Serie New Work, 1. Folge New Work: So funktioniert die neue Arbeitskultur im Handwerk

Zugehörige Themenseiten:
Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, Büroorganisation, Fachkräftemangel, Mitarbeitermotivation und New Work

Bei Ihnen kommt Homeoffice nicht infrage und es gibt Wichtigeres, als die Arbeit neu zu organisieren? Klar klappt es auch so irgendwie, doch wie lange und mit welchen Mitarbeitern? New Work ist kein Modewort, sondern die Antwort darauf, was Kunden und Mitarbeiter künftig von einem Unternehmen erwarten. Wer im Geschäft bleiben will, muss sich umstellen – oder der pfiffigen Konkurrenz den Markt überlassen. Das haben Sie nicht vor? Prima, dann zeigen wir Ihnen im ersten Teil unserer Serie „New Work im Handwerk“, welche Werte in der neuen Arbeitswelt besonders zählen und wie Sie für Ihren Betrieb die richtige Mischung finden.

Christina Kersten, Geschäftsführerin von Klima-Bau Volk
Christina Kersten, Geschäftsführerin von Klima-Bau Volk im hessischen Wetzlar. - © Tim Wegner

Etwas irritiert war Christina Kersten, Geschäftsführerin von Klima-Bau Volk im hessischen Wetzlar, schon, als sie von handwerk magazin eine Interviewan­frage zum Thema New Work bekam. Seit 2009 führt die Diplomkauffrau den Familienbetrieb größtenteils noch nach den von ihrem Vater etablierten Werten wie Qualität und Wertschätzung.

Natürlich sind durch den Wandel in der Arbeitswelt im Laufe der Jahre einige neue Werte hinzugekommen, die genauso wie die alten regelmäßig hinterfragt werden. Für Christina Kersten ist das ein normaler Prozess, der zur Unternehmensführung dazugehört: „New Work“, da ist sich die Chefin von 160 Mitarbeitern sicher, „nennt das bei uns keiner.“

Geben und Nehmen

Dabei arbeiten sie und ihre Personalreferentin Simone Alexander ganz im Sinne des New-Work-Wertekatalogs (siehe Download) daran, die Arbeitsplätze bestmöglich an die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter an allen vier Standorten (Wetzlar, Leipzig, Waltershausen, Weilmünster) anzupassen. „Wir wissen, dass es unterschiedliche Erwartungen an die Arbeitsplätze gibt. Das wird nicht bewertet, sondern damit gehen wir um“, erklärt die Chefin.

Eine Herangehens­weise, die sich trotz großer Konstanz bei den Werten vom Führungsverhalten ihres Vaters unterscheidet. Hätte dieser etwa bei der Frage eines Mitarbeiters nach der Vier-Tage-Woche seinen Unmut schon spüren lassen, überlegt Christina Kersten mit ihrem Team, wie sie das hinbekommen: „Bis heute ist es uns gelungen, die Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen, doch natürlich ist der Betrieb kein Wunschkonzert.“ Soll ­heißen: Beide Seiten müssen von einer ­Lösung profitieren und die Bereitschaft zum Geben und Nehmen haben.

Reden, wenn es nicht läuft

Als Beispiel nennt die Geschäftsführerin den Umgang mit dem Homeoffice. Wo es möglich war und ist, unterstützt der Betrieb das Arbeiten von zu Hause. Die Erfahrungen damit sind durchweg positiv, andernfalls sucht die zuständige Führungskraft das Gespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter. Ganz wichtig dabei ist laut Kersten die richtige Ansprache: „Keinen Vorwurf formulieren, sondern ruhig und sachlich die Umstände hinterfragen.“ Zugute kommt ihr dabei, dass sie vor dem Studium bereits eine Ausbildung bei Buderus absolviert hat und neben den kaufmännischen Belangen auch die Techniker mit ihren besonderen Kompetenzen und Stärken verstehen und einschätzen kann.

Fehler gleich ansprechen

Da sie als Geschäftsführerin nicht alles kontrollieren kann und will, vertraut Christina Kersten darauf, dass ihre Führungskräfte die Dinge im Sinne der Firmenwerte entscheiden. Das Vertrauen lebt sie als Chefin genauso vor wie eine große Offenheit in der Kommunikation. Weil es „eh irgendwann rauskommt“, fordert sie ihr Team auf, Fehler möglichst schnell anzusprechen, bevor der Kunde in der Geschäftsleitung anruft. Im Gespräch mit dem Mitarbeiter geht es dann nicht um Schuldzuweisungen, sondern vor allem darum, zu vermeiden, dass der gleiche Fehler zweimal passiert.

Um diesen Prozess zu unterstützen und die ­Mitarbeiter an allen Standorten regelmäßig zu informieren, stellen Simone ­Alexander und die Geschäftsführung alle zwei Monate einen Newsletter zusammen, der etwa Infos zu Großaufträgen oder neuen Regeln enthält. So sollen die Mitarbeiter noch mehr zu Mitwissern und auch Mitdenkern für das Unter­nehmen werden.

