Interview mit ZDB-Vorstandsmitglied ZDB-Vorstand Tobias Riffel über Datenmanagement: Mehr Erkenntnisse über die Arbeit auf der Baustelle gewinnen

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BIM, Datenschutz, Digitalisierung, Werkzeug und Maschinen, Zeiterfassung und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Wer Daten sammelt, weiß mehr: Das findet Tobias Riffel, der sich in seiner Rolle als Vorstand beim Zentral­verband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) für ­die Digitalisierung stark macht. In seinem Berufsalltag als Bauunternehmer geht er dabei selbst voran, um die Arbeit auf der Baustelle einfacher und schneller zu machen.

Tobias Riffel ist beim ZDB für die Digitalisierung zuständig. - © Micha Wolfson
Herr Riffel, im Januar waren Sie auf einer Innovationsreise im Silicon Valley und bei der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. Hatten Sie dort ein Aha-Erlebnis?

Da gab es einige. Die dortigen Unternehmen und Startups kochen zwar auch nur mit Wasser, befinden sich aber in einem anderen Umfeld im Ökosystem Silicon Valley. Das war für mich interessant zu sehen. Sie verfolgen sehr klar strukturiert definierte Themen und Ziele, an denen sie festhalten, selbst wenn sie nicht wissen, ob am Ende etwas dabei herauskommt. Von diesem Mut können wir lernen. Interessant ist auch, dass viele eine große digitale Zukunft im Bauen sehen und erhebliches Potential in unserer Branche. Während das Zukunftsthema autonomes Fahren im Pkw-Sektor vorerst offensichtlich bereits weitgehend ausgereizt ist, gibt es am Bau noch viel Luft nach oben, wenn es um Automatisierungslösungen geht. In dieser Sichtweise fand ich mich bestätigt. Große Player wie Google oder Amazon interessieren sich deswegen auch für diesen Bereich und engagieren sich bei Firmen in den Bereichen Bau und SHK-Handwerk. Mit Daten aus anderen Quellen, über die sie schon verfügen, können sie Schritt für Schritte relevante Mehrwerte schaffen. Stellen wir uns mal vor, Amazons Alexa wüsste, wie gern oder oft Sie duschen, und dass sie sich dabei häufig über die verkalkte Duschbrause ärgern? Da entsteht dabei vernetztes Wissen, das sich irgendwann gewinnbringend nutzen lässt. Zum Beispiel könnten die Duschbrausen unter ihrem Account dann teurer sein als unter dem ihrer Freunde.

Wie stehen Sie zu solchen Geschäftsmodellen?

Auf der Baustelle fehlen natürlich noch viele Erkenntnisse, die sich über Daten einholen lassen können. Andererseits sehe ich diese Vorgehensweise, private Daten zu sammeln, kritisch, auch wenn ich dem Datenschutz nicht die allerhöchste Priorität beimesse. In Deutschland sind wir ja meist zumindest vordergründig sehr um den Schutz unserer persönlichen Daten besorgt, obwohl viele auf der anderen Seite sehr viele Daten freiwillig zur Verfügung stellen, um eine Reihe von Vorteilen zu erhalten, ich denke dabei an Paybackkarten, Bonusprogramme, Alexa und Siri und so weiter. Im Gegensatz zu Datengenerierung in den USA oder auch China passiert das jedoch in der Regel mit größerer Transparenz und auf Basis einer Wahlfreiheit. Solchen Geschäftsmodellen Daten gegen Mehrwert gehören die Zukunft, so oder so. Wer seine eigenen Daten nicht zur Verfügung stellen will, wird nach meiner Einschätzung am gesellschaftlichen Leben langfristig gesehen nicht mehr uneingeschränkt teilnehmen können.

Welche Vorteile bringen Daten auf den Baustellen? Wie weit sind wir hier in Deutschland?

Die einzelnen Unternehmen bewerten das sehr unterschiedlich. Laut einer aktuellen Studie von Bitkom nutzen 82 Prozent der Unternehmen noch das Faxgerät. Bereits vor 15 Jahren haben zwar wir in unserem Unternehmen einen großen Schritt gemacht, diese Technologie ins Nirvana zu verabschieden, aber wie die Studie erkennen lässt, bewahren viele Menschen gerne Dinge, an die sie sich gewöhnt haben. In unserer Firma wissen unsere 56 Mitarbeitenden allerdings, dass nicht alles so bleibt, wie es ist – da gibt es natürlich bei manchen einen gewissen Leidensdruck. Aber auch in anderen Unternehmen passiert gerade viel und die Geschwindigkeit, sich zu digitalisieren, wird schneller.

