Versicherungsbetrug Versicherungen: Meldung an Betrugsabwehrdatei HIS führt zu gefährlichen Nebenwirkungen für das Handwerk

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Um geschätzte fünf Milliarden Euro werden Versicherer jährlich betrogen. Allein zwei Milliarden Euro sind es im Bereich Kfz. Die Assekuranz wehrt sich per Meldung an die Betrugsabwehrdatei HIS. Sie wird für alle Versicherungsarten genutzt und hat böse Nebenwirkungen für Versicherte – vor allem aus dem Handwerk.

Wer beim Betrug erwischt wird, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Die Assekuranzen fahren eine Null-Toleranz-Strategie.
Wer beim Betrug erwischt wird, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Die Assekuranzen fahren eine Null-Toleranz-Strategie. - © Andrey Popov - stock.adobe.com

Wer in Rheinland-Pfalz rund um Landau in den letzten Jahren einen Autounfall hatte, könnte Opfer eines „Autobumsers“ geworden sein – so nennt die Assekuranz Menschen, die einen Autounfall provozieren, um Versicherungsleistungen zu bekommen. Seit März 2023 muss sich ein Mann vor dem dortigen Landgericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, mindestens 53 Autounfälle absichtlich verursacht zu haben. Seine Masche: auf einer zweispurigen Straße im „toten Winkel“ fahren und Gas geben, wenn nichtsahnende Autofahrer die Spur wechseln. Den entstehenden Schaden durch den Zusammenstoß bezahlt die Assekuranz des eigentlichen Unfallopfers. Der Betrüger kassiert die gutachterlich geschätzte Schadensumme, repariert sein Auto notdürftig selbst und provoziert bald den nächsten Unfall. Der geschädigte, angebliche Unfallverursacher verliert einen Teil seines Schadenfreiheitsrabatts und zahlt künftig höhere Prämien.

Nun ist der Mann wegen gewerbsmäßigen Betrugs und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angeklagt. Bei einer Verurteilung könnten die betrogenen Versicherungen Schadenersatz verlangen. Auf jeden Fall würden sie ihren Kunden die gezahlte Mehrprämie erstatten.

Jeder zehnte Autounfall „gefakt“

Jeder zehnte Unfall und ein Schaden von rund zwei Milliarden Euro könnten auf das Konto von „Autobumsern“ gehen, schätzt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Laut Axa Versicherung ist aber die Dunkelziffer hoch. Die Beweislage für die Opfer ist oft schwierig. Denn in den meisten Fällen erfolgt eine Regulierung nach dem Grundsatz des „Beweises des ersten Anscheins“. Da der Unfallprovokateur versucht, eine klare Verkehrsregelung zu nutzen, die durch das Opfer vermeintlich missachtet wurde, ist die Aufklärung schwierig. Hinz kommt, dass die Opfer oft von eigenem Fehlverhalten ausgehen und die Provokation nicht bemerken, sodass Versicherungen keine Hinweise auf Betrug erhalten.

„Sollte Ihnen der Unfall verdächtig vorkommen, rufen Sie die Polizei und fotografieren Sie die Situation. Anschließend informieren Sie Ihre Versicherung über den Schaden und Ihren Verdacht“, rät Frank Folkert, Leiter Kfz-Schaden bei der WGV Versicherung. „Wir prüfen Ungereimtheiten und erstellen unfallanalytische Gutachten, um so einen potenziellen Betrug aufzudecken“, erklärt er.

Eine erfolgreiche Betrugsabwehr ist aber auch durch das Auslesen von Fahrzeugdaten möglich. Darauf weist Michael Nagel, Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht aus Essen, hin. „Bei Fahrzeugen ab dem Baujahr 2018 wird meist ein Event-Data-Recorder (EDR) vorhanden sein“. Damit würden entscheidende Fahr-, Lenk- und Bremsbewegungen fünf Sekunden vor dem Crash gespeichert. Schon 2016 hatte das Landgericht Bochum mittels der EDR-Daten einen Betrüger entlarvt: Der Fahrer eines Mietwagens hatte bei schlechtem Wetter einen Kontrollverlust behauptet und fuhr so in einen geparkten Pkw. Die Auswertung der EDR-Daten ergab, dass der Wagen aus dem Stand zielgerichtet beschleunigt wurde (LG Bochum 1-5 O 291/15). Bei verabredeten Unfällen sollen oft selbst verursachte Vorschäden vertuscht werden.

