Interview zu Tradition und Fortschritt Hans Peter Wollseifer: "Das Handwerk braucht hybride Betriebe"

Zugehörige Themenseiten:
Ausbildung, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Nachhaltigkeit und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Wie mache ich meinen Betrieb fit für die Zukunft? Das wollten wir von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), wissen. Ein Gespräch über Wohlstandssicherung, Marktchancen und ein Treffen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Hans Peter Wollseifer, Präsident ZDH
Für ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer ist das Handwerk "Tradition und Fortschritt". - © ZDH/Boris Trenkel
handwerk magazin: Herr Wollseifer, wenn Sie heute noch mal einen Handwerksbetrieb gründen würden: Würde sich dieser mehr nach Start-up oder mehr nach klassischer Werkstatt anfühlen?

Hans Peter Wollseifer: Das Handwerk ist Tradition und Fortschritt. Es verbindet seit jeher die Tradition mit der Zukunft, die Stabilität mit der Innovationskraft. Wir brauchen also beides. Ich versetze mich jetzt mal 45 Jahre zurück und bin wieder 21 – damals stand ich ganz konkret vor dieser Frage. Zunächst würde ich mir heute überlegen, ob ich einen Betrieb gründen oder übernehmen will. Denn in beiden Bereichen gibt es für qualifizierte Handwerker und Meister im Moment ganz tolle Aussichten. Und ich würde mich fragen: Wo möchte ich hin? Welche Produkte möchte ich anbieten? Welchen Markt und welche Zielgruppe will ich ansprechen? Und will ich am Standort oder darüber hinaus arbeiten?

Wie würden Sie dann bei der Positionierung weiter vorgehen?

Bezogen noch einmal auf meinen Bereich: Ich bin gelernter Maler- und Lackierermeister, habe aber auch eine Baulehre gemacht. Ich war schon zuvor nicht so sehr im dekorativen Malerbereich tätig. Daher war klar, dass ich mich mehr auf den bauwerklichen Bereich, etwa auf die Betonsanierung oder die Instandsetzung konzentriere. Wo man seine Schwerpunkte setzt, muss man sich – wie ich damals – also schon überlegen. Die Spannbreite ist für viele Betriebe sehr groß. Denn daraus ergibt sich dann auch, welches Personal das richtige ist und welcher Kundenkreis angesprochen wird.

Wie würden Sie sich nun entscheiden: Gründen oder übernehmen?

Damals hatte ich einen Betrieb über­nommen, den ich dann erst einmal verkleinert und somit wieder von unten angefangen habe. Auch heute würde ich einen guten Betrieb übernehmen – um dann aber direkt auch größer einzusteigen. Vielleicht ist das jetzt auch der Erfahrungswert, den ich gemacht habe. Aber noch ein Satz zu Tradition oder Fortschritt: Wir brauchen beides, wir brauchen hybride Betriebe – egal ob ich gründe oder übernehme. Die Kunden erwarten heute Professionalität, Solidität, Zuverlässigkeit und natürlich auch, dass ich immer wieder neue Produkte anbiete und am Markt zukunftsweisend agiere.

Welche Maßnahmen müssen diese hybriden Handwerksbetriebe aus Ihrer Sicht heute unbedingt ergreifen, um sich für die Zukunft richtig aufzustellen?

Natürlich bin ich immer auf gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Ich muss ein attraktiver Arbeitgeber sein, meinen Betrieb vor Ort als Marke positionieren und qualifiziertes Personal an mich binden und neue Beschäftigte anwerben. Und ich würde immer ausbilden – so kann ich auf die Qualität der Ausbildung und damit die spätere Qualifikation meiner Leute Einfluss nehmen. Handwerksbetriebe können hier wirklich selbstbewusst auftreten und aktiv um junge Talente werben. Das würde ich empfehlen! Bei all den Bemühungen der Betriebe und der Handwerksorganisation um die berufliche Bildung muss aber die Politik mitziehen und Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wertigkeit der beruflichen Bildung viel besser anerkannt wird. Wir brauchen ein Gesetz, das die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung festschreibt. Am besten verfassungsrechtlich. Damit verbunden wäre der klare politische Auftrag an die jeweilige Bundesregierung, Gleichwertigkeit auch tatsächlich herzustellen, ganz konkret etwa auch bei den finanziellen Förderungen. Und darüber ­hi­naus wäre es ein tolles Signal an die Lehrer, die Eltern und die jungen Leute selber! Alle müssen wissen, dass eine qualifizierte berufliche Ausbildung nicht weniger wert ist als Abitur plus Studienabschluss.

Wie reagiert das politische Berlin auf Ihre Forderung nach der gesetzlichen Verankerung?

In der Vergangenheit war es so, dass man uns zwar immer zugehört hat, ich habe auch zustimmendes Kopfnicken gesehen – das war’s dann aber auch. Ich habe den Eindruck, das ist jetzt anders. Man erkennt langsam, dass wir nur mit qualifizierten Fachkräften den Wohlstand in diesem Land halten und die Versorgung mit Dienstleistungen überall aufrecht­erhalten können.

Die Zielsetzungen bezüglich Klimaschutz, Energiewende oder E-Mobilität verschärfen das noch. Wir finden jetzt mehr Gehör – aber das muss nun auch in Taten umgesetzt werden.

Die Marktchancen könnten kaum besser sein. Die Transformation in Richtung Klimaneutralität spielt dem Handwerk in die Karten, oder?

Ich glaube, dass wir Chancen und Risiken wie auch Belastungen haben. Heute kümmern sich schon rund 450.000 Handwerksbetriebe und fast 2,5 Millionen Beschäftigte in etwa 30 Gewerken um die Aufgaben des Klimaschutzes, der Energiewende, der E-Mobilität, der Umwelttechnik. All das, was die Koalition in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, das ist nur mit qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern möglich, nur mit ihnen wird es den gewünschten Wandel geben. Daher ist es natürlich eine ­Riesenchance – zugleich eine Riesenaufgabe für die nächste Dekade und darüber hinaus.

Aber es ist auch eine Belastung, weil auch das Handwerk etwa bei den Energiepreisen spüren wird, dass es Klimaschutz nicht zum Nulltarif geben wird. Und belastend ist auch, dass wir nicht genügend Fachkräfte haben.

Spüren Sie, was den Wandel angeht, mehr Vorfreude oder mehr Skepsis im Handwerk?

Wissen Sie, ich besuche in ganz Deutschland Meisterfeiern. Wenn ich den Optimismus der jungen Leute dort sehe, dann mache ich mir um die Zukunft des Handwerks keine Sorgen. Ich glaube, diesen Optimismus muss man sich als Unternehmer erhalten und bereit sein, etwas mehr zu tun. Wer dies qualifiziert und mit großem Engagement macht, der kann sich verwirklichen, zum Erfolg kommen und gutes Geld verdienen.

Wie unterstützen Sie als Handwerks­organisation die Betriebe bei der Transformation?

Natürlich weisen wir auf die Möglichkeiten wie aber auch die Herausforderungen und Risiken hin, vor denen die Betriebe stehen. Nehmen Sie beispielsweise die Digitalisierung. Viele unserer jungen Betriebe haben sich schon erfolgreich digital ausgerichtet – und das übrigens nicht nur in den administrativen Bereichen, sondern auch in den Produktionsabläufen, in der Akquise oder der Produktdarstellung.

Wir zeigen den Betrieben vorhandene Marktchancen auf und wollen sie in unseren Weiterbildungsstätten qualifizieren. Hier gibt es zahlreiche Angebote besonders über unser Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk. Aber wir machen die Betriebe gleichzeitig auch auf die Risiken aufmerksam, die etwa durch Cyberkriminalität bestehen. Davon sind gerade auch kleinstrukturierte Handwerksbetriebe betroffen. Wir kooperieren hier eng mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und raten unseren Betrieben dringend, sich mit der Cybersicherheit im eigenen Betrieb auseinanderzusetzen und Vorkehrungen zu treffen.