In welchen Bereichen in Ihrem Unternehmen werden schon Daten erfasst, mit dem Ziel, automatisiert arbeiten zu können?

Bei der Baustellen-Dokumentation haben wir vor fast 15 Jahren angefangen, das war ein erster wichtiger Schritt, später folgte die Zeiterfassung. Damals kamen gerade die ersten Smartphones auf den Markt und unsere Poliere konnten über Fotos erfassen, was auf den Baustellen den ganzen Tag über gebaut wurde. Das hat uns erlaubt, den Ist-Zustand mit dem geplanten Zustand abzugleichen: Wurden die richtigen Steine für die Mauer verwendet, stimmen die Maße, und befinden wir uns, wie böse Zungen oft lästern, überhaupt auf der richtigen Baustelle? (lacht) Unser großes Ziel ist es, dass wir den Bau-Prozess vollständig über den digitalen Zwilling steuern können. Dass alle Projektbeteiligten jederzeit über das Geschehen auf der Baustelle und den Produktionswerken Bescheid wissen, aber auch über die vorgelagerten Planungsprozesse informiert sind und ihre Leistung rechtzeitig einbringen können – dort müssen wir hin, das ist der rote Faden. Während wir durch das Bauen mit Fertigteilen schon länger mit Building Information Modeling (BIM) am digitalen Zwilling arbeiten, sind leider noch nicht alle Unternehmen oder Planer soweit, mit denen wir auf der Baustelle zusammenarbeiten.

Das liegt vielleicht daran, dass nicht alle den Mehrwert erkennen – sondern vor allem erst mal Mehrarbeit sehen.

Das stimmt. Wenn der Aufwand in keiner Relation zum Ergebnis steht, stellt sich natürlich die Frage der Akzeptanz und für mich als Unternehmer auch die Frage der Sinnhaftigkeit. Die Facharbeiter auf der Baustelle werden nicht fürs Datenerfassen bezahlt. Es muss einfach und es muss schnell gehen. Bei uns hat sich der Mehrwert bei der Fotodokumentation auf der Baustelle rasch gezeigt, weil wir über Software die Bilder automatisiert im System ablegen konnten – ohne, dass sie jemand im Büro in mühsamer Handarbeit zuordnen muss. Unsere Mitarbeiter haben den riesengroßen Vorteil sofort erkannt und geschätzt. Seither habe ich konsequent auf die Linie gesetzt, dass eine Innovation mindestens zu zwei Mehrwerten führen muss, damit wir sie im Unternehmen einführen.

Was waren denn die beiden Mehrwerte bei der Zeiterfassung?

Dadurch, dass wir die Arbeitszeiten per App erfassen, können wir jede Tätigkeit und jeden Bauabschnitt in Einklang zu unserer Kalkulation setzen. Wir sehen auf einen Blick, wie viele Stunden die Mitarbeitenden im Erdgeschoss eines Rohbaus tätig waren, wieviel Zeit sie im Obergeschoss aufgewendet haben. Natürlich kann man das auch auf einen Zettel notieren – die Frage ist dann aber, ob es jemand abtippt und im System erfasst. Als zweiten Mehrwert können wir von den Daten in Verbindung mit der Ortung über GPS vollautomatisiert ableiten, auf welcher Baustelle sich der Mitarbeiter befindet, und dazu die passende Kostenstelle zugrunde legen sowie die Kontaktdaten der jeweiligen Lieferanten. Der Mitarbeiter erhält dann automatisch das, was er für seine Arbeit braucht, zum Beispiel eine Routenplanung zur Baustelle sowie seit diesem Jahr ein entfernungsabhängiges Verpflegungsgeld. Die Prüfungen zur Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Belange wie z.B. die Höchstarbeitszeit und Pausenzeiten von jugendlichen Azubis passieren quasi nebenbei. Das alles mit den jeweiligen Detailregelungen von Hand korrekt zu errechnen oder prüfen, wäre bestimmt nicht spaßig.

Welche Art von System verwenden Sie dafür?

