Transparenz im Handwerk Gemeinsam wachsen im Handwerk: So werden Sie zum Plattform-Gründer

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Digitalisierung, Geschäftsideen und Plattform-Business

Plattformen bringen Angebot und Nachfrage übersichtlich ­zusammen – und treiben damit den Markt voran. Für Handwerksbetriebe lohnt es sich, die Initiative zu ergreifen, um ihre Zukunft mitzugestalten. Das Gute daran: Eine digitale Plattform zu gründen kostet nicht viel und stärkt das Wir-Gefühl.

Melanie Pastorino, Dieter Windmüller
Dieter Windmüller, Geschäftsführer Windmüller Haustechnik in Schwäbisch Hall, hat mit Marketing-Mitarbeiterin Melanie Pastorino die Plattform Rundumhandwerk entwickelt. - © Annette Cardinale

Handwerksleistungen lassen sich schlecht übers Internet vertreiben. Seinen Glaubenssatz wirft Dieter Wind­müller über Bord, als er erfährt, dass der chinesische Online-Marktplatz Alibaba Yachten in Millionen-Euro-Höhe virtuell an die Käufer bringt. „Dieselben Geschäfte können wir auch mit unseren Produkten im Internet abschließen“, denkt sich der Geschäftsführer des Haustechnik-Spezialisten Windmüller im baden-württembergischen Schwäbisch Hall. Ein neues Bad oder eine moderne Heizung zählen noch nicht einmal zu den Luxusgütern, überlegt er: „Unsere Produkte brauchen alle, die Hemmschwelle, sie online zu erwerben, sollte um einiges niedriger sein.“

Plattform als großer Markt

Damit bringt der Handwerkschef das Problem auf den Punkt: Bisher machen es die Betriebe ihren Kunden nicht gerade leicht, schildert er. „Angebote einholen, Preise vergleichen, all das muss der Kunde typischerweise selbst erledigen.“ Häufig denkt er darüber nach, was neue digitale Spielarten fürs Handwerk bedeuten könnten. Die Idee, eine Plattform als großen Marktplatz zu entwickeln, der Angebot und Nachfrage zusammenführt, reizt ihn. Er bespricht sich mit seiner Marketing-Managerin Melanie Pastorino, die das Konzept für die Plattform Rundumhandwerk.de entwickelt.

Mehr als 30 Betriebe haben die beiden in ihrer Region bereits überzeugt, sich für einen Monatsbeitrag von 99 Euro auf der Plattform zu präsentieren: mit Produkten, Arbeitsleistungen und dem verbindlichen finalen Preis fürs gesamte Bauvorhaben. „Der Kunde weiß sofort mit welcher Investition er rechnen muss, der Betrieb dagegen kann sich auf Kunden konzentrieren, die den Preis bereits kennen und akzeptieren“, erklärt Melanie Pastorino.

Dass eine Plattform die beste Lösung im Sinne des Kunden ist, zeigt für die beiden Gründer ihre eigenen Erfahrungen. Bevor sie Rundumhandwerk entwickelt haben, versuchten sie mit einem hauseigenen Online-Konfigurator fürs Bad, Interessenten digital abzuholen und dadurch Mehrgeschäft zu erzielen. Über das Tool auf der Website können Nutzer mit wenigen Klicks per Frage-Antwort-Systematik ihr eigenes Wunschbad zusammenstellen und erhalten daraufhin im Handumdrehen ein erstes automatisiertes Angebot. „Der Faktor Zeit­ersparnis ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch letztlich reicht er nicht“, bilanziert Windmüller.

Mit Rundumhandwerk ist er diesem Ziel näher gekommen. Um den Kunden nach seinen Bedürfnissen zu bedienen, stellt Windmüller auf Rundumhandwerk.de jedem Betriebsmitglied einen eigenen Bereich zur Verfügung. Dort präsentiert sich der Betrieb mit seinem individuellen Firmenprofil, stellt Produkte und Dienstleistungen in den Shop ein und erhält jeden Monat eine Auswertung der Kundenbesuche, Anfragen und Verkäufe. Diesen Service übernehmen bisher Melanie Pastorino und ein interner Programmierer. Weitere Kosten fallen nicht an. Dass der Programmierer bereits zum Team gehört, ist für Windmüller entscheidend: „Einen externen Software-Spezialisten zu beauftragen ist kostspielig und birgt ein weitaus höheres finanzielles Risiko“, erläutert er. Für die Zukunft plant der Handwerkschef, für sein junges wachsendes Geschäftsfeld eine eigene Bürokraft einzustellen, die sich um die Mitglieder-Akquise kümmert. Das Geschäft mit der Plattform lohnt sich.

