Der französische Autobauer Renault ruft mit dem neuen Trio Renault Trafic, Goelette und Estafette E-Tech die Zeitenwende für Transporter aus. Auch fürs Handwerk.

Das Allerheiligste von Renault liegt rund eine Autostunde entfernt vom Pariser Zentrum. Dort duckt sich das Technocentre Guyancourt, einem gelandeten Ufo gleich, in die Landschaft, als wolle es sich unsichtbar machen. Mehr als 10.000 Mitarbeiter entwickeln und gestalten hier Autos und Komponenten von morgen. Und läuten gerade die Zeitenwende für kompakte Transporter ein.
Denn im internen Showroom parkt gerade das neue Transporter-Trio aus Renault Trafic, Goelette und Estafette E-Tech. Konsequent auf Elektromobilität ausgelegt. Mittendrin steht wie ein stolzer Vater der scheidende Renault-Transporterchef Heinz-Jürgen Löw. Sein neues Trio ist noch unfertig. Wer spontan einen Türgriff der Transporter anfasst, hält ihn unversehens in der Hand.
Renault Trafic, Goelette und Estafette E-Tech punkten mit geringem Luftwiderstand
Und der Blick unter die Karosserie zeigt noch keine echten Komponenten. Weckt indes die Vorfreude. Da wäre der Trafic E-Tech, auffallend schlank und drahtig gebaut. Windschutzscheibe und Fronthaube haben den gleichen schrägen Winkel. Ein wenig Ur-Espace schimmert bei diesem One-Box-Design durch. Die Karosserie ist hinten seitlich eingezogen, das Dach zum Heck abgeschrägt mit Abrisskante. Feinschliff im Windkanal, ähnlich dem großen Bruder Renault Master. Ein Muss für zeitgemäße E-Transporter: Geringer Luftwiderstand heißt weniger Energieverbrauch und größere Reichweite. Das Auge findet Details, vorn hochgesetzte Tagfahrleuchten, verbunden mit einer illuminierten Spange und dem Renault-Rhombus. Oder das eingerahmte Fahrzeugheck.
Verwandt mit dem Master ist auch die fahrerbetonte Grundstruktur des Cockpits mit seinem Touchscreen im Format zwölf Zoll in der Mitte. Das Lenkrad trägt richtige Tasten, die digitalen Armaturen sind bunt. Drumherum reihen sich jede Menge Ablagen auf.
21 Zentimeter kürzer
Zu den vielen Überraschungen zählen die Abmessungen des Trafic E-Tech. Neue Autos können auch schrumpfen, die kurze Variante um 21 Zentimeter auf nur 4,87 Meter Länge – Vorteil E-Antrieb mit minimalem Überhang vorn. Dank 1,92 Metern Karosseriebreite ist der Transporter sympathisch schlank und drahtig, mit 1,90 Metern Höhe flach. Die Ausführung mit langem Radstand – 3,55 statt 3,15 Meter – streckt sich auf 5,27 Meter. Renault beziffert das Ladevolumen auf 5,1 und 5,8 Kubikmeter. Ein Hochdach ist nicht vorgesehen. Bereits beim Kurzen passt die Palette mühelos längs durch die Schiebetür, da tun sich Wettbewerber schwer.
Unter der aalglatten Karosserie steckt eine neue E-Plattform. Das Transporter-Fundament strotzt vor Besonderheiten. Da wäre eine vergleichsweise günstige und haltbare Lithium-Eisenphosphat-Batterie mit wahlweise 60 oder 81 kWh. Eine aufwendige 800-Volt-Architektur sichert zusammen mit maximal 160 kW Ladeleistung rasantes Aufladen. Der E-Motor ist im Bereich der Hinterachse angesiedelt. Er leistet 150 kW/204 PS. Der Stromverbrauch soll sich auf etwa 17 kWh/100 km belaufen, das ergibt Reichweiten von rund 350 und 450 Kilometern nach Norm. Heckantrieb bedeutet beladen Traktion und praxisgerechte Anhängelast, von zwei Tonnen ist die Rede. Gleichzeitig ermöglicht der Antrieb einen großen Einschlagswinkel der Vorderräder. Daraus resultiert ein Wendekreis von lediglich 10,3 Metern. Die zulässige Gesamtmasse variiert je nach Baureihe und Modell, erreicht bereits beim Trafic E-Tech bis zu 3,5 Tonnen.
