Auftragsabwicklung, Baurecht, Professioneller Bauablauf – Kolumne von Andreas Scheibe und Vergaberecht
Wir in unserem Team nennen sie liebevoll „AFU“: Die Ausführungsunterlagen. Das sind die umfangreichen Planungsunterlagen, geliefert vom Planungsbüro, mit denen Handwerker die Montageplanung und Disposition angehen können. Leider wissen viele Praktiker in öffentlichen Bauprojekten nichts von den AFU. Und erst recht nicht, dass sie ihnen das Arbeiten zu 100 Prozent erleichtern. Wie? Das erkläre ich Ihnen in der dritten Folge meiner Kolumne „Professioneller Bauablauf“.

Die Ausführungsunterlagen (AFU) sind etwas Großartiges! Wie es in Deutschland so Tagesordnung ist, steht natürlich ganz klar fest, welche Richtlinien dabei gelten. Klingt langweilig, aber macht das Leben auch gleich viel einfacher. Laut VDI 6026 für die technische Gebäudeausrüstung gehören da nicht gerade wenige, sehr spezielle Unterlagen dazu: Grundrisse, Schnitte, Ansichten und Details, Schächte und Schemata, Berechnungen und Brandschutzdokumente. Diese Aufzählung könnte ich jetzt noch lange fortführen. Kurz gesagt: Eben alle wichtigen und notwenigen Informationen für den Handwerker! Sie sollen einen reibungslosen und schnellen Bauablauf ohne Fragen und Komplikationen garantieren, schließlich gibt’s ja Fristen, Gelder, Haftungsrisiken – und einen Haufen Geduldsfäden.
Eine simple Bauzeichnung mit Höhenangaben und handschriftlichen Ergänzungen sind dabei allerdings ganz und gar nicht das, was man als ernsthafter Handwerker gebrauchen kann, um gute Arbeiten leisten zu können. In den meisten Fällen sieht die AFU aber genau so aus. Schwierig, Leute! Ganz oft kommt dann der Spruch: „Ja, aber das können Sie sich doch vor Ort anschauen.“ Ich sage dazu: „Naja, ‚Profi‘ geht anders!“
Ausführungsunterlagen sind essenziell für die Montageplanung
Grundsätzlich gilt: Wer gute Leistung bringen will, braucht eine gute Grundlage. Und der Handwerker schuldet in VOB-Verträgen nun mal eine Montageplanung! Will er diese zuverlässig machen und damit auch dem Projekt Sicherheit in der Umsetzung geben, braucht er gute Ausführungsunterlagen. Das eine bedingt das andere. Was steht dazu in unserer „Baubibel“? In der VOB im Teil B unter Paragraf 3, gleich im ersten Absatz, steht geschrieben: „Die für die Ausführung nötigen Unterlagen sind dem Auftragnehmer unentgeltlich und rechtzeitig zu übergeben.“
Um möglichen Verzögerungen vorzubeugen, ist es also das Schlauste für den Handwerker, die AFU so früh als möglich, also direkt nach der Auftragserteilung mit einem Schreiben beim Auftraggeber anzufordern. Der gibt die Anfrage dann an den Fachplaner weiter. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass daraufhin ganz oft Nichts kommt. Oder wenn, dann nur „tröpfchenweise“. So kann ein Handwerker natürlich nicht stringent und zielorientiert leisten. An dieser Stelle hat der Handwerker zwei Möglichkeiten:
- Schlechtere Alternative: Der Handwerksunternehmer sagt sich und den anderen Baubeteiligten: „Ach, nicht so tragisch, das kriegen wir schon hingezimmert! Bezahlung machen wir dann, wenn wir fertig sind. Hauptsache es geht voran!“ Das kann natürlich funktionieren in sehr kleinen Projekten, bei denen sich alle auf alle verlassen können und immer ehrlich zueinander sind, es nicht zu Lieferengpässen, Preiserhöhungen, fehlenden Entscheidungen des Auftraggebers oder Zeitdruck kommt, bei denen jeder Protagonist genau weiß, was er machen muss und nie etwas kaputt geht – und auch keiner krank wird. Aber jeder erfahrene Handwerker weiß (und selbst die unerfahrenen Handwerker wissen), dass dieser utopische Idealfall nicht der tagtägliche Regelfall ist.
- Bessere Alternative: Da wir es ja besser und schlauer machen möchten, schauen wir natürlich in die VOB! Denn: Wenn es irgendwo stockt, dann schreib‘! „Wer schreibt, der bleibt!“ Und wer eine dicke Dokumentation hat, der hat meist auch den Richter auf seiner Seite. Aber so weit wollen wir jetzt nicht denken. Sicherheit ist das Stichwort. Was machen wir also? Wir melden uns – und zwar mit einer nicht böse gemeinten Behinderungsanzeige! Im VOB-Teil B, Paragraf 6, lesen wir: „Glaubt sich der Auftragnehmer in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung behindert, so hat er es dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich anzuzeigen.“
Eine Behinderungsanzeige hilft, den Projektstand genau zu dokumentieren
Viele Fachplaner rümpfen nach Erhalt einer Behinderungsanzeige vom Auftraggeber bzw. Handwerker die Nase, sind beleidigt, „machen dicht“ und liefern dann erst recht nicht mehr, was sie eigentlich schulden. Ich sage: Unnötig! Die Behinderungsanzeige ist ein Mittel aus der VOB, um den Stand des Projektes zu dokumentieren. Nach dem Motto: „Aktuell gibt es Schwierigkeiten an dieser und jener Stelle.“ Wie ein Protokoll im Computerprogramm. Oder der Fehlerspeicher im Auto. Praktische und sachliche Unterrichtung, reine Information. Keine Emotion. Eine Behinderungsanzeige ist also sicher keine Kriegserklärung! Übrigens genauso wenig, wie das Anfordern von Ausführungsunterlagen ein Mobbingversuch ist.
