit der eines Teilzeitbeschäftigten vergleichbar, daher könne der bezahlte Jahresurlaub für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung im Verhältnis zur Arbeitszeitverkürzung gekürzt werden.

Urlaubsentgelt darf nicht gekürzt werden, Urlaub schon

In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2018 kommt der EuGH zum gleichen Schluss. Zwar könne das Urlaubsentgelt in Kurzarbeit nicht gekürzt werden, die Urlaubsdauer in Kurzarbeit jedoch schon. Unabhängig von Kurzarbeitszeiten im laufenden Jahr haben Arbeitnehmer demnach Anspruch auf eine normale Vergütung des Urlaubs, allerdings könne der gewährte Jahresurlaub an der tatsächlichen Arbeitszeit fest gemacht werden (Urteil vom 13.12.2018, Aktenzeichen C-385/17).

Geklagt hatte hier ein Betonbauer vor dem Arbeitsgericht Verden. Er war im Jahr 2015 insgesamt 26 Wochen lang in Kurzarbeit, also ein halbes Jahr. Der Arbeitgeber berechnete die Bezahlung nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau). Dieser garantiert zwar einen Anspruch auf 30 Tage Jahresurlaub, regelt jedoch auch, dass das zu zahlende Urlaubsentgelt durch Kurzarbeitszeiten niedriger ausfallen kann. Das Arbeitsgericht hatte daraufhin den EuGH angerufen, ob eine nationale Regelung wie die im BRTV-Bau EU-konform sei.

Die EuGH-Richter erklärten, dass Arbeitnehmer während ihres Mindesturlaubs einen Anspruch auf ihr normales Arbeitsentgelt haben. Die Dauer des Mindestjahresurlaubs hänge allerdings von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die in dem Zeitraum erbracht wurde, so der EuGH. Kurzarbeitszeiten könnten daher dazu führen, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen beträgt. Da der Betonbauer im Jahr 2015 aber 26 Wochen lang nicht gearbeitet habe, dürften ihm nach EU-Recht nur zwei Urlaubswochen zustehen. Eine Umsetzung in deutsches Recht erfolgte bislang nicht – und inwieweit das Bundesarbeitsgericht der Einschätzung folgen wird, ist derzeit nicht klar.

Noch keine Umsetzung in nationales Recht

Michael Hadersdorfer , Rechtsberater bei der Handwerkskammer München-Oberbayern, sieht das Thema Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Kurzarbeit daher kritisch. Auch vor dem Hintergrund, dass sich das Bundesarbeitsgericht bisher nicht zu den EuGH-Urteilen geäußert habe. Auch beziehe sich die Rechtsprechung der Luxemburger Richter lediglich auf den Mindesturlaub laut Paragraph 7 der Arbeitszeitrichtlinie in Höhe von vier Wochen. Hadersdorfer betont: „Es stellt sich doch die Frage, wie höhere arbeits- oder tarifvertraglich vereinbarte Jahresurlaube zu bewerten sind? Müssen Arbeits- oder Tarifvertrag dafür oder für den gesamten Urlaubsanspruch explizit Kürzungsregelungen enthalten?“ Die Rechtsprechung des EuGH erscheint ihm nicht als absolut abgeschlossen. Eine weitere Vorlage in Luxemburg sei durchaus möglich. „Es ist schließlich schon vorgekommen, dass der EuGH eine Rechtsprechung ‚nuanciert‘ hat“, gibt Hadersdorfer zu bedenken.

Zudem hält der Rechtsexperte der Handwerkskammer München-Oberbayern den Zusammenhang mit zwei EuGH-Urteilen vom 6.11.2018 (C-619/16 und C-684/16) für problematisch. Damals entschieden die Luxemburger Richter, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Zu diesem Zweck müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig und erforderlichenfalls förmlich auffordern, Urlaub in Anspruch zu nehmen, und über den Verfall des Urlaubsanspruchs unterrichten.

Chef haftet für Risiken der Betriebsgemeinschaft

Jens Köhler, Fachanwalt für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei in Köln argumentiert etwas anders, kommt aber zum selben Ergebnis: „Die Reduzierung der Urlaubsverpflichtungen des Arbeitgebers durch Kurzarbeit stellt sich als rechtlich äußerst fragwürdige Freistellung vom Prinzip der Haftung der Unternehmer für wirtschaftliche Risiken der Betriebsgemeinschaft dar.“ Nach Angaben Köhlers werde das Bundesarbeitsgericht Urlaubskürzungen nicht gutheißen, nur weil es nach EU-Recht generell machbar sei. Entsprechend sei die Kürzung des Urlaubsanspruchs im Januar 2021 wegen Corona mit Kurzarbeit für drei bis sechs Monate rechtswidrig, verstoße gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeit-Kräften und sonstigen Freigestellten und stelle sich insgesamt ohne Ankündigung gegenüber den Arbeitnehmern als rechtswidrige Abweichung vom deutschen Urlaubsrecht dar.

