Serie New Work, 4. Folge Mitarbeitermotivation: Warum der Sinn heute mehr zählt als das Geld

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Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, Fachkräftemangel, Mitarbeitermotivation und New Work

Was ist übrig von den Werten und Idealen Ihrer Anfangszeit als Unternehmer? Egal, wie viel oder wenig Sie aufspüren: Es ist das perfekte Fundament für den Aufbau einer zukunftsfähigen Unternehmenskultur, in der Sie und Ihr Team gerne und motiviert arbeiten. Wie Sie mit einer starken DNA junge Fachkräfte begeistern.

Philipp Abraham, Malermeister in Wiesbaden
Philipp Abraham, Malermeister in Wiesbaden, setzt bewusst auf flache Hierarchien und selbstbestimmtes Arbeiten. - © Tim Wegner

Welches Arbeitsbild würde ich mir als Mitarbeiter wünschen? Diese Frage stellte sich Philipp Abraham, als er 2014 den Betrieb seines Vaters in Form einer Neugründung übernahm. Er kam zu dem Schluss: „Je flexibler und breiter ein Mitarbeiter aufgestellt ist, je mehr Verantwortung man ihm gibt, desto zufriedener könnte es ihn machen.“ Nach dieser Formel hat der heute 41-jährige Geschäftsführer des Malerbetriebs Abraham aus Wiesbaden seinen Betrieb aufgebaut. „Wir haben flache Hierarchien, unterhalb des Geschäftsführers und des Bauleiters gibt es nur die ausführenden Gesellen, die wechselnd die Funktion von Vorarbeitern übernehmen.“

Die Verantwortung rotiert – ob für die Lehrlingsausbildung oder die jeweiligen Baustellen – und jeder hält Kontakt zu den Kunden und der Geschäftsleitung. „Natürlich ist das eine Herausforderung“, sagt Abraham, „viele wachsen an dieser Philosophie, während sie anderen Grenzen aufzeigt.“ Das sei aber kein Problem: „Wenn jemandem bestimmte Aufgaben gar nicht liegen, versuchen wir, ihn dort rauszunehmen.“ Doch die meisten kämen gut zurecht. „Die Erfahrung zeigt, dass diese Arbeitsweise eine Selbstbestätigung und Aufwertung bietet, ohne dass man über die Entlohnung redet“, sagt Abraham. „Wenn sie Baustellen erfolgreich abschließen, wissen die Mitarbeiter, dass das zum Großteil ihr Verdienst ist. Das ist eine Selbstverstärkung, die hervorragend funktioniert.“

Das „Warum“ ist wichtiger als Geld

Warum arbeite ich und wofür ist diese Arbeit gut? In Zeiten, in denen in vielen Branchen akuter Fachkräftemangel herrscht, werden diese Fragen zur immer wichtigeren Stellschraube für die Besetzung von Stellen oder den Erhalt des Personals. Denn ob ein Mitarbeiter mit seinem Job zufrieden ist, wird neben „harten“ Faktoren wie Gehalt oder Karrieremöglichkeiten zunehmend auch vom empfundenen Sinn der Tätigkeit beeinflusst.

Das zeigt etwa der Arbeitgeberreport des Karriereportals Stepstone. Als Top-Begründung für die Zufriedenheit mit dem derzeitigen Arbeitgeber nannten hier zwei Drittel der befragten Fach- und Führungskräfte „Sinnhafte Aufgaben“. Wichtigster Grund für Unzufriedenheit war dagegen ein „Unproduktives sowie demotivierendes Arbeitsklima“. Das Fazit der Studienautoren: „Ein attraktives Gehalt allein ist nur noch für wenige ein hinreichender Grund, um Abstriche bei den Themen Unternehmenskultur oder Sinnhaftigkeit hinzunehmen.“

Warum Sinn und Zufriedenheit bei der Arbeit sich nicht durch mehr Geld oder sozialen Status ersetzen lassen, erklärt Stefan Janßen, Berater für Neues Arbeiten im Handwerk. „Die freiwillige Sinnkopplung ist für viele wichtiger als finanzielle Abhängigkeit im Sinne von Leistung gegen Lohn.“ Wichtig sei daher, Mitarbeiter zu Mitstreitern und Gestaltern zu machen – so wie jeder Mensch auch im Privatleben selbstwirksam handeln wolle. Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen ist der Sinn der Arbeit in Handwerksberufen in der Regel klar greifbar. Man muss ihn nur herausstellen und versuchen, Tätigkeiten, die vom eigentlichen Handwerk wegführen, zu reduzieren. Das steigert auch die Motiva­tion. „Wer erkennt, dass seine Arbeit den Lebensmittelpunkt für eine Familie schafft, kann sich auch bei schlechtem Wetter motivieren, raus auf die Baustelle zu gehen.“

