Auftragsabwicklung, Baurecht, Professioneller Bauablauf – Kolumne von Andreas Scheibe und Zielerreichung
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Das Bauprojekt ist bereits im vollen Gange. Aber im Grunde läuft alles eher schlecht als recht. Die Beteiligten merken, dass die Baustelle gleich auf mehreren Ebenen ihre Schwachstellen hat – doch keiner sagt etwas! Und dann zeichnet sich auch noch ab, dass das ganze Desaster für den Handwerker mit hoher Wahrscheinlichkeit im fünf- oder sogar sechsstelligen roten Bereich enden wird. Uff, das wars dann … oder? In der zwölften Folge von “Professioneller Bauablauf“ verrate ich, was Sie vorab machen können, damit es soweit gar nicht erst kommt.

Hätte man doch nur einmal am Anfang schon etwas genauer hingeschaut, dann hätte man das Drama auch kommen sehen. Denn was haben wir in dieser Kolumne bereits gelernt? Ordentlich arbeiten lässt sich nur, wenn die Planung tadellos ist. Aber wenn schon zum Spatenstich kaum Ausführungsunterlagen vorhanden sind, dann bleibt dem Handwerker im Endeffekt nur eine Möglichkeit: Bauen nach meist lückenhaftem und undurchsichtigem Leistungsverzeichnis (LV) – plus den eigenen Erfahrungswerten. Keine Frage, Handwerker sind technisch gut ausgebildet, doch für den Bau beispielsweise einer Schule gehört durchaus mehr dazu. Insbesondere dann, wenn noch andere Gewerke an Bord sind und die Bauzeit insgesamt drei Jahre beträgt.
Höchste Zeit klare Kante zu zeigen
Aber was bringen uns in dieser miserablen Lage die Wörter „hätte“ und „würde“? Und was fangen wir jetzt mit diesem Dilemma an? Stecken wir doch bereits mitten im Projekt und haben scheinbar keinen wirklichen Ausweg zur Verfügung. Unsere anfängliche Haltung von wegen „Wird schon irgendwie!“ hat uns in diese unschöne Situation gebracht, daher brauchen wir spätestens an diesem Punkt jetzt einen klaren Schnitt. Denn die Zahlen sehen nicht gut aus, die Baustelle gleicht dem puren Chaos und die bisherige Taktik wird uns so keinesfalls zum Ziel führen. Also signalisieren wir dem Auftraggeber deutlich, dass es jetzt höchste Zeit ist für ein Timeout!
Rettungsanker VOB
Einen wahren Boost bringt hier vor allem die VOB. Ist das Bauvorhaben mit einem VOB-Vertrag geregelt, dann haben wir ein wunderbares Werkzeug an der Hand, das wir ab jetzt nutzen können, um so doch noch das Bausoll zu erreichen. Schritt eins sieht entsprechend vor, mangelfreie und vollständige Ausführungsunterlagen (AFU) zu verlangen. Das geht zu jedem Zeitpunkt! Die AFU muss sämtliche Änderungen, die der Bauherr selbstverständlich mit einbringen darf, enthalten. Im Zusammenhang mit der aktuellen AFU brauchen alle Handwerker außerdem auch ein aktuelles Leistungsverzeichnis. Solange all diese Unterlagen nicht vorliegen, ist die sichere Weiterführung der Baustelle gefährdet. Deshalb gilt es, erst einmal eine Behinderungsanzeige rauszuschicken und die Ausführung einzustellen. Andernfalls geht der ganze Mist unaufhörlich weiter – und das wollen wir ja nicht!
Neue Strategie trotz altem Widerstand
Diesen harten Cut gilt es fürs Erste zu verstehen – und zwar vom Auftragnehmer (AN) als auch vom Auftraggeber! Denn bislang lief es zum Nachteil des AN. Der rappelt sich aber allmählich wieder auf, um sich so auf Augenhöhe mit dem Bauherrn zu bewegen. Eine Strategie, die ganz klar mit der vorherigen „Wird schon irgendwie“-Haltung bricht. Jetzt heißt es, durchhalten und nicht doch wieder in den alten Trott zu verfallen, um so den allgemeinen Frieden zu wahren. Und auch wenn Androhungen und Anwaltsschreiben ins Haus flattern, gilt es, dem zu trotzen. Der Plan: AFU und Nachtrags-LV anfordern und eine Behinderungsanzeige stellen. Erste Blutgrätsche geschafft, check! Als nächstes sollten, wenn nötig, Bedenkenanzeigen geschrieben werden. Hierbei geht es um Haftungsthemen bezüglich der technischen Prüfpflicht, aber vor allem darum, den Verhandlungsrucksack zu füllen. Nur wer ausreichend dokumentiert, kann später optimal darlegen, wer was wann geliefert hat bzw. hätte liefern müssen.
