KI statt Rechtsanwalt Legal Tech: So entschärfen Sie Rechtsprobleme mit Algorithmen

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Juristische Fragestellungen lassen sich immer leichter mittels Künstlicher Intelligenz (KI) abbilden. Wie orientieren sich Chefs auf dem Markt der Legal-Tech-Anbieter? Und: Versprechen die Angebote Entlastung?

Die Digitalisierung erobert den Rechtsmarkt
Die Digitalisierung erobert den Rechtsmarkt: Aktuell fokussieren sich Start-ups eher auf Kanzleien, das ändert sich aber gerade. - © Tierney - stock.adobe.com

Der Legal-Tech-Markt wurde in den letzten Jahren vor allem für Verbraucher attraktiv: Die Abwicklung des Dieselskandals zum Beispiel über myright.de oder die Durchsetzung von Fluggastrechten über flightright.de beschert Betroffenen überschaubare Kosten und entlastet die Kanzleien dank standardisierter Prozesse über Algorithmen und KI. Conny.de (ehemals wenigermiete.de) wäre ebenfalls beispielhaft zu nennen. Das Portal kümmert sich um die automatisierte Durchsetzung niedrigerer Mieten, über geblitzt.de wehren Sie sich gegen Bußgeldbescheide, Punkte oder ein Fahrverbot.

Weniger transparent stellt sich dagegen das Angebot für Unternehmer dar. Michael Friedmann, Gründer der qnc GmbH in Hannover, der die Legal-Tech-Plattform frag-einen-anwalt.de betreibt und Partner der Datev ist bei der digitalen Mandatsgewinnung von Kanzleien: „Start-ups sind auf das Massengeschäft fokussiert. Oft sind die Probleme von Unternehmern weniger allgemeingültig abzubilden.“ Zudem habe die Tech-Branche derzeit verstärkt die Digitalisierung von Anwaltskanzleien im Blick.

Richter bestätigen Existenzrecht von Legal Tech

Womöglich sind auch diverse Rechtsstreitigkeiten mitverantwortlich dafür, dass Unternehmen als Zielgruppe für clevere IT- und KI-Lösungen zuletzt etwas aus dem Visier gerieten. Den Vorwurf, Legal-Tech-Anbieter tummelten sich zu Unrecht auf dem Markt, widerlegte allerdings 2021 der Bundesgerichtshof in diversen Urteilen. Etwa hatte die Hanseatische Rechtsanwaltskammer gegen Smartlaw, eine Lösung des Informationsdienstleisters Wolters Kluwer, geklagt mit dem Vorwurf, ein Vertragsgenerator sei eine Anwaltsleistung und daher wettbewerbsrechtlich fragwürdig. Die Richter stellten sich auf die Seite der Tech-Szene. Christian Lindemann, bei Wolters Kluwer Geschäftsführer und Leiter des Geschäftsbereichs Legal & Regulatory erinnert sich: „In rechtlich unklarem Umfeld haben wir natürlich vorübergehend unser Engagement zurückgefahren“, jetzt werde die Branche aber wieder aktiv.

Begriffsdefinition Legal Tech

Der Fachbegriff Legal Tech steht für die Automatisierung juristischer Tätigkeiten. Kanzleien, Unternehmen, Rechtsschutzversicherer, Softwareanbieter und Legal-Tech-Start-ups nehmen sich aktuell der Digitalisierung an, mit dem Ziel, juristische Arbeitsprozesse mithilfe von Software und KI zu standardisieren und zu erleichtern. 2026 sollen die Gerichte mit der elektronischen Gerichtsakte ausschließlich elektronisch arbeiten – eine Zielmarke, die die Player der Szene im Blick haben. 190 Anbieter listet beispielsweise die Datenbank legal-tech-in-deutschland.de auf. Wer sich für ein Angebot entscheidet, achtet auf das Impressum, empfehlen Experten. Unternehmen können mit Legal-Tech Zeit und Kosten für den Anwalt einsparen. Anwaltskanzleien bieten inzwischen ihrerseits Legal-Tech-Lösungen an.

