Diskussion "halb voll, halb leer" Zinsanstieg: Kredite werden teurer, Spareinlagen bringen kaum Geld – verdienen Banken zulasten der Sparer?

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Zwei Seiten einer Medaille: Wenn die Zinsen steigen werden Finanzierungen teurer. Wer heute einen Kredit aufnimmt oder verlängert, zahlt tatsächlich einen deutlich höheren Zins als noch vor einem Jahr. Auf der anderen Seite freuen sich die Sparer. Denn sie bekommen mehr Geld für ihre Termin und Spareinlagen. So die Theorie. Tatsächlich sind bislang aber nur die Kreditzinsen gestiegen, die für Spareinlagen nicht. Dafür gibt es gute Gründe, findet der Deutsche Sparkassen und Giroverband. Gottfried Urban, Vermögensverwalter, hält dagegen: Es gibt kein gültiges Argument für die ausbleibenden Zinserhöhungen auf Spareinlagen.

Der Zinsanstieg für Sparer kommt – irgendwann. Ob die Zinsen nicht besser sofort steigen sollten, ist Gegenstand der Diksussion der zwei befragten Experten. - © Carl Keyes, Yuliia - stock.adobe.com

"Perspektivisch werden die Einlagenzinsen natürlich steigen."

„Gut, dass die Zinsen zurückkommen. Davon profitieren alle“, sagt Stefan Marotzke, Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV). Bald gibt es höhere Zinsen für Einleger.

Für Stefan Marotzke ist das Glas halb voll: Er meint, der Zinsanstieg für Sparer kommt bald. - © Peter Himsel/Deutscher Sparkassen- und Giroverband

Zunächst einmal ist es eine gute Nachricht, dass die Zinsen zurückkommen. Vom Übergang in das jahrzehntelang bewährte und solide Geschäftsmodell profitieren letztlich alle.

Allerdings ist der abrupte Wechsel in der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zunächst einmal eine Belastung für die Volkswirtschaft. Das liegt an der besonderen Finanzierungskultur in unserem Land – Deutschland hat eine Langfristkultur. Das bedeutet, dass Banken und Sparkassen mit sehr vielen Kreditnehmern langfristig sehr niedrige Kreditzinsen vereinbart haben, zum Beispiel beim Erwerb von Wohnimmobilien und Unternehmensinvestitionen. Diese Langfristorientierung verhindert, dass der starke Zinsanstieg jetzt voll auf die Volkswirtschaft durchschlägt und Kalkulationsgrundlagen für Investitionen drastisch verändert. Das sichert Berechenbarkeit und Stabilität. Die Alternative dazu hat man vor einigen Jahren bei der Subprime-Krise in den USA gesehen. Dort haben viele Kreditnehmer ihre Häuser verloren, weil die Zinsen für sie zu schnell angestiegen sind.

Da die gesamte Kreditwirtschaft mit einem Großteil ihrer Kundschaft noch unter den Bedingungen der Null- und Negativzinswelt Geschäftsvereinbarungen hat, also in diesem Bereich kaum Zinseinnahmen erzielt, können auf der anderen Seite die Zinsausgaben, wie Zinsen für Kundeneinlagen, nicht in gleichem Maße steigen, wie die EZB die Leitzinsen erhöht. Dies geschieht ja, um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten und stabile Preise zu gewährleisten. Die Leitzinsen sind also ein wichtiger Faktor, damit die Kreditwirtschaft ihren Aufgaben zur Unterstützung und Förderung der Wirtschaft nachkommen kann. Ihre Entwicklung ist schon deswegen nicht 1:1 auf die Entwicklung der Geschäftszinsen übertragbar.

Stabilität für die Wirtschaft

Auch bei den Negativzinsen hat die Kreditwirtschaft lange gezögert, bis sie damit beginnen musste, diese auf die Kundschaft zu übertragen. Als es betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar war, hat man zuerst bei sehr Vermögenden sogenannte Verwahrentgelte eingeführt; dies gerade um die breite Masse der Sparer davor zu schützen. Die Grenzen mussten dann sukzessive angepasst werden. Dieser Prozess kehrt sich nun wieder um. Natürlich steigen perspektivisch auch die Einlagenzinsen wieder. Schon heute werden für mehrjährige Festgelder Zinsen von zwei Prozent und darüber angeboten. Lediglich bei den Tagesgeldern sind hohe Zinsniveaus schlicht noch nicht darstellbar. Dort wo es solche Angebote gibt, sind sie mit Bedingungen – zum Beispiel nur für Neukunden oder nur bis zu einem bestimmten Betrag – versehen und meist zeitlich befristet. Mit solchen Lockangeboten sollen schlicht auf aggressive Weise Einlagen eingeworben werden.

Und: Sparzinsen können die Inflation aktuell ohnehin nicht ausgleichen. Sinnvoller kann es sein, auf langfristig angelegtes Wertpapiersparen zu setzen. Sparer müssen individuelle Lösungen finden – zusammen mit ihrem Berater.

Vita: Stefan Marotzke

Stefan Marotzke, Jurist und Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Der 59-Jährige war zuvor Pressesprecher des Ministeriums der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt.

"Es gibt kein gültiges Argument gegen steigende Zinsen für Sparer."

Die Zinsen steigen, Finanzierungen werden teurer. Nur die Spar- und Termineinlagen ziehen nicht an. „Das ist nicht in Ordnung“, findet Vermögensberater Gottfried Urban.

Für Gottfried Urban ist