Experte Andreas Müller im Interview Grundsteuer: Warum Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen und daher der Einspruch lohnt

Die Diskussion um verfassungsrechtliche Fragen zur neuen Grundsteuer ist in vollem Gang. Aktuell raten Steuerberater daher allen Immobilieneigentümern, Einspruch gegen den Bescheid einzulegen. Andreas Müller, Rechtsanwalt der Kanzlei Dr. Reuthlinger & Breig und Partner GdbR in Straubing, erklärt im Interview die Hintergründe.

Die Grundsteuer ist Sache der Länder, weshalb es verschiedene Modelle gibt.
Die Grundsteuer ist Sache der Länder, weshalb es verschiedene Modelle gibt für die Berechnung gibt. - © Monthira - stock.adobe.com
Die Grundsteuer ist Sache der Länder, weshalb es verschiedene Modelle gibt. Wo liegen die Unterschiede?

Müller: Erst einmal zur Erinnerung: Im April 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften für die Berechnung der Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt. In der Folge musste der Gesetzgeber handeln. Er reformierte die Berechnungsgrundlagen für die Grundsteuer umfassend. Da das Gesetz auch eine Länderöffnungsklausel vorsah, wichen mehrere Bundesländer vom Bundesmodell ab. Sie entschieden sich für eine eigene vom Bundesmodell losgelöste Berechnung der Grundsteuer. So wählte zum Beispiel der Freistaat Bayern ein Flächenmodell oder Baden-Württemberg ein modifiziertes Bodenwertmodell. Länder wie Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Thüringen haben das Bundesmodell.

Das Flächenmodell von Bayern steht in dem Ruf, im Vergleich zum Bundesmodell einfach zu sein. Wie sieht das aus?

Im Freistaat Bayern erfolgt die Steuerfestsetzung dreistufig. Das Finanzamt erlässt zunächst einen Grundsteueräquivalenzbetragsbescheid und den Grundsteuermessbetragsbescheid. Auf dessen Grundlage erlässt die Gemeinde später den eigentlichen Grundsteuerbescheid. In diesem erst steht dann, wie viel Grundsteuer zu zahlen ist. Hierzu müssen die Gemeinden aber erstmal die Hebesätze festlegen, was sie bisher nicht getan haben. Andere Bundesländer folgen einem ganz ähnlichen Muster.

Wo liegt jetzt das Problem für die Steuerzahler, wenn sie die ersten Bescheide bekommen?

Unserer bisherigen Erfahrung nach weisen der Grundsteueräquivalenzbetragsbescheid und der Grundsteuermessbetragsbescheid zum Teil ein Vielfaches der alten Werte auf. Da sich aber die eigentliche Zahllast erst durch den Grundsteuerbescheid von der Gemeinde ergibt, sind wir in der Bredouille: Die Finanzverwaltung erlässt die Bescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung. Das heißt, man muss sich bereits jetzt gegen die beiden Feststellungsbescheide wehren. Andernfalls werden diese bestandskräftig. Dann sind sie nicht mehr anfechtbar. Selbst wenn man gegen den Grundsteuerbescheid Einspruch einlegt, würden diese beiden Grundbescheide als Bemessung einfach herangezogen werden.

Warum könnte die Wertermittlung verfassungswidrig sein?

Einheitlich ist allen Modellen, dass einige Experten die Verfassungsmäßigkeit der „neuen Grundsteuer“ anzweifeln. Zum Teil gibt es bereits anhängige Musterklagen, wie in Baden-Württemberg. Experten begründen diese so: In Baden-Württemberg würden die Bodenrichtwerte herangezogen. Hierbei handle es sich nur um Richtwerte, ein Gegenbeweis sei nicht möglich. Das allein könnte schon verfassungswidrig sein. Auch die anderen Bundesländer wenden das Verfahren so oder ähnlich an.

In Baden-Württemberg kommt hinzu, dass die Bebauung als werttreibender Faktor gänzlich unberücksichtigt bleibt. So wird eine Villa mit 500 qm Wohnfläche genauso behandelt wie ein altes, marodes Haus mit 100 qm Wohnfläche, jeweils stehend auf einem Grundstück mit 1.000 qm. Eine Unterscheidung besteht nur bei der Nutzungsart des Grundstücks. Es geht ausschließlich darum, ob dies überwiegend zu Wohnzwecken genutzt wird oder überwiegend nicht zu Wohnzwecken.

