Länder-Modelle verfassungsgemäß? Grundsteuer und Grundstücksbewertung: Erste Richter haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide

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Die Neubewertung von Grundstücken zur Ermittlung der Höhe der Grundsteuer könnte in vielen Bundesländern verfassungswidrig sein, so die Einschätzung von Experten. Diverse Musterverfahren laufen – mit ersten Erfolgen. Wie Immobilieneigentümer profitieren.

Eine Million Grundsteuererklärungen wurden noch nicht abgegeben. Ein Einspruch gegen den Grundsteuerbescheid lohnt sich, da Steuerzahler auf diese Weise von laufenden Musterverfahren profitieren. Experten zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Neubewertung von Grundstücken.
Eine Million Grundsteuererklärungen wurden noch nicht abgegeben. Ein Einspruch gegen den Bescheid lohnt sich, da Steuerzahler auf diese Weise von laufenden Musterverfahren profitieren. - © tanoy1412 - stock.adobe.com

Der Bund der Steuerzahler und der Verband Haus und Grund haben Klagen vor mehreren Finanzgerichten gegen die Bewertung der Grundstücke eingereicht. Die Finanzgerichte Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen: 3 K 3142) und Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen: 4 K 1205/23) beschäftigen sich mit den Neuregelungen, ebenso in Nordrhein-Westfalen die Finanzgerichte Köln (Aktenzeichen: 4 K2189/23) und Düsseldorf (Aktenzeichen: 11 K 2310/23 und 11 K 2309/23 Gr).

Überdies haben die Richter des Bundesfinanzhofs eine erste Beschwerde dazu auf dem Tisch (Aktenzeichen: II B 79/23). Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hatte zunächst gegen zwei Grundsteuerwertbescheide im vergangenen Jahr die Aussetzung der Vollziehung gewährt. Die festgesetzte Steuer kann nicht vollstreckt werden, bis die Klage endgültig entschieden ist. „Dies würde bedeuten, dass in den beiden betroffenen Fällen eine festgesetzte Grundsteuer ab 2025 nicht gezahlt werden muss, solange die Aussetzung der Vollziehung weiter besteht“, so der Bund der Steuerzahler. Das Finanzamt wollte dies nicht akzeptieren und reichte daher Beschwerde beim Bundesfinanzhof ein.

Richter melden Zweifel an: Bodenrichtwerte


Immerhin stellte sich das Finanzgericht Rheinland-Pfalz im ersten Schritt auf die Seite der Kläger. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide, weshalb sie zu Recht auszusetzen seien, so die Richter (Aktenzeichen 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).

Die Begründung: Der zuständige Senat hat zum einen ernstliche Bedenken, ob die Werte der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse unabhängig ermittelt würden. Es sei nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung nicht ausgeschlossen, dass Einfluss genommen werden könnte. Überdies sei es fraglich, ob die Bodenrichtwerte auf der notwendigen Datengrundlage ermittelt wurden. Die Richter befürchten in den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse Lücken, die die Bodenrichtwerte verzerren könnten. Die Finanzrichter sehen daher ein mögliches Vollzugsdefizit. Die Werte würden sich häufig aus der Aufteilung der Kaufpreise in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ergeben. Die Gutachterausschüsse könnten so die Angaben der Eigentümer nicht verifizieren. „Damit ist jedoch noch keine Aufhebung der angegriffenen Bescheide und erst Recht nicht eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln verbunden“, so das Finanzgericht Rheinland-Pfalz.

Grundsteuer: Auch das Bundesmodell befindet sich in der Kritik

Soweit zu Rheinland-Pfalz, in anderen Bundesländern gibt es noch keine Entscheidungen. Die Klageverfahren beziehen sich insgesamt auf das Bundesmodell der Grundsteuerreform, welches in elf Bundesländern angewandt wird. Der Bund der Steuerzahler hatte in Kooperation mit dem Verband Haus & Grund Deutschland beim Verfassungsrechtler Professor Dr. Gregor Kirchhof ein Gutachten zur Grundsteuerreform in Auftrag gegeben. Der Jurist geht davon aus, dass die Neuregelungen in diesen Ländern nicht mit dem Grundgesetz konform gehen. Die beiden Verbände haben daher jetzt das Ziel, das neue Bewertungsverfahren vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.  

Einspruch einlegen: So gehen Immobilieneigentümer vor

Experten raten Immobilieneigentümern, Einspruch gegen den Bescheid zu den Grundsteuerwerten einzulegen. Denn nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur DPA fehlen bundesweit noch rund eine Million Erklärungen. Das funktioniert allerdings nur innerhalb eines Monats nach Erhalt. Eigentümer können sich ohne Risiko wehren. Nur soweit der Einspruch vom Finanzamt zurückgewiesen wird und sich der Betroffene für ein Klageverfahren entscheidet, entstehen ihm im Nachgang Kosten. Der Einspruch allein hat also keine negativen Auswirkungen - im Gegenteil.

Die meisten Eigentümer dürften ihren Bescheid allerdings bereits erhalten haben. Das Bundesland NRW jedenfalls sieht sich „auf der Zielgeraden“: Ende Oktober vergangenen Jahres war bereits für 97 Prozent der Grundstücke eine Erklärung abgegeben worden oder ein Schätzbescheid erlassen. „Der Service der Finanzverwaltung hat die Bürgerinnen und Bürger tatkräftig unterstützt: digital, telefonisch und persönlich“, meint NRW-Finanzpräsidentin Katrin Kirchner. Etwa 4 Prozent der Eigentümer ließen sich schätzen. Sie müssen trotzdem noch eine Erklärung einreichen - und könnten im Zuge dessen Einspruch gegen den Bescheid einreichen. In anderen Bundesländern dürfte es ähnlich sein.