Wichtige Urteile für Betriebe Corona-Urteile: Mehr Rechtssicherheit bei Schutzmaßnahmen und Überbrückungshilfen

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Womöglich steht uns ein neuer Corona-Herbst bevor: Umso besser, wenn Unternehmer die aktuelle Corona-Rechtsprechung kennen, um arbeitsrechtlich gewappnet zu sein. Auch zum Thema Betriebsschließungen und Corona-Hilfen urteilten die Richter. Ein Überblick.

Chefs und Arbeitnehmer müssen die Arbeitsschutzverordnung einhalten. In Zweifelsfragen geben aktuelle Urteile Anhaltspunkte.
Chefs und Arbeitnehmer müssen die Arbeitsschutzverordnung einhalten. In Zweifelsfragen geben aktuelle Urteile Anhaltspunkte. - © Sonja Birkelbach - stock.adobe.com

Nicht jedem Betrieb ist außerordentliche Wirtschaftsbeihilfe zu gewähren

Ein Unternehmen hat keinen Anspruch auf „Dezemberhilfe“, auch wenn es wegen des Corona-Lockdowns ab Mitte Dezember 2020 schließen musste. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin (Aktenzeichen VG 26 K 129/21) entschieden und damit die Klage einer Schuhkette abgewiesen.

Ab November 2020 mussten Freizeiteinrichtungen und Dienstleister wie Theater, Kinos, Fitness- und Kosmetikstudios schließen. Diese Unternehmen konnten für November und Dezember 2020 eine außerordentliche Wirtschaftsbeihilfe beantragen, die bis zu 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresmonat betrug.

Im Einzelhandel durften Geschäfte zunächst geöffnet bleiben. Am 16. Dezember 2020 musste dann nahezu der gesamte Einzelhandel schließen, ebenso Friseurbetriebe. Diese Unternehmen konnten Überbrückungshilfe III beantragen. Die deckt jedoch nur die betrieblichen Fixkosten wie die Miete ab, nicht aber Umsatzeinbußen.

Der Schuhhändler sah sich in seinem Anspruch auf Gleichbehandlung verletzt und wollte die Dezemberhilfe einklagen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Begründung: Die Erbringung von Dienstleistungen unterscheide sich grundlegend vom Verkauf von Waren. Während Besuche im Kosmetikstudio, Theater oder Restaurant nicht alle nachgeholt würden, lasse sich der Einkauf von Waren aufschieben oder online erledigen.

Außerdem waren Unternehmen und Dienstleister, die bereits im November 2020 schließen mussten, sechs Wochen länger zu als der Einzelhandel. Nicht jedem Unternehmen, das schließen musste, sei daher eine außerordentliche Wirtschaftsbeihilfe zu gewähren, so die Richter. Gegen das Urteil können Rechtsmittel eingelegt werden.

Corona-Schliessungen: Staat nicht nicht in der Haftung

Der Bundesgerichtshof entschied, dass Unternehmer keine Entschädigungs- und Schadenersatzansprüche für coronabedingte Betriebsschließungen im Frühjahr 2020 geltend machen können. In dem Fall hatte der Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs gefordert, ihm und anderen Unternehmern die Umsatz- und Gewinneinbußen zu ersetzen. Bereits die Vorinstanzen hatten die Zahlung von 27.017,28 Euro für Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie Prozesszinsen und Ersatz weiterer entstandener Schäden abgewiesen. Die Richter argumentierten unter anderem, Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche seien keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr fordere das Sozialstaatsprinzip, dass der Staat Lasten mittrage, die zufällig einen bestimmten Personenkreis besonders treffen. Dieser Verpflichtung sei der Staat durch Corona-Hilfen nachgekommen. Auch das klagende Unternehmen hatte Unterstützungsleistungen erhalten.

Kein Erschwerniszuschlag für Tragen einer OP-Maske

Mitarbeiter haben keinen Anspruch auf einen Erschwerniszuschlag, weil sie wegen Corona beim Arbeiten eine medizinische Maske, auch OP-Maske genannt, tragen müssen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Aktenzeichen 10 AZR 41/22) entschieden.

Der Kläger arbeitet als Reinigungskraft. „Der Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31. Oktober 2019 (RTV) ist für allgemeinverbindlich erklärt worden, sodass dessen Regelungen für das Arbeitsverhältnis gelten“, erläutert Ecovis-Rechtsanwalt Gunnar Roloff, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Rostock.

