Creditreform-Analyse Insolvenzen: Firmenpleiten auf höchstem Niveau seit 2002

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Im 1. Halbjahr 2023 haben deutlich mehr Unternehmen Insolvenz angemeldet als im Vorjahreszeitraum. "So wurden zwischen Januar und Juni 8.400 Unternehmensinsolvenzen registriert. Das sind 16,2 Prozent mehr als im 1. Halbjahr 2022, als es 7.230 Insolvenzfälle gab. Eine höhere prozentuale Zunahme gab es im Vergleichszeitraum zuletzt 2002", meldet der Verband der Vereine Creditreform e.V. Welche Branchen betroffen sind – und was die Auguren für die nächsten Monate vorhersagen.

Die Zahl der Insolvenzen steigt so sehr wie zuletzt 2002.
Die Zahl der Insolvenzen steigt so sehr wie zuletzt 2002. - © photoschmidt - stock-adobe.com

Schuld an den gestiegenen Insolvenzzahlen sind wohl vor allem die Energiekrise und die Inflation: „Die enormen Kostenbelastungen
durch zu hohe Energie- und Materialpreise zeigen Wirkung. Nach Jahren sinkender Insolvenzzahlen hat sich der Trend gedreht“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Hinzu komme die Zurückhaltung der Verbraucher beim Konsum: „Die Inflation verunsichert Verbraucher und bremst die Kauflaune deutlich“, urteilt Hantzsch.

Tatsächlich würden sich nun auch die Corona-Hilfen des Staates für die Betriebe negativ auswirken. Denn jetzt müssten diese zurückgezahlt werden. Wer in dieser Situation sein Geschäftsmodell noch nicht auf die neue Realität umgestellt haben, leide nun besonders unter den gestiegenen Zinsen, was "in die finanzielle und wirtschaftliche Sackgasse“ führe, so Hantzsch.

Große Zunahme der Insolvenzen bei großen und mittleren Unternehmen

Offenbar sind es derzeit vor allem die mittleren und großen Unternehmen, die pleitegehen. Konkret: Im ersten Halbjahr gingen 67 Prozent mehr Großunternehmen (mehr als 250 Mitarbeiter) in den Konkurs als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Erschreckend hoch ist die Zahl bei den Betrieben mit 51 bis 250 Beschäftigten: Hier nahmen die Insolvenzen um 133,3 Prozent zu.

Diese Zahlen wirken sich auch auf die Anzahl der betroffenen Beschäftigen aus: Creditreform schätzt, dass im ersten Halbjahr 2023 rund 125.000 Mitarbeiter um ihren Job bangen mussten. 2022 waren es Ende Juni rund 68.000.

Insolvenzzahlen zeigen Normalisierung

„Globale Krisen wie die Pandemie oder die Energiepreisinflation haben auf größere Unternehmen direktere und unmittelbarere Auswirkungen“, meint Hantzsch. Deshalb weise der Mittelstand nun mehr Insolvenzfälle als vor Corona auf. Unternehmen, die global agieren seien von den globalen, multiplen Krisen der letzten Jahre besonders betroffen. Laut Creditreform belegen dies die großen Pleiten der vergangenen Monate. So sind Galeria Karstadt Kaufhof, der Mode-Händler Peek & Cloppenburg, der Schuh-Filialist Reno und der Pflegeheimbetreiber Convivo in die Insolvenz gerutscht.

Dennoch meint Hantzsch, dass die Insolvenzzahlen eher eine Normalisierung zeigen. Denn die Staatshilfen sind ausgelaufen, jetzt greifen wieder die Gesetze des Marktes. Von einer Insolvenzwelle mag er nicht sprechen.

© Creditreform Insolvenzbericht

Kleinunternehmen trotzen der Krise

Während noch vor einiger Zeit vor allem Einzelunternehmer und Kleingewerbetreibende in die Insolvenz gingen, sind es nun vor allem GmbHs, die pleitegehen. Ihr Anteil am Insolvenzgeschehen stieg von 37,6 auf 41,8 Prozent. "Auch diese Entwicklung deutet auf ein höheres Fallaufkommen im Bereich mittlerer und größerer Firmen hin", urteilt Creditreform. Einen deutlichen Rückgang des Insolvenzgeschehens gab es bei den Einzelunternehmen: In der ersten Jahreshälfte 2023 lag ihr Anteil an den Gesamtinsolvenzen bei 40,3 Prozent – im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 44,5 Prozent.

Die wichtigsten Branchen in Deutschland sind betroffen

"In allen vier Hauptwirtschaftsbereichen hat sich das Insolvenzaufkommen spürbar erhöht", fasst Creditreform zusammen. So seien im Verarbeitenden Gewerbe 22,6 Prozent mehr Insolvenzen registriert worden als im Vorjahreszeitraum. Im Handel lag der Anstieg bei 18,5 Prozent. Im Dienstleistungssektor lag der Wert um 16,7 Prozent höher. Nur im Baugewerbe war das Plus an Insolvenzen mit neun Prozent geringer als der durchschnittliche Zuwachs.

Konstant hohe Verbraucherinsolvenzen

33.200 Verbraucher mussten in der ersten Jahreshälfte 2023 Insolvenz anmelden. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 33.350 Fälle. „Energiekrise und Teuerung haben noch nicht zu spürbaren Auswirkungen auf die Zahl der Verbraucherinsolvenzen geführt“, sagt Hantzsch. Es sei der robuste Arbeitsmarkt, der hier stützend wirke. Zudem würden die Verbraucherinsolvenzen erst mit Verzögerung auf eine Verschlechterung der Wirtschaftslage reagieren.

Die Analysten rechnen damit, dass sich das Insolvenzgeschehen in der zweiten Jahreshälfte beschleunigen wird. Hantzsch: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen bleiben durch die Inflation und auch durch die Zinswende sehr angespannt. Die Zahl der Zahlungsausfälle könnte sich in den kommenden Monaten sogar noch beschleunigen“. Verantwortlich dafür sei die Schuldentragfähigkeit, die schon unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr gegeben sei. Jede weitere Erhöhung des Zinsniveaus gefährde die Unternehmensstabilität. Zudem werden Erträge und preisbereinigte Umsätze der deutschen Unternehmen 2023 wohl stagnieren, was die Bewältigung steigender Zinslasten schwierig mache.

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