Nicht jeder will Chef sein

Aber wollen sich alle Mitarbeiter auch tatsächlich im Sinne der New-Work-Philosophie im Job engagieren und selbst verwirklichen? „Auf keinen Fall“, weiß Christina Kersten, „nicht alle sind unbedingt scharf auf die Chefrolle.“ Zwar entwickelt und qualifiziert Klima-Bau Volk seine Mitarbeiter gerne zu Führungskräften, doch das ist kein Muss, sondern lediglich eine von vielen Optionen, die der Betrieb bietet.

Diese Vielfalt hat jedoch auch ihre Tücken, wie die Firmenchefin aus der Erfahrung mit zahlreichen Bewerbungsgesprächen weiß: „Die Kunst besteht darin, herauszufinden, was ein Bewerber will und was ihm wichtig ist.“ Am liebsten hat es Christina Kersten deshalb mit Kandidaten zu tun, die Klima-Bau Volk bewusst ausgewählt haben. „Ich wollte einen Arbeitgeber, der was bieten kann, aber auch noch familiäre Strukturen hat“, lautete etwa die klare Ansage eines Bewerbers im vergangenen Jahr. Bei so einer Steilvorlage war es natürlich leicht, den Kandidaten zu überzeugen.

Individuelle Lösungen gefragt

Das Beispiel zeigt: Bei New Work geht es nicht vorrangig um Kickertische, Wohlfühlzonen, Homeoffice oder Work-Life-Balance. Sondern – in einer handwerklich pragmatischen Sichtweise – vor allem darum, die jeweilige Arbeitskultur und das Miteinander so an die Belange von Unternehmen, Mitarbeitern und Kunden anzupassen, dass in der Summe alle davon profitieren. Dabei gibt es keine Musterlösungen für Branchen oder Betriebsgrößen, sondern jedes Unter­nehmen muss sich seine eigene New-Work-Arbeitswelt zusammenstellen.

Sven Franke, New-Work-Experte und Geschäftsführer der CO:X GmbH in Lehre (Niedersachsen), hat bereits viele Unternehmen bei der Umgestaltung ihrer Arbeitskultur beraten. Im Expertendialog der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) zu den Werten der neuen Arbeitswelt fasst er zusammen, was viele Unternehmer im eigenen Betrieb spüren: „Führung wird sehr viel individueller und es geht vor allem darum, das Spielfeld mit jedem Mitarbeiter auszuhandeln und nicht mehr über Macht zu führen.“ Diese herkömmlichen Werkzeuge funktionieren laut Franke bei den zunehmend komplexeren Themen der Arbeitswelt nicht mehr, sondern „wir brauchen viel mehr Partizipation, Kooperation und Kommunikation“. Das gelte für alle Branchen und Berufsgruppen gleichermaßen.

Die große Frage nach dem Sinn

Als Orientierung für Unternehmer hat der New-Work-Experte gemeinsam mit der iga einen Katalog mit Werten zusammengestellt (siehe Download), die in den von der neuen Arbeitskultur geprägten Unternehmen eine besondere Rolle einnehmen und somit als Leitfaden für eine Umstrukturierung dienen können.

Diana Eichhorn, iga-Mitarbeiterin für den Verband der Ersatzkassen e.V., sieht bei New Work viele unterschiedliche Puzzleteile, die für den Wandel von starren Strukturen zu agileren Prozessen stehen: „New Work zahlt darauf ein, sich schneller an die Herausforderungen von Kunden, Mitarbeitern und Märkten anzupassen.“ Das wird zwar schon immer in einem gewissen Maß von Unternehmen erwartet, doch insbesondere die Mitarbeiter wollen heute Antworten auf Fragen, die sich viele Unternehmer oft noch gar nicht gestellt haben: Wofür machen wir das? Wie machen wir das? Für wen machen wir das?

Die jeweils passenden Antworten zu finden kostet nach Erfahrung von Diana Eichhorn natürlich mehr Zeit bei der Mitarbeiterführung. Doch wenn sich alle auf die gleichen Werte verständigt haben, könne der Chef auch leichter delegieren, weil das Spielfeld – wie es Sven Franke nennt – klar abgesteckt ist. Je besser es gelingt, die Wünsche der Mitarbeiter einzubeziehen, desto höher sind Eigenmotivation und Arbeitgeberattraktivität.

Die Arbeitgebermarke zählt

Der Blick auf die vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung jährlich ermittelte Statistik der Berufe mit den größten Fachkräftelücken zeigt, dass einige Branchen im Handwerk noch Luft nach oben auf dem Weg zur begehrten Arbeitgebermarke haben.