Der Arbeitgeber des Klägers forderte von seinen Mitarbeitern, sie sollten laut Corona-Schutzmaßnahmen bei der Arbeit eine medizinische Gesichtsmaske tragen. Der Gebäudereiniger verlangte dafür einen tariflichen Erschwerniszuschlag auf Grundlage des Tarifvertrages von 10 Prozent seines Stundenlohns. Begründung: Das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske bei der Arbeit sei eine Erschwernis, die durch den Erschwerniszuschlag abgegolten werden müsse. Die Maske sei als Teil der persönlichen Schutzausrüstung anzusehen, weil sie auch die Gefahr der eigenen Ansteckung verringere.

Das BAG sieht das anders: Eine medizinische Gesichtsmaske sei keine Atemschutzmaske im Sinne des Tarifvertrags, so die Begründung. Unter den Begriff der Atemschutzmaske würden nur Masken fallen, die vorrangig dem Eigenschutz dienen und zu den persönlichen Schutzausrüstungen gehören. Das trifft auf medizinische Gesichtsmasken nicht zu. Diese bezwecken einen Fremd-, aber keinen Eigenschutz, der den Anforderungen an eine persönliche Schutzausrüstung im Sinne der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften genügt.

„Mit der Entscheidung und Begründung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitgeber jetzt Forderungen ihrer Belegschaft nach einer zusätzlichen Vergütung wegen behaupteter Belastungen durch das Tragen von medizinischen Gesichtsmasken zurückweisen“, so Roloff.

Arbeitgeber dürfen Corona-Tests im Betrieb anordnen

Dieses Grundsatz-Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) sorgt für mehr Sicherheit bei Arbeitgebern: Sie können gegenüber ihren Mitarbeitern Corona-Tests anordnen, um die Infektionsgefahr im Betrieb zu senken (Urteil vom 1. Juni 2022 – Aktenzeichen 5 AZR 28/22). Die Testpflicht muss allerdings verhältnismäßig sein und die Interessen sowohl der Arbeitnehmer als auch des Arbeitgebers berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall hatte eine Orchestermusikerin aus München geklagt, weil ihrer Meinung nach die regelmäßigen PCR-Tests, die das Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper vorsahen, unzulässig waren. Die inzwischen gekündigte Musikerin hatte die einseitig vorgeschriebenen Tests verweigert, weil sie unter anderem einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit fürchtete. Sie wurde deshalb von Proben und Aufführungen ausgeschlossen und bekam einige Monate kein Gehalt. Das Vorgehen des Arbeitgebers war nach Auffassung des BAG rechtmäßig.

Täuschung über Impfstatus rechtfertigt fristlose Kündigung

Täuscht ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber über seinen Impfstatus, indem er einen falschen Impfnachweis vorlegt, kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein, urteilte das Arbeitsgericht Siegburg (Aktenzeichen 3 Ca 2171/21).

Der Kläger war in dem Betrieb seit 2006 als Monteur beschäftigt. Im November 2021, als die 3G-Regel am Arbeitsplatz galt, legte er negative Tests vor, da er nach eigenen Angaben nicht geimpft sei. Nach einer Erkrankung Anfang Dezember zeigte er plötzlich einen Barcode zum Nachweis einer Impfung vor. Aus diesem ergab sich, dass er bereits im Juli 2021 zum zweiten Mal geimpft worden sei. Eine Erklärung für sein Verhalten hatte er nicht. Der Betrieb kündigte ihm daraufhin wegen Vorlage eines gefälschten Impfnachweises fristlos.

Mit Recht, wie das Arbeitsgericht Siegburg feststellte. Der Monteur habe über seinen Impfstatus getäuscht und damit erheblich gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers verstoßen und dessen Vertrauen in seine Redlichkeit zerstört.

Das Gericht ging davon aus, dass der Kläger tatsächlich nicht geimpft sei. Er hätte sagen müssen, wann er sich wo habe impfen lassen. Stattdessen habe er keine Angaben dazu machen wollen. Dabei wäre ihm dies anhand der Daten in seinem Impfpass ohne weiteres möglich gewesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln kann eingelegt werden.

Corona: Gehalt trotz Urlaub in Risikogebiet

Wer seinen Urlaub in einem als Corona-Hochrisikogebiet ausgewiesenen Land verbringt und danach an Corona erkrankt, hat seine Erkrankung nicht selbst zu verschulden. Dies gilt aber nur, wenn die Inzidenz im Urlaubszeitraum am Wohn- und Arbeitsort höher liegt. Das hat das Arbeitsgericht Kiel entschieden. (Aktenzeichen 5 Ca 229 f/22)

Die dreifach geimpfte Mitarbeiterin war im Januar/Februar 2022 in die Dominikanische Republik gereist. Diese war zuvor vom Robert-Koch-Institut als Hochrisikogebiet ausgewiesen worden. Am Abflugtag lag dort die Inzidenz bei 377,7 in Deutschland bei 878,9.

