Serie New Work, 10. Folge Mitarbeiter-Vielfalt: Mehr Offenheit im Handwerksbetrieb wagen

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Fachkräftemangel, Frauen im Handwerk, Mitarbeitermotivation und New Work

Sie finden keine Mitarbeiter mehr, die Ihrem Wunsch­profil entsprechen? Dann wird es Zeit, die Anforderungen zu überdenken und sich für neue Mitarbeitergruppen zu öffnen. Kostet nur Zeit und bringt nichts? Die letzte Folge unserer New-Work-Serie zeigt, warum sich frischer Wind im Team heute mehr denn je lohnt.

Sibille Druschke (links), Inhaberin des Malerbetriebs Lange in Braunschweig, ist stolz auf ihr gemischtes Team.
Sibille Druschke (links), Inhaberin des Malerbetriebs Lange in Braunschweig, ist stolz auf ihr gemischtes Team. - © Franz Fender

Fast hätte Sibille Druschke vor gut 20 Jahren die Chance verpasst, einen eigenen Betrieb zu leiten. Denn erst als ihr damaliger Chef, für den sie bereits 14 Jahre als Malergesellin und später auch als Meisterin gearbeitet hat, partout keinen Nachfolger finden konnte, bekundete sie ihr Interesse: „Ich habe mich zunächst nicht getraut, den Betrieb zu übernehmen. Um meinen Arbeitsplatz und den der drei Gesellen zu erhalten, habe ich es dann doch gewagt“, erinnert sich die Inhaberin des Malerbetriebs Lange in Braunschweig.

Doch was ließ eine Frau zögern, der schon in der Schule klar war, später mal einen handwerklichen Beruf ergreifen zu wollen? Und die von einem Lehrer gewarnt wurde, dass sie doch mit 40 Jahren nicht noch auf einer Leiter stehen wolle, und dann postwendend eine Ausbildung im Malerhandwerk begann? So ganz genau kann das Sibille Druschke heute nicht mehr nachvollziehen, schließlich wird und wurde sie von den männlichen Kollegen, zu denen auch ihr Lebenspartner zählt, voll akzeptiert. Allerdings war sie unsicher, wie die Kunden des Malerbetriebs auf die neue Chefin reagieren würden. Doch diese Bedenken, so die Unternehmerin heute, „waren unnötig, die Kunden haben mich gleich als Frau und Unternehmerin mindestens genauso geschätzt wie meinen männlichen Vorgänger“.

Mehr Verständnis für Kundinnen

Im Laufe der Zeit entpuppte sich das im Vergleich zu ihren männlichen Unternehmerkollegen größere Verständnis für die Wünsche und Bedürfnisse der weib­lichen Kundschaft sogar zu einem handfesten Wettbewerbsvorteil. Nachdem auch im Alltag der Umgang mit Mitarbeiterinnen besser funktionierte als mit männ­lichen Gesellen, suchte die bei den Braunschweiger Unternehmerfrauen engagierte Chefin gezielt nach weiblichen Auszubildenden und Fachkräften. Heute arbeiten vier Frauen und zwei Männer im Betrieb, inklusive einer weiblichen Auszubildenden. Da es in der Wahrnehmung von Sibille Druschke bei den Innungskollegen noch immer Vorbehalte gegenüber Frauen als Mitarbeiterinnen gibt, ist sie Mitglied der „Initiative Klischeefrei“ geworden, die sich für eine Berufsorientierung ohne die üblichen Vorbehalte und Schranken im Kopf einsetzt: „Ich habe damals sehr lange nach einer Ausbildungsstelle suchen müssen, die Mädchen und Frauen heute sollen es einfacher haben.“

Ein Blick auf die Statistik der Frauenanteile in den Handwerksbranchen zeigt, dass es trotz vielfältiger Initiativen und Appelle an die Betriebe vor allem in den gewerblich-technischen Berufen noch viel Luft nach oben gibt. Zwar wird nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin inzwischen fast jeder fünfte Ausbildungsvertrag von einer Frau unterschrieben, doch dabei dominieren noch immer die als typisch geltenden Frauenberufe wie Friseurin, Maßschneiderin, Goldschmiedin, Konditorin oder Optikerin. Entsprechend haben die Handwerke für den privaten Bedarf sowie das Lebensmittelgewerbe einen Frauenanteil bei den tätigen Personen von deutlich mehr als 50 Prozent, im Ausbau- oder Kfz-Gewerbe werden dagegen nicht mal 20 Prozent erreicht, im Bauhauptgewerbe sogar weniger als zehn Prozent.

