Serie New Work, 9. Folge Agil führen im Handwerk: Mit Transparenz und offener Kommunikation zu mehr Qualität

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Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, Fachkräftemangel, Mitarbeitermotivation und New Work

Sie entscheiden als Chef gerne selbst? Klar, es ist Ihr Betrieb. Doch deswegen kennen Sie nicht automatisch die besten Lösungen, dazu verändern sich Märkte und Menschen viel zu schnell. Wer sein Team aktiv einbezieht, erzielt bessere Ergebnisse und ist für Fachkräfte ein attraktiver Arbeitgeber.

Claudia und Daniel Brandstädter mit Team
Claudia und Daniel Brandstädter (Mitte sitzend), Inhaber der e-koris GmbH in Friedberg, beziehen das Team bei Entscheidungen ein. - © Lisa Hörterer

So, wie sie es früher erlebt haben, das war Claudia und Daniel Brandstädter schon bei der Gründung klar, wollten sie ihren Betrieb nicht führen: „Es hat mir als Geselle absolut keinen Spaß gemacht, unter einem patriarchalisch führenden, teils cholerischen Chef zu arbeiten“, erinnert sich der Inhaber der e-koris GmbH im bayerischen Friedberg an die ersten Berufsjahre. Auch seine Frau, die sich halbtags um Buchhaltung, Personal und die Medientechnik kümmert, hatte in ihrem Job als Veranstaltungstechnikerin genug vom „Arbeiten auf Ansage“. Kein Wunder also, dass Teamgeist und eigenverantwortliches Arbeiten seit 2005 genauso zur Unternehmenskultur gehören wie das Kümmern um die Belange der Mitarbeiter.

Ein Ansatz, der sich schon in den Anfangsjahren bewährte, aber im Laufe der Zeit immer wieder an die eigenen Erfahrungen und die wechselnden Bedürfnisse der inzwischen 14 Mitarbeiter angepasst wurde. So hatte das Führungsduo zwar immer „ein offenes Ohr“ für die Mitarbeiter und jeder konnte zu ihnen kommen, doch das war nicht genug: „Es gab immer Mitarbeiter, die sich nicht getraut haben uns anzusprechen, deshalb haben wir jetzt einen regelmäßigen Austausch etabliert“, erklärt Claudia Brandstädter.

Alle zwei Wochen wird geredet: über Sorgen und Nöte, Neues und Pläne

Alle zwei Wochen treffen sich die Chefs mit ihrem Team eine Stunde vor Feierabend (während der Arbeitszeit!), um zu hören, was die Mitarbeiter umtreibt, wie es dem Einzelnen geht und welche Sorgen und Nöte es gibt. Neben dem Zuhören geht es auch darum, das Team über die Firmenentwicklung, neue Pläne und Aufträge sowie etwaige Änderungen bei Vorschriften & Co. zu informieren. „Wichtig“, so Claudia Brandstädter, „ist das vor allem für die jüngere Generation, denn die wollen erst das Warum verstehen, bevor sie etwas tun.“

Weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg zur agilen Führung ist das eigenverantwortliche Arbeiten. Obwohl Daniel Brandstädter aufgrund der eigenen Erfahrungen schon immer ein Fan des partnerschaftlichen Führungsstils ist, musste er sich an dessen Umsetzung im Alltag erst gewöhnen. „Wie jedem Unternehmer fiel auch mir das Loslassen schwer, doch ab einer gewissen Betriebsgröße kann der Chef nicht mehr alles selber machen und entscheiden.“ Inzwischen hat der Unternehmer einige Aufgaben an das Team delegiert und vertraut darauf, dass die Mitarbeiter vor Ort auf der Baustelle die richtigen Lösungen finden. Natürlich ist er weiterhin für Rückfragen da, doch das kommt fast nie vor: „Unsere Mitarbeiter organisieren ihren Arbeitsalltag auf der Baustelle selbst und teilen sich die Arbeitszeit ein, das funktioniert prima.“

Arbeitszeit: Jeder arbeitet, so viel er will und kann

Was noch immer vielen Firmenchefs im Handwerk heftige Sorgenfalten auf die Stirn treibt, gehört im Friedberger Familienbetrieb inzwischen genauso zur DNA wie die Wunscharbeitszeiten: „Jeder Mitarbeiter entscheidet selbst, wie viel er arbeiten möchte und wann er auch mal eine Auszeit braucht“, erklärt Claudia Brandstädter. Dabei ist es egal, ob es um die Familie, Hobbys oder ehrenamtliche Einsätze geht. Während des Lockdowns hatte etwa ein Mitarbeiter nur eine Dreitage­woche, um seine Frau besser bei der Kinderbetreuung unterstützen zu können.