Nach ihrer Rückkehr wird die Mitarbeiterin positiv auf Corona getestet. Ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erkennt ihre Arbeitgeberin aber nicht an und leistet keine Entgeltfortzahlung. Die Mitarbeiterin sei mangels Symptomen nicht arbeitsunfähig gewesen und habe die Erkrankung durch ihren Reiseantritt schuldhaft herbeigeführt. Daraufhin verklagt die Mitarbeiterin die Firma auf Entgeltfortzahlung.

Die Richter gaben ihr Recht: Ein Arbeitnehmer sei auch dann arbeitsunfähig, wenn er symptomlos Corona-positiv getestet ist und nicht im Homeoffice tätig sein könne. Die angeordnete Quarantäne schließt den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht aus.

Nach Auffassung der Richter habe die Mitarbeiterin ihre Arbeitsunfähigkeit auch nicht verschuldet. Liegt die Inzidenz im Urlaubsgebiet nicht deutlich über denen am Wohn- und Arbeitsort, führe das zu keiner selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls wurde Berufung zugelassen.

Kein Schmerzensgeld vom Chef nach Corona-Infektion

Infiziert sich eine Krankenschwester mit Corona, hat sie gegen ihren Arbeitgeber keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, wenn sie nicht nachweisen kann, dass der Arbeitgeber die Schuld an der Erkrankung trägt. Das hat das Ar­beits­ge­richt Sieg­burg ent­schie­den (Aktenzeichen 3 Ca 1848/21).

Die Krankenschwester arbeitete in einem Pflegeheim. Dort betreute sie Im März 2020 die Essensausgabe und half Bewohnern beim Essen. Dabei erhielt sie keine Atemschutzmaske vom Arbeitgeber. Anfang April 2020 erkrankte sie schwer an Corona. Auch zwölf Bewohner des Pflegeheims infizierten sich mit dem Virus. Die Krankenschwester verlangt vor Gericht den Ersatz von Behandlungskosten, Verdienstausfall und Schmerzensgeld von ihrem Arbeitgeber.

Das Arbeitsgericht Siegburg wies ihre Klage ab. Die Krankenschwester habe nicht hinreichend darlegen können, dass eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers die Ursache für ihre Erkrankung sei. Es habe nicht mit Sicherheit festgestellt werden können, dass sie sich am Arbeitsplatz angesteckt habe, so das Gericht. Unklar sei, bei wem sie sich in welcher Situation angesteckt habe.

Auch wenn aus einem ärztlichen Attest der Klägerin hervorging, dass sie sich am Arbeitsplatz angesteckt haben soll, war für die Richter nicht nachvollziehbar, wie die Ärztin zu dieser Feststellung gekommen sei, da sie die Krankenschwester wohl kaum im fraglichen Zeitraum rund um die Uhr begleitet habe und diese sich auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes angesteckt haben könnte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln ist möglich. 

Chef verletzt Fürsorgepflicht

Das Landesarbeitsgericht München (Aktenzeichen 4 Sa 457/21) zwang einen Geschäftsführer zum Schadenersatz gegenüber einer Arbeitnehmerin. Er hatte Erkältungssymptome und fuhr dennoch ohne Maske bis zu 30 Minuten mit ihr im Auto zu Terminen. Gegenüber den besuchten Geschäftspartnern ging er aber sehr wohl auf Abstand, um sie nicht anzustecken.

Einige Tage später wurde er positiv getestet. Also schickte das Gesundheitsamt nach den geltenden Regeln seine Mitarbeiterin als Kontaktperson in Quarantäne. Die wiederum musste aus diesem Grund ihre Hochzeit verschieben, die mit fast 100 Gästen schon vollständig vorbereitet war.

Die Richter urteilten: Der Chef muss für die entfallene Hochzeit mehrere Tausend Euro Schadenersatz leisten. In den Augen der Richter verletzte der Unternehmer die geltende SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel und damit seine Fürsorgepflicht.

Stichwort Quarantäne: Es liegen differierende Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten vor, ob diese Zeit auf den Jahresurlaub angerechnet werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat nach einem Urteil des Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein (Aktenzeichen 1 Sa 208/21) nun das letzte Wort.