Kolumne "Professioneller Bauablauf" von Andreas Scheibe, 36. Folge VOB: Wegen Bauzeitverschiebung Auftrag kündigen? So lässt sich auf Augenhöhe ein Nachtrag verhandeln

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Auftragsabwicklung, Baurecht, Kündigung, Professioneller Bauablauf – Kolumne von Andreas Scheibe und Vergaberecht

35 Prozent vom Auftragsvolumen als Nachtrag für Bauzeitverlängerung, bei einem 1,5 Millionen Euro Projekt. Keine unerhebliche Summe! Doch genau mit dieser Forderung ging kürzlich ein Pfälzer Bauunternehmen in Verhandlung mit der Bauherrenschaft. Und was ist passiert? Man fiel sich danach fast freundschaftlich in die Arme. Die beteiligten Personen wurden sich in den darauffolgenden Tagen über die Summe einig und das VOB-Projekt konnte schließlich wie geplant weitergehen – nach Monaten des Stillstands. Wie kann ein solcher Fall so reibungslos vonstattengehen, obwohl es um viel Geld geht (wohlbemerkt außerhalb der Budgetplanung)? Kolumnist Andreas Scheibe berichtet in dieser Folge „Professioneller Baublauf“ von einem Musterbeispiel.

Kolumne „Professioneller Bauablauf“ Folge 36 von Andreas Scheibe
Gespräche auf Augenhöhe: Ein respektvoller Umgang ist der Schlüssel für den erfolgreichen Abschluss eines Bauprojekts, auch wenn eine Baustelle ins Stocken gerät und eine Bauzeitverschiebung im Raum steht. - © tunedin - stock.adobe.com

Von vorn: Wie war die Situation genau? Der Handwerker konnte mehrere Monate nicht mit den Arbeiten im VOB-Projekt beginnen, weil die entsprechenden Vorleistungen nicht fertig, die Planung unvollständig und nicht alle Entscheidungen des Auftraggeber (AG) getroffen waren.

Seine Mannschaft war jederzeit startklar, kostete auch jeden Tag Geld (Allgemeine Geschäftskosten und Baustellengemeinkosten), aber sie konnte eben nicht in den Einsatz starten. Die Folge: Sehr volatile Kontobewegungen. Mit diesem Fall ist der besagte Handwerker dann vor ein paar Wochen zu uns ins Training gekommen.

Optionen professionell aufweisen

Zuallererst war er sehr glücklich zu hören, dass er in dieser Situation keinen Anwalt benötige. Viele Handwerker denken ja, dass Bauzeitverschiebung und die Forderung hoher Zusatzgelder automatisch eine juristische Auseinandersetzung zur Folge haben. Klar, das kann auch passieren, wenn man sich denn ungeschickt anstellt. Doch in der Regel lässt sich eine Bauzeitverschiebung recht leicht aufgliedern und prüfbar einreichen.

Der besagte Handwerker hat also mit unserem Tool, dem Bauzeitrechner, eine genaue Berechnung plus Begründung als Nachtrag zusammengestellt und so an den Bauherren geschickt. Darüber hinaus hat er aber auch die Option ,Kündigung' durchgerechnet und ebenfalls eingereicht – quasi als weiteren möglichen Ausweg für den Bauherrn. Und zwar ohne jeglichen beleidigten oder kampfeslustigen Unterton, der schließlich eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen beiden Parteien generierte.

Nach ebenbürtiger Verhandlung eine Partie Schafkopf

Spulen wir vor zum persönlichen Treffen zwischen Handwerker und Bauherr. Der Handwerker berichtete uns über die Verhandlungen Folgendes: „Es war absolut faszinierend, ich hätte nie gedacht, dass man mal so ein professionelles Gespräch auf Augenhöhe mit jemandem führen könnte. Er hat sich das alles angehört, hat es verstanden und danach gesagt: ,Gut Jungs, ich verstehe euch mit dieser rechtlichen Grundlage und die Erklärung, dass euch das Geld zusteht, kann ich vollkommen nachvollziehen'. Ich war völlig baff. Es war eines der besten Gespräche, das ich je in meinem Leben geführt habe."

"Denn es war ebenbürtig und völlig ohne emotionale Ausbrüche. Alle sind sachlich geblieben. Wir haben ihm ganz ruhig und fundiert erklärt, warum selbst eine Kündigung zu diesem Zeitpunkt eine valide Lösung wäre und wie diese uns allen auch nutzen könnte. Mit dieser Gesprächsführung und mit dieser klaren, unaufgeregten, nicht bösen Haltung gegenüber unserem Geschäftspartner, dem Bauherren, haben wir es geschafft, die Bauzeitverschiebung erfolgreich zu verhandeln. Wir haben diskutiert, aber nicht gestritten. Wahnsinn. Am Ende haben wir uns so gut verstanden, dass ich am liebsten noch eine Runde Schafkopf in der Kneipe mit ihm und seinen Kollegen gespielt hätte. Eine Wahnsinnserfahrung.“

Faires Spiel bis in die Champions League

Innerhalb von nur zwei Wochen hat dieser Handwerker gemeinsam mit uns seine festgefahrene Situation auf der Baustelle mit ein paar Schreiben sowie einem anschließendem respektvollen Gespräch mit dem Bauherren und dessen Vertretern zu einem Spiel in der Champions League verwandelt. Fähige Spieler machen ein Spiel zu einem wahren Erlebnis mit hohem Ergebnis am Ende. Und für die Außenstehenden ist ein solcher Fall natürlich spannend mit anzusehen.

