Diskussion "halb voll, halb leer" Greenwashing bei Fonds: Hat der grüne Anstrich nachhaltiger Anlageprodukte System?

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Immer mehr Menschen interessieren sich für Nachhaltigkeit. Das belegen die großen Summen, die international in Richtung Umwelt, Soziales und verantwortliche Unternehmensführung (ESG) fließen. Und zwar sowohl auf der Finanzierungs- als auch auf der Anlegerseite. Doch wo viel Geld ist, ist auch Betrug keine Seltenheit: So werden Kapitalanlageprodukte als "grün, nachhaltig oder CO2-neutral bezeichnet, obwohl sie es nicht sind. Ist das eine Randerscheinung – oder hat das System? Zwei Experten erklären ihre gegensätzliche Einschätzung der Lage.

Jürgen Koppmann, Vorstand der Umweltbank, und Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, diskutieren, ob Greenwashing bei Fonds blüht oder nur ein kleines Pflänzchen ist. - © Fotos: Carl Keyes, Creative Juice - stock.adobe.com

"Greenwashing ist selten. Die meisten Fonds sind auf dem richtigen Weg."

„Greenwashing ist bei Fonds die Ausnahme. Transformation ist ein Prozess – kein Sprung, sie braucht Zeit“, wirbt Jürgen Koppmann, Vorstand der Umweltbank, für grüne Investments.

Jürgen Koppmann: Das eigentliche Problem ist die fehlende Definition von ‚grün‘ oder ‚nachhaltig‘
Für Jürgen Koppmann ist das Glas halb voll: Das eigentliche Problem ist die fehlende Definition von ‚grün‘ oder ‚nachhaltig‘ - © Fotos: Carl Keyes, Creative Juice - stock.adobe.com; Umweltbank

Ich verstehe, wenn – bei oberflächlicher Betrachtung – der Eindruck entstanden ist, Greenwashing sei bei ETFs und Investmentfonds der Standard. Tatsächlich haben ja viele Anbieter ihre Fonds zunächst als tiefgrüne sogenannte Artikel-9-Fonds eingestuft. Das mussten sie nach Druck durch die Aufsicht später revidieren. Jetzt haben wir vor allem Artikel-8-Fonds, die als hellgrün bezeichnet werden. Die Anlagekriterien sind also nicht ganz so umfassend nachhaltig und grün, wie es möglich wäre. Dieser Vorgang hat Vertrauen gekostet, das ist klar.

Ich finde aber, dass dieser Vorgang zeigt, wie gut die Aufsicht ihre Arbeit macht. Hier wird wirklich etwas im Sinne der Nachhaltigkeit getan. Und wer nun unterstellt, die Herabstufung sei notwendig geworden, weil die Anbieter lediglich auf einen fahrenden Marketing-Zug aufgesprungen sind und die Berücksichtigung von Environment, Social und Governance-Kriterien (ESG) nicht ernsthaft betrieben, der irrt wohl in den meisten Fällen. Denn das eigentliche Problem ist die fehlende Definition von ‚grün‘ oder ‚nachhaltig‘. Was der eine als nachhaltig einstuft, ist dem anderen eine Umweltsünde. So ist Atomkraft laut EU-Definition eine grüne Technologie. Diese Auffassung teilen in Deutschland nicht viele Menschen. Auch Rüstungsaktien galten lange Zeit als ein No-go bei deutschen ­Investoren. Unter dem Eindruck des Krieges Russlands gegen die Ukraine hat sich jedoch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Waffen verändert. Sie dienen ja auch der Verteidigung. Ich verstehe daher, dass manche Menschen diesen Bereich als nachhaltig – weil überlebenswichtig – einstufen und in die Aktien von Waffenherstellern investieren.

Informationsbedarf wie bei einem Autokauf

Damit wird deutlich: Anleger müssen sich mit ihren eigenen Überzeugungen und Präferenzen bezüglich der Nachhaltigkeit befassen. Wer das nicht will, kann auch nicht sicher sein, gemäß seiner eigenen Einstellung ‚grün‘ zu investieren. Autokäufer informieren sich auch über Anbieter, Motor, Farbe, Ausstattung. Und so muss man bei Finanzprodukten eben auch vorgehen.

Sicher, es gibt auch schwarze Schafe unter den Anbietern. Sie sind in ihrem Außenauftritt grün und verdienen ihr Geld mit schmutziger Technologie oder Krediten an Umweltsünder. Das ist dann tatsächlich Greenwashing. Doch das sehe ich eher als Ausnahme. Anleger können sich gut schützen, indem sie überprüfen, ob der Anbieter den grünen Gedanken wirklich in Gänze lebt. Das heißt: Welche Anstrengungen unternimmt er, um seine eigene Organisation nachhaltig aufzustellen? Wie positioniert er sich in den Hauptversammlungen? Welche Geschäfte macht er heute nicht mehr, die früher aber Teil seines Geschäftsmodells waren? Ich denke, so manchem Anbieter fehlt die Demut. Alle sollten erkennen, dass nachhaltiges Wirtschaften und Investieren so einfach eben doch nicht ist. Wir befinden uns in einem Prozess, und der braucht Zeit, da er nun in der Breite stattfindet. Jeder Anleger, der den grünen Weg mitgeht, gestaltet eine nachhaltige Zukunft.

