IoT auf der Baustelle Nie wieder Geräte suchen: Vernetzte Werkzeuge und Maschinen bringen mehr Effizienz auf dem Bau

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Handwerker, die auf der Baustelle nach einzelnen Maschinen und Werkzeugen suchen, verzögern den gesamten Ablauf. Was wäre, wenn die Geräte ihren Standort selbst melden könnten?

Bastian Strauß, IT-Leiter bei der Nietiedt-Gruppe
Bastian Strauß, IT-Leiter bei der Nietiedt-Gruppe, kann seine Werkzeuge und Maschinen jederzeit orten. - © Tobias Trapp

Beim Gerüstbauer Nietiedt steht der nächste Einsatz bevor. Ein Mitarbeiter belädt den Transporter und stutzt: „Der Fallschutzläufer fehlt.“ Das Gerät, das Gerüstbauer zusammen mit einem Gurt vor Stürzen von Steigleitern bewahrt, ist so klein wie eine Brotzeitbox und leicht zu übersehen. Wenn es nicht mehr auftaucht, sind ungefähr 800 Euro verloren. Doch Bastian Strauß hat vorgesorgt. „In den vergangenen Jahren haben wir Hunderte unserer Maschinen, Werkzeuge und Gerüstteile mit GPS- oder ­Bluetooth-Sensoren versehen“, erzählt der IT-Leiter der Nietiedt-Gruppe im ­niedersächsischen Wilhelmshaven. Das zahlt sich jetzt aus: Ein Klick auf den Werkzeug-Tracker – und der kleine batteriebetriebene Funksender ist geortet. „Das Gerät liegt im Lager zwei“, ruft Strauß seinem Kollegen zu.

Mit der Vernetzung spart der IT-Experte den Teams auf der Baustelle viel Zeit und Nerven. Er bewahrt sie außerdem vor Unfällen: Die persönliche Schutz­ausrüstung gegen Absturz wie der Fallschutzläufer müssen einmal pro Jahr überprüft werden, um sicher zu bleiben. Damit der Zeitpunkt nicht verstreicht, hat Strauß jedes Gerät über eine eigene ID in einem Portal erfasst und somit einen digitalen Zwilling angelegt. Im Prüfprotokoll poppt dann automatisch die Meldung auf, wann die nächste Wartung ansteht. Falls der verantwortliche Mitarbeiter den Termin trotzdem verpasst, erhält der Vorgesetzte eine Meldung und kann die Überprüfung nachholen, bevor ein Unfall passiert.

Standardlösung mit Tücken

Bastian Strauß hat sich diese Abläufe mit seinem Team überlegt und mit Entwicklern aus der Region das Programm dahinter gebaut. Von einem Software-Anbieter mit einer fertigen Lösung will er sich nicht abhängig machen. „Wenn ein Fehler in der Software auftritt, müssen Kunden häufig lange warten, bis er behoben ist. So viel Zeit können wir nicht verschwenden“, kritisiert er. Noch etwas spricht für ihn dagegen: „Wer auf Standardlösungen setzt, kann seine eigenen Prozesse nicht vollständig steuern, da die Software viele Prozessschritte vorgibt. Mit der Eigenentwicklung erreichen wir maximale Flexibilität, vollständige Vernetzung unserer Softwaresystem und somit einen Wettbewerbsvorteil“, erklärt der IT-Manager.

Mit seiner Pionierarbeit löst Strauß, der sich als „Macher in der Digitalisierung“ bezeichnet, nicht nur eigene Probleme. Auf Social Media teilt er freizügig sein Wissen. Zum Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk (MDZ) pflegt er außerdem einen engen Kontakt. Christoph Krause, der das Zentrum in Koblenz leitet, findet wie Strauß viel Spaß daran, über digitale Prozesse neue Geschäftsbereiche zu erschließen. „Wenn die Mitarbeiter im Betrieb zu jeder Zeit wissen, wo sich ihre Werkzeuge befinden, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten“, ­findet Krause. So könnte die Nietiedt-Gruppe ihre aktuell nicht benötigten Maschinen und Geräte an andere Betriebe vermieten.