Stößt der auch nur 14 Mitarbeiter zählende Familienbetrieb dabei nicht an seine Grenzen? Bislang, versichert das Führungsduo, habe der Betrieb alle Wünsche erfüllen können, weil das Team die Ausfälle kompensiert. Zur Not helfen natürlich auch mal Chefin oder Chef aus, doch das passiere im Alltag eher selten, weil es eben eine hohe Bereitschaft bei den Mitarbeitern gibt, für den anderen einzuspringen. Schließlich weiß jeder, dass Chefs und Kollegen es umgekehrt für einen selber auch tun. Der Erfolg des innovativen Führungsmodells lässt sich nicht nur in betriebswirtschaftlichen Zahlen messen: Beim „Innovationspreis Vereinbarkeit“ des Netzwerks „Erfolgsfaktor Familie“ wurde e-koris von Bundesfamilienministerin Lisa Paus in Berlin mit dem ersten Platz ausgezeichnet.

Schwarmintelligenz nutzen: Jeden Tag ein bisschen besser werden

Wie schwer es im Alltag ist, die vom Markt geforderte Agilität mit der von den Mitarbeitern gewünschten Flexibilität in Einklang zu bringen, bestätigte Jutta Rump bei der Preisverleihung. Die renommierte Arbeitsmarktexpertin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen betonte in ihrer Rede, wie wichtig es für Unternehmen ist, die notwendigen Veränderungen anzustoßen, ohne dabei die Balance zu verlieren: „Wir müssen die Schwarmintelligenz in den Betrieben nutzen und jeden Mitarbeiter nach seinen Stärken entwickeln, um die vom Markt und den Kunden geforderten Innovationen voranzutreiben.“ Dabei sei das selbstbestimmte Arbeiten auf Augen­höhe ein wichtiger Schlüssel.

Doch was tun, wenn der Betrieb (noch) leidlich mit dem Führen auf An­sage funktioniert? Muss jeder wirklich seine Unternehmenskultur auf den Kopf stellen? Susanne Grätsch, Expertin für Change Management und Transformation beim Berlinerteam, kennt die Vorbehalte aus vielen Beratungsgesprächen. Und weist deshalb gerne darauf hin, dass es nicht nur darum geht, in einer sich ständig verändernden Welt die richtigen Entscheidungen zu treffen: „Den Mitarbeitern und vor allem auch der Genera­tion Y einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten ist ein weiteres wichtiges Argument für einen agilen Führungsstil.“ Das sei besonders für das Handwerk relevant, da viele in ihrer Wahrnehmung mit der Branche noch immer einen autoritären Führungsstil verbinden. Doch je kleiner der Betrieb, desto besser könne der Chef den Prozess steuern. „Agil“, so Susanne Grätsch, „heißt schließlich nicht, dass jeder macht, was er will, sondern die Leit­linien werden gemeinsam festgelegt.“

Ideal zum Einstieg: Lockere Shopfloor-Runden

Schnellere und bessere Entscheidungen, attraktive Arbeitsplätze und motivierte Mitarbeiter – sind die Vorteile eines agilen Führungsstils im Handwerk angekommen? Alexandra Natter, Personalberaterin bei der Handwerkskammer Ulm, hat festgestellt, dass viele den Begriff zwar nicht perfekt einordnen können, aber einzelne Aspekte wie regelmäßige Besprechungsrunden durchaus umsetzen. Um tiefer ins Thema einzusteigen, bedarf es nach Einschätzung von Beraterkollegin Beate Karcher (Handwerkskammer Karlsruhe) einer hohen intrinsischen Motivation des Unternehmers, sich mit seiner Rolle auseinanderzusetzen. Diese sei vor allem bei den jüngeren Chefs sowie den Nachfolgern vorhanden. Als ideales Einstiegsinstrument empfehlen die Expertinnen strukturierte Kurz-Meetings in Werkstatt, Salon oder Baustelle, im Fachjargon auch Shopfloor-Management genannt.

Claudia und Daniel Brandstädter haben darüber in handwerk magazin gelesen und wollen die Methode auf jeden Fall ausprobieren. Zwar läuft die Kommunikation bei e-koris sehr gut, doch beide finden Spaß daran, jeden Tag ein bisschen besser zu werden und das Team mitzunehmen. „Es ist spannend zu sehen, wie sich die Menschen entwickeln und wie sie an ihren Stärken wachsen“, bringt Daniel Brandstädter die Unternehmenskultur auf den Punkt. Bei so viel Engagement verwundert es kaum, dass der Betrieb ausreichend Fachkräfte und Azubis gewinnen und halten kann.

Führungstile im Vergleich: Was agil führen bedeutet

Der Chef sagt, wo es langgeht, und hat immer recht – auf diesen Führungsstil wurden
zahlreiche Familiendynastien aufgebaut. Doch Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich schneller denn je, sodass Chefs gut daran tun, das Wissen ihrer Mitarbeiter zu nutzen.