Trickkiste: Wie Sie die Maschen der Betrüger erkennen

Bei Autounfällen sind die Tricks der „Autobumser“ meist gleich. Oft handelt es sich um Banden, deren Mitglieder mal als Verursacher, Geschädigter oder auch als Zeuge auftreten und die Assekuranz schädigen.

Typische Tricks der „Autobumser“
  1. Die Täter nutzen ihnen bekannte Besonderheiten der Verkehrsführung aus (z.B. Fahrbahnverengungen oder Kreisel) und erzwingen beim Spurwechsel einen Streifschaden.
  2. Die Täter provozieren einen Auffahrunfall, indem sie bei einer Ampel, die von Gelb auf Rot schaltet, im letzten Moment abrupt bremsen.
  3. Die Täter warten an einer Kreuzung mit Rechts-vor-links-Regelung gezielt auf ein Fahrzeug, das von links kommt, um dann im letzten ­Moment noch in die Kreuzung einzufahren.
Checkliste – provozierter Unfall

Hier sollten Sie misstrauisch werden!

  • Der Unfallbeteiligte zeigt routiniertes Auftreten und Vorgehen.
  • Zeugen schalten sich ein und üben zusätzlich Druck aus.
  • Es gibt Hinweise auf Vorschäden am Fahrzeug.
  • Es gibt Anhaltspunkte für ein zielgerichtetes Handeln des Unfallgegners, wie Fahrtrichtung- oder Spurwechsel vor dem Crash; Geschwindigkeit erhöht, Handzeichen gegeben, aber nachher bestritten.

Die Antibetrugsdatei HIS

Täter können auch über die Antibetrugsdatei HIS, dem Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft, entdeckt werden. Denn jeder Versicherer meldet Fahrzeugschäden, die auf Gutachterbasis fiktiv abgerechnet werden, ab einer gewissen Schadenhöhe ins HIS. Und auch Personen, die an einem Schadenfall beteiligt sind, können wegen Auffälligkeiten beim Schadenhergang, -bild oder -umfang in der HIS-Datei landen. Damit will die Assekuranz Banden entlarven. Denn die Mitglieder der Autobumser-Banden treten in wechselnden Rollen auf. Mal sind sie Versicherungsnehmer, mal Fahrer, Anspruchsteller oder auch nur Zeuge. Zudem werden Daten zum Fahrzeug gespeichert.

HIS – eine Gefahr für Handwerker

Die HIS-Meldungen sind gefährlich fürs Handwerk. Denn wer die Schäden in seinem Fuhrpark selbst instandsetzt, gerät schnell in den Fokus der Betrugsabwehrspezialisten der Versicherer. Die Folge: ungerechtfertigter Verdacht und die Verweigerung des Abschlusses von Policen. Doch die Gefahr lauert noch an anderer Stelle. Denn die Assekuranz meldet dem HIS nicht nur auffällige Kfz-Unfälle, sondern beispielsweise auch Brände unsicherer Ursache, abgelehnte Versicherungsanträge aus anderen Sparten oder erhöhte Prämien aufgrund von Risikofaktoren bei einem Antragsteller – und dazu gehören viele Berufe im Handwerk.

Das wirkt sich insbesondere im Gesundheitsschutz nachteilig aus, wie Versicherungsmakler Matthias Helberg aus Osnabrück belegt: Gleich in mehreren Fällen konnte er für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) nachweisen, dass Daten im HIS nicht vorschriftgemäß gelöscht wurden. Die informa HIS GmbH hat gegenüber dem Makler die rechtswidrige Datenspeicherung bestätigt – und dies als Versehen bezeichnet.

