Serie New Work, 5. Folge Gehalt im Handwerk: Mit transparentem Lohnmodell fair und gerecht bezahlen

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Fachkräftemangel, Kündigung, Lohn- und Gehalts-Check, Mitarbeitermotivation und New Work

Muss jeder Mitarbeiter wissen, was sein Kollege verdient? Muss er nicht. Doch es sollte klar sein, warum der eine mehr oder weniger verdient als der andere. Wie Sie für Ihren Betrieb ein transparentes Lohnmodell finden, das Fachkräfte überzeugt.

Oliver Fehl u Team aus Freiensteinau
Diplomingenieur Oliver Fehl (vorne) aus Freiensteinau hat mit seinem Team eine Unternehmenskultur entwickelt, die Mitarbeiter fördert und fair bezahlt. - © Tim Wegner

Kann das Geld im Handwerk wirklich noch der alles entscheidende Faktor bei der Jobwahl sein? Oder sind für die Mitarbeiter inzwischen andere Parameter wichtiger? „Die Wahrheit“, so die Erfahrung von Oliver Fehl, „liegt irgendwo in der Mitte.“ Der Diplomingenieur aus dem hessischen Freiensteinau führt den auf Gebäudetechnik spezialisierten Familienbetrieb in der dritten Generation. Fast 200 Mitarbeiter sind inzwischen an den Standorten Freiensteinau, Jena und Fulda beschäftigt. Firmenchef Fehl kennt trotzdem alle mit Namen und stellt die Mitarbeiter auch selbst ein: „Als Chef will ich wissen, wer für uns arbeitet und die Geschichte dahinter kennen.

Ein hoher Anspruch, der jedoch typisch ist für eine Unternehmenskultur, die auf Transparenz sowie flache Hierarchien setzt und die Mitarbeiter in die Entscheidungen einbezieht. Das war nicht immer so im Familienbetrieb, hat aber das Arbeitsklima für alle verändert. 2016 haben Oliver Fehl und sein Führungsteam gemeinsam mit den Mitarbeitern eine Zukunftsvision für 2026 entwickelt und für die einzelnen Etappen Jahresziele definiert, die jeweils zu Jahresbeginn mit den Führungskräften und den Mitarbeitern abgestimmt und konkretisiert werden. „Jeder weiß dann genau, warum die Dinge so laufen und kann sich einbringen, da muss ich als Chef nicht alles vorgeben.“

Der Stundenlohn: für viele noch immer die heilige Kuh

Natürlich ist der Stundenlohn auch bei der Georg Fehl + Sohn GmbH noch immer „die heilige Kuh, die in allen Köpfen manifestiert ist“, weiß der Diplomingenieur. Allerdings sind nach seiner Erfahrung andere Werte in den letzten Jahren wichtiger geworden, wie sich am Beispiel der früher sehr begehrten, weil gut bezahlten Montagearbeiten zeigt. Waren es die Mitarbeiter früher gewöhnt, erst freitags nach Hause zu kommen, wollten sie dann schon am Donnerstag von der Montage zurück sein. „Inzwischen“, so Fehl, „haben nur noch wenige überhaupt Lust auf den Montagejob, sodass ich das Geschäftsfeld schon eindämmen musste.“

Da hilft es auch nur bedingt, dass die Montagemitarbeiter aufgrund eines transparenten Leistungslohnsystems mit Vorgabezeiten für Standardarbeiten ihren Lohn ein Stück weit beeinflussen können. Ist ein Auftrag etwa mit 100 Stunden kalkuliert und die Mitarbeiter schaffen das Pensum in 80 Stunden, bekommen sie bei Fehl trotzdem 100 Stunden bezahlt. Schlechtleistung und Mängel müssen auf eigene Kosten behoben werden, die Details sind in einer gesonderten Vereinbarung geregelt. Bei den im Privatkundenbereich tätigen Mitarbeitern, wo nicht mit festen Vorgabezeiten gerechnet werden kann, setzt Oliver Fehl auf den klassischen Zeitlohn sowie Eigenverantwortung und Transparenz bei den Zahlen. „Die Mitarbeiter müssen einschätzen können, wie die wirtschaftliche Lage ist und wofür sie etwas tun, dann gibt es auch keine Gerüchte.“ So werden die Geschäftszahlen zu Jahresbeginn kommuniziert und es wird offen über Stärken, Schwächen und Ziele geredet.

