Zukunft Handwerk Trendradar 2023: Anti-Haltung führt zum Scheitern – Betriebe müssen sich mit Plattformen beschäftigen

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Digitalisierung, Internationale Handwerksmesse, IT-Trends, Kundenbindung, Plattform-Business und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Viele Handwerksbetriebe wissen heute, dass sie ihre Arbeitgebermarke stärken müssen, um Fachkräfte zu gewinnen. Einen Trend verschlafen sie jedoch: ihre Kunden über digitale Geschäftsmodelle bzw. Plattformen zu bedienen.

Kunden über Plattformen bedienen
Betriebe, die sich der Herausforderung des Wandels aktiv stellen, haben die Chance, neue Geschäftsmodelle zu schaffen. - © Robert Kneschke - stock.adobe.com

Bis Handwerkschefs ihre Betriebe ins Metaverse übersiedeln, der neuen virtuellen Parallelwelt im Internet, ist es noch einige Jahre hin. Sven Tollmien wundert sich daher nicht, dass Experten aus dem Handwerk diesen Trend noch wenig beachten. Gemeinsam mit einzelnen Gewerken und Verbänden aus dem Handwerk sowie der Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM) hat Tollmien, Director bei der Trend- und Strategieberatung Trendone, ein Trend­radar kreiert. Ein Ergebnis hat ihn allerdings überrascht: „Unsere Experten­runde aus dem Handwerk, die einzelne Entwicklungen für ihre Branche bewertet hat, misst der Plattform-Ökonomie erst mittelfristig eine größere Bedeutung zu.“

Komplettes Angebot auswählbar

Doch sehen Tollmien und Cornelia Lutz, Bereichsleiterin B2C-Messen und Koordinatorin Handwerkspolitik bei der GHM, die Plattformen als wesentlich wichtiger an. „Schon jetzt gibt es wegweisende Anbieter, die zeigen, wie sich Kundenwünsche voll digitalisiert bedienen lassen“, schildert Lutz. Zum Beispiel Thermondo: Den digitalen Marktplatz leitet Philipp Pausder, ein ehemaliger Profi-Basketballer – nicht etwa ein Meister aus dem Handwerk. Pausder achtet auf schnelles Wachstum: Vor elf Jahren gegründet, beschäftigt das Start-up heute gut 700 Mitarbeiter und installiert nach eigenen Angaben 400-mal so viele Heizungen pro Jahr wie ein durchschnittlicher Handwerksbetrieb. Das schafft Thermondo nicht nur aufgrund seiner Größe, sondern auch weil das komplette Angebot transparent im Internet ist: Alle möglichen Heizungslösungen sind präsentiert und können per Klick ausgewählt werden. Die Kunden sind damit in der Lage, leichter zu vergleichen und die beste ­Lösung für sich zu finden.

Nicht immer zur Freude der Handwerkschefs. „Viele Betriebe sind darüber verärgert, wenn Akteure außerhalb des Handwerks in ihren Bereich drängen – und Erfolg haben“, beobachtet Cornelia Lutz. Sie verweist auf andere Branchen, in denen sich das ähnlich verhält. Beispiel Uber: Als der Technologie-Dienstleister auf den Markt kam und mit Taxi-Unternehmen konkurrierte, überlegten Firmenlenker im Ausland, was sie von Uber lernen können. Nicht so in Deutschland. „Bei uns zogen die Taxi-Unternehmer gleich vor Gericht“, erzählt Lutz.

Anti-Haltung führt zum Scheitern

Doch ließen sich Entwicklungen in freien Märkten nicht einfach verbieten. Die GHM-Managerin rät Firmen daher, eine „offene Haltung“ gegenüber neuen Entwicklungen einzunehmen. „Eine ständige Anti-Haltung führt zum Scheitern.“ Betriebe, die sich der Herausforderung des Wandels aktiv stellen, haben indes die Chance, neue Geschäftsmodelle zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie im digitalen Wettbewerb nicht abgehängt werden, sagt Tollmien. „Eine Frage, die dabei hilft, ist: Was wäre, wenn der Trend von morgen von jedem aktiv aufgegriffen wird?“

Mehr Lust daran, Dinge neu zu denken und zu erfinden, wirkt sich letztlich positiv auf die Arbeitgebermarke aus. Ein Trend, der die Handwerkschefs – laut der Einschätzung der Experten – schon jetzt vollauf beschäftigt. „Gerade Betriebe in kleineren Orten oder in Gegenden abseits der Ballungsgebiete fällt es schwer, qualifizierte Mitarbeitende zu finden“, sagt Tollmien. Firmen benötigen daher einen professionellen Webauftritt, der technisch gesehen auf mobilen Geräten funktioniert und auch inhaltlich anspricht, rät der Trendone-Manager: „Um Aufmerksamkeit zu erzielen, nimmt das Erzählen von Geschichten einen steigenden Stellenwert ein, weil es eine persönliche Ansprache ermöglicht.“ Kurzum: Mit Fotos und Videos auf Social Media können sich Unternehmen sympathisch präsentieren und ihre Kompetenz, ihre Verbundenheit mit der Region oder ihr soziales Bewusstsein vermitteln.

Studiensteckbrief

Serie Trendradar Teil 4 Kommunikation und Betrieb
Serie Trendradar Teil 4 Kommunikation und Betrieb - © GHM

Um für das Handwerk in die Zukunft zu blicken, hat die Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM) gemeinsam mit der Trend- und Strategieberatung Trendone ein neues Trendradar 2023 entwickelt. Auf Basis fundierter Trendforschung wurden gesellschaftliche, wirtschaft­liche und technologische Trends herausgearbeitet mit zukünftigen Auswirkungen auf das Handwerk.

Ein Kreis von mehr als 50 Expertinnen und Experten aus dem Handwerk einzelner Gewerke und von Verbänden hat in einer Online-Abstimmung die Trends qualitativ bewertet. Auf Trends, die in den kommenden fünf Jahren eintreten und eine hohe Relevanz für das Handwerk aufzeigen, sollten die Betriebe schon jetzt ins Handeln kommen. Vorbereiten müssen sie sich auf solche Entwicklungen, die in fünf bis sieben Jahren das Handwerk signifikant verändern werden, und solche beobachten, die in zehn Jahren auf die Agenda kommen (in der Grafik groß, mittel und klein abgebildet).

Event Zukunft Handwerk

Mit Zukunft Handwerk versammelt die Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM) Meister und Macher von 8. bis 10. März 2023 im ICM in München. Das neue gewerkeübergreifende Veranstaltungsformat aus dem Handwerk und für das gesamte Handwerk findet künftig jährlich statt und richtet sich live und online an Gesellen, Handwerksunternehmer, Start-up-Gründer und Politiker.

In mehr als 50 Sessions werden Themen von heute und morgen diskutiert und Praxiswissen vermittelt. Ergänzt werden Bühnenprogramm und Netzwerkmöglichkeiten durch Abendveranstaltungen und handwerkspolitische Formate, wie die ZDH-Vollversammlung oder das Spitzengespräch der Deutschen Wirtschaft.