Antibetrugsdatei HIS – Absicherung für die Assekuranz

Die Versicherungsbranche arbeitet eng zusammen, wenn es darum geht, Betrug aufzudecken. Jeder Versicherer meldet Verdachts- und Risikofälle an das HIS. Und im Leistungsfall sowie bei Neuabschlüssen holen sich die Versicherer Daten aus der Datei.

Wer öfter einen Versicherungsschaden meldet, landet auf der „schwarzen Liste“ der Assekuranzen. Das Hinweis- und Informationssystem (HIS), wird von der informa HIS GmbH im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) betrieben. Atypische Schadenhäufigkeiten, besondere Schäden, erschwerte Risiken, wie gefährlicher Beruf oder Vorerkrankung, Auffälligkeiten im Schadenfall führen zu einer HIS-Meldung. In der Kfz-Versicherung ist ab drei und mehr Versicherungsfällen innerhalb von 24 Kalendermonaten eine Meldung möglich. Oder auch, wenn ein Schaden auf Basis eines Gutachtens oder Kostenvoranschlags (fiktive Abrechnung) abgerechnet wird. Damit wollen die Versicherer gegen Versicherungsbetrug vorgehen.

Die Versicherer informieren betroffene Personen direkt, sobald sie diese an das HIS gemeldet haben. Soweit sich eine Meldung als unrichtig erweist, hat der Betroffene einen Anspruch auf Berichtigung oder Löschung. Zudem hat jeder das Recht zu erfahren, ob und mit welchen Daten er im HIS gespeichert ist. Anfragen müssen auf dem Postweg eingereicht werden an:

informaHIS GmbH
Abteilung Datenschutz
Kreuzberger Ring 68
65205 Wiesbaden

Zur Identifizierung müssen Betroffene die folgenden Angaben übermitteln:

  • Vorname, Nachname
  • ggf. Geburtsname
  • Geburtsdatum
  • aktuelle Anschrift
  • Voranschriften der letzten fünf Jahre.

Wer prüfen möchte, ob Informationen zu einem Kfz gespeichert sind, muss die Fahrzeugidentifikationsnummer, das Kfz-Kennzeichen, das Erstzulassungsdatum, den Hersteller und den Typ nennen. Er muss zudem nachweisen, dass er der Halter, der Versicherungsnehmer oder Eigentümer des Fahrzeuges ist. Für Auskünfte zu Immobilien muss die Eigentümer- oder Versicherungsnehmerstellung mittels einer Kopie des Grundbuchauszuges oder des Versicherungsscheins nachgewiesen werden.

Die Speicherfrist der Daten beträgt vier Kalenderjahre. Sie beginnt mit dem Kalenderjahr, das der erstmaligen Speicherung folgt, kann also bis zu vier Jahre und 364 Tage dauern. Die Speicherfrist verlängert sich in den Fällen einer erneuten Meldung vor Ablauf dieser Speicherfrist. Die Höchstspeicherdauer beträgt zehn Jahre.

Bei Einträgen in der Sparte Lebensversicherung gilt: Bei zustande gekommenen Verträgen beträgt die Speicherfrist im „Antragspool“ vier Jahre plus laufendes Kalenderjahr und im „Leistungspool“ zehn Jahre. Bei nicht zustande gekommenen Verträgen beträgt die Speicherfrist drei Jahre plus laufendes Kalenderjahr.

© handwerk magazin

HIS verteuert Gesundheitsschutz

Die Löschung ist wichtig. Denn bei Neuanträgen stellt die Assekuranz oft eine Anfrage an das HIS, um zu erkennen, ob bereits eine besondere Tarifeinstufung vorliegt. „Dieser Abgleich verhindert, dass relevante Risikofaktoren nicht berücksichtigt werden, weil der Antragsteller den Hinweis auf risikorelevante Umstände vergessen oder bewusst unterlassen hat“, informiert der GDV.