Autoritäre FührungAgile Führung
Der Chef ist derjenige, der am besten fachliche und persönliche Orientierung geben kann.Die Welt verändert sich zu schnell und die Aufgaben sind zu komplex, so dass Chefs nicht immer die größte Kompetenz haben können.
Entscheidungen werden ausschließlich vom
Vorgesetzten getroffen.
Entscheidungen werden im definierten Rahmen von den Mitarbeitern getroffen.
Der Vorgesetzte bestimmt die Strategie, die
Ziele und die Vorgehensweise, denn er weiß am besten, was dran ist.
Die Strategie, die Ziele und Vorgehensweisen
werden gemeinsam im Team diskutiert, damit alle Sichtweisen einfließen können.
Es gibt detaillierte Vorgaben, damit die Aufgabe so umgesetzt wird, wie der Chef es will.Chefs definieren Leitlinien, innerhalb derer
Mitarbeiter und Teams selbst entscheiden.
Wichtige Gespräche führt der Chef, denn er hat die Verantwortung und trifft Entscheidungen.Bei wichtigen Gesprächen sind Mitarbeiter zumindest dabei, wenn sie sie nicht sogar allein führen.
Der Chef kontrolliert und achtet darauf, dass
Ziele erreicht, gewünschte Verhaltensweisen
gezeigt und Vorgaben eingehalten werden.
Die Mitarbeiter entscheiden selbst und besprechen die Ergebnisse im Team und mit dem Chef, um die Entscheidungsqualität zu verbessern.
Weicht ein Mitarbeiter vom gewünschten Verhalten ab, gibt es ein kritisches Feedback vom Chef, damit der Mitarbeiter das richtige Verhalten lernt.Abweichungen sind möglich und werden als wertvolle Lernerfahrung betrachtet. Trial und Error ist ein wichtiges Vorgehensprinzip.
Für jedes Projekt wird ein Ziel definiert und ein Plan entwickelt, der strikt abgearbeitet und vom Chef kontrolliert wird.Es werden generell nur die ersten Schritte geplant, vor der weiteren Umsetzung gibt es Feedbackrunden, um Änderungen zu besprechen.
Die Arbeitsqualität soll hoch sein und es werden immer 100 Prozent angestrebt.Gemeinsam wird eine „Definition of done“ erarbeitet und festgelegt, welches Ergebnis konkret benötigt wird.
Quelle: Susanne Grätsch und Kassandra Knebel auf berlinerteam.de

Anleitung: Vier Schritte zu mehr Agilität

Der Chef ist im Hamsterrad gefangen, es gibt hohe Fehlzeiten, viele Kündigungen, schlechte Stimmung und Chaos bei der Auftragsabwicklung – je mehr dieser Faktoren auf Ihren Betrieb zutreffen, desto dringender sollten Sie Ihr Führungsverhalten überdenken.

  1. Ist-Zustand beschreiben: Analysieren Sie sachlich, wie die Zusammenarbeit zwischen Chef und Mitarbeitern in Ihrem Betrieb aktuell abläuft und wo für Sie dabei die Stärken und Schwächen liegen. Entwickeln Sie eine Vorstellung davon, wie Ihre neue Rolle als Chef aussehen könnte und was Sie künftig von Ihrem Team konkret erwarten. Prüfen Sie vor dem nächsten Schritt, ob Sie wirklich bereit für eine Veränderung sind.

  2. Mitarbeiter einbeziehen: Was läuft gut? Was läuft schlecht? Was sollten wir ändern? Reden Sie offen mit jedem einzelnen Mitarbeiter und gleichen Sie die jeweiligen Aussagen mit Ihrer eigenen Einschätzung ab. Wer das nicht möchte, kann Stimmung, Stärken und Schwächen auch über eine (anonyme) Mitarbeiterbefragung herausbekommen.

  3. Maßnahmen vereinbaren: Um wirklich etwas verändern zu können, müssen Sie sich mit dem Team auf Maßnahmen verständigen, die von allen akzeptiert werden. Die Mitarbeiter fühlen sich schlecht informiert und beklagen das Chaos bei der Auftragsabwicklung? Dann können regelmäßige, strukturierte Kurzmeetings dabei helfen, Informationsfluss und Prozesse zu verbessern. Wie Shopfloor-Management im Handwerk funktioniert, lesen Sie hier.

  4. Regelmäßiges Feedback: Hinterfragen Sie in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit Ihrem Team die getroffenen Maßnahmen und passen Sie diese jeweils an die aktuellen Erfordernisse an. Das kostet zwar Zeit und manchmal auch Nerven, ist aber eine super Chance, der Konkurrenz am Markt immer den entscheidenden Schritt voraus zu sein.