Gerüstbau Vielfalt im Handwerk: Mit Toleranz gegen den Fachkräftemangel

Das Familienunternehmen Bönninger Gerüstbau positioniert sich klar gegen Fremdenfeindlichkeit und kämpft gegen Stereotype. Die Inhaberin Nadine Bönninger möchte zudem ein Vorbild für andere Mädchen und Frauen sein. Gelebte Vielfalt im Handwerk, die sich auszahlt – eine interkulturelle Erfolgsgeschichte in mehrerlei Hinsicht.

Die Geschwister Nadine und Christian Bönninger setzen sich für Vielfalt im Handwerk ein und kämpfen gegen Diskriminierung und Stereotypen.
Die Geschwister Nadine und Christian Bönninger führen gemeinsam das Gerüstbau-Familienunternehmen. - © Jens Nieth

„Viele haben eine ganz falsche Vorstellung vom Gerüstbau“, sagt eine Frau, die es wissen muss: Nadine Bönninger ist Gerüstbaumeisterin und führt zusammen mit ihrem Bruder Christian die Bönninger Gerüstbau GmbH & Co. KG in Dortmund. Sie merkt, dass ihr Beruf oft unterschätzt wird: „Die meisten sehen nur das Gerüst an der Hausfassade und fragen sich, ob dafür eine dreijährige Ausbildung nötig ist.“ Das sei aber zu kurz gedacht: „Wir bauen Hänge-, Trage- und Sonderbau-Gerüste auf, da gibt es schon anspruchsvolle Aufgaben.“

Mit 150 Monteuren kann das Unternehmen Aufträge jeglicher Art bedienen. Auch den Dortmunder Fernsehturm hat das Familienunternehmen schon eingerüstet. Dazu hat der Meisterbetrieb mittlerweile ein neues Geschäftsfeld erschlossen und ist auch in den Brückenbau eingestiegen. Mit großen Ambitionen möchten die Unternehmer auch in Zukunft weiterwachsen und den Betrieb ausbauen. Dafür braucht es aber vor allem eins: Fachkräfte.

Teamarbeit ungeachtet der Herkunft

Speziell im Gerüstbau ist es schwer Mitarbeiter zu finden. Die körperlich harte Arbeit und die fehlende Anerkennung erschwert es den Betrieben passende Fachkräfte zu finden. Die Firma Bönninger geht darum einen besonderen Weg und wirbt offensiv damit, dass ihnen Zeugnisse „scheißegal“ sind: „Bei uns bekommt jeder eine Chance, unabhängig von Noten. Der Bewerber muss arbeiten wollen und in die Belegschaft passen“, erklärt die Gerüstbaumeisterin. „Gerüstbau ist Teamarbeit! Arbeiten wie ein Stier alleine reicht nicht“, so die Inhaberin weiter. Und im Team arbeiten, können Menschen aus der ganzen Welt, wie die Gerüstbauer beweisen.

Mehr als die Hälfte der Belegschaft hat einen Migrationshintergrund: „Bei uns sind viele Nationen vertreten, unter anderem Rumänen, Türken, Polen, Russen.“ Manche konnten gar kein Deutsch, bis sie beim Handwerksunternehmen angestellt waren und es im Arbeitsalltag lernten. Der Meisterbetrieb ist offen für Menschen aller Nationalitäten und hilft den Arbeitern, wo sie nur können. „Trotz unserer Größe sind wir ein sehr familiärer Betrieb. Die Mitarbeiter können mit allem zu uns kommen. Wir sind zum Teil Lehrer, Eheberater und Erzieher“, sagt Nadine Bönninger. „Unsere Mitarbeiter sind nicht bloß Arbeitskräfte, sondern Menschen mit den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Hintergründen. Damit sind sie wertvoller Teil unserer Gesellschaft“, ergänzt Christian Bönninger.

Für Vielfalt, gegen Fremdenhass

Die Bönninger Gerüstbau GmbH & Co. KG stemmt sich gegen den Fremdenhass und bekennt sich klar zu Vielfalt und Toleranz. Um das zu verdeutlichen nutzen die Unternehmer ihre Werbeflächen für wichtige Botschaften. Am Hauptbahnhof in Dortmund hängt aktuell ein 500 Quadratmeter großes Banner, auf der ein Handwerker zu sehen ist, der ein Hakenkreuz in den Mülleimer wirft. „Das ist der Vorteil, von Gerüstbauern: Wir haben die größten Werbeflächen“, sagt Nadine Bönninger. Schon zuvor machte der Betrieb mit ähnlichen Aktionen auf sich aufmerksam. Unter anderem mit „Stop Racism“- und „Gemeinsam gegen Rassismus“-Bannern.

Neben ein paar einzelnen Beschwerden, kam und kommt aber viel mehr positives Feedback. 2023 wurde das Traditionsunternehmen für seine öffentliche Haltung und den Einsatz für Vielfalt, mit dem Interkulturellen Wirtschaftspreis ausgezeichnet. Das Preisgeld spendete der Betrieb umgehend an eine Grundschule im Dortmunder Norden. „Die Werte, die wir mit unseren Botschaften übermitteln, liegen uns sehr am Herzen“, sagt Christian Bönninger. Dazu kämpfen die Gerüstbaumeister gegen Stereotypen im Handwerk. Und die Klischees kennt kaum jemand besser, als die Chefin selbst.

500 Quadratmeter misst die Botschaft für Vielfalt im Handwerk.
500 Quadratmeter misst die Botschaft für Vielfalt im Handwerk. - © Christian Bönninger
Diese klare Botschaft für Vielfalt und Toleranz hängt aktuell am Hauptbahnhof in Dortmund.
Diese klare Botschaft hängt aktuell am Hauptbahnhof in Dortmund. - © Christian Bönninger

Vorurteile, Klischees, Stereotype

Anstatt auf dem Klettergerüst stand Nadine Bönninger bereits mit fünf Jahren auf dem Baugerüst und hat die ersten Kleinteile eingehängt. „Ich wollte immer etwas tun – körperlich arbeiten“, erinnert sich Bönninger. Ihre Mutter war erst gegen die Ausbildung im Gerüstbau und wollte sie vor den dummen Sprüchen schützen. Diese kamen wie erwartet: „In der Berufsschule war es schon komisch. Ich werde die ersten Tage dort nie vergessen. Aber ich habe mich durchgekämpft und kam dann auch als einzige Frau gut klar.“ Besonders im Gerüstbau-Handwerk ist die Frauenquote noch sehr gering. „Als Frau musst du immer zweihundert Prozent geben und ein dickes Fell entwickeln“, erklärt die Unternehmerin.

Durch ihr Vorwissen konnte sie sich beweisen und zeigen, dass sie „nicht nur das dumme Blondchen“ ist. Im Anschluss an die verkürzte Ausbildung legte sie den Meisterbrief nach und avancierte mit 19 Jahren zur ersten Gerüstbaumeisterin Deutschlands. Mittlerweile versucht sie mit ihrem Bruder zusammen weitere Mädchen und Frauen für den Handwerksberuf zu begeistern. Mit Schulbesuchen und Girls Days machen sie auf sich aufmerksam und wollen damit ein anderes Verständnis schaffen. Ganz getreu dem Motto: Gerüste auf-, Vorurteile abbauen.

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