Betriebe sollten die Macht im Markt behalten

Um den Zusatzverdienst, den er mit Rundumhandwerk erwirtschaftet, geht es dem Betriebschef allerdings nur in zweiter Linie. Zuvorderst sieht er nicht ein, warum handwerksfremde Platt­formen immer mehr in sein Geschäftsfeld eindringen. „Was Alibaba, Amazon oder eben auch MyHammer oder Thermondo speziell im Handwerk tun, können auch kleinere Betriebe erledigen“, findet er. Steffen Gießmann, der bei der Handwerkskammer (HWK) Dresden den Bereich Innovation und Technologie verantwortet, pflichtet bei. „Wenn große Plattformen dem Handwerk die Kundenakquise abnehmen und die Jobs unter den Betrieben verteilen, verkümmern diese zur verlängerten Werkbank“, erklärt er. Dem Experten zufolge muss das nicht immer das Schlechteste sein. „Viele Betriebe greifen gerne darauf zurück, weil sie sich dadurch aufs Wesentliche konzentrieren können.“

Anders sieht es aus, wenn man an die Zukunft denkt. Derjenige, der den Kontakt zu den Kunden hat, erhält auch die Kontrolle über Nachfrage und Angebot und damit die Marktmacht. „Über den Netzwerk-Effekt ist der Stellenwert von Plattformen im Markt so groß, dass keiner an ihnen vorbeikommt“, weiß Gießmann. Für den HWK-Experten müssen die Plattformen daher idealerweise aus dem Handwerk selbst heraus geschaffen werden. Als Vorzeigebeispiel verweist er auf Materialrest24.de, ein virtuelles Lager für überschüssiges Material im Handwerk. Gegründet vom Dachdecker Simon Schlögel in München, zeigt die Plattform beispielhaft, wie Marktplätze funktionieren: Auf der einen Seite gibt es im Bauhandwerk bundesweit viele ungenutzte Bauartikel und Maschinen. Auf der anderen Seite sind da etliche Betriebe, die genau diese Überbleibsel benötigen. Angebot und Nachfrage zusammenzuführen ergibt die gewünschte Win-win-Situation, die nur größere Plattformen ermöglichen können.

Eng an den Bedürfnissen der Kunden entwickeln

Die gute Nachricht: Betriebe aus jedem Gewerk können in der Plattform-Ökonomie mitmischen, ohne selbst hohe Investitionen zu tätigen. Alles, was dafür benötigt wird, ist ein Geschäftsmodell, das sich eng an den Bedürfnissen der Kunden als der Nachfrage-Seite ausrichtet und das auch die Anbieter im Markt überzeugt. Wie das gelingt, zeigen Julian Lindinger und Konrad Geiger mit ihrer Plattform Power Us. Ihre Vision ist stark: „Wir bauen das Linkedin fürs Handwerk.“

Die beiden Mittzwanziger haben für die Gründung ihrer GmbH 25.000 Euro bezahlt, doch das war alles. Als studierter Informatiker bringt Lindinger viel eigene Expertise für die Programmierung der Plattform mit. Zunächst launchten sie das Karriereportal Electry, speziell für technische Fachkräfte aus Ausbildungsberufen wie etwa Elektroniker und Anlagenmechaniker, und präsentierten sich damit auf Facebook und Instagram. Auf der Social-Media-Plattform tummeln sich viele Nachwuchskräfte und Arbeitnehmer, die Interesse an Karrieretipps haben. „Viele Handwerker, die keine Kenntnisse über ihren Marktwert haben, laufen Gefahr ausgebeutet zu werden“, weiß Lindinger. Mit seiner Plattform hilft er ihnen dabei, einen stichhaltigen Lebenslauf zu verfassen und ein gutes Gehalt auszuhandeln. Das lockt viele Arbeitnehmer an. Schnell verfügt er über eine kritische Masse an Fach- und Nachwuchskräften im Handwerk, mit der er nun an Unternehmen herantritt. „Heute haben wir gut 400 Firmen und etwa 30.000 Handwerker auf der Plattform“, freut sich Lindinger. „Aus diesem riesigen Pool die richtigen Mitarbeiter an Land zu ziehen ermöglicht Firmen schnelles Wachstum.“

Informationstiefe schafft den Unterschied

Aus dem Karriereportal Electry ist mittlerweile der Marktplatz Power Us geworden. Auch wenn es bereits einige Karriereportale für Handwerksberufe gibt: „Darunter befindet sich keines, das Unternehmen und Bewerberprofile in der Tiefe und Breite darstellt, wie wir es tun“, erklärt der Gründer den Benefit. Wie bei Rundumhandwerk geht es um die Tiefe an Informationen und Daten, die anderswo nur in mühevoller Eigen­recherche in Erfahrung zu bringen sind. Neben Bewertungen der verschiedenen Firmen gehören bei Power Us auch die Offenlegung von durchschnittlichen Gehältern in den diversen Handwerker-Jobs dazu. Ein Elektromeister in Berlin kann beispielsweise bis zu 130.000 Euro Bruttogehalt pro Jahr verdienen. Wer weiß das schon? „Eine solche Transparenz ist neu und lässt den Handwerker erkennen, wie viel seine Arbeitsleistung aktuell wert ist. Folglich kann er besser verhandeln und verdienen“, erklärt Lindinger. „All diese Erfahrungswerte aufzudecken und zu teilen bringt das Handwerk voran und macht es für Nachwuchskräfte attraktiv.“