Kehrtwende geglückt?
Was noch? Schreiben Sie am besten Bautagebücher beziehungsweise analysieren Sie genau, was Sie sich bisher notiert haben und untersuchen Sie, wo es Zusatz- oder Änderungsanordnungen vom Bauherrn gab. Klären Sie außerdem mit Ihren Monteuren und Obermonteuren, was von nun an relevant ist für die Bücher. Vorlagen können Sie von uns bekommen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihre Langtexte analysieren, denn hier liegt oftmals extrem viel Potenzial, aber auch Gefahrenfelder. Zusätzlich folgen Themen wie Bauzeitnachtrag, Schadenersatz und Entschädigung. Ja, das klingt nach viel und das ist es auch, wenn man ehrlich ist. Aber alles liegt im mach- und schaffbaren Rahmen und ist verdammt nötig. Andernfalls gibt es eben wieder Miese von 200.000 Euro. Da ist eine Kehrtwende doch wesentlich lukrativer, nicht wahr? Ängstlich darf man dabei allerdings nicht sein. Daher meine Frage: Wer ist kühn genug, noch rechtzeitig die Notbremse zu ziehen und somit das Projekt, aber vor allem auch die eigenen Zahlen zu retten?
Über Autor Andreas Scheibe:

Andreas Scheibe hat selbst als Planer und Projektleiter in großen Firmen gearbeitet, später den väterlichen Handwerksbetrieb übernommen und umgekrempelt. Seine Erfahrung bezahlte er laut eigener Aussage mit viel „Schweiß und Blut“, aber auch viel Geld. Es entstand die Idee zum „professionellen Bauablauf“!
Mit der Continu-ING GmbH (lücken-im-lv.de) verfolgt er heute als Coach und Mentor eine Mission: Das Handwerk muss wieder für seine Leistung anerkannt und entsprechend vergütet werden. Schluss mit dem „Sozialhandwerker“, der sich nicht zu wehren weiß und auf Kosten sitzen bleibt. Vom Handwerker als Getriebener zum aktiven Projekttreiber. Wichtige Fragen sollen endlich geklärt werden: Was sind meine Rechte, was meine Pflichten? Wie sieht es mit den Pflichten anderer aus? Was kann und muss ich fordern, um störungsfrei arbeiten zu können? Wie gelingt der Sprung vom letzten, missachteten Glied im Bauablauf zu einer Position auf Augenhöhe mit Fachplaner und Auftraggeber? Andreas Scheibe möchte neue Sichtfelder für Handwerker eröffnen.
„Stark im Handwerk“ – das Buch von Andreas Scheibe Im August 2021 ist das erste Buch „Stark im Handwerk“ von Andreas Scheibe erschienen. Darin beweist der Experte, dass die VOB voller Potenzial, aber auch Geld steckt. Aus der Praxis weiß handwerk-magazin-Kolumnist Scheibe, dass das Bild, welches Auftraggeber, Architekten und Planungsbüros oft vom Handwerker haben, meist kein ruhmreiches ist. Zwar sind die ausführenden Firmen nach deutschen Standards sehr gut ausgebildet und wissen technisch bestens Bescheid, „doch von einer Sache hat man Ihnen nichts erzählt: Welche Rechte sie haben! Und auch nicht, dass sie eigentlich und zuallererst auf Augenhöhe mit Auftraggeber und Fachplaner stehen“, erklärt Scheibe. „Der Handwerker ist zwar der letzte in der Reihenfolge bezogen auf den Bauablauf, aber der letzte Depp ist er noch lange nicht!“ In diesem Zusammenhang kommt der Autor in seinem Buch sowohl auf die Rechte eines Handwerkers als auch auf dessen Pflichten zu sprechen. Denn genau diese stehen so im Detail in der VOB. Diese ist jedoch kompliziert und daher auch sehr unbeliebt – zu Unrecht, wie der Autor findet. Das Buch von Andreas Scheibe weckt nicht nur Interesse für das Projektgeschäft, sondern auch für das Durchsetzen von Rechten und Forderungen sowie den spielerischen Umgang mit Paragrafen. Das Ziel: Handwerk muss wieder Spaß machen und zu alter Stärke zurückfinden. stark-im-handwerk.de |