Tech-Komponenten in Top Qualität

Smartlaw etwa stellt kleinen und mittleren Unternehmen über 100 Vertragsdokumente zur Verfügung – vom Arbeitsvertrag über die Gründungserklärung bis zum Gesellschaftervertrag –, die via Generator passgenau auf die jeweilige Anforderung ausgerichtet werden können. „Wir bilden eine Vielzahl von Situationen ab und berücksichtigen vorab definierte Szenarien“, erklärt Lindemann. Produktmanager Michael Heise ergänzt: „Unsere Tech-Komponenten stehen stets aktuell zur Verfügung, weil sie regelmäßig von Anwälten überprüft werden.“

Doch welche Gründe gibt es noch, dass der Markt für Unternehmer noch überschaubar ist? Andrea Nützel, Juristin bei der IHK in München, ist der Meinung, Softwareanbieter und Unternehmer müssten noch stärker ins Gespräch miteinander kommen, um neue Konzepte für branchen- bzw. gewerkespezifische Anwendungen zu entwickeln. „Wir hören aus der Branche, dass es eben leichter ist, Anwälte als Kunden zu gewinnen, als Unternehmer.“ Zudem gehe es nicht nur um Technik, sondern um komplexe juristische und oft individuelle Fragestellungen. Hier gelte es, Unternehmer, Anwälte und Tech-Firmen stärker zu vernetzen.

Anwälte wiederum waren bislang zurückhaltend, weil sie ihr Wissensmonopol in Gefahr sahen. Doch das ändert sich gerade. Rechtsanwalt und Informatiker Dr. Marcus Werner mit eigener Kanzlei in Köln und unter anderem Mitglied im Vorstand des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Mitglied im Ausschuss Elektronischer Rechtsverkehr des DAV: „Wenn demnächst die 60er-Jahrgänge in Rente gehen, werden Anwälte fehlen.“ Legal Tech und KI könnten hier einen Teil der entstehenden Lücke füllen, ist er überzeugt: „Manche Verbraucher haben bereits heute ein Problem, Spezialisten für ihr Anliegen zu finden“, sagt er, obwohl sich die Gerichte seit 2000 mit etwa 20 Prozent weniger Prozessen zu befassen hätten. „Gesetze sind komplizierter geworden, Gerichte arbeiten daher nicht schneller“, resümiert er. Legal Tech sei ein Lichtblick, die Arbeitspensen der Kanzleien zu dezimieren und Verbrauchern und Unternehmern kostengünstig zu ihrem Recht zu verhelfen.

Lohnend für Standard-Abläufe

IHK-Juristin Nützel durchstöbert regelmäßig den Markt der Anbieter und führt auf der Homepage der IHK München eine Marktübersicht für Selbstständige, Einzelunternehmer und KMU. Sie kommt zu dem Schluss: „Unternehmer, die viele Verträge verwalten, die ihr Mahnwesen digitalisieren, oder Hilfe für die Schadenregulierung wünschen, sind mit Legal-Tech-Anwendungen gut aufgestellt. Allerdings sagt sie auch: „Für kleine Betriebe lohnen sich solche Lösungen nur, wenn es darum geht, Man-Power einzusparen.“ Es bedürfe zudem einer kühlen Kosten-Nutzen-Analyse. „Mit Anwalt legt man womöglich auf einmal 2.000 bis 3.000 Euro auf den Tisch, dagegen scheinen monatliche Legal-Tech-Raten zunächst günstig“, sagt sie. Das könne sich aber über die Laufzeiten relativieren.