Die große Schnittmenge aus Bewerbern und Arbeitsplätzen, die Lindinger und Geiger geschaffen haben, hat inzwischen Kapitalgeber angelockt. Darunter befinden sich Maximilian Viessmann, Co-Chef der Viessmann-Gruppe, die Gründer von Flixbus, aber auch der kalifornische Start-up-Finanzierer Y Combinator: Zusammen stellen sie eine Summe von insgesamt knapp zwei Millionen US-Dollar zur Verfügung – eine Menge Geld. Die beiden Gründer planen, damit weiteren Nutzen für die Handwerker zu schaffen. Darunter: eine kostenlose Learning-Plattform für verschiedene Gewerke.

Am konstanten Aufbau und der Portfolio-Erweiterung liegt für HWK-Experte Gießmann der große Unterschied zu analogen Netzwerken oder Ortsverbänden. „Dort werden vordergründig Erfahrungen ausgetauscht anstatt gemeinsames Business gemacht“, sagt Gießmann. Eines ist klar: „Eine Plattform, die sich aus vielen kleinen, oftmals unbekannten Betrieben zusammensetzt, stärkt letztlich auch das Image des Handwerks.“

3 Gründe, warum Betriebe ­Plattformen entwickeln sollten

Die anderen werden es schon richten? Lieber nicht: Wer den Markt nach seinen Bedürfnissen gestaltet, gewinnt.

  1. Ressourcen teilen: Bündeln Sie Ihre Kräfte und stärken Sie Ihr Tätigkeitsfeld zusammen mit anderen Marktpartnern. Das gilt auch bei der Digitalisierung der verschiedenen Geschäftsbereiche.
  2. Die Zügel selbst in der Hand halten: Anstatt es handwerksfremden Plattformen zu überlassen, den Markt zu bestellen und zu verwalten, sollten Betriebe selbst die Zukunft ihres Marktes mitgestalten.
  3. Attraktiv auftreten: Wer sich innovativ zeigt und mit neuen Ideen im Markt mitmischt, wirkt auf den Nachwuchs attraktiv und hat im Bewerbermarkt bessere Chancen.

Eine eigene Plattform gründen in 5 Schritten

Was große Player wie Amazon können, bringen auch kleine Handwerksbetriebe fertig: Am besten gelingt es über ein gemeinsames Brainstorming mit Mitarbeitern oder anderen Betrieben, die ähnliche Ziele verfolgen.

  1. Setzen Sie Ihre Kundschaft an erste Stelle: Finden Sie heraus, was der Markt bzw. Ihre Zielgruppe möchte, und überlegen Sie, was Sie dazu beitragen können, um diese Bedürfnisse schneller und besser zu bedienen als bisher. Häufig ist es ein guter Anfang, ein jeweiliges Marktsegment transparenter und übersichtlicher zu präsentieren und damit den Zugang zu Angebot und Nachfrage für alle Beteiligten zu erleichtern.
  2. Gemeinsam Chancen ausloten: Schließen Sie sich mit Betrieben Ihres Gewerks oder weiteren Partnern aus Handel und Herstellung zusammen und diskutieren Sie verschiedene Geschäftsmodelle hinsichtlich des Nutzens für die Zielgruppen.
  3. Programmierer aus eigenen Reihen beauftragen: Bestimmen Sie am besten einen Software-Experten aus dem eigenen Betrieb für die Entwicklung der Plattform. So sparen Sie Entwicklungskosten, die sich für eine Website schnell auf bis zu 100.000 Euro belaufen können. Davon abgesehen ist die Gründung von Plattformen bis auf eventuelle Personalkosten mit keinen weiteren Kosten verbunden.
  4. Klein anfangen und groß werden: Launchen Sie die Plattform, wenn Sie ausreichend Kunden von sowohl Nachfrage- als auch Angebotsseite gefunden haben, und zählen Sie auf den Mundpropaganda-Effekt, der Ihre Plattform nach und nach groß macht.
  5. Justieren Sie nach: Fragen Sie Ihre Marktpartner nach Feedback und neuen Bedürfnissen und passen Sie Ihre Plattform darauf an. Die Märkte und Bedürfnisse verändern sich – daran sollten Sie auch Ihr Geschäftsmodell ausrichten.