Vita: Jürgen Koppmann

Jürgen Koppmann kam 1996 zu der gerade gegründeten Umweltbank. Dort wurde der Bankkaufmann und studierte Betriebswirt 2002 Vorstand. 2015 machte er sich selbstständig und kehrte 2017 zur Umweltbank zurück, wo er seit fünf Jahren wieder im Vorstand ist.

"Was als grün beworben wird, muss auch wirklich grün sein."

„Zu viele Fondsanbieter verwechseln grünes Marketing mit nachhaltiger Veränderung“, findet Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. Er fordert volle Transparenz und klare Regeln für nachhaltige Investments.

Gerhard Schick ist der Meinung, das oft "grünes" Marketing mit Nachhaltigkeit verwechselt wird.
Für Gerhard Schick ist das Glas halb leer: Er ist der Meinung, dass Greenwashing System hat. - © Fotos: Carl Keyes, Creative Juice - stock.adobe.com; Bündnis90/Die Grünen

Wer etwas verspricht, muss es halten. Das ist ein wichtiger Grundsatz des Zusammenlebens, den schon kleine Kinder verstehen –
und der im Geschäftsleben ebenso gelten sollte wie im Privatleben. Das bedeutet: Wenn eine Bank zum Beispiel ihren Kundinnen und Kunden verspricht, deren Geld „grün” oder „nachhaltig” zu investieren, dann muss sie das auch tun. Wenn sie das Geld stattdessen in Unternehmen investiert, die ihr Geschäft vor allem mit fossiler Energie machen, dann sprechen wir von Greenwashing. Und meinen damit nichts anderes als ein gebrochenes Versprechen. Eine Studie von Finanzwende Recherche zeigt die Dimension des Greenwashing: Demnach haben vermeintlich nachhaltige Fonds zwischen Dezember 2021 und März 2022 fast eine Milliarde US-Dollar zusätzliches Geld in fossile Energieunternehmen investiert. Fonds, die per Etikett ‚grün‘ sind, wurden so im Schnitt um 7,9 Prozent CO2-intensiver.

Greenwashing-Champion kommt aus Deutschland

Ein Greenwashing-Champion kommt übrigens aus Deutschland: Die DWS, Fondstochter der Deutschen Bank, hat über das Jahr 2022 hinweg Aktien fossiler Unternehmen im Wert von mehr als 850 Millionen US-Dollar hinzugekauft – und ist damit Spitzenreiterin bei Betrachtung ­aller in Europa erhältlichen und angeblich grünen Fonds.

Natürlich lässt sich niemand gerne vorwerfen, dass er Versprechen bricht und Etikettenschwindel veranstaltet. Das gilt auch für Banken. Statt von Green­washing sprechen diese daher lieber von ‚Missverständnissen‘ – an denen sie angesichts von Werbebildern und -prospekten, die angeblich nachhaltige Investments gerne mit Windrädern und grünen Wäldern verknüpfen, aber alles andere als unschuldig wären. Oder die Banken sprechen davon, mit ihren Investitionen erst die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu ermöglichen, auch die von Öl- und Gaskonzernen. Wie unsinnig dieses Argument teilweise ist, zeigt schon ein simpler Blick auf die aktuelle Strategie großer Ölkonzerne wie BP: Statt das Engagement für die Fossilen zurückzufahren, hat der Konzern es zuletzt sogar ausgebaut. Die mit dem Geld nachhaltigkeitsbewusster Kunden angeblich angeschobene Transformation stockt nicht nur – sie läuft sogar in die falsche Richtung.

Um es klar zu sagen: Die Greenwashing-Champions verstoßen mit ihren gebrochenen Versprechen zwar gegen die guten Sitten des Zusammenlebens – Gesetze brechen sie aber häufig keine. Was nur zeigt, dass die aktuellen Regeln für nachhaltige Geldanlagen viel zu kompliziert, viel zu lasch und viel zu leicht zu umgehen sind. Es ist höchste Zeit, das zu beenden. Bundesregierung und EU-­Kommission müssen dafür sorgen, dass Anlegerinnen und Anleger, die nachhaltig investieren wollen, keine grüne Mogelpackung angedreht bekommen. Doch bis es so weit ist, könnten Banken und Fondsanbieter mit gutem Beispiel vorangehen – und tatsächlich ‚grüne‘ Produkte anbieten, die diesen Namen auch verdienen. Was man verspricht, sollte man schließlich auch halten.

Vita: Gerhard Schick

Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) ist Politiker und Volkswirt. Von 2005 bis 2018 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit Juli 2018 ist er Vorstand des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende, der sich für eine nachhaltige Finanzwirtschaft einsetzt.