Diskussion "halb voll, halb leer" Das Ende des Eigenheims: notwendig oder überflüssig für den Klimaschutz?

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Während die einen bereits einen Nachruf auf das Eigenheim formulieren, sehen andere für energieeffiziente Einfamilienhäuser (EFH) unverändert viel Potenzial. Dem Argument von Flächenfraß und schlechter CO₂-Bilanz folgend, ist der Neubau von EFH bereits in manchen Städten verboten oder stark eingeschränkt. So etwa in Münster, Wiesbaden, Hamburg-Nord und Ingelheim. Doch auch die Befürworter des Eigenheims können ihre Überzeugung gut begründen. Hier legen Professor Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes und Christian König, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Privaten Bausparkassen ihre Meinungen dar.

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"Kompakter bauen – für mehr Nachhaltigkeit im Gebäudesektor."

„Kompakte Bauten, mehrgeschossig und in höherer Dichte sind klima- und umweltfreundlicher als Ein- und Zweifamilienhäuser“, mahnt Professor Dirk Messner eine Bauwende an.

Für Prof. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, ist das Glas halb voll: Die Bauwende ist der richtige Schritt hin zu einem klimagerechten Gebäudesektor. - © Carl Keyes/ニワトコ - stock.adobe.com/UBA

Der Bausektor hat enorme Auswirkungen auf Klima, Ressourcen, Umwelt und menschliches Wohlbefinden. Ein Drittel der Treibhausgasemissionen in Deutschland entfallen auf Errichtung, Erhalt und Betrieb von Gebäuden. 50 Prozent der Rohstoffgewinnung wird für Baumaterialien benötigt und Bauprodukte sind nach Verpackungen der zweitgrößte Anwendungsbereich für Kunststoffe. Das zeigt: Ohne eine nachhaltige Bauwende wird Klimaschutz nicht gelingen. Zugleich sind die Wohnverhältnisse für Menschen wichtig, wenn es um ihre Lebensqualität geht.

Für viele Menschen in Deutschland steht der Traum vom eigenen Einfamilienhaus im Grünen ganz oben. Das ist nachvollziehbar. Aus ökologischer Sicht muss man aber sagen: Kompakte Bau­formen, mehrgeschossig und in höherer städtebaulicher Dichte sind deutlich klima- und umweltfreundlicher als Ein- und Zweifamilienhäuser. Denn Letztere haben gegenüber kompakteren Gebäuden einen etwa doppelt so hohen Heiz- und Kühlenergiebedarf. Einfamilienhäuser verursachen über ihren Lebenszyklus in der Regel auch mehr Treibhausgase und Ressourcenaufwand pro Quadratmeter als Mehrfamilienhäuser. Das liegt auch an der aufwendigeren Erschließung. Die Faustformel lautet: „Halbe Dichte = doppelter Erschließungsaufwand“. Siedlungen aus Ein- und Zweifamilienhäusern sind zudem weniger gut oder nur mit hohen Zusatzkosten mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erschließen und fördern daher oft die Dominanz des Autos.

Menschen, die über ihre Wohnpräferenzen nachdenken, örtliche Planerinnen und Planer, Stadtparlamente und die Architektenschaft sollten Ressourcen-, Klima- und Ökosystemschutz bei der Neubauplanung systematisch im Blick haben.

Gigantischer Flächenverbrauch

Ein zentrales Thema ist der Flächenverbrauch: Ein- und Zweifamilienhäuser benötigen etwa 700 Quadratmeter pro Wohnung – kompakte Baustrukturen nur etwa 100 Quadratmeter. Wenn wir den zu hohen Flächenverbrauch und damit einhergehende Ökosystem- und Biodiversitätsverluste senken wollen, müssen wir kompakter bauen. Insbesondere im suburbanen Raum, in dem das Einfamilienhaus dominiert. Hier brauchen wir neue Leitbilder für gutes, attraktives Wohnen im Grünen: architektonisch und städtebaulich qualitätsvolle Mehrfamilienhäuser, die den Bedürfnissen nach Ruhe, Erholung und Begegnung gerecht werden.

Auch die Wohnfläche pro Kopf spielt eine wichtige Rolle. Sie ist in den vergangenen Jahrzehnten von 23 Quadratmeter auf im Schnitt 47 Quadratmeter gestiegen. Energieeffizienzgewinne, z. B. durch Dämmung und moderne Fenster, wurden dadurch vielfach konterkariert. Viele ältere Menschen wohnen nach dem Auszug der Kinder oft zu zweit oder allein. In den dann (zu) großen Einfamilienhäusern stehen Kinderzimmer leer, müssen trotzdem beheizt werden – das verursacht unnötige Kosten und Emissionen. Besser wäre es, diese Einfamilienhäuser in einen freiwilligen Kreislauf zu geben. Dafür braucht es Anreize, Sensibilität und vor allem bezahlbare Tauschangebote.