Das Lohnsystem: offen kommunizieren und Unterschiede erklären

Zur Offenheit gehört natürlich auch, dass sich die Mitarbeiter über ihren individuellen Stundenlohn austauschen, was in der Regel kein Chef wirklich gut findet. Beschwert sich dann mal ein Mitarbeiter, nutzt Oliver Fehl gerne die Gelegenheit, die unterschiedlichen Parameter des Lohnsystems zu erklären. Denn um aus der ewigen Vergleichbarkeit mit den Wettbewerbern in der Region herauszukommen, wird der Stundenlohn bei Fehl und Sohn mit zahlreichen Zusatzleistungen aufgewertet: Neben einem Fahrtkostenzuschuss zur Baustelle (10 Cent/km), Zuschüssen für Versicherungen und Kindergarten, dem kostenfreien Eintritt ins Fitnessstudio und einem Jahresbudget für Arbeitskleidung gibt es das Bike-Leasing sowie ein flexibles Arbeitszeitkonto, über das sich Überstunden in zusätzliche Urlaubstage verwandeln lassen. „Unser Ziel ist es, beim Stundenlohn dem Wettbewerb immer eine Nase voraus zu sein“, erklärt der Firmenchef.

Work-Life-Balance: Zeit ist jetzt das neue Geld

Doch ist das der richtige Weg, wenn die Lohnhöhe scheinbar zugunsten von mehr Lebensqualität und einer besseren Balance zwischen Berufs- und Privatleben an Bedeutung verliert? In ihrer weltweiten Studie zur „Arbeitswelt von morgen“ haben die Berater von Bain & Company im Februar 2022 jedenfalls herausgefunden, dass den deutschen Arbeitnehmern ein sicherer und interessanter Job mit flexiblen Arbeitszeiten fast genauso wichtig ist wie ein Top-Gehalt. Also alles in Ordnung mit den Löhnen im Handwerk? „Auf keinen Fall, das Handwerk muss sich massiv überlegen, wie es den Fachkräftemangel hinbekommt“, sagt Sven Franke, geschäftsführender Gesellschafter der CO:X GmbH in Lehre (Niedersachsen) und Mitinitiator des New-Pay-Campus. Schließlich spreche bei den Wissensarbeitern kaum einer von einem Mangel, was nach seiner Einschätzung daran liegt, dass deren Löhne locker zur Deckung der Grundbedürfnisse ausreichen. Im Handwerk sei das trotz voller Auftragsbücher oft anders, weil viele Chefs sich nicht trauten, auf die gestiegene Nachfrage mit höheren Preisen zu reagieren. Die müssten sie aber verlangen, um ihre Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen, weil diese sonst in andere Wirtschaftsbereiche abwandern: „Irgendwo in diesem Kreislauf sollten die Unternehmer ansetzen, gute Arbeit und Leistung müssen im Handwerk einen höheren Stellenwert bekommen“, ist der New-Pay-Experte überzeugt.

Bruttomonatsverdienste: Das Handwerk hinkt noch deutlich hinterher

Ein Blick auf die vom Statistischen Bundesamt (Destatis) ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste für 2021 verdeutlicht, was der Experte meint. Während die Mitarbeiter in Betrieben ohne Handwerkseigenschaft 2021 durchschnittlich 4.625 Euro inklusive aller Sonderzahlungen verdienten, lag der Durchschnittswert bei den Betrieben mit Handwerks­eigenschaft nur bei 3.615 Euro. Branchen wie der Hoch- und Tiefbau gehören zwar auf der Hitliste der Wirtschaftszweige mit den höchsten Verdienststeigerungen zwischen 2010 und 2020 zu den TopTen, belegen aber immer noch die hinteren Plätze bei den durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensten.

Lohnhöhe: Wertschätzung ist wichtiger als das Geld

Um das Dilemma zu lösen, rät Sven Franke den Unternehmern, immer auf den Wertbeitrag einer Stelle zu schauen und zu prüfen, welche Leistungen sich beim Kunden monetarisieren lassen. Entscheidend für die Akzeptanz des daraus resultierenden Lohnsystems sei es dann, den Prozess zur Lohnermittlung für alle transparent zu machen: „Wenn ich als Mitarbeiter die Unterschiede verstehe, dann kann ich das System akzeptieren und bin motiviert, den nächsten Schritt zu tun.“ Fühlt sich der Mitarbeiter dagegen nicht mehr wertgeschätzt, schaut er sich am Arbeitsmarkt um: „In diesem Moment fängt der Betrieb an, Schmerzensgeld zu bezahlen. Doch das ist Unsinn, die guten Mitarbeiter gehen trotzdem.“