Anhand eines Praxisfalls erläutert Makler Helberg die Bedeutung dieser HIS-Meldung: „Stellen Sie sich vor, ein Handwerker stellt einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsschutz. Bei vereinfachter Gesundheitsprüfung fragt der Versicherer nach ärztlichen Diagnosen aus den letzten drei Jahren. Nun hat dieser Handwerker aber vor vier Jahren eine Psychotherapie gemacht und wollte schon damals einen BU-Schutz. Dieser Antrag wurde abgelehnt – und an das HIS gemeldet. Der neue Versicherer erfährt durch den HIS-Eintrag von dem abgelehnten Antrag und fragt beim Handwerker nach. Dieser muss nun die alte Geschichte erklären – und erhält mit höherer Wahrscheinlichkeit den Ausschluss von psychischen Erkrankungen in seiner BU und eine nachteilige Prämie.“

Tipp von Matthias Helberg: „Wir Versicherungsmakler können eine sogenannte anonymisierte Risikovoranfrage bei mehreren Versicherern starten. So können wir erkennen, wie die verschiedenen Anbieter das Berufsrisiko oder Vorerkrankungen bewerten und zu welchen Konditionen sie einen BU-Schutz bieten, ohne dass diese Anfrage im HIS landet.“

Wer betrügt eigentlich wen?

Selbst wenn der Gesundheitsschutz des Handwerkers glücklich unter Dach und Fach ist, können fehlerhafte medizinische Daten zu einer gefährlichen Falle werden. Darauf weist Versicherungs­makler Sven Hennig aus Bergen auf ­Rügen hin. Seine Erfahrung: „Ärzte bescheinigen schnell eine psychosomatische Erkrankung, obwohl der Versicherte wegen einer Kleinigkeit beim Arzt war“, warnt der Makler. Als 2016 der damalige und heutige Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, quasi als „kleine Selbstanzeige“ öffentlich machte, dass Kassenärzte in Absprache mit der Assekuranz schärfere Diagnosen stellen, damit die Versicherer mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleichsfonds kassieren, gab es einen Aufschrei der Empörung von Verbraucherschützern und Patientenbeauftragten. Ob sich an der Diagnosepraxis allerdings etwas geändert hat, lässt sich nicht belegen.

Der in der Zwischenzeit scheinbar in Vergessenheit geratene Betrug durch die Ärzte und Krankenkassen ist für Privatversicherte nachteilig. Und zwar sowohl im Schadenfall als auch bei der Antragstellung. Betroffen sind alle Sparten, bei denen die Privaten Versicherer Gesundheitsfragen stellen: Berufsunfähigkeits-, Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung. Planen Handwerker den Abschluss einer solchen Police, werden sie möglicherweise unberechtigt abgelehnt oder müssen einen zu hohen Risikozuschlag zahlen, weil sie in der ärztlichen Dokumentation kränker sind, als es den Tatsachen entspricht. Auch im Schadenfall können solche Fehleintragungen dramatische Folgen haben. So müssen die Versicherten damit rechnen, wegen vorvertraglicher Antragsverletzung ihren Schutz zu verlieren, weil sie eine „schwere Krankheit“ – von der sie ja gar nichts wussten, verschwiegen haben.

Tipp: Prüfen Sie beim Antrag Ihre Krankheitshistorie ganz genau. Ärzte und Krankenkassen sind zur Auskunft verpflichtet.

Mehr Betrug – auch digital

Ob es aktuell mehr Versicherungsbetrug gibt, wird in der Branche unterschiedlich beurteilt. Deutschlands größte Versicherung, die Allianz, verzeichnet in den letzten Jahren hier eine deutliche Steigerung. „Unsere Betrugsabwehr hat 2021 gegenüber dem Vorjahr rund 20 Prozent mehr Betrugsversuche aufgedeckt“, so Allianz- Schadenvorstand Jochen Haug. Schon 2020 hatte der Versicherer einen Anstieg bei diesen Delikten um rund zehn Prozent ermittelt. Der Trend zu mehr Betrug setzt sich laut Allianz weiter fort. Betroffen seien sowohl der private als auch der gewerbliche Versicherungsbereich. Leicht rückläufig, aber dennoch auf Platz eins, sind Betrügereien bei der Autoversicherung (45 Prozent aller Betrugsfälle gegenüber 50 Prozent im Vorjahr), dicht gefolgt von der Sachversicherung mit 40 Prozent (Vorjahr: 30 Prozent) und der Haftpflicht mit 15 Prozent (Vorjahr: 20 Prozent).