Als große Basis nutzen wir eine Enterprise-Resource-Planning-Software (ERP). Für die Zeiterfassung haben wir ein spezialisiertes System angedockt und die Automatismen sukzessive eingerichtet. Wo eine Industriekauffrau früher ein Excelformular erstellt hat baut sie heute einen digitalen Prozess auf, das nennt sich bei uns zwar immer noch Formular, ist aber selbsterklärend und in einer Sekunde da wo es gebraucht wird und die Daten anschließend da wo sie hin gehören. Über die App auf seinem Handy kann jeder Mitarbeitende seine Zeiten eintragen, inklusive den Urlaubsanträgen oder Krankmeldungen. Das machen wir natürlich auch im Büro. Davon waren allerdings nicht alle gleich begeistert. Die Akzeptanz war aber schnell da als wir die Papier-Urlaubsanträge abgeschafft haben (lacht).

Das klingt nach gelebtem Change Management.

Manchmal muss man pragmatische Lösungen ergreifen. Nach der anfänglichen Zwangsbeglückung sehen unsere Mitarbeitenden heute selbst ganz klare Vorteile darin, zu wissen, wohin sie wann fahren müssen und wieviel Urlaubstage sie noch haben. Auch das Bautagebuch generiert sich automatisch. Im Drei-Stunden-Takt wird über ein angebundenes Online-Tool relevante Faktoren, wie zum Beispiel auch die Temperatur auf der Baustelle erfasst. Während die Mitarbeitenden früher nach eigenem subjektivem Ermessen entschieden haben, ob die Wetterbedingungen für einen Arbeitsschritt gegeben waren, ist es über die Datenerfassung nun möglich, die Entscheidung auf einer sachlichen Ebene zu treffen. Darüber hinaus können wir Formulare wie die Prüfung der Erdungsanlage oder die Grundleitungs-Druckprüfung digital aufsetzen, so dass der Mitarbeiter weiß, was er machen muss und das ist von Baustelle zu Baustelle nun mal unterschiedlich. Gleichzeitig wird alles in Echtzeit im System erfasst und dokumentiert. Wenn wir die Daten brauchen, finden wir sie jederzeit auf einen Klick, natürlich der Baustelle, dem Bauteil oder Geschoss und dem Erstellungszeitpunkt zugeordnet. Wenn sie bei einem Kunden per mail eine vereinbarte Zahlung für das Betonieren einer Bodenplatte anfordern und ihm das erst wenige Minuten alte Foto aus der Doku gleich mitschicken dann beeindruckt das selbst heute noch viele.

Wer geht Ihnen bei der Entwicklung der digitalen Infrastruktur zur Hand – haben Sie eine eigene IT-Abteilung?

Mit 56 Mitarbeitenden sind wir kein Großkonzern und verfügen daher auch über keine eigene IT-Abteilung. Aber wir haben Dienstleister, die uns unterstützen, und einige Mitarbeitende, die sehr technologieaffin sind und selbst einiges umsetzen. In jedem Team gibt es welche, die bei Innovationen gerne vorne dabei sind und die anderen mitnehmen. Die Frage ist allerdings nicht nur, wie weit wir in unserem Unternehmen bei der Digitalisierung inklusive Datenerfassung sind, um automatisierter und damit effizienter zu arbeiten. Wir arbeiten auf den Baustellen immer mit vielen anderen Projektbeteiligten zusammen, die oft noch nicht so weit sind. Einen Gleichklang zu erzielen, damit jeder auf das gleiche Wissen zurückgreifen kann, wäre wünschenswert. Nicht alle Baubeteiligten hinterlegen wie wir ihre Leistungen im digitalen Zwilling, besonders problematisch ist dies bei den vor uns tätigen Architekten und Fachplaner – daher müssen wir heute noch zu oft 2D-Pläne in Gebäudemodelle nachbauen und somit unproduktive Doppelarbeit leisten. Gerne investieren wir Zeit und Arbeit, um unsere Erkenntnisse, die wir über die Digitalisierung gewinnen, mit anderen zu teilen. BIM kann kein Einzelner, nur alle Baubeteiligten zusammen können „BIM“, vom Architekten bis zum Handwerker.

Gesetzt den Fall, alle beteiligten Partner wären schon so weit: Was lässt sich mit den gesammelten Daten von der Baustelle perspektivisch anfangen?