Darüber hinaus sehen viele Fachleute die mangelnde „Bestimmtheit“ kritisch, die übrigens auch jedes Bundesland und jedes Modell betrifft. Hintergrund ist, dass keiner weiß, wie hoch die Steuerlast ausfällt – eben weil die Hebesätze noch nicht feststehen. Auch das lässt sich als Argument für die Verfassungswidrigkeit anführen.

Auch das Modell der Bayern basiert auf der Fläche. Aber dieses finden einige Experten ganz gut. Sind Steuerzahler hier auf der sicheren Seite?

Das ist ebenso kritisch zu sehen. Im bayerischen Modell werden die Steuermesszahlen für Grund und Boden, Wohnflächen und Nutzflächen rein pauschal ermittelt. Sie berücksichtigen keinerlei regionalen Wertunterschiede. Jedoch werden die Wohn- und Nutzflächen der darauf befindlichen Gebäude zur Wertermittlung herangezogen. Der Aspekt der fehlenden Lagedifferenzierung lässt das bayerische Grundsteuergesetz verfassungswidrig erscheinen. Deshalb sind bereits zwei Popularklagen (unter den AZ: 8 – VII -22 und 17 – VII 22) vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof anhängig. Zur Erläuterung: Solche Popularklagen gibt es nur in Bayern. Sie können vom Volk vorgetragen werden.

Was bedeuten das alles für die Steuerzahler. Wie sollten Sie reagieren?

Wir empfehlen unseren Mandanten auch in Bayern Einspruch einzulegen. Diesen Einspruch sollte man aber zunächst unbegründet einreichen. Erst nach Aufforderung des zuständigen Finanzamtes wird er mit verfassungsrechtlichen Bedenken begründet, und man beantragt Ruhen des Verfahrens bis zur Klärung der verfassungsrechtlichen Bedenken. Wir erhoffen uns hierdurch einfach einen Zeitgewinn. Im Moment weiß noch niemand – kein Steuerpflichtiger, kein Steuerberater, kein Finanzbeamter, kein Jura-Professor und auch kein Richter –, welches Modell verfassungswidrig oder verfassungsgemäß ist. Hier sei nur an den lapidaren Spruch „vor Gericht und auf hoher See, ist man in Gottes Hand“ verwiesen. Jedes Modell hat sein Für und Wider. Wir haben auch Verständnis für den jeweiligen Gesetzgeber. Einerseits sollen Steuergesetze für den Bürger verständlich und einfach sein, auf der anderen Seite führt diese Vereinfachung dann auch oftmals zu ungleichen Ergebnissen.

Wie sehen die Chancen, dass ein Einspruch wegen verfassungsrechtlicher Fragen auch Erfolg hat. Die Finanzämter könnten sich darauf berufen, sich an die geltenden Gesetze zu halten?

Durch diese Zeitverzögerung erhoffen wir uns nur einen Erkenntnisgewinn. Wie Sie sehen, ist die Beurteilung der Sachlage sehr diffus, und es sind erst wenige Verfahren anhängig. Wichtig wäre, dass sich ein Bundesgericht bereits damit beschäftigt. Das ist weder in Baden-Württemberg noch in Bayern und in keinem anderen Bundesland bisher der Fall. Würde sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der „neuen Grundsteuer“ vor dem Bundesfinanzhof oder dem Bundesverfassungsgericht wiederfinden, so ergäbe sich das Ruhen des Verfahrens bereits zwangsweise aus dem Gesetz. Ohne ein hier anhängiges Verfahren, ist dies nur aus Zweckmäßigkeitsgründen zu gewähren. Wie die Finanzämter reagieren, ist offen.

Zur Person:

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Andreas Müller ist Rechtsanwalt der Kanzlei Dr. Reuthlinger & Breig und Partner GdbR in Straubing.

Er verfolgt die Diskussion um verfassungsrechtliche Fragen zur neuen Grundsteuer und rät Steuerzahlern zum Einspruch.