Demgegenüber kann der GDV marktweit „keinen Anstieg der dubiosen Schadenfälle“ feststellen. Auch die Zurich Versicherung sieht keine Auffälligkeiten in den Zahlen.

Besorgt äußert sich hingegen der Chef des Onlineversicherers Neodigital. Er warnt vor mehr Betrug, etwa durch Künstliche Intelligenz (KI): „Die neuen Möglichkeiten rund um ChatGPT ­werden auch dazu führen, dass Betrugsfälle ­zunehmen“, so Stephen Voss. So könnten beispielsweise mit dem Chatbot Texte erstellt werden, die denen menschlicher Autoren ähneln.

Branchenschätzungen zufolge entsteht den Versicherern in der Schaden- und Unfallversicherung durch Versicherungsbetrug ein Schaden von rund fünf Milliarden Euro im Jahr. „Durch vermehrte Nutzung digitaler Mittel gehen wir davon aus, dass bis 2030 jeder fünfte Versicherungsbetrug virtuell stattfinden wird“, schätzt Allianz-Mann Haug. Wie das geht? Durch den Einsatz von Bildbearbeitungsprogrammen oder von digitalem Identitätsmissbrauch kann ein Schaden konstruiert werden, der in der Realität nie so entstanden ist.

Betrügern keine Chance geben

Wer beim Betrug erwischt wird, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Die Assekuranzen fahren eine Null-Toleranz-Strategie. Und sie haben mit spezieller Software, Data Analytics sowie KI sich ihrerseits so aufgestellt, dass sie mehr Täter entlarven können. Inzwischen sind allein für die Allianz rund 150 Betrugsabwehrspezialisten tätig. „Versicherungsbetrüger suchen fortlaufend nach neuen Wegen für ihr kriminelles Vorgehen. Um dieser Herausforderung erfolgreich begegnen zu können, muss die Assekuranz in verstärktem Maße Datenbestände auswerten“, erläutert Daniel Kums vom ­Beratungsunternehmen Experian. Durch die steigenden Datenmengen seien manuelle Prozesse hierfür nicht mehr geeignet. „Vielmehr brauchen die Versicherer eine automatisierte, schnelle und reaktionsstarke Lösung, um sich erfolgreich gegen Betrugsversuche zu schützen“, so der Berater.

Laut GDV setzt weit mehr als die Hälfte der deutschen Versicherer bereits KI-Algorithmen gegen Betrüger ein. „Der größte Pluspunkt der neuen digitalen Helfer ist die Möglichkeit, nahezu alle Schadenfälle direkt bei ihrer Meldung auf atypische Faktoren untersuchen zu können“, erläutert Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin. Auf Betrüger und Gelegenheitsschummler soll der KI-Einsatz abschreckend wirken: „Wenn der Betrüger weiß, dass jeder Schadenfall gecheckt wird, steigt für ihn das Entdeckungsrisiko und er überlegt zweimal, das Risiko einzugehen“, hofft sie. Die immer stärkere automatische Analyse könnte auch der Grund dafür sein, dass manche Versicherer eine Zunahme beim Betrug feststellen – Assekuranzen, die technisch weiter sind, entdecken mehr Taten.

Die Automatisierung hat auch eine Kehrseite: So kommen möglicherweise Unschuldige schneller ins Fadenkreuz der Assekuranzen. Auf Software allein wollen sich die Versicherer bei der Betrugsbekämpfung deshalb nicht verlassen. „Die Expertise unserer Mitarbeiter wird auch weiterhin ein extrem wichtiger und unverzichtbarer Faktor bei der Erkennung und Aufklärung betrugsrelevanter Konstellationen sein“, heißt es bei der Allianz.