Im Grunde geht es vor allem um Zukunftssicherheit, ergänzt Carsten Roth, Coach und Berater für Unternehmenskultur. „Jeder Mensch weiß gerne, was um ihn herum passiert.“ Mitarbeiter wollten daher Zielklarheit haben. „Wenn ich weiß, warum ich morgens aufstehe, und Sinn in der Arbeit sehe, beeinflusst das die Zufriedenheit.“

Jeder Mitarbeiter will auch mal Mensch sein dürfen

Dass Geld längst nicht mehr alles ist, lässt sich auch im Handwerk beobachten. „Klar muss die Entlohnung leistungsgerecht sein“, sagt Philipp Abraham. Das ist nach seiner Erfahrung trotz guter Auftragslage eine Herausforderung, weil der Markt hart umkämpft ist. Dennoch hat der Betrieb „noch nie einen Mitarbeiter verloren, weil er woanders mehr Geld bekommt“. Stattdessen schätzten seine Leute, dass im Unternehmen „jeder Mensch sein dürfe“. Also auch mal meckern kann, wenn es Kritik gibt – „ohne dass der Vorgesetzte gleich seine Chefkarte ausspielt“.

Identifikation, Miteinbezogen-Werden, Wertschätzung, Feedbackkultur, der Umgang mit Konflikten, Nachhaltigkeit, aber auch Work-Life-Balance-Verstärker wie Familienfreundlichkeit oder flexible Arbeitszeitgestaltung – das sind oft Bausteine, wenn es um erfolgreiche Unternehmenskultur geht, hat Markus Klemm, Berater für Personal- und Organisationsentwicklung bei der Handwerkskammer Freiburg, beobachtet. Eine Herausforderung sei es vor allem, dass viele dieser Werte nicht direkt fassbar sind, also wie bei einem Eisberg unter der Wasseroberfläche verborgen liegen. „Kulturbestandteile wie Unternehmensziel oder Betriebsorganisation sind meist deutlich sichtbar und lassen sich einfacher gestalten. Andere, etwa Emotionen oder das Arbeitsklima, lassen sich oft nur spüren, obgleich sie maßgeblich das Innenverhältnis eines Betriebs beeinflussen.“

Work-Life-Balance: Kein Ranklotzen mehr am Wochenende

Was seinen Mitarbeitern wichtig ist, erfragt Malermeister Philipp Abraham in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen. Ein wichtiges Thema für die insgesamt 22 Beschäftigten, vor allem für die Älteren, ist das Verhältnis von Arbeit und Freizeit. „Aber auch die Jungen wollen nicht mehr so viel arbeiten“, sagt Abraham. Der Betrieb bietet eine 39-Stunden-Woche und kommt fast ohne Überstunden oder Samstagsarbeit aus, was laut Abraham „in einer Branche, wo viele Firmen Tag und Nacht arbeiten, ein Alleinstellungsmerkmal ist“. „Außerdem liegen unsere Baustellen fast ausschließlich in einem Umkreis von zehn Kilometern.“ Für die Mitarbeiter sind das handfeste Vorteile, durch die sich Beruf und Privatleben besser vereinbaren lassen.

Ergebnis: Zufriedene Mitarbeiter und mehr Freizeit für den Chef

Das Work-Life-Balance-Modell funktioniert inzwischen sogar für den Chef: Anders als noch sein Vater oder er selbst in den ersten Berufsjahren hat sich Philipp Abraham von Zwölf-Stunden-Schichten oder Ranklotzen am Wochenende befreit. „Indem ich einen Bauleiter eingestellt und alles so organisiert habe, dass ich nicht morgens in der Werkstatt stehen muss, um Anweisungen für den Tag zu geben, habe ich die Arbeitsbelastung konstant abgebaut“, freut sich Abraham. Viele Dinge kann er heute auch durch mobiles Arbeiten erledigen, was mehr Zeit für Familie und Hobbys schafft. „Diese Vereinbarkeit von Beruf und Privatem ist auch für mich ein wesentlicher Aspekt, um neben der Arbeit Zufriedenheit und Glück zu finden.“

Checkliste: So punkten Sie bei der Generation Z

Wer heute ins Berufsleben einsteigt, will laut Studie von Zenjob ein gutes Miteinander, Wertschätzung und einen Job, der zum Leben passt. Je mehr Punkte der Checkliste Sie erfüllen, desto leichter können Sie Auszubildende und junge Fachkräfte im Betrieb halten.

