Interview Hans Peter Wollseifer zu Bürokratie und Bonpflicht: "Wir legen keine Wegwerfmentalität an den Tag"

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Ein Treffen in der Berliner Mohrenstraße: ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer möchte auch in seiner dritten Amtszeit alles dafür geben, das Handwerk voranzubringen. Zeit für ein Gespräch über die viel diskutierte Bonpflicht, aber auch Trendthemen wie Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel.

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    Hans Peter Wollseifer
    © Fabian Zapatka
    "Man muss den mittelständischen Betrieben mehr Luft zum Atmen lassen" – klare Worte von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).
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    ans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).
    © Fabian Zapatka
    Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).
handwerk magazin: Herr Wollseifer, beim Bäcker, Fleischer oder Friseur bekommen Sie seit Jahresbeginn einen Bon nach dem anderen ausgehändigt. Wie nehmen Sie als Verbraucher die Bonpflicht an der Ladentheke wahr?

Hans Peter Wollseifer: Wir als Handwerker und Handwerksorganisationen legen sehr großen Wert auf Steuerehrlichkeit. Das will ich ausdrücklich betonen. Hier geht es aber um eine massive Ausweitung von Bürokratie und Dokumentationspflicht, die so überhaupt nicht notwendig und deshalb nicht richtig ist. Unsere Betriebe investieren in zertifizierte, manipulationssichere Kassensysteme und somit in Sicherheit und Steuerehrlichkeit. Zusätzlich jetzt noch Bons ausgeben zu müssen ist völlig überzogen. Jeder Kunde, der bisher einen Bon haben wollte, hat auch einen bekommen. Das ist richtig so und soll auch weiter so bleiben.

Reicht die vorgegebene technische Sicherungseinrichtung nicht aus?

Nach unserer Meinung reicht sie absolut aus.

Die Belegpflicht ist ein gutes Beispiel dafür, wie Politik den heimischen Unternehmern das Leben schwer machen kann. Ist das der Grund, warum auch die Zahl der Selbstständigen 2019 zurückgegangen ist? Wo sehen Sie Ansatzpunkte, diese negativen Entwicklungen umzukehren und die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Unternehmertum in Deutschland zu verbessern?

Die Bonpflicht ist nur ein besonders plastisches Beispiel dafür, wie die Alltags-Belastungen für die Unternehmensführung immer weiter zunehmen – insbesondere auch im Bereich Bürokratie. Deshalb ist es mir so wichtig, bei der Politik endlich ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Folgen ihre Entscheidungen in der Praxis vor Ort haben. Die Bundesregierung hat zwar im letzten Jahr das Bürokratieentlastungsgesetz III auf den Weg gebracht – doch das ist eine große Enttäuschung. Unterm Strich hat das wenig entlastende Wirkung. Da muss wesentlich mehr kommen!

Was denn zum Beispiel?

Zum Beispiel die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn: Was für ein Aufwand da betrieben werden muss! Wenn Bäckereien, Gerüstbauer oder Gebäude­reiniger für zum Teil Hunderte von Mitarbeitern Lohn, Arbeits- und Pausenzeiten genauestens dokumentieren müssen – dann erzeugt das einen unglaublichen Aufwand. Der fesselt dann unsere Betriebsinhaber bis spät in die Nacht und am Wochenende an den Schreibtisch. Man muss den mittelständischen Betrieben mehr Luft zum Atmen lassen. Da gibt es viele Möglichkeiten. Wir haben jetzt einen dicken Katalog an konkreten Vorschlägen erarbeitet, mit denen sich Belastungen in der Praxis ganz einfach und schnell verringern ließen. Dieser Vorschlagskatalog entstand als Ergebnis zahlreicher Gespräche mit und Hinweisen von Handwerkerinnen und Handwerkern. Diese Vorschläge und Forderungen legen wir der Bundesregierung auf den Tisch und bleiben hartnäckig dran.

Sie haben die Möglichkeiten angesprochen. Können Sie verstehen, dass der eine oder andere Handwerkschef sich von der Politik im Stich gelassen fühlt?