Betrugsaufklärung mit Anwalt

Hart gehen Versicherer mit Betrügern ins Gericht. Sie werden nicht nur ins HIS gemeldet, sondern bekommen auch kein Geld. „Betrüger müssen mit einer Vertragskündigung, einer Strafanzeige und einer Regressforderung der Assekuranz rechnen“, sagt Thorsten Hahn, Betrugsabwehrspezialist bei der Zurich Versicherung. Damit rechtlich genügend Beweise vorliegen, um Betrüger zu entlarven, nutzen die Versicherer spezialisierte Anwälte. Hierbei tut sich die Kölner Kanzlei Bach Langheid Dallmayr (BLD) hervor, die mit ihren mehr als 600 Rechtsanwälten für die Assekuranzen aktiv ist.

Zudem gibt es eine Fülle von Sachverständigen, die aussagepsychologische Gutachten oder Indizienbeweise für Eigenbrandstiftungen erstellen. Vor dem Landgericht Dortmund konnte BLD beispielsweise erreichen, dass ein Einbruchschaden von den Richtern als vorgetäuscht eingestuft wurde (LG Dortmund 2 O 304/19): Die Glaubwürdigkeit des Versicherten war erschüttert, weil ein ähnlicher Einbruchdiebstahl aus seinem Möbeltresor schon vor drei Jahren passierte.

Sorgfältige Angaben unerlässlich

Im Schadenfall sollten Versicherte sehr sorgfältig und wahrheitsgemäß handeln. So wäre es fatal, wenn ein Unternehmer nach einem Brandschaden, weil die Rechnung für eine Maschine nicht auffindbar ist, die Rechnung sozusagen als Eigenbeleg selbst anfertigt. „Das ist Urkundenfälschung“, warnt Versicherungsberater Andreas Kutschera aus Mönchengladbach. Bekanntlich müssen Unternehmen Rechnungen nach dem Steuerrecht zehn Jahre aufbewahren. Notfalls solle man den Steuerberater bitten, die Maschine und ihren Wert über die Anlagenbuchhaltung nachzuweisen. Kutschera: „Auf jeden Fall sollte man dem Versicherer reinen Wein einschenken und erklären, warum die Rechnung nicht vorgelegt werden kann.“ Schon das Aufbauschen eines Schadens ist brandgefährlich. Wer eine schon vorher beschädigte Maschine dem Brandschaden zurechnet, macht sich angreifbar. Denn dies könnte als Betrugsversuch bewertet werden – je nachdem, wie formuliert wird: „Wer darauf hinweist, dass die Maschine möglicherweise auch betroffen sei, und eine Prüfung verlangt, bewegt sich wohl noch im Rahmen des Legalen“, wiegelt Kutschera ab.

Experten einschalten

Finden die Versicherer Indizien für einen Betrug, wird die Regulierung sofort eingestellt. „Dies wird dann mit arglistiger Täuschung, Gefahrerhöhung oder vorsätzlicher Schadenherbeiführung begründet“, erläutert Experte Kutschera. Je nach Beweislage kann es eng für die Versicherten werden. Wer beispielsweise mit seiner Firma fast pleite ist und bei einer nachweislichen Brandstiftung, bei der das Firmengebäude zerstört wird, seinen Aufenthaltsort nicht mehr weiß, setzt sich dem Vorwurf der Eigenbrandstiftung aus. Kutschera: „Dann muss der Versicherte die Vorwürfe des Versicherers entkräften.“ Kann er beweisen, dass er sich während des Brandes etwa in den USA aufhielt, ist der Vorwurf des Versicherers haltlos. Er muss zahlen, wenn keine Anstiftung nachgewiesen wird.