Vernetzung der Geräte: So geht’s

Um Maschinen und Werkzeuge über das Internet der Dinge (IoT) leichter auffindbar zu machen, benötigt es eine Strategie und passende Sensoren. Für die Ortung werden üblicherweise Beacons eingesetzt, kleine Funksender, die über Bluetooth kommunizieren.

  1. Das Produkt aus dem Handwerk, das vernetzt werden soll, steht im Fokus, zum Beispiel Baumaschinen, Heizungsanlagen oder Material. Handwerksbetriebe sollten zunächst klären, welche Lösungen sie benötigen und dann die passende Technologie auswählen.
  2. Sind das Gerät und die Lösung festgelegt, benötigen die Baubetriebe einen passenden Sensor, der die jeweilige Messung durchführt.
  3. Diese Informationen müssen von einem Empfängergerät erhalten und gespeichert werden. Die Signale eines Bluetooth-Beacons lassen sich zum Beispiel auf dem Smartphone empfangen.
  4. Zuletzt geht es darum, die Relevanz der über die Sensoren generierten Informationen zu überprüfen. Nur ausgewählt wichtige Daten sollten beim Nutzer ein Signal auslösen.

Handwerker entwickeln selbst

Solche evolutionären Modelle treibt Krause mit dem Forschungsprojekt „IoT4H“ voran. Elf Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Handwerk, darunter etwa die Kreishandwerkerschaft Rhein-Erft, stehen dahinter. Seit August 2022 wird es außerdem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. „IoT4H“ – das steht für das Internet der Dinge fürs Handwerk. Dazu zählen Bluetooth-Sensoren, wie sie Strauß für sein Werkzeug-Tracking verwendet. In regelmäßigen Workshops, so genannten „Hackathons“, trommeln die Projektpartner im gesamten Bundesgebiet Handwerksbetriebe und Entwickler zusammen. Gemeinsam sollen sie das gesamte Spektrum von IoT im Handwerk ausschöpfen und Prototypen entwickeln.

Die Feldarbeit stößt zunehmend auf Interesse bei den Betrieben, beobachtet Krause: „Die Energiekrise hat dem Thema einen großen Schub gegeben.“ So lassen sich mit der von Bastian Strauß entwickelten IoT-Lösung etliche unnötige Fahrten zur Baustelle und zurück sparen. Eine Trackingbox in den Fahrzeugen, die mit Sensoren versehen ist, zeigt an, ob die Werkzeuge komplett sind oder ein Teil wie zum Beispiel eine Bohrmaschine fehlt. Gerade auf Baustellen, bei denen viele unterschiedliche Handwerker mitarbeiten, bringt es viel, wenn ein smartes Gerät mitdenkt.

Auslastung jederzeit im Blick

In Bremen beschäftigt sich die Firma Syniotec mit Technologien, die Maschine und Werkzeuge vernetzen. Da gibt es beispielsweise das IoT-Gerät „Core“, das Telematikdaten großer Baumaschinen auf die hauseigene App auf dem Smartphone überträgt. Dafür wird die kleine Box an den Stromkreis der Maschine angeschlossen. Über ein GPS-Tracking lassen sich die Baumaschinen nun jederzeit per GPRS ausfindig machen. Die Auslastung der Maschinen lässt sich so ständig im Blick behalten und es ist möglich – insofern es sich um ein Mietmodell handelt – ihre Laufzeit zu überwachen. Zudem kann das IoT-Gerät kleine Funksender, sogenannte Beacons, in einer Entfernung von bis zu 800 Metern orten. „Alle relevanten technischen Daten wie Betriebsstunden pro Projekt, Wartungsintervalle und verantwortliche Personen sind einsehbar”, sagt Arne Stehnken, Chief Financial ­Officer bei dem Software-Anbieter.