Kündigung: Immer im Guten Trennen und die Chance zur Rückkehr offen halten

Eine Erfahrung, die Oliver Fehl auch schon ab und an machen musste, weil Mitarbeiter eben etwas Neues ausprobieren wollten. Dabei wechseln nur wenige zu den Wettbewerbern in der Region, sondern oft zieht es die Fachkräfte in die Industrie, die eben deutlich höhere ­Löhne zahlen kann als der Familienbetrieb. Verärgert ist der Firmenchef darüber nicht allzu sehr, hat er doch inzwischen die ­Erfahrung gemacht, dass zumindest einige wieder zu ihrem alten Arbeitgeber ­zurückkommen: „Die nehmen wir dann gerne wieder, deshalb gehen wir auch immer im Guten auseinander.“

Anleitung: 5 Schritte für ein gerechtes Lohnsystem

Sie haben keine Lust auf Diskussionen und zahlen allen Mitarbeitern den gleichen Stundenlohn? Das mag transparent sein, trägt aber genauso wenig zur Mitarbeiterbindung bei wie das (willkürliche) Zustecken von Prämien unter der Hand. Wer gute Mitarbeiter motivieren und halten will, muss Unterschiede zulassen und kommunizieren. Wie Sie für Ihren Betrieb die passende Lösung finden.

  1. Ist-Zustand analysieren: Nach welchen Kriterien werden Azubis, Gesellen, Meister, Führungs-, Hilfs- und Bürokräfte bezahlt? Gibt es Unterschiede und wenn ja, warum? Welche Leistungen erhält jeder Mitarbeiter zusätzlich zum Stundenlohn? Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick über die aktuelle Lohnstruktur und listen Sie die Stärken und Schwächen des bestehenden Systems auf. Sprechen Sie mit dem Führungsteam und/oder den Mitarbeitern darüber, wie zufrieden sie mit der Lohnstruktur sind und was besser laufen könnte.
  2. Ziele festlegen: Wollen Sie gute Mitarbeiter besser fördern, bestehende Ungleichgewichte beseitigen, generell zu mehr Leistung motivieren, die Qualität verbessern, den Teamgeist stärken oder Ihre Lohnstruktur gegenüber der Konkurrenz wettbewerbsfähiger ausrichten? Da kein System alle Ziele abdecken kann, sollten Sie idealerweise in Absprache mit den Führungskräften und/oder Ihrem Team Prioritäten setzen.
  3. Messgrößen bestimmen: Den Beitrag eines Mitarbeiters zum Gesamtergebnis über zeit- und mengenmäßige Vorgaben (klassischer Akkordlohn) zu honorieren funktioniert in der komplexen neuen Arbeitswelt auch im Handwerk höchstens noch bei Standardarbeiten. New-Pay-Experte Sven Franke rät deshalb Unternehmern, „die Stelle vom Menschen zu trennen“. Also erst festzulegen, welche fachlichen und menschlichen Eigenschaften der Betrieb generell von einer Fachkraft erwartet, und dann zu schauen, welchen Beitrag zum Gesamtergebnis die Stelle leistet. Je größer der Wertbeitrag für die Kunden und den Betrieb, desto größer der Spielraum beim Lohn. Bei einem Betrieb mit 20 Gesellen entstehen so etwa vier bis sechs unterschiedliche Funktionsbeschreibungen für deren Arbeit, die als transparente Grundlage für ein Lohnsystem dienen können.
  4. Modell kommunizieren: Damit alle Mitarbeiter von Anfang an mitziehen, kommt es vor allem auf zwei Dinge an: Niemand sollte im neuen System weniger verdienen als vorher, und alle Mitarbeiter müssen rechtzeitig und umfassend darüber informiert werden, wie das System genau funktioniert. Das kostet Zeit und sorgt natürlich für Diskussionen, doch nur so gelingt es, möglichst viele Mitarbeiter mitzunehmen. Alle zu überzeugen ist zwar möglich, doch meistens gibt es ein oder zwei oft leistungsschwächere Kandidaten, die deswegen den Betrieb verlassen.
  5. Testlauf starten: Egal, wie gut die Vorbereitung war: Um allen die notwendige Sicherheit zu geben, sollten altes und neues System für drei oder sechs Monate parallel laufen. So lassen sich in Ruhe etwaige Fehler und Schwächen beseitigen und die Mitarbeiter sehen konkret, was die Veränderung für sie bedeutet. Wichtig ist es in dieser Phase, die vermeintlichen Verlierer im Blick zu haben und zu unterstützen, etwa durch Schulungen.