Noch mehr Bürokratie Lieferkettengesetz: Was Chefs aufgrund der "Sorgfaltspflichten" jetzt beachten müssen

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Das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ verordnet der deutschen Wirtschaft, Menschenrechte und Umweltstandards auch in internationalen Lieferketten einzuhalten. Kleine und mittlere Betriebe geraten als Zulieferer großer Player in die Bredouille.

Willi Seiger, Geschäftsführer der Willi Seiger GmbH in Lippstadt
Willi Seiger, Geschäftsführer der Willi Seiger GmbH in Lippstadt und Vorsitzender des Fachverbands Metall Nordrhein-Westfalen. - © Jens Nieth

Willi Seiger, Inhaber der Seiger Drehmaschinen GmbH im nordrhein-westfälischen Lippstadt, kann sich schnell in Rage reden, wenn er auf das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ angesprochen wird. Der Unternehmer, der auch Vorsitzender des Landesverbands Metall Nordrhein-Westfalen ist, hat sich qua Amtes intensiv mit dem Gesetz auseinandergesetzt, das die große Koalition noch vor der Sommerpause durch den Gesetzgebungsprozess peitschte. „Kollegen bundesweit rufen mich an und fragen, was da wohl auf uns zurollt“, benennt er die Unruhe in der Branche. Dass zunächst nur große Firmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in die Pflicht genommen würden, sei bei genauerer Betrachtung hinfällig. „Auch Zulieferer bekommen das neue Gesetz über kurz oder lang zu spüren“, ist sich der Maschinenbauer sicher.

Jan Dannenbring, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Tarifpolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), äußert sich ebenfalls mit Unmut: „Wir waren von Anfang an kritisch. Die Regierung sollte in der Pandemie keine unnötigen Nebenkriegsschauplätze eröffnen.“ Er betrachtet vor allem die mit dem Gesetz verbundene Bürokratie mit Sorge. Handwerker hätten derzeit andere Themen. „Uns geht das Gesetz auch in der Sache zu weit“, formuliert er die Position des Verbands. Selbstredend wolle die Wirtschaft Menschenrechte einhalten, aber ob ein deutsches Gesetz nötig sei, um Arbeitsbedingungen in Bangladesch zu verbessern, sei fragwürdig.

Was Unternehmer beachten müssen

Es geht um Menschenrechte und Umweltstandards: Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“, kurz Sorgfaltspflichten- oder auch Lieferkettengesetz genannt, untersagt etwa Kinder­arbeit, Zwangsarbeit, Sklaverei und Diskriminierung (aufgrund nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter und Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung). Arbeitnehmer müssen sich im jeweiligen Land zu Gewerkschaften zusammenschließen können, eine faire Bezahlung erhalten, zudem sind Enteignung und Zwangsräumung unzulässig. In Sachen Umweltstandards pocht der Gesetzgeber unter anderem auf das Verbot von Quecksilber und anderen Chemikalien sowie auf umweltgerechte Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen. Zudem heißt es im Gesetzestext: „Die Lieferkette bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens. Sie umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Lieferung an den Endkunden, und erfasst das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich, das Handeln eines un mittelbaren Zulieferers und das Handeln eines mittelbaren Zulieferers.“ Dabei sind die Vorgaben nicht nur einzuhalten, Verstöße sollen durch Bußgelder auch geahndet werden. Als zuständige Behörde wurde das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) benannt.

UN-Leitprinzipien als Grundlage

Zurück geht das Sorgfaltspflichtengesetz auf die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, die bereits 2011 festgeschrieben wurden und 2016 in den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland einflossen. 2020 ergab eine Untersuchung der Bundesregierung: Nur 13 bis 17 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland erfüllen die Anforderungen bereits vollständig. Grund genug für ein schnelles Handeln der Koalition noch vor dem Ende der ­Legislaturperiode. Der Gesetzgeber erhofft sich auch, über gesetzliche Standards faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Unternehmen, die schon jetzt Menschenrechte und Umweltauflagen einhalten, sollen keine Nachteile erleiden.

Europäische Regeln kommen erst

Dannenbring findet vor allem widersinnig: Parallel arbeitet das Europäische Parlament an einer Richtlinie, die womöglich ab 2025 greifen könnte und dann auch kleine und mittlere Unternehmen einbeziehen soll. „Damit würde das Handwerk stärker herangezogen als nach deutschem Recht“, schlussfolgert er. Und auf die Folgen für die Arbeitsmärkte angesprochen, warnt Dannenbring: „Unternehmen werden sich aus bestimmten Ländern zurückziehen , denn wer möchte schon hohe Bußgelder riskieren?“ Auch befürchtet er, dass die durch die Pandemie angespannte Lage beim Materialnachschub durch das neue Gesetz zum Dauerzustand werden könnte.