  • Unternehmenstyp definieren: Wie wäre Ihr Betrieb als Mensch? Sympathie, Haltung und Empathie bilden die erfolgreiche Grundlage.
  • Machen statt reden: Leben Sie Ihre Werte und Versprechen. Gerade die junge Generation ist „Fake News“-erprobt und lässt sich von leeren Formeln nicht blenden.
  • Flexibles Arbeiten fördern: Etwa bei der Arbeitszeit oder dem Arbeitsort (mobiles Arbeiten). Aber auch: Rotierende Verantwortung im Betrieb („Jeder macht alles“).
  • Digitaler werden: Für die Generation Z ist das Smartphone ein Lebensbegleiter. Auch im Job helfen digitale Tools, um mehr Zeit für die originäre handwerkliche Arbeit zu haben.

  • Karriere fördern: Junge Leute können vieles und haben gute Ideen. Indem Sie vielfältige Aufgaben und Karrierepfade bieten, profitieren Sie davon.

  • Talente stärken: Stellen Sie dem Nachwuchs Mentoren zur Seite, die bei Unsicherheiten unterstützen, die Entwicklung fördern und die Selbstorganisation verstärken.
  • Offenheit zulassen: Sorgen Sie für klare Kommunikation und Offenheit für neue Ideen – das verbessert das Arbeiten für alle Mitarbeiter.
  • Arbeit und Freizeit trennen: Die Generation Z will nicht mit dem Job verschmelzen. Wer Specials bieten will, sollte auf einen Arbeitsbezug achten (etwa bessere Arbeitsausstattung statt Firmenfeier mit dem Chef).

Anleitung: 5 Schritte zur passenden Unternehmenskultur

Als Gedächtnis des Betriebs beinhaltet die Unternehmenskultur Regeln, Werte und Normen. Dabei prägt die Kultur das Verhalten, gleichzeitig können alle sie auch weiter­- entwickeln. Wie Sie für sich und Ihr Team eine authentische Wertewelt erarbeiten.

  1. Ist-Zustand analysieren
    Wofür steht das Unternehmen? Was sind unsere Werte? Was ist im Betrieb wichtig? Wie sind die Beziehungen untereinander und zu Kunden? Wie vertrauensvoll ist die Zusammen­arbeit? Welche Emotionen, Ängste und Bedürfnisse gibt es? Empfehlenswert ist für diese Analyse ein Blick von außen, bei Kleinbetrieben können das auch der Lebenspartner oder enge Freunde des Unternehmers sein.
  2. Plus und Minus bestimmen
    Beispiele für eine positive Unternehmenskultur sind etwa: „Alle arbeiten langfristig auf das gleiche Ziel hin.“ „Was bei einer Führungskraft gilt, gilt auch bei anderen Führungskräften.“ „Es gibt eine offene Feedbackkultur.“ „Die Stimmung im Team ist gut.“ „Kunden geben positive Rückmeldung.“ Negative Ausprägungen können sein: Fehlende Zuständigkeiten (etwa für Fragen von Mitarbeitern oder Kunden). Fehlende Kommunikation zwischen den Bereichen, bei Problemen wird ein Schuldiger gesucht, anstatt konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Ein schlechtes Arbeitsklima, Kontrolle statt Verantwortung sowie die Angst vor Veränderung („Das haben wir schon immer so gemacht.“) sind weitere typische negative Ausprägungen.
  3. Soll-Kultur definieren
    Zuallererst müssen Chef und Geschäftsleitung für sich selbst entscheiden, ob sie Veränderungen überhaupt zulassen möchten. Falls ja, gilt es zu analysieren: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie werden wir stärker? Wie werden wir nicht stärker? Was soll im Betrieb nicht geduldet werden? Anfangs sind es vermutlich nur Stichworte, die dann zum Leitbild oder einer Vision ausformuliert werden. Üblich ist es dabei, diesen Prozess zunächst auf Führungsebene zu durchlaufen und dann die Mitarbeiter zu beteiligen.
  4. Ziele und Strategien festlegen
    Was muss jeder Einzelne tun, damit wir die im Leitbild festgelegten Ziele erreichen? Wie schaffen wir Rahmenbedingungen, bei denen jeder sein Können optimal entfalten kann? Diese Strategien inklusive Zeitplan und Verantwortlichkeiten sollten Führung und Team gemeinsam erarbeiten, denn so steht jeder dahinter und tritt dafür ein.
  5. Stolpersteine erkennen und beseitigen
    Viele Betriebe formulieren nicht die eigenen Werte und Ziele, sondern Allgemeinplätze. Entsprechen diese aber nicht der DNA des Unternehmens, werden sie nicht gelebt und verschwinden nach ein paar Monaten in der Schublade. Leitbild und Kultur sollten zudem regelmäßig thematisiert und die Mitarbeiter zum Mitmachen und Mitgestalten motiviert werden. Manchmal lassen sich jedoch über viele Jahre etablierte formelle oder informelle Hierarchien nicht ohne Weiteres beseitigen („Besitzstandswahrung“) und lösen sich erst mit dem Ausscheiden der jeweiligen Mitarbeiter auf.