Hochgiftiges Blei Bleiverbot durch EU-Richtlinie: Umstrittener Gefahrstoff ist für das Handwerk oft kaum ersetzbar

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Für heftige Diskussionen sorgt derzeit eine von der EU angeregte mögliche Verschärfung für bleihaltige Produkte und Anwendungen. Denn das drohende Zulassungsverfahren käme in einigen Fällen einem Bleiverbot gleich und praktikable Alternativen sind kaum in Sicht.

In vielen Branchen wie etwa dem Orgelbau lässt sich Blei nicht gleichwertig durch andere Stoffe ersetzen.
In vielen Branchen wie etwa dem Orgelbau lässt sich Blei nicht gleichwertig durch andere Stoffe ersetzen. - © tauav - stock.adobe.com

Blei ist unbestritten ein hochgiftiger Stoff. Wer damit arbeitet, sollte auf die gängigen Maßnahmen zum Schutz der eigenen Gesundheit nicht verzichten. Der Grenzwert für Blei im Blut wurde zuletzt 2021 durch die Neuauflage der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 505 gesenkt. Da die Betriebsärzte bislang keine rasante Zunahme auffälliger Befunde vermelden, scheinen Aufklärung und Vorgaben zum Gesundheitsschutz von Mitarbeitern zu greifen. Dennoch will die EU an ihren Plänen festhalten, Blei künftig als zulassungspflichtigen Stoff zu deklarieren und bleihaltige Produkte einem aufwendigen Zulassungsverfahren zu unterziehen.

Mitarbeiter-Gesundheit: Regelmäßiges Ermitteln der Risiken ist Pflicht

Für Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin, hat der Schutz der Mitarbeitergesundheit natürlich oberste Priorität, dennoch sollten „handwerkliche Tätigkeiten unter Anwendung von Blei möglich bleiben“. Schließlich würden Handwerksbetriebe Blei für unterschiedliche, vielfach sehr spezifische Verwendungen nutzen, die zum Teil dem Erhalt von Kulturgütern wie Baudenkmälern, historischen Gegenständen und Musikinstrumenten dienen. Vor allem beim Orgelbau ist es nach Aussage des ZDH-Generalsekretärs nicht möglich, Blei durch andere Werkstoffe zu ersetzen.

Gefährdungsbeurteilung in der Praxis ist Pflicht

Um sicherzustellen, dass die Gesundheit auf keinen Fall durch das Arbeiten mit bleihaltigen Substanzen leidet, müssen Betriebe für alle Arbeitsplätze mit Bleiexposition eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung erstellen und Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten festlegen. Worauf es dabei im Einzelnen ankommt, hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) in ihrer Information „Arbeitsplätze mit Bleiexposition“ festgelegt (siehe Download).

Gefahrstoff Blei: die wichtigsten Fakten

Blei ist im Chemikalienrecht kein Unbekannter. Die gefahrstoffrechtliche Einstufung dieses Schwermetalls und seiner anorganischen Verbindungen mit den sich daraus ergebenden Einschränkungen oder gar Verbote werden seit vielen Jahren diskutiert. Zur aktuellen Verschärfung der Tonlage kommt es aus folgenden Gründen:

  • Blei wurde bereits 2018 als reproduktionstoxisch und somit SVHC (Abkürzungen siehe Infokasten) eingestuft. Damit greifen für das Inverkehrbringen und den Handel gewisse Informationspflichten in der Lieferkette sowie Meldepflichten in die SCIP-Datenbank.
  • Als SVHC definierte Stoffe werden auf die sogenannte REACH-Kandidatenliste gesetzt. Für Substanzen auf dieser Liste kommt eine Zulassungspflicht infrage. Für Blei wurde dies bereits mehrfach vertagt.
  • Im Februar 2022 hat die Europäische Chemikalienagentur ECHA vorgeschlagen, Blei in den Anhang XIV der REACH-Verordnung aufzunehmen, und dies im April 2023 erneut empfohlen.
  • Setzt die EU-Kommission diesen Vorschlag um und nimmt Blei in den Anhang XIV (= zulassungspflichtige Stoffe) auf, ist – nach einer Übergangszeit – mit aufwendigeren Zulassungsverfahren für bleihaltige Produkte zu rechnen. Ein Stoff ohne Zulassung darf dann weder in Verkehr gebracht noch verwendet werden.