Renault Trafic, Goelette und Estafette E-Tech verfügen jeweils über zwei Hochleistungs-Rechner
Trafic E-Tech und Konsorten sind Software Defined Vehicles (SDV). Das bedeutet zwei Hochleistungs-Zentralrechner statt einer Vielzahl von Steuergeräten und ein eigenes Betriebssystem. Die digitalen Blutkörperchen schießen 50-mal so schnell durch die Stromadern wie bisher. Weitere Vorteile sind individuelle Angebote für Fahrzeugfunktionen, Apps für die Steuerung des Betriebs spezifischer Funktionen und der Komponenten von Ein- und Aufbauten. Telematiksysteme der Nutzer lassen sich integrieren, Fuhrparkbetreiber können aus der Ferne Eingriffe vornehmen. Nicht zuletzt sind da eine noch präzisere vorausschauende Ferndiagnose in Echtzeit, auch Updates „Over the Air“ (OTA) zur fortlaufenden Aktualisierung. Trafic und Co. altern nicht, sie reifen.
Die Plattform ist für alle drei Sub-Baureihen identisch. Also auch für den Goelette E-Tech, die Fahrgestellvariante. Renault präsentiert ihn als Kofferträger in zwei Varianten ab Werk. Da wäre die hier gezeigte Ausführung als Hochlader mit Ladekante von rund 800 Millimetern ohne störende Radkästen, unten rundum verkleidet. Alternativ gibt es einen Tieflader mit 550-Millimeter-Ladekante. Beide Radstände, Längen sowie Breite des Goelette entsprechen exakt dem Kastenwagen. Ab Werk folgt noch ein Kipper. Für individuelle Lösungen liefert Renault ein Fahrgestell mit Fahrerhaus, auch als sechssitzige Doppelkabine. Das Cockpit entspricht jeweils dem Trafic E-Tech.
Anders beim Estafette E-Tech, er ist konsequent auf Zustellverkehr ausgelegt. Oder dürfen es Regale für ein Servicefahrzeug sein? Solch einen exklusiven Aufbau traut sich ab Werk kein anderer klassischer Transporterhersteller. Auch hier tauchen die identischen Grunddaten in Länge und Breite auf, jedoch ausschließlich mit langem Radstand. Der Transporter ist mit 2,6 Metern hoch aufgeschossen, das verleiht ihm gewöhnungsbedürftige Proportionen. Und verlangt nach einer geänderten Front mit hoher und steiler Windschutzscheibe.
20 Zentimeter hohes Fahrer-Podest
Via Schiebetüren links wie rechts entert man das Cockpit, sehr unauffällig und elegant geführt von außen liegenden Schienen in den Verkleidungen. Auffällig sind dagegen die gut geschützten Schweller und hinteren Ecken. Auf der Bordsteinseite ergänzt eine besonders breite Trittstufe den Eingang, das bedeutet mehr Sicherheit beim Rein und Raus. Die massiven Türgriffe sind senkrecht montiert, so klappt das Verriegeln mit dem Ellenbogen. Das Rolltor im Heck dient dem Beladen im Depot und spart Platz beim Parken. Der Fahrerplatz im Estafette ist auf einem 200 Millimeter hohen Podest angesiedelt, rechterhand ergänzt durch einen Klappsitz.
Und die Zeitenwende? Von der ersten Präsentation im Allerheiligsten von Renault bis zum Start des Trios wird noch ein Jahr vergehen. Und was geschieht im Anschluss mit dem aktuellen Trafic? Heinz-Jürgen Löw gibt die Antwort: Renault wird die Verbrenner-Fahrzeuge weiterlaufen lassen, solange es Nachfrage gibt. Nur der heutige Trafic E-Tech wechselt in den Ruhestand, denn seine Elektro-Nachfolger Renault Trafic, Goelette und Estafette E-Tech überholen ihn mühelos links und rechts.