Ebenfalls beliebt, um Maschinen und Werkzeuge zu verwalten, ist das Syniotec-Produkt „Tags“. Die kleinen Plättchen können an großen Maschinen, aber auch an Kleinteilen wie Bohrmaschinen, Ketten oder Rüttelplatten angebracht werden. Scannt ein Mitarbeiter den QR-Code, erhält er ein ausführliches Profil des jeweiligen Geräts und kann ein technisches Prüfprotokoll durchführen. Roland Caillé, Leiter der Maschinentechnik beim mittelständischen Bauunternehmen Stehnke, nutzt beide Anwendungen. „Wir haben alle unsere Geräte digitalisiert“, sagt er. Das spart dem gesamten Team von 470 Mitarbeitern viel Zeit. Die Prozesse sind deutlich schneller. Besonders gut gefällt Caillé auch, dass sich über die Hardware „Core“ sogar Maschinen wie Bagger oder Erdbohrer selbstständig auf den Baustellen einbuchen können.

Basis für viele Zusatzgeschäfte

Ein absolutes Muss ist es für den technischen Leiter, alle Maschinen regelmäßig auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen. Bei rund 6.500 Geräten führt es leicht ins Chaos, wenn der Check in Papierform durchgeführt wird. „Heute arbeiten wir die Prüfprotokolle digital und automatisiert ab, was hundertprozentige Rechtssicherheit bedeutet“, freut sich Caillé. Gerade, wenn etwas passiert, fordern Auftraggeber Nachweise ein, die zeigen, dass mit höchster Sorgfalt gearbeitet wurde.

Dass in der vernetzten Baustelle die ­Zukunft liegt, sollte eigentlich allen Firmen klar sein. Trotz der vielen Vorteile fällt es den meisten Firmen aber noch schwer, den ersten Schritt zu digitalen Bauabläufen zu tun. Dabei lohnt es sich schon ab einer Betriebsgröße von 25 Mitarbeitern, die Werkzeuge untereinander zu vernetzen. Die Kosten für die Hardware liegen bei Syniotec je nach Gerät zwischen zwei und 200 Euro. Dazu kommen die monatlichen Preise für die Software-Nutzung zwischen 60 Cent und 4,90 Euro, je nach Anzahl der Geräte. „In vielen Unternehmen weiß oft keiner, wo sich die Geräte, die einen Großteil der Investitionen schlucken, befinden oder ob sie sogar gestohlen wurden“, beobachtet Stehnken. Wer hingegen Bescheid weiß, legt die Basis für Sicherheit – und lukrative Zusatzgeschäfte.

Digitalisierung der Baustelle: Die Vorteile

Im Bauhandwerk gilt die Maschinenflotte als ein sehr kostspieliges Ínvestitionsgut. Schon allein deshalb ist es wichtig, dass die Firmen jederzeit genau wissen, wo sich ihre Bagger, Kettenlader und Planierraupen befinden.

  • Sicherheitsprüfung:
    Anstatt Maschinen und Werkzeuge manuell einem Sicherheitscheck zu unterziehen, können sie über eine ID auf einer Plattform digital abgebildet werden. Selbsttätig lösen sie dann eine Meldung aus, wenn die nächste Prüfung ansteht.
  • Tracking:
    Häufig vergessen Mitarbeiter, die benötigten Geräte auf die Baustelle mitzunehmen, oder suchen sie vergeblich im Lager. Manchmal passiert es auch, dass einzelne Tools geklaut werden. Mit einer Tracking-Lösung kann der Aufenthaltsort der einzelnen Utensilien dagegen zu jeder Zeit bestimmt werden.
  • Unternehmen als Entwickler:
    Gängige Software-Lösungen stellen für einige Firmen die besten Lösungen dar. Für andere wiederum bilden sie die individuellen Prozesse im Unternehmen nicht eins zu eins ab. Eine Alternative ist es daher, die Tools selbst zu bauen. Diese als Blanko-Lösung an andere Firmen weiterzuverkaufen eröffnet eventuell ein neues Geschäftsfeld.
  • Als Vermieter auftreten:
    Wer jederzeit über den Verbleib und die Auslastung seiner Geräte Bescheid weiß, kann sie auch vermieten. Auch das ist ein neuer Geschäftszweig, der nachhaltig ist und zudem für eine zusätzliche Einnahmequelle sorgt.