Nachgehorcht im Handwerk: Friedrich von Gilsa leitet die Jute-Bäckerei in Berlin, Prenzlauer Berg. Sein Markenzeichen: Glutenfreie Backwaren in allen Variationen und in Bio-Qualität gehen über seinen Tresen. Insgesamt 20 Mitarbeiter beschäftigt er, viele sind von Anfang an dabei. Gilsa ist versierter Geschäftsmann, Tech-Berührungsängste kennt er nicht. Er hat sich daher in der Gründungsphase 2014 rechtliches Know-how in den Betrieb geholt. Freunde hatten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es diverse Vertragsvarianten auch im Netz gegen geringe Gebühr zum Downloaden gibt. Gilsa gibt unverblümt zu: „Wir klären rechtliche Fragestellungen nach wie vor am liebsten im persönlichen Gespräch mit unserem Anwalt.“ Zu individuell seien die Fälle, die sein Unternehmen beschäftigen.

Professorin Dagmar Gesmann-Nuissl, Lehrstuhlinhaberin für Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der TU Chemnitz, bestätigt die Einschätzung von Unternehmer Gilsa. Ihre Forschungsschwerpunkte – unter anderem für das Mittelstand-Digital-Zentrum Chemnitz – liegen im Unternehmens-, Innovations- und Technikrecht: „Denken Sie nur an das Aufklären eines strittigen Sachverhalts, das Ermitteln von Befindlichkeiten zwischen Vertragspartnern oder das Ausloten unterschiedlicher Verhandlungspositionen, die vielleicht eine Annäherung erfordern, um am Ende das richtige Ergebnis für beide Parteien in einem Vertrag abzubilden.“ Riskant für die Standardisierung seien auch Informationsfülle und Verwobenheit des Rechts. „Es reicht nicht, die Pflichten eines Gesetzes abzubilden und daraus Prozessrisiken oder Ansprüche abzuleiten“, so Gesmann-Nuissl.

Auch Rechtsanwalt Werner findet: „Die Tatsache, dass Unternehmer heute in der Regel mehrere Anwälte mit verschiedenen fachlichen Schwerpunkten beschäftigen, zeigt doch, wie vielfältig die Fragestellungen im unternehmerischen Alltag sind.“ Andererseits sieht er auch Chancen: „Wer eine gute Anwendung für sich gefunden oder sogar hat programmieren lassen, sichert sich einen Wettbewerbsvorteil“. IHK-Juristin Nützel ergänzt: „Werden mir als Chef durch innovative IT-Lösungen und Künstliche Intelligenz (KI) juristische Fragestellungen, das Mahnwesen oder das Dokumentenmanagement abgenommen, werde ich automatisch über den Fristablauf von Verträgen informiert, kann ich mich um Kernaufgaben wie Kundenakquise und Auftragsabwicklung kümmern.“

Und die Zukunft? „Es wird weitere Digitalisierungsoptionen für juristische Prozesse im Handwerk geben, die anwaltliche Leistung nicht ersetzen, sondern ergänzen“, sagt Dr. Susann Funke, Juristin, Mitgründerin des Legal-Tech-Anbieters LEX AI in Hamburg und Mitglied der Arbeitsgruppe KI im Legal Tech Verband Deutschland. Die Erwartungshaltung von Mandanten aus dem Mittelstand sei schon jetzt, nicht mehr so viel Geld für Anwalts-Leistungen in die Hand nehmen zu müssen. Hier könnte ­Legal Tech künftig weiter punkten.

ChatGPT und der Rechtsmarkt

Wird ChatGPT von OpenAI die Rechtsbranche reformieren?

Im November 2022 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, verzeichnete der Chatbot bereits nach fünf Tagen eine Million, nach zwei Monaten 100 Millionen Nutzer weltweit – ein Rekordergebnis.