Je mehr Daten wir haben, desto klüger lösen wir die Fragen von morgen, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen. Wichtig ist es, dass es keine Insellösungen gibt, über die Daten wieder in einer Sackgasse landen. Alle Systeme müssen ineinander greifen, so dass auch alle Informationen einfließen und von allen wieder genutzt werden können.

Welche Technologien wünschen Sie sich, um künftig noch weiter vorausschauend arbeiten zu können?

Über Drohnen lassen sich im Straßenbau schon präzise Flächen vermessen und Fehlstellen mit KI automatisch entdecken, daraus weitere Prozesse ableiten. Das zählt für mich zu den absoluten Highlights. Im Hochbau sind wir noch nicht ganz soweit. Wenn wir zum Beispiel ein paar Drohnen über unserer Baustelle hätten, die den Fortschritt permanent monitoren, könnten wir in Echtzeit automatisiert erkennen, ob ein Wandfertigteil an der passenden Stelle verbaut ist. Wenn dadurch noch vermessen und dokumentiert würde, dass die Maße exakt stimmen, wäre das bestimmt auf meiner Wunschliste weit oben. Wir haben im Herbst eine Microsoft Hololens mit entsprechender Software getestet: Wenn diese Technologie einem Facharbeiter millimetergenau zeigen könnte, wo er ein Mauerwerksmodul platzieren muss, dann wäre der Papierplan Geschichte und meine Wunschliste abgearbeitet.

Zusammen mit Sensoren, die den Feuchtigkeitszustand einer Wand prüfen, oder auch Maschinen und Werkzeuge auf der Baustelle lokalisieren?

Ja genau, da wir unsere Ziegelwände trocken im Werk vorproduzieren und entsprechend verpacken ist das mit den Sensoren für die Feuchtigkeit für uns nicht ganz so wichtig. Bagger können wir beispielsweise bereits jederzeit orten und remote auf sie zugreifen, aber bei unseren rund 500 Kleingeräten sind wir noch nicht soweit – das ist erst unser übernächstes Projekt, hier gibt es einige gute Systeme am Markt. Zunächst steht die Automatisierung unserer Abläufe im Datenmanagement-System über Künstliche Intelligenz (KI) an. Bei der Rechnungserfassung ist die KI schon in der Lage, Daten zu erfassen und eigenständig auszuwerten und Zahlvorgänge auszulösen. Das führt konkret zur Entlastung einer Büro-Mitarbeiterin, die anstatt Rechnungen und Lieferscheine abzutippen, dann produktivere Arbeit erledigen kann.

Wie entwickeln Sie die Zukunftsaussichten für Ihr Unternehmen: Mit wem tauschen Sie sich darüber aus?

Der Austausch mit anderen ist sehr wichtig, es hilft sich mit Gleichgesinnten der selben Branche auszutauschen aber auch der Blick und die Kontakte über den Tellerrand hinaus in andere Branchen ist für mich noch wichtiger.Je mehr Verknüpfungspunkte wir im Unternehmen sehen, desto mehr Sinn erkennen wir darin und desto mehr Spaß macht es, Dinge zu verändern und voranzubringen. Ich persönlich habe sicherlich eine große Affinität zu den Themen rund um Digitalisierung und Innovation. Ich leite das Unternehmen gemeinsam mit meinem Cousin, der das genau so sieht.Genau genommen haben unsere Väter in den Siebzigerjahren mit der Digitalisierung begonnen, damals wurde das erste EDV-System eingeführt, zuerst mit Lochkarten, dann mit Magnetspeicherplatten, das war für ein Unternehmen unserer Größe sicher sehr frühzeitig. Ich selbst habe mit meinem Eintritt in das Unternehmen vor gut 20 Jahren konsequent mit der Digitalisierungsarbeit angefangen und werde in 20 Jahren sicher noch nicht fertig sein.

Zur Person

Tobias M. Riffel ist Geschäftsführer von Riffel Bau & Fertigteile und von Rimatem, einem Systemanbieter für modulares Mauerwerk, in Dischingen, Baden-Württemberg. Der Bauingenieur beschäftigt sich mit dem Wandel der Baubranche – von handwerklich geprägter Tradition hin zu digitalen Prozessen. Diese Themen verantwortet er auch als Vorstand beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und bei der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Sein Credo: „Fortschritt kommt nicht von Bewahren.“