Doch welche Handwerker sind betroffen? Dannenbring nennt vom Baugewerbe über holzverarbeitende Betriebe auch Steinmetze, Feinmechaniker, Goldschmiede oder Instrumentenbauer. „Vor allem das Metallhandwerk ist jetzt gefordert“, konstatiert er und erhält Bestätigung von Markus Jäger, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Metall: „Wir sind als Industrie-Lieferanten die Hidden Champions“, sagt er und nennt Medizintechnik, Automotive, Wehrtechnik als ­Domänen seiner Branche. So hätten etwa Metallhandwerksbetriebe in der Pandemie Teile für Beatmungsgeräte zugeliefert.

Worüber Jäger sich ärgert: „Der Staat entzieht sich seiner Verantwortung und schiebt die Kontrollpflichten in die Wirtschaft.“ Für Betriebe bedeute das, eine neue Akte müsse angelegt, eine weitere Versicherungsprämie entrichtet oder Zertifizierungen durchgeführt werden. „Kleine Lieferanten werden durch Compliance-Regelungen oder Einzelverträge der Großen erfasst. Das ist die traurige Wahrheit und spiegelt unsere Erfahrungen aus früheren Gesetzen wider“, sagt Jäger. Kopfschüttelnd ergänzt er: „Wenn es der Staat nicht regeln kann, wie sollen es die Unternehmen stemmen?“ Hinzu komme: Das Handwerk arbeite ohnehin rechtlich sauber und nachhaltig.

Willi Seiger zeigt am Beispiel seines Betriebs, welche Folgen das neue Gesetz haben wird. Sein 70-Mann-Unternehmen stellt Drehmaschinen her und bezieht Normteile, etwa Kugellager, Motoren oder Steuer- und Regelungssysteme von großen Unternehmen. „Woher sollen wir wissen, wie und unter welchen Umständen diese Teile gefertigt wurden, wenn unsere Abnehmer uns danach fragen? Als KMU haben wir gar keinen Einfluss auf die Lieferketten“, empört er sich. Er ist überzeugt, dass große Unternehmen ihre Risiken an seinen Betrieb weiterreichen werden. „Das kann so weit gehen, dass ich mich fragen muss, woher das Innenleben meines Handys stammt“, sagt Seiger. Insgesamt habe das Gesetz riesige Papier­berge zur Folge. „Die Großen halten über Vertragsregelungen gegenüber KMU ihre Bücher sauber“, ist er überzeugt.

Professor Dr. Gerd Krieger, Senior-Partner der Kanzlei Hengeler Mueller in Düsseldorf und Vorsitzender des Handelsrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein (DAV), hält Seigers Sorgen für berechtigt: „Auch auf kleine Betriebe kommt ein Bürokratiekonglomerat zu.“ Zwar unterliege der kleine Meisterbetrieb nicht selbst dem Lieferkettengesetz. Arbeite er aber für ein Großunternehmen, sei er Teil von dessen Lieferkette, müsse von seinem Kunden kontrolliert werden und damit rechnen, dass dieser ihm vertraglich Dokumentations- und Informa­tionspflichten auferlegt. Natürlich bleibe abzuwarten, wie sich das in der Praxis einspiele. „Aber streng genommen wäre das so“, bestätigt Krieger. Er rät Handwerkschefs, künftig das Kleingedruckte in Verträgen akribisch zu prüfen.

Sorgfaltspflichten: Die Anforderungen laut Gesetz

Unternehmen sind je nach Betriebsgröße ab 1.1.2023 bzw. 1.1.2024 dazu verpflichtet, in ihrer Lieferkette menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten (zu Redaktionsschluss fehlte noch die Zustimmung des Bundesrates). Um die Sorgfaltspflichten einhalten zu können, fordert der Gesetzgeber:

  1. die Einrichtung eines Risikomanagements (§ 4 Abs. 1)
  2. die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (§ 4 Abs. 3)
  3. die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5)
  4. die Abgabe einer Grundsatzerklärung (§ 6 Abs. 2)
  5. die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 1 und 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4)
  6. das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 bis Abs. 3)
  7. die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 8)
  8. die Umsetzung von Sorgfaltspflichten bei mittelbaren Zulieferern (§ 9)
  9. die Dokumentation (§ 10 Absatz 1) und die Berichterstattung (§ 10 Absatz 2).

Geltungsbereich: Diese Unternehmen trifft das Gesetz

Das Gesetz greift zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Kleine Betriebe werden über Vertrags- und Complianceregeln gefordert sein. Parallel sind europäische Regelungen geplant, die auch kleine und mittlere Betriebe verpflichten.

Das Lieferkettengesetz richtet sich an
  • Deutsche Unternehmen > 3.000 MA (gilt ab 01/2023)
  • Deutsche Unternehmen > 1.000 MA (gilt ab 01/2024)
  • Eine Umsetzung muss bis spätestens vier Monate nach Abschluss des Geschäftsjahres (Übermittlung des Transparenzberichtes) erfolgen.