Rechtsanwalt Dr. Yannick Bähr von der Kanzlei Noerr in Düsseldorf ordnet ein: „ChatGPT ist aktuell nicht in der Lage, komplexe rechtliche Analysen rechtssicher und verlässlich durchzuführen.“ Die von der künstlichen Intelligenz entworfenen Textbausteine würden sich zwar teilweise wohlklingend anhören, verlässlich seien sie jedoch keineswegs. Zudem könne der Chatbot mögliche künftige Entwicklungen nicht in seine Ergebnisse miteinbeziehen. Bähr: „Künftig könnte der Chatbot durchaus dazu beitragen, Routinearbeiten schneller zu erledigen.“

Übersicht: Einige Beispiele für Legal-Tech-Anwendungen

Gesetze werden komplizierter, die Beschäftigung mit Rechtsfällen kostet Anwaltschaft und Unternehmer mehr Zeit. Legal-Tech hilft dabei, Routine-Arbeiten standardisiert zu erledigen oder mit konkreten Fragestellungen schnell den passenden Fachanwalt zu finden. Hier eine Auswahl:

Legal Tech speziell für Unternehmen

frag-einen-anwalt.de Das Legal-Tech-Unternehmen QNC GmbH in Hannover stellt Usern eine mit 300.000 Spezialfragen und -antworten gefüllte Rechtsdatenbank zur Verfügung, gegen eine Monatsgebühr von 80 Euro können Unternehmer selbst Rechtsfragen in beliebiger Menge stellen. KI sucht bundesweit Anwalts-Spezialisten im jeweils gefragten Fachgebiet, die dann die Antworten formulieren.
smartlaw.de Mit Smartlaw stellt Wolters Kluwer seit 2012 einen Vertragsgenerator zur Verfügung, der eine große Anzahl standardisierbarer Geschäftsvorfälle abdeckt und eine Dokumentenablage und -verwaltung bietet. Die Verträge lassen sich einzeln gegen Gebühr erstellen und abrufen oder zum Preis einer Flatrate von 25 Euro pro Monat (Mindestlaufzeit 3 Monate). Fachanwälte halten die Vertragsbausteine auf dem aktuellen Stand.
lexai.coDas Team der LEX AI GmbH in Hamburg bietet KMU einen täglichen Newsfeed zu rechtlichen Themen zum monatlichen Preis von 9 Euro an, wer
Zusammenfassungen von Gesetzen zubuchen will – etwa zu Arbeitsrecht, Energierecht oder Mietrecht — bezahlt 49 Euro im Monat.

Kanzleien, die Legal-Tech-Lösungen anbieten

whistleport.deDie Plattform der Kanzlei von Rueden in Berlin bietet für eine Monatsgebühr von 69 Euro eine interaktive Meldestelle, die die Vorgaben aus dem Hinweisgeberschutzgesetz berücksichtigt. Nimmt der Unternehmer daneben anwaltliche Betreuung in Anspruch, beträgt der Monatspreis 148 Euro (jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer). Schulungen zur Ausbildung von Compliance-Verantwortlichen lassen sich hinzubuchen.
noerr.com/ccc Die Wirtschaftskanzlei Noerr hat mit dem Contractor Compliance Check eine plattformbasierte digitale Lösung geschaffen, mit der der Fremdpersonaleinsatz rechtssicher geprüft werden kann – zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit oder Schwarzarbeit. Ein intelligenter Dialog mit einfachen Fragen führt den Anwender auch ohne Schulung zu einem klaren Ergebnis. Am Ende erhält der User einen rechtssicheren Vertrag – Dienst- und Werkverträge, Leistungsbeschreibungen bzw. Arbeitnehmerüberlassungsverträge.
etl-rechtsanwaelte.de/ formulare-muster­vertraegeETL Rechtsanwälte bieten Unternehmern Formulare und Vertragsentwürfe bis auf wenige Ausnahmen kostenlos zum Download an, ob Arbeitsvertrag, Bürgschaftsvertrag oder Zeugnis. Die Verträge sind nach Schlagwörtern sortiert, lassen sich per Generator individuell anpassen.