Behinderungs- bzw. Bedenkenanzeigen können Fachplaner unter Druck setzen
Richtig schwierig für den Fachplaner ist eine Behinderungsanzeige bzw. Bedenkenanzeige (weiteres Mittel der VOB) nur dann, wenn er tatsächlich „Bockmist“ geplant hat. Der Handwerker hat laut VOB-Vertrag eine technische Prüfpflicht. Das heißt, er muss prüfen, ob das, was der Fachplaner geplant hat, auch umsetzbar und sinnvoll ist. Wenn also beispielsweise die berechnete Nutzlast nonsens ist, Brandschutzkonzepte völlig ignoriert wurden oder eingeplantes Material schon lange vom Markt verschwunden ist, dann sollte das der Handwerker ruhig mal erwähnen und ausgebesserte Planungsunterlagen anfordern.
Wieder geht es hier nicht um Mobbing oder Streit, sondern um die beste Umsetzung des Projekts! Selbst bzw. erst recht dann, wenn die Fehlerliste 500 Punkte umfasst! Aber genau das ist eben der Knackpunkt der berüchtigten Ausführungsunterlagen. Sie sind wie ein seltener Vogel: Man weiß, es gibt ihn irgendwo, aber selbst gesehen hat man ihn nicht. Und wenn man ihn doch schon gesehen hat, dann war der Weg bis dahin sehr mühselig und lang.
Mangelfreie Ausführungsunterlagen: „Wer nichts fordert, bekommt auch nichts.“
Aber jetzt nicht vorschnell die Lust verlieren am VOB-Geschäft! Denn die Mühe um vollständige und mangelfreie Ausführungsunterlagen lohnt sich! Gegenfrage: Wie würde der Umkehrschluss aussehen? Wir bauen nach schlechten Plänen ein schlechtes Ergebnis und bekommen zum Schluss „auf den Deckel“, weil wir nicht ordentlichen hingeschaut haben. „Geil“ ist das nicht! Und „Profi“ geht so erst recht nicht! Also lautet das Credo: „Wer nichts fordert, bekommt auch nichts.“
Über Autor Andreas Scheibe:
Andreas Scheibe hat selbst als Planer und Projektleiter in großen deutschen Firmen gearbeitet und den väterlichen Handwerksbetrieb übernommen und umgekrempelt. Seine Erfahrung bezahlte er laut eigener Aussage mit viel „Schweiß und Blut“, aber auch viel Geld. Daraus entstanden die Ideen des professionellen Bauablaufs, als Gegenbild zum gestörten Bauablauf. Mit der Continu-ING GmbH ( lücken-im-lv.de ) verfolgt Andreas Scheibe heute als Coach und Mentor eine Mission: Das Handwerk muss wieder für seine Leistung anerkannt und vor allem auch auskömmlich vergütet werden. Schluss mit dem „Sozialhandwerker“, der alle Leistung einfach mitmacht, weil er sich nicht zu wehren weiß und am Ende auf den Kosten sitzen bleibt. Der Handwerker muss aufhören, Getriebener zu sein und selbst aktiver Projekttreiber werden. Jeder Handwerker soll die Sicherheit haben: Was sind meine Rechte und auch meine Pflichten – und wie sieht es mit den Pflichten der anderen aus? Was kann und muss ich fordern, um störungsfrei arbeiten zu können? Und wie schaffe ich es, nicht mehr das letzte, missachtete Glied im Bauablauf zu sein, sondern auf Augenhöhe mit Fachplaner und Auftraggeber zu kommunizieren? Dieser Lernprozess eröffnet neue Sichtfelder für Handwerker. Andreas Scheibe erklärt, wie Handwerksunternehmer den Prozess anstoßen und gestalten.
„Stark im Handerk“ – das Buch von Andreas Scheibe Im August 2021 ist es so weit: Dann erscheint das erste Buch von Andreas Scheibe. Der Titel: „Stark im Handwerk“. Darin beweist der Experte, dass die VOB voller Potenzial und auch Geld steckt. Aus der Praxis weiß handwerk-magazin-Kolumnist Scheibe, dass das Bild, das Auftraggeber, Architekten und Planungsbüros vom Handwerker haben, oftmals kein ruhmreiches ist. Zwar sind die ausführenden Firmen nach deutschen Standards sehr gut ausgebildet und sie wissen technisch bestens Bescheid. „Doch von einer Sache hat man Ihnen nichts erzählt: Welche Rechte sie haben! Und auch nicht, dass sie eigentlich und zuallererst auf Augenhöhe mit Auftraggeber und Fachplaner stehen“, erklärt Scheibe. „Der Handwerker ist zwar der letzte in der Reihenfolge bezogen auf den Bauablauf, aber der letzte Depp ist er noch lange nicht!“ Genau in diesem Zusammenhang kommt der Autor in seinem Buch auf die Rechte eines Handwerkers und auch auf seine Pflichten zu sprechen. Denn genau diese stehen im Detail in der VOB. Die ist jedoch kompliziert und unbeliebt. Zu Unrecht, wie der Autor findet. Das Buch von Andreas Scheibe macht Lust auf das Projektgeschäft, auf das Durchsetzen von Rechten und Forderungen und den spielerischen Umgang mit Paragrafen. Das Ziel: Handwerk muss wieder Spaß machen und zu alter Stärke finden. |