Fazit: Da die Aufnahme von Blei in die REACH-Verordnung das in Verkehr bringen bleihaltiger Produkte deutlich erschwert, ist es für Hersteller bleihaltiger Produkte auf jeden Fall sinnvoll, sich frühzeitig nach bleifreien Alternativen umzusehen.

Auf einen Blick: die Abkürzungen des EU-Chemikalienrechts

  • ECHA steht für „European Chemicals Agency“, das ist die Europäische Chemikalienagentur mit Sitz in Helsinki. Ihre Aufgabe ist, über ein EU-weit einheitliches Vorgehen beim Registrieren, Bewerten, Zulassen und Beschränken von chemischen Stoffen zu wachen.
  • Kandidatenliste ist die saloppe Bezeichnung für eine Liste der für eine Zulassungspflicht infrage kommenden Substanzen. Diese Liste wird etwa zwei Mal pro Jahr aktualisiert. Auf ihr finden sich alle Stoffe, bei denen eine Aufnahme in den Anhang XIV der REACH-Verordnung diskutiert wird. Der Anhang XIV gilt als Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe und nennt einige Dutzend Stoffe bzw. Stoffgruppen.
  • REACH steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“, das Registrieren, Bewerten, Zulassen und Beschränken von Chemikalien. Die 2007 EU-weit in Kraft getretene REACH-Verordnung (1907/2006/EU) hat das Ziel, das europäische Chemikalienrecht zu harmonisieren und zu vereinfachen.
  • SCIP steht für „Substances of Concern In articles as such or in complex objects (Products)“. Die SCIP-Datenbank wird von der ECHA geführt und enthält Informationen über besonders besorgniserregende Stoffe in Erzeugnissen oder in komplexen Gegenständen.SVHC steht für „Substances of Very High Concern“, zu Deutsch: besonders besorgniserregende Stoffe. So werden Substanzen bezeichnet, die ernste Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt haben, weil sie z. B. krebserzeugend sind, das Erbgut verändern, schwer abbaubar sind und sich im Körper anreichern.

Bleiverbot: Welche Branchen besonders betroffen sind

Wo in absehbar Zeit keine Alternativprodukte auf den Markt kommen, weil das Blei beziehungsweise seine anorganischen Verbindungen nicht durch einen anderen Stoff ersetzt werden können, wird es für Anwender schwierig und wahrscheinlich auch teurer. Bei abgesenkten Grenzwerten werden einige Nutzungsarten erschwert oder könnten gar unmöglich werden. Dies betrifft unter anderem die folgenden Branchen:

  • Orgelbau, Klavierbau und Blechblasinstrumente
  • Dachdecker beim Verbinden von Schornsteinen oder Dachfenstern mit dem Dach
  • Restauratoren bei Arbeiten an Sakralbauten und historischen Gegenständen wie Bleiglasfenstern, Gemälden, Kachelofenfliesen
  • Metallbau beim Anfertigen von Strahlenschutztüren und -toren

Käme es tatsächlich zu einer Zulassungspflicht für Blei, könnte diese de facto in der Praxis ähnliche Folgen wie ein Bleiverbot haben. Denn der Aufwand für solche Zulassungsverfahren ist sehr hoch und dürfte sich für Anbieter von Nischenprodukten kaum lohnen. Der ZDH fordert deshalb, die Regelungen so zu gestalten, dass gesundheitliche Gefahren vermieden werden, handwerkliche Tätigkeiten unter Anwendung von Blei jedoch möglich bleiben.

Alternativen zu Blei: Warum Plastik auch keine Lösung ist

Ein Ansatz, der durch die Erfahrungen bei betriebsärztlichen Untersuchungen von Bleiverwendern gestützt wird. Schließlich gab es in der bisherigen Praxis bei diesen Mitarbeitern keine Auffälligkeiten. Dies spricht für die These des ZDH, dass ein sicheres Verwenden von Blei bei Beachtung der Arbeitsschutzvorgaben möglich ist. Hinzu kommt, dass  potenzielle Alternativen häufig andere Nachteile besitzen. Würde etwa bei Dachanschlüssen statt Blei ein Kunststoff verwendet, wäre die Haltbarkeit deutlich geringer, weil Kunststoffe im Sonnenlicht verspröden und Mikroplastik freisetzen.