Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Sind unsere Handwerksbetriebe bereits zum Reallabor der Politik geworden?

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Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann und Zukunftsperspektiven im Handwerk

Unter Reallabor versteht man einen zeitlich oder sachlich begrenzten Freiraum, in denen innovative Geschäftsmodelle oder Technologien unter realen Bedingungen erprobt werden sollen. In Baden-Württemberg gibt es schon einige Reallabore, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Zahl weitaus höher ist. Kolumnistin Ruth Baumann setzt sich in dieser Folge „Neues von der Werkbank“ kritisch mit Betrieben, die allen Anschein nach zu Reallaboren der Politik werden, auseinander.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Es begann einst 2010 mit Elena, dem elektronischen Entgeltnachweis. Die "griechische Dame" sollte die (bürokratischen) Bescheinigungen ersetzen, welche Arbeitnehmer bei der Beantragung für Wohngeld, Arbeitslosengeld oder Elterngeld benötigten. Ein gebündeltes, digitales Meldeverfahren an zentraler Speicherstelle bei der Deutschen Rentenversicherung verhieß Modernität. Während die Betriebe Elena mit kostenpflichtigen Programm-Updates und Schulungen begrüßten, ächzte bereits nach kurzer Zeit die Bundesregierung unter dem Druck der großen Datenmengen. Bereits im Juli 2011 starb dann der gehypte Hoffnungsträger an den Folgen des Datenschutzes, unsere Reallabore schrieben den sinnlosen „Invest“ ab.

Über die vielen Folgen der Datenschutzgrundverordnung will ich mich kurzfassen. Angesichts anstehender Wahlen wird uns wieder „Entlastung“ versprochen. Dies ist ein klares Zeichen, dass gut gemeint nicht gut gemacht war. Die Kosten und das an anderer Stelle dringend benötigte Personal hatten und haben die Unternehmen zu tragen. Ähnliche Erfahrungen drohen bei dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz, wenn man unsere „Reallabore“ nicht im Vorfeld mit ihren Erfahrungen einbinden wird.

Entfesselung unsere Wirtschaftsstandortes?

Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten. Während der Coronapandemie haben wir vielfach gezeigt, wie schnell man sich auf ändernde Rahmenbedingungen einstellen und pragmatische Lösungen vorweisen kann. Leider ging diese Wertschätzung gegenüber unseren Betrieben und Mitarbeitern in der schnelllebigen Zeit etwas unter. Die immer noch schleppende Glasfaserverlegung soll nun endlich den Weg in die Digitalisierung, Entbürokratisierung und Künstliche Intelligenz (KI) ebnen sowie unseren Wirtschaftsstandort neu beleben und entfesseln. Die Botschaft hör‘ ich wohl – aber wagen wir einen Blick in die Realität.

Verlässliche Rahmenbedingungen

Gerade am vergangenen Wochenende belästigte mich ständig mein Smartphone. Zunächst kam die Aufforderung, dass es jetzt gerade günstig wäre, den Akku zu laden und Strom abzurufen. Danach gab es den Hinweis, dass eine Stromknappheit abzusehen ist und ich solle meinen Energieverbrauch dementsprechend planen. Gestatten Sie mir eine kurze Feststellung: Ich gehe (zumindest in meinen Augen) verantwortlich mit Ressourcenverbrauch um. Es bereitet mir allerdings sichtbare Sorgenfalten auf der Stirn, wenn ein Industrieland glaubt, seine Bürger in der Nutzung von Energie lenken zu müssen oder zu können.

Ich werde jedenfalls nicht mit meinem Smartphone im Dauerdialog sein, ob ich nun den Rechner oder den Backofen anschalten darf. Das gehört für mich zu verlässlichen Rahmenbedingungen und ich hoffe nicht, dass man künftig Operationen nach der Stromversorgung planen muss. Und als Reallaborlaborant merke ich an, dass dies bei der angestrebten Nutzung von Künstlicher Intelligenz auch Probleme verursachen könnte. Diese Zusammenhänge sind für alle ersichtlich. Jede Transformation muss den Anspruch haben, Fortschritt, Weiterentwicklung und Verbesserungen anzustreben und nicht als reiner Selbstzweck enden zu wollen.

Betriebe als Reallabore

Es wäre an der Zeit, unsere Betriebe in Gänze als Reallabore anzuerkennen. Wir haben dann Lösungen bzw. Antworten, weshalb die betriebliche Altersabsicherung „krankt“, warum Riester in der Durchführung zu bürokratisch ist (Versicherungsnehmer – versicherte Person – Versicherung) und weshalb auch die Berufsschulen eine E-Krankmeldung (oder die alte Papier-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) benötigen. Wir stehen gern als Reallabor für Mobilität und Güterverkehr zur Verfügung, aber dann möchten wir auch bei Umsetzung und Tempo ein Mitspracherecht und Gestaltungsmöglichkeiten. Diese sollten sich allerdings nicht nur in Kostenbeteiligung und Fehlerminimierung darstellen. Dies gilt auch für den privaten Bereich. Wer zahlt, bestimmt das Wann und Wie. Bei verlässlichen Vorgaben wird das Ziel gesteckt (z.B. Pelletheizung, Gas, Wärmepumpe oder Fernwärme), geplant, finanziert und schließlich umgesetzt.

Konditionen müssen stimmen

Sollten also unsere Betriebe auch weiterhin das eigentliche Reallabor sein, dann müssen auch die Konditionen stimmen. Wir möchten entweder ebenfalls Welpenschutz bezüglich Statistik, Bürokratie, Kosten, Haftung für Dinge, die wir einfach „aufgedrückt“ bekommen oder wir haben endlich wieder die Gestaltungs- und Planungshoheit in unseren Betrieben.

Nicht nur die Klein- und mittelständischen Betriebe haben viel zu bieten: Wissen, Ideen, Innovation, Arbeitsplätze, Steuern und nicht zuletzt: Macher. Machen wir aus Reallaboren wieder Unternehmen, entfesseln wir sie. Immerhin generiert das nicht nur Investitionen…

Über Autorin Ruth Baumann:

Bei Ruth Baumann war es ein zart gehauchtes "Ja", das sie in einen mittelständischen Straßenbaubetrieb und damit ins Handwerk brachte: Seit ihrer Hochzeit führt sie gemeinsam mit Ehemann Martin Baumann die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. Trotz ihres abgeschlossenen Hochschulstudiums entschied sie sich damals bewusst, in den Familienbetrieb einzusteigen und bekräftigte dies durch eine weitere Ausbildung zur Bürokauffrau. Zunächst im Ehrenamt bei den Unternehmerfrauen im Handwerk Freiburg, später als Präsidentin des Landesverbandes der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg, war es ihr immer ein besonderes Anliegen, die Mitglieder mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Stolz auf das Handwerk auszustatten. Sie sieht die Unternehmerfrauen als Wirtschaftsverband und vertritt dies auch in der Öffentlichkeit.

Ihre betriebliche Erfahrung wurde in der Folgezeit auch verstärkt in der politischen Theorie nachgefragt und stieß – zu ihrer eigenen Überraschung – auf immer mehr Resonanz. Es folgten unterschiedliche Kommissionen und Funktionen in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die sie mittlerweile auch auf Bundesebene ausführt. In Interviews, Vorträgen und Podiumsdiskussionen rund um das Handwerk gibt sie parteiübergreifend Einblicke in die Sorgen und Nöte von Familienbetrieben. Jüngst wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt und ist dort als "Handwerk mit Mundwerk und akademischen Grad" Mittler zwischen unterschiedlichen Welten.