Fachkräfte an den Betrieb binden

Beide Experten raten Handwerkern, den Mitarbeitern ihren Urlaub trotz Kurzarbeit in der Corona-Krise zu gewähren. Hadersdorfer von der Handwerkskammer München-Oberbayern: „Schon vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist der Urlaub sinnvoll.“ Bestimmte Branchen, etwa Bau oder Friseure hätten nach Wiederanlaufen des Betriebs ohnehin viel aufzuholen. Da seien Chefs angewiesen auf motivierte Mitarbeiter, was mit einer Streichung von Urlaubstagen nicht unbedingt gefördert werde. Auch Köhler bestätigt: „Tatsächlich berufen sich die wenigsten Unternehmer schon jetzt darauf, dass der Jahresurlaub am 31.12. des Kalenderjahres verfällt, großzügige Übertragungen sind die Regel.“ Und er argumentiert wie der Experte aus München: „Urlaub stellt sich als wichtiger Faktor dar, um Fachkräfte an den Betrieb zu binden.“

Auch im Fall von Betriebsschließung: Urlaub nicht kürzen

Genauso rät Hadersdorfer im Fall von Betriebsschließungen eher von Urlaubskürzungen ab. Schließlich habe man als Inhaber schon genug Belastungen zu tragen und müsse sich nicht noch unnötige Rechtsstreitigkeiten ans Bein binden. „Das ist einfach nicht die richtige Zeit zu feilschen“, so der Rechtsexperte. Auch könne der Betriebsinhaber seine Mitarbeiter in der Krise nicht einfach in Urlaub schicken. Ob eine Ausnahme besteht, gilt es im Einzelfall zu beurteilen, etwa mit Beratern der Handwerkskammern. Urlaub, den der Arbeitgeber bereits vor der Kurzarbeit genehmigt hat, darf er jetzt nicht ohne weiteres streichen. Ausnahmen wären etwa durch Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien möglich.

Arbeitsagentur zeigt sich kulant

Die Bundesagentur für Arbeit aktualisierte just ihre F&Qs und sieht aufgrund der Coronavirus-Pandemie bis zum 31. Dezember 2020 davon ab, die Einbringung von Erholungsurlaub aus dem laufenden Urlaubsjahr zur Vermeidung von Kurzarbeit einzufordern. Individuelle Urlaubswünsche seien besonders zu schützen, damit es etwa Eltern möglich bleibe, Urlaubstage für die Betreuung ihrer Kinder wegen Schließung von Kitas und Schulen zu nutzen. Allerdings empfiehlt die Arbeitsagentur Chefs mit Beschäftigten, die noch „alte“, bisher unverplante Urlaubansprüche haben, den Antritt dieses Urlaubs in Zeiten mit Arbeitsausfall im Betrieb zu vereinbaren. Doch auch hier gingen die Urlaubswünsche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor.

ZDH orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH

Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) hat unterdessen auch eine Mitteilung an Landesverbände und Handwerkskammern zum Thema Urlaubskürzung in der Kurzarbeit herausgegeben, die der Redaktion vorliegt. Darin heißt es: „In der juristischen Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass Urlaub in Zeiten der Kurzarbeit analog den Regelungen zur Teilzeit zu behandeln ist.“ In Anlehnung an das EuGH-Urteil könnten Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer demnach nur entstehen, wenn diese auch eine Arbeitsleistung erbracht hätten. Der Urlaubsanspruch vermindere sich bei Kurzarbeit folglich automatisch: Sei der Arbeitnehmer während der Kurzarbeit noch tage- oder wochenweise tätig, sei der Urlaubsanspruch während der Kurzarbeit zeitanteilig an die Zahl der verbleibenden Arbeitstage anzupassen. In der Mitteilung weist der ZDH ausdrücklich darauf hin, dass der Chef betroffene Arbeitnehmer über eine solche Kürzung im Vorfeld unterrichten muss. Der Inhaber sei nach Auffassung des EuGH und des BAG ohnehin verpflichtet, über noch bestehende Ansprüche zu informieren und Mitarbeiter aufzufordern, den Urlaub dann auch zu nehmen.