Wenig Anleitung für großen Erfolg

Vielleicht mag man meinen, dass solche Geschichten zu erzählen jemanden überheblich wirken lassen. Aber das ist mir egal, denn ich bin einfach stolz darauf, dass Menschen mit ein wenig Anleitung große Probleme innerhalb kurzer Zeit lösen können. Und ja, sie werden im Nebeneffekt auch zu investitionsstarken Persönlichkeiten mit festem Glauben an die Sache und in die eigenen Fähigkeiten sowie Stärken. Wenn Arbeit leicht von der Hand geht und man großartige Ergebnisse erzielt, ja dann macht sie wesentlich mehr Spaß. Das mag eine Floskel sein, aber noch viel mehr ist es eine Wahrheit, die jeder irgendwann erkennen und erleben sollte. Nicht nur für sich, auch für die Mitarbeiter und Familien für die wir alle eine Mitverantwortung tragen. Dazu haben wir uns verpflichtet und das ist gut so.

Über Autor Andreas Scheibe:
Andreas Scheibe
© Continu-ING GmbH

Andreas Scheibe hat selbst als Planer und Projektleiter in großen Firmen gearbeitet, später den väterlichen Handwerksbetrieb übernommen und umgekrempelt. Seine Erfahrung bezahlte er laut eigener Aussage mit viel „Schweiß und Blut“, aber auch viel Geld. Es entstand die Idee zum „professionellen Bauablauf“!

Mit der Continu-ING GmbH (lücken-im-lv.de) verfolgt er heute als Coach und Mentor eine Mission: Das Handwerk muss wieder für seine Leistung anerkannt und entsprechend vergütet werden. Schluss mit dem „Sozialhandwerker“, der sich nicht zu wehren weiß und auf Kosten sitzen bleibt. Vom Handwerker als Getriebener zum aktiven Projekttreiber. Wichtige Fragen sollen endlich geklärt werden: Was sind meine Rechte, was meine Pflichten? Wie sieht es mit den Pflichten anderer aus? Was kann und muss ich fordern, um störungsfrei arbeiten zu können? Wie gelingt der Sprung vom letzten, missachteten Glied im Bauablauf zu einer Position auf Augenhöhe mit Fachplaner und Auftraggeber? Andreas Scheibe möchte neue Sichtfelder für Handwerker eröffnen.

"Stark im Handwerk – das Buch für Handwerker im VOB-Projektgeschäft"

Im August 2021 ist das erste Buch "Stark im Handwerk" von Andreas Scheibe erschienen. Darin beweist der Experte, dass die in der VOB viel Potenzial und auch viel Geld für Handwerker steckt. Aus der Praxis weiß handwerk-magazin-Kolumnist Scheibe, dass das Bild, welches Auftraggeber, Architekten und Planungsbüros oft vom Handwerker haben, meist kein ruhmreiches ist. Zwar sind die ausführenden Firmen nach deutschen Standards sehr gut ausgebildet und wissen technisch bestens Bescheid, doch von einer Sache hat man Ihnen nichts erzählt: Welche Rechte sie haben! Und auch nicht, dass sie eigentlich und zuallererst auf Augenhöhe mit Auftraggeber und Fachplaner stehen. "Der Handwerker ist zwar der letzte in der Reihenfolge bezogen auf den Bauablauf, aber der letzte Depp ist er noch lange nicht", erklärt Andreas Scheibe.

In diesem Zusammenhang kommt der Autor in seinem Buch sowohl auf die Rechte und Pflichten eines Handwerkers als auch auf die Rechte und Pflichten der anderen Projektbeteiligten zu sprechen. Denn genau diese sind im Detail in der VOB geregelt. Die Formulierungen klingen jedoch oft kompliziert und die Anwendung ist daher auch sehr unbeliebt – zu Unrecht, wie der Autor findet. Das Buch von Andreas Scheibe weckt nicht nur Interesse für das Projektgeschäft, sondern auch für das Durchsetzen von Rechten und Einfordern von Pflichten, sowie den spielerischen Umgang mit Paragrafen. Das Ziel: Handwerk muss wieder Spaß machen, gerecht bezahlt werden und zu alter Stärke zurückfinden.

stark-im-handwerk.de

Neues Buch: "Der professionelle Bauablauf – Das Schritt-für-Schritt System um deine Liquidität nachhaltig zu sichern"

Im August 2023 erschien das bereits dritte Buch von Andreas Scheibe „Der professionelle Bauablauf“. In diesem Buch sind viele Jahre Erfahrung in der Durchführung und auch Beratung von hunderten Handwerksunternehmen eingeflossen. Daraus entstanden ist ein praxiserprobtes und sofort umsetzbares Schritt-für-Schritt System welches mehr Klarheit und Sicherheit im Bauablauf für Handwerker verspricht. In diesem Buch geht es um notwendige Fähigkeiten um standardisierte Ablaufpläne zu erstellen, hochprofitable Nachträge durchzusetzen und berechtigte Forderungen darzulegen, zu begründen und zu verhandeln.

In seinem Buch geht Andreas Scheibe auch auf die 47 häufigsten und teuersten Fehler in VOB-Projekten ein, und wie sich diese verhindern lassen. Am Ende geht es darum, einen standardisierten Schriftverkehr einzuführen und Projekte strukturiert und profitabel abzuwickeln. Und das nach den Spielregeln der VOB.

der-professionelle-bauablauf.de