Neue Mitarbeiter: Offen sein für kreative Lösungen

Wenn sie sich schon mit Frauen so schwertun, sind die Betriebsinhaber im Handwerk also generell zu wenig offen für neue Zielgruppen? Annette Dietz vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) in Köln beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der personellen und kulturellen Vielfalt in Unternehmen, im Fachjargon auch „Diversity Management“ genannt. Dabei geht es darum, als Betrieb offen zu sein für alle Mitarbeiter, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Weltanschauung, Berufserfahrung oder körperlicher Konstitu­tion. Obwohl zahlreiche Studie belegen, dass Kleinbetriebe mit einer vielfältigen Unternehmenskultur attraktiver für neue Mitarbeiter sind und gemischte Teams oft bessere und kreativere Lösungen finden, interessiert in Diskussionen mit Unternehmern nach Erfahrung der Expertin vor allem eine Frage: Warum lohnt es sich für Betriebe, Zeit für Diversität zu investieren?

Die KOFA-Studie zur kulturellen Vielfalt in Unternehmen zeigt, dass etwa die Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund neben dem Imagegewinn in der Gesellschaft auch viele weitere Vorteile für Unternehmen hat.

Warum Betriebe Menschen mit Migrationshintergrund einstellen

Mehr als die Hälfte der Chefs will durch die Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und die Arbeitgeberattraktivität erhöhen.

Warum Betriebe Menschen mit Migrationshintergrund einstellen
© Quelle: IW-Personalpanel 2019; N=918 bis 922

Vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Fachkräftemangels brauchen die Unternehmen nach Einschätzung von Annette Dietz auf jeden Fall „kreative Lösungen“, um langfristig ihren Mitarbeiterbedarf zu decken. Dabei sei die in Kleinbetrieben oft vorhandene familiäre Atmosphäre ein echter Pluspunkt, der die Integration erleichtern kann. Vorausgesetzt, die Betriebe handeln dabei nicht nach dem „Trial & Error“-Prinzip, sondern haben bereits einen gewissen Plan entwickelt, wie sie mit den jeweiligen neuen Kollegen umgehen. Dazu gehört unbedingt, auch die Mitarbeiter im Vorfeld zu informieren und sich nach etwaigen Sorgen und Wünschen zu erkundigen.

Fahrplan: So gelingt Ihr Weg zu mehr Mitarbeiter-Vielfalt

Je klarer die Ziele und je besser die Vorbereitung, desto leichter gelingt es, personelle und kulturelle Vielfalt nachhaltig und erfolgreich im Betrieb zu integrieren. Die folgenden fünf Stationen haben sich bei der Einführung eines Diversity Managements in Kleinbetrieben bewährt.

  • Ist-Zustand analysieren
    Um Potenziale und Handlungsfelder aufzudecken, sollten Sie zunächst prüfen, ob und in welchen Dimensionen es Vielfalt in Ihrem Betrieb bereits gibt und wie sich diese weiterentwickeln lässt. Je nach Betriebsgröße kann hierzu eine Personalstatistik hilfreich sein, die das Team nach Qualifikation, Beruf, Tätigkeit, Alter, Geschlecht, Nationalität und Herkunft, Berufserfahrung, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Anstellungsart, beruflicher Entwicklung, Stellung im Betrieb sowie Lohnstufe darstellt.
  • Ziele festlegen
    Sie haben bereits Mitarbeiter mit Migrationshintergrund sowie Ältere, Frauen oder Menschen mit Behinderung im Team? Überlegen Sie, wie Sie diese Erfahrungen nutzen können, um die Vielfalt weiter auszubauen. Beziehen Sie dazu Ihre Führungskräfte und/oder das gesamte Team mit ein und legen Sie Ziele fest. Etwa, dass Sie künftig gezielt Auszubildende oder Fachkräfte mit Migrationshintergrund beschäftigen, den Frauenanteil steigern oder aber verstärkt alters­gemischte Teams bilden wollen.
  • Verantwortlichen benennen
    Damit die Ziele im Arbeitsalltag nicht untergehen, ist es sinnvoll, einen Verantwortlichen zu benennen, der die zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen einleitet und umsetzt. Das können Sie als Unternehmer selbst übernehmen, aber es kann auch sinnvoll sein, einen engagierten Mitarbeiter mit einem guten Verständnis für Vielfalt damit zu betrauen. So wird der Gedanke gleich im Team verankert.
  • Personalarbeit anpassen
    Menschen neigen dazu, sich mit anderen Menschen zu umgeben, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben und auf ihrer Wellenlänge liegen. Brechen Sie diese betriebliche Monokultur bewusst auf und versuchen Sie, bei der Mitarbeitergewinnung möglichst offen und objektiv zu sein. Beschreiben Sie in der Stellenausschreibung die gewünschten Fähigkeiten und Erfahrungen und nicht die formalen Abschlüsse. Beurteilen Sie einen Kandidaten auch nicht nur nach Abschlüssen und Schulnoten, sondern berücksichtigen Sie – so oft es geht – soziale und persönliche Kompetenzen.
  • Paten einsetzen
    Um sich im Betrieb und auch im oft neuen sozialen Umfeld leichter und schneller eingewöhnen zu können, hat es sich bewährt, neuen Mitarbeitern einen Paten zur Seite zu stellen. Der unterstützt nicht nur im betrieblichen Umfeld, sondern hilft auch bei den kleinen und großen Herausforderungen des Alltags wie etwa bei Behördengängen. Um einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen, sollte der Pate keine Führungskraft sein.

Bei der Schuhmanufaktur Herges in Saarbrücken gehört die Vielfalt seit der Firmengründung 1935 zur DNA des Betriebs. Heute beschäftigt der von Karin Herges und ihrem Sohn Johannes geführte Orthopädiefachbetrieb 16 Mitarbeiter aus fünf Nationen und mit sechs Religionszugehörigkeiten. An der Eingangstür zum Geschäft empfängt den Kunden gleich die Botschaft, in welchen Sprachen im Betrieb kommuniziert werden kann. „Wir haben Vielfalt schon immer gelebt und als Bereicherung empfunden“, erklärt Karin Herges. Natürlich bräuchten etwa die Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu Beginn ein wenig mehr Unterstützung, etwa durch Sprachkurse oder auch bei der Wohnungssuche. Doch dafür hat der Betrieb schon einige qualifizierte und engagierte Fachkräfte gewonnen, die mit ihren Stärken und Ideen für frischen Wind und kreative Lösungen sorgen.

Projekt für Menschen mit Handicap: Aus Bildern werden Schuhe

Für das Projekt „Farben des Lebens“, bei dem aus den farbenprächtigen Bildern von behinderten Menschen durch einen von Johannes Herges neu entwickelten Prozess individuelle und handgefertigte Maßschuhe entstehen, wurde der Betrieb im November 2022 mit dem dritten Platz beim Förderpreis für innovatives und kreatives Handwerk der Sparkassen-Finanzgruppe ausgezeichnet. Das Angebot der farbenprächtigen und außergewöhnlichen Schuhe kommt bei den Kunden hervorragend an. „Vielen ist es wichtig, mit dem Kauf zusätzlich ein gutes Werk tun zu können“, weiß Karin Herges. Pro verkauftem Schuh geht ein Obolus an die Behinderteneinrichtung, die auch die Hälfte des Preisgelds von 2.000 Euro erhielt. Wertvoller als die finanzielle Unterstützung ist nach Einschätzung der Unternehmerin jedoch die Tatsache, dass die Behinderten über die Schuhe ein Gesicht bekommen: „Sie stehen nicht mehr am Rand, sondern werden wahrgenommen von der Gesellschaft.“