Wichtig: Hat der verdächtigte Versicherte einen Versicherungsvertragsrechtsschutz abgeschlossen, kann er auf Kosten des Rechtsschutzversicherers einen Anwalt konsultieren und vor Gericht kostenfrei mit seinem Versicherer streiten. ARAG-Pressesprecher Christian Danner: „Es gilt die Unschuldsvermutung für den Selbstständigen.“ Werden später Vorsatz oder Rechtswidrigkeit bewiesen, muss der Versicherte alle Leistungen an den Rechtsschutzversicherer zurückzahlen.

Teilleistung kritisch prüfen

Nicht immer wird die Leistung ganz verweigert. Ist die Versicherung nicht sicher, ob Betrug oder Täuschung vorliegen, unterstellt sie dem Versicherten oft „grobe Fahrlässigkeit“ als Grund für eine Leistungsminderung und bietet eine geringe Teilleistung an. „Wer den Sachverhalt genau analysiert, kann dies oft entkräften“, weiß Kutschera und erzählt von einem aktuellen Fall: „Im Dezember 2022 kam es bei wenigen Graden unter null zu einem Wasserrohrbruch in einem Haus. Der Eigentümer wunderte sich, weil in früheren Jahren bei deutlich tieferen Temperaturen nichts passiert war. Der Versicherer unterstellte eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung, weil Eigentümer dafür zu sorgen haben, dass Leitungen im Winter entleert sind. Gleichzeitig signalisierte die Assekuranz, dass sie bereit sei, 20 Prozent des Schadens zu übernehmen. Wir haben die Umstände geprüft und festgestellt, dass die Untermieterin seit Jahren die Aufgabe übernommen hat, die Leitungen im Winter zu leeren – aber in diesem Winter es schlicht vergessen hatte“, erläutert Kutschera. Daher werde die volle Entschädigung gefordert. Es liege zwar eine Obliegenheitsverletzung vor, aber eben keine „grob fahrlässige“.

Auf diese Argumentation wäre der Geschädigte wohl nicht von alleine gekommen. Eine genaue Sachverhalts­analyse oder auch eine gütliche Einigung bei Streitfällen sei für Versicherungs­berater oft einfacher zu erreichen als für den Versicherten selbst. „Hier sind Erfahrung, Versicherungswissen und auch sehr viel Fingerspitzengefühl notwendig“, meint Kutschera.

Schadendefinition – so kategorisiert die Assekuranz

Ein Wort, viele Bedeutungen: Für die Versicherer ist es relevant, um was für eine Art von Schaden es sich handelt, den ein Versicherter meldet.

  • Dubiose Schadenfälle:
    „Dubios“ bedeutet laut dem Lobbyverband GDV nicht automatisch Betrug, sondern dass der Schaden zum Beispiel Merkmale enthält, die statistisch gesehen eher selten vorkommen.
  • Fingierter Schaden:
    Es ist ein realer Schaden eingetreten, der nicht versichert ist. Der Schadenhergang wird so konstruiert, dass ein versichertes Schadenereignis angenommen werden muss. Beispiel: Beschädigtes Smartphone. Der Eigen-tümer hat sein Smartphone selbst beschädigt. Für die Schadenmeldung wird eine weitere Person vorgeschoben, die nicht verantwortlich für den Schaden war, aber deren private Haftpflicht-versicherung den Schaden nun bezahlen soll.
  • Fiktiver Schaden:
    Der fiktive Schaden wird von Fachleuten auch als „Papierschaden“ bezeichnet. Die angegebenen Schäden hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Beispiel: Fahrraddiebstahl. Der Betrüger behauptet, ihm sei sein Fahrrad gestohlen worden. Tatsächlich hat er nie ein Fahrrad besessen, die eingereichte Rechnung ist eine Fälschung.
  • Ausgenutzter Schaden:
    Ein realer Schaden wird ausgenutzt, um die tatsächlich entstandene Schadenhöhe vorsätzlich zu erhöhen. Beispiel: Einbruchdiebstahl. Nach einem tatsächlich stattgefundenen Einbruch werden beispielsweise Gegenstände angegeben, die nicht Eigentum des Geschädigten sind oder einfach erfunden wurden.