Ich bin regelmäßig vor Ort in den Handwerkskammern, Kreishandwerkerschaften und Innungen von Flensburg bis Konstanz. Das ist für mich sehr wichtig. Denn dort habe ich das direkte Gespräch mit den Betrieben und erfahre, wo der Schuh drückt. Da bekomme ich die Probleme ­ungefiltert und kann sie mit nach Berlin nehmen. Ich erlebe, dass sich die Betriebe vorgeführt fühlen und – etwa bei der Bonpflicht – an den Rand der Kriminalität gedrängt. Manche resignieren dann einfach. Das der Politik zu vermitteln habe ich mir zur Aufgabe gemacht, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Da renne ich nicht nur vor verschlossene Türen.

Wie ist das so, als Stimme des Handwerks im politischen Raum unterwegs zu sein? Wie fühlt sich das an?

Zunächst einmal fühlt sich das sehr gut an, einen so starken, wichtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich in unserem Land vertreten zu dürfen. Und ich habe eine starke Handwerksorganisation hinter mir. Als einer der vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gehört der ZDH zum Kreis derer, die die Politik bei den allermeisten Gesetzgebungsfragen mit einbezieht. Wir können beraten und positiven Einfluss nehmen. Mit unserer Kompetenz werden wir oft gehört. Im vergangenen Jahr hat man ja auch gesehen, dass wir so eine ganze Menge erreichen können. Bei der Wiedereinführung der Meisterpflicht. Bei der steuerlichen Förderung von Investitionen in Gebäude-Energieeffizienz. Bei den Fortbildungsstufenbezeichnungen Bachelor Professional und Master Professional. Oft konnten wir in der Vergangenheit auch Schlimmeres verhindern.

Auf was spielen Sie hier an?

Ich will als konkretes Beispiel die Erbschaftsteuerpläne des damaligen Bundesfinanzministers Schäuble nennen. Falsche politische Vorhaben zu korrigieren und aus Sicht des Mittelstandes nachzujustieren ist eine Aufgabe, die sich durchgängig durch alle Politikfelder zieht – aktuell insbesondere in den Bereichen Steuern, Soziales, Arbeitsmarkt-, Verkehrs-, Umwelt- und Energiepolitik.

Ihnen traut man zu, sich mit Nachdruck in Berlin und Brüssel fürs Unternehmertum stark zu machen. Im Dezember wurden Sie mit überwältigender Mehrheit von den Delegierten des Deutschen Handwerkstags als ZDH-Präsident bestätigt. Ist die Entlastung der Betriebe Ihr Hauptauftrag?

Meine Hauptaufgabe in diesen drei Jahren sehe ich darin, die Wertschätzung für das deutsche Handwerk, für unsere Handwerksbetriebe und Beschäftigten zu stärken und deren Leistungen mehr in den Fokus von Politik und Gesellschaft zu rücken. Die Wertschätzung, der Respekt und die Anerkennung sind der Schlüssel für fast alle Herausforderungen und Probleme, die wir haben. Wenn die Ausbildungsleistung des Handwerks, übrigens die größte in Deutschland, anerkannt und wertgeschätzt wird, dann dürfte auch die Bereitschaft zunehmen, sie monetär stärker als bisher zu fördern. Und nicht nur einseitig die akademische Bildung. Die berufliche Bildung steht da immer noch im Schatten – das darf nicht sein. Wenn wir in Deutschland jetzt und in der Zukunft genügend Fachkräfte haben wollen, dann müssen wir spätestens jetzt handeln. Das ist ganz dringend angesagt.

Sind wir in Deutschland zu fixiert darauf, dass alle Kinder Akademiker werden müssen?

Ja, das hat sich über Jahrzehnte so aufgebaut. Die OECD hat immer wieder gesagt, dass der Akademisierungsgrad in Deutschland viel zu niedrig ist. Die Politiker haben darauf reagiert und alles in die eine Bildungsrichtung gelenkt – mit entsprechenden Folgen. Der schon jetzt bestehende Mangel an Fachpersonal ist in erster Linie eine Konsequenz aus dieser lang anhaltenden politischen Überhöhung von Abitur und Studium und dem geringen Respekt der Gesellschaft für die berufspraktische Ausbildung und Arbeit.