Engpassberufe: Wo die meisten Fachkräfte fehlen
BerufFachkräftelücke*
Bauelektrik13.413
Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik11.445
Kraftfahrzeugtechnik4.229
Aufsicht und Führung im Verkauf3.999
Verkauf von Fleischwaren3.285
Holz-, Möbel- und Innenausbau3.094
Land- und Baumaschinentechnik2.289
Dachdeckerei2.193
Metallbau2.033
Augenoptik1.620
*Fachkräftelücke = offene Stellen, für die es bundesweit keine Arbeitslosen mit passender Qualifikation gibt
Quelle: Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (kofa.de) auf Basis von Sonderauswertungen der BA und des IAB, 2021

Worauf es dabei ankommt und welche Rolle die Arbeit aktuell bei der jüngeren Generation spielt, zeigen die Ergebnisse der Randstad-Mente-Factum-Arbeitnehmerbefragung 2021.

Auf die Frage, welche Rolle die Arbeit in ihrem Leben spielt, geben zwar 80 Prozent dem Geldverdienen die oberste Priorität, zwei Drittel der Befragten ist aber auch der Sinn ihrer Tätigkeit wichtig.

Rolle der Arbeit: Geld und Sinn müssen stimmen
Ich arbeite vor allem, um Geld zu verdienen80 %
Ich möchte einen Sinn in meiner Arbeit sehen74 %
Interessante und abwechslungsreiche
Arbeitsinhalte sind mir wichtig
70 %
Mein Beruf ist ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit56 %
Ich möchte mich als Experte für einen
bestimmten Bereich qualifizieren
52 %
Ich identifiziere mich mit meinem Betrieb52 %
Ich möchte durch meine Tätigkeit
gesellschaftlich anerkannt werden
43 %
Mir ist wichtig, Arbeit und Privatleben
vollständig voneinander zu trennen
38 %
Ich möchte eine Karriere als Führungskraft mit Personalverantwortung36 %
Mehrfachnennungen möglich.
Quelle: Randstad-Mente-Factum-Arbeitnehmerbefragung, 2021

Ein sicherer Arbeitplatz mit einer attraktiven Entlohnung und einer angenehmen Arbeitsatmosphäre ist für jeweils rund zwei Drittel der Mitarbeiter ausschlaggebend für die Wahl des Arbeitgebers.

Arbeitgeberwahl: Was Betriebe bieten müssen
Arbeitsplatzsicherheit68 %
attraktives Gehalt und Sozialleistungen67 %
angenehme Arbeitsatmosphäre63 %
finanzielle Stabilität des Unternehmens56 %
Work-Life-Balance54 %
gute Schulung49 %
Möglichkeit zu Homeoffice/mobiles Arbeiten43 %
gesellschaftliche Verantwortung36 %
Diversität und Inklusion35 %
starkes Management32 %
Nutzung der neuesten Technologien29 %
Mehrfachnennungen möglich.
Quelle: Randstad-Mente-Factum-Arbeitnehmerbefragung, 2021

Ist bei den Unternehmern im Handwerk inzwischen angekommen, dass New Work auch ihre Betriebe betrifft? Und wenn ja, wie reagieren sie darauf? Nach Erfahrung von Gisela Goos, Koordinatorin der Fachkräfteinitiative der Handwerkskammer Münster, „haben die Betriebe das Thema durchaus auf dem Zettel.“ So platzte die Kammer bei den drei Fachkräftetagen schier aus allen Nähten, auf die praxisorientierten Workshops und Vorträge gab es viel positive Resonanz. „Work-Life-Balance, Wertschätzung, Betriebsklima und mehr – wer sich heute nicht darum kümmert, der findet keine Fachkräfte mehr“, weiß die erfahrene Fachkräfte-Koordinatorin.

Andrea Eigel, Geschäftsführerin der Kaleidoskop Marketing GmbH in Bietigheim-Bissingen, erlebt bei den von ihr betreuten Erfahrungsaustausch-Gruppen ebenfalls eine große Offenheit der Chefs vor allem bei den Themen Transparenz und Kommunikation: „Viele merken, dass sie sich intensiver mit den Mitarbeitern austauschen müssen und es auch viel mehr Vorabinfo braucht als früher.“ Vor allem die jüngeren Mitarbeiter wollen heute genau wissen, wie ihre Rolle bei einem Auftrag ist und warum sie etwas tun. Das habe manche Chefs zwar am Anfang ein wenig überfordert, doch inzwischen hätten die meisten realisiert, dass die viel zitierte Work-Life-Balance ja auch für sie als Unternehmer gilt. Und die gelingt deutlich besser, wenn die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen.

Christina Kersten kann das nur bestätigen. So lässt ihr das Führen nach gemeinsamen Werten den Spielraum, die Führungskultur an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Besonders am Herzen liegen ihr die Auszubildenden: „Früher liefen die eher so mit, inzwischen haben wir den Kümmerfaktor klar erhöht.“ Auch wenn nicht alles immer sofort funktioniert, rät sie den Kollegen, mutig zu sein und alles auf den Prüfstand zu stellen. Denn nur so lassen sich Lösungen finden, von denen Betrieb und Mitarbeiter gleichermaßen profitieren.