Vita: Prof. Dirk Messner

Prof. Dirk Messner ist Präsident des Umweltbundesamtes und seit 2006 außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er lehrte zudem an der Freien Universität Berlin und an der LMU München.

"Ein Ende des Eigenheims kann es nicht geben."

„Drei von vier jungen Leuten träumen vom Eigenheim im Grünen. Sie haben ein Recht darauf“, findet Christian König vom Verband der privaten Bausparkassen. Er findet: Die Diskussion ist entsachlicht und ideologisiert: Neubauten sind energieeffizient - auch im EFH. Das Argument stimme also einfach nicht. Und was den Flächenfraß betrifft: Der Preis bestimmt, wie viel Fläche verbraucht wird. Und die Preise sind bereits so hoch, dass bei der Fläche gespart wird.

Für Christian König, Hauptgeschäftsführer des Verbands der privaten Bausparkassen, ist das Glas halb leer, was ein Bauverbot für Eigenheime angeht.
Christian König, Verband der privaten Bausparkassen, findet, junge Leute haben ein Recht auf ein Eigenheim - © Carl Keyes/ニワトコ - stock.adobe.com/VdpB

"Weg mit dem Einfamilienhaus!“ Fast ist man geneigt, diese Debatte schnell abzutun. Menschen, die in einer Großstadtblase leben, wollen anderen vorschreiben, wie sie zu wohnen haben. Wen muss das kümmern?

Uns alle. Weil die Debatte Ausdruck einer Ideologie ist, die unserer Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken will. Als es 2021 hieß, im Hamburger Norden dürften keine Einfamilienhäuser mehr entstehen, war von einem bundesweiten Verbot als Ziel zu lesen. 2022 gab es einen medialen Nachschlag: Im Deutschlandfunk Kultur war die Rede vom Häusle, das zum „lustvoll ausgemalten Spießerhorror-Symbol“ geworden sei, eine „Heimstatt der kaputten heteronormativen Kernfamilie.“ Anfang 2023 hieß es zum wiederholten Mal aus Regierungskreisen: Einfamilienhäuser seien „Lebensabschnittsgebäude – passend gebaut für Familien mit Kindern, eine zu große Last nach deren Auszug“. Und: Niemand wolle sie verbieten.

Wollte man es doch, könnten sich drei von vier jungen Menschen im Alter von 14 bis 19, die mit 30 im Einfamilienhaus leben wollen, ihren Traum abschminken. Rund 850.000 Einfamilienhäuser sind in den letzten zehn Jahren entstanden. Die Familien, die dort eingezogen sind, haben meist größere Mietwohnungen frei gemacht. Im gleichen Zeitraum wurden weniger als 700.000 Mietwohnungen in neuen Mehrfamilienhäusern gebaut.

Das Einfamilienhaus sei nicht energieeffizient, lautet ein Vorwurf. Ein neu Gebautes ist es. Dafür sorgen strenge energetische Standards. Und die Eigentümer haben selbst ein hohes Interesse, Energiekosten zu sparen. Schon 2021 befand sich in fast 55 Prozent der neu gebauten Einfamilienhäuser eine Wärmepumpe. Bei Mehrfamilienhäusern waren es 30 Prozent. Der Anteil der neuen Ein­familienhäuser, die mit Gas beheizt werden, sank im ersten Halbjahr 2022 auf 15 Prozent. Drei Jahre zuvor waren es noch fast 40 Prozent.

Der Preis regelt den Flächenfrass

Was den Vorwurf des Flächenfraßes betrifft: Ja, ein Einfamilienhaus braucht mehr Fläche. Explodierende Immobilienpreise sorgen aber bereits für reduzierte Ansprüche. Und wenn es neuer Flächen bedarf: Was spricht dagegen, an anderer Stelle bebaute Flächen zu entsiegeln und zu renaturieren?

Natürlich muss nicht immer auf der grünen Wiese gebaut werden. Programme wie „Jung kauft Alt“ sollten Schule machen, um alte Stadtkerne lebenswert zu halten. Und in Ballungsräumen sind flächensparende Baugemeinschaften eine willkommene Ergänzung zur klassischen Wohnform im Eigentum. Die Wohneigentumsbildung findet inzwischen ohnehin zu über 60 Prozent durch den Erwerb von Gebrauchtimmobilien statt. Hier wird nichts neu versiegelt.

Wenn Architekten und Bauherren dann noch das „Lebensabschnittsge­bäude“ von vornherein so bauen, dass Wohnraum später leicht abgetrennt und vermietet werden kann, warum sollte das Einfamilienhaus dann das Schicksal des Verbrennermotors teilen?

Vita: Christian König

Christian König ist Jurist, Hauptgeschäftsführer des Verbands der privaten Bausparkassen in Berlin und Direktor der Europäischen Bausparkassenvereinigung in Brüssel. Der 49-Jährige hat in Straßburg, Bonn und Stockholm studiert.