Die Debatten über Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel dürften auch in Ihrer dritten Amtszeit als ZDH-Präsident nicht verstummen. Welche Akzente wollen Sie in den kommenden drei Jahren diesbezüglich setzen?

Die Suche nach Personal treibt viele um – das ist nicht nur im Handwerk so. Wir im Handwerk könnten direkt eine Viertelmillion Arbeitsplätze besetzen. Ich sehe das als super Chance für diejenigen, die Augenoptiker, Hörakustiker oder Maler werden wollen.

Wären wir beim Thema Nachhaltigkeit. Auch auf der Internationalen Handwerksmesse, die am 11. März in München ihre Pforten öffnet, wird dieses Thema im Fokus stehen.

Wir sind der Wirtschaftsbereich, der seit jeher für Nachhaltigkeit steht wie kein anderer. Wir reparieren und warten – und legen keine Wergwerfmentalität an den Tag. Und das ist auch richtig so. Darauf müssen wir uns wieder rückbesinnen. Nachhaltigkeit ist für uns ein Zukunftsthema, das wollen wir auch nach außen tragen.

Auch auf der Messe in München?

Ja. Im Land des Handwerks werden wir zum einen hoch digitalisierte Handwerksbetriebe sehen und zum anderen nachhaltige Technik und Innovationen. Und es wird ein ZDH-Forum zum Thema Nachhaltigkeit geben, für das wir schon die Zusage von Grünen-Chef Robert Habeck haben. Zudem wird es von uns ein Positionspapier geben. Denn das Handwerk bezieht Nachhaltigkeit nicht nur auf den Umwelt- und Klimaschutz, sondern lebt Nachhaltigkeit auch in einer gesellschaftlichen Dimension: als größter Ausbilder, als Integrationsmotor, als Stabilisator ländlicher Räume.

Ab dem 1. März 2020 gilt das Fach­kräfteeinwanderungsgesetz. Wird das dem Handwerk nutzen?

Zunächst werden einige wenige, später dann hoffentlich mehr Fachkräfte nach Deutschland kommen. Ich glaube, dass man hier den richtigen Weg geht – also Vermittlungsabsprachen mit jenen Ländern, die einen ganz hohen Anteil an Jugendlichen in der Gesellschaft haben. Wir fangen an mit einem Pilotprojekt mit Bosnien-Herzegowina. Dort werben wir zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit Fachkräfte an und sorgen dafür, dass sie relativ schnell ein Visum bekommen. Handwerkskammern kümmern sich dann um die Anerkennung der Bildungsstandards und um Nachqualifizierungskonzepte. Und dann wollen wir diese Leute in Arbeit bringen, in Handwerksbetrieben. Das geht ab dem 1. März sofort los.

Und die Reaktionen aus der Hand­werkerschaft darauf?

Der eine oder andere ist natürlich skeptisch. Klappt das? Hilft uns das weiter? Ich erkläre ihnen dann, dass das strukturiert abläuft, durchdacht und eine gute Sache ist. Man muss wissen, dass wir uns heute schon in einem Standortwett­bewerb um gute Fachkräfte befinden – und da ist Deutschland nicht immer die erste Wahl.

Wenn wir uns in drei Jahren wieder treffen sollten, welches Resümee würden Sie dann für Ihre neun Jahre als ZDH-Präsident fällen?

Was haben wir heute schon geschafft: die Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf Berufen. Wir haben es auch geschafft, dass nach fünf Jahren eine Evaluierung kommt. Ich würde mir wünschen, dass wir am Ende meiner Amtszeit in drei Jahren auf einem guten Weg dahin sind und sich weitere Berufe auf dem Sprung befinden.

Herr Wollseifer, vielen Dank für das Gespräch!

Vita Hans Peter Wollseifer

Wiederwahl in Wiesbaden: Vergangenen ­Dezember haben die Delegierten des Deutschen Handwerkstages Hans Peter Wollseifer mit großer Mehrheit als Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) bestätigt. Der 64-jährige Maler- und Lackierermeister befindet sich somit in seiner dritten Amtszeit. Sein Fokus: Wollseifer möchte sich für eine noch stärkere Wertschätzung in Politik und Gesellschaft stark machen – für die Leistungen der Handwerksbetriebe und die berufliche Bildung.