Bei Fachkräftesicherung und -gewinnung greifen Sie den Firmenchefs auch unter die Arme.

Wir tun alles, was wir seitens der Handwerksorganisation machen können, um die Betriebe bei der Fachkräftegewinnung zu unterstützen. Als ZDH haben wir maßgeblich das Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit angestoßen, auch mit dem Ziel, vielleicht so in Zukunft über die Fach­kräfte hinausgehend auch Jugendliche aus Drittländern in die Ausbildung nach Deutschland zu bekommen.

Unsere Hauptstoßrichtung ist es aber, dazu beizutragen, dass die Bedingungen für die Ausbildung in unseren Betrieben stimmen, und die Ausbildung zu fördern. Und vor allem auch, wieder mehr junge Menschen dafür zu gewinnen, eine handwerkliche duale Ausbildung zu machen. Hierfür kommen ganz viele Instrumente zum Einsatz: WhatsApp-Gruppen, Ausbildungsmessen, -speeddatings und -botschafter. Dann gibt es die Ausbildungsberater in unseren Handwerkskammern. Auf Bundes- und Länderebene forcieren wir gute Bildungsangebote – wie beispielsweise das Berufs­Abitur, das duale und triale Studium. Letzteres haben wir im Handwerk erfunden! Sie sehen: Wir arbeiten auf allen Ebenen – jetzt muss es angenommen werden.

Dazu passt auch Ihre neue Kampagne. „Die meisten Kinder wollen irgendwann mal etwas mit Handwerk machen. Bis Erwachsene sich ein­mischen“, heißt es dort.

Wir wollen mit dieser Kampagne wachrütteln und den Finger in die bildungs­politische Wunde legen. Der Slogan „Hier stimmt was nicht!“ ist doch eigentlich der richtige, wenn wir in unseren Schulen nur Wissen und kein Können mehr vermitteln. Man muss weiterdenken und die Erfordernisse der Zeit erkennen.

Wären wir wieder bei der Politik. Wie sind Ihre Erwartungen an die Ampel-Koalition?

Das Handwerk hat eine entscheidende Rolle beim Transformationsprozess, den wir in der Wirtschaft, aber vor allem auch in der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt und überall brauchen. Die Politik setzt da zurzeit Maßstäbe. Ich habe Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einem persönlichen Gespräch vermitteln dürfen, dass das Handwerk dahintersteht und unterstützen will. Wir leisten unseren Beitrag dazu, wir sind die Zukunftsmacher! Aber wir können das nur, wenn wir verlässliche Rahmenbedingungen bei der Steuer und den Sozialabgaben, der Bürokratie, den Finanzierungsmöglichkeiten der Betriebe oder den Energiepreisen vorfinden. Darauf sind wir angewiesen – das erwarten wir und das wünschen uns auch.

Wie hat der Bundeswirtschaftsminister auf Ihre Erwartungen reagiert?

Herr Habeck war ein sehr aufgeschlossener Gesprächspartner, der nicht nur selbst in einem solchen Gespräch redet, sondern auch zuhört. Der nicht nur Ziele definiert, sondern auch Lösungen erwartet und diese auch aufgreift. Ich habe dieses Gespräch als sehr positiv empfunden. Aus diesem Gespräch konnten nach meinem Gefühl beide Seiten einiges mitnehmen.

Präsident des ZDH: Hans Peter Wollseifer


Hans Peter Wollseifer, Jahrgang 1955, ist seit 1. Januar 2014 Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Der gebo­rene Hürther legte im Jahr 1976 die Meister­prüfung im Maler- und Lackiererhandwerk ab und startete im selben Jahr als Geschäfts­führender Gesellschafter eines Unternehmens für Bauwerkschutz und Gestaltung durch. Als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft setzt sich der ZDH für die Interessen von einer Million Handwerksbetrieben mit mehr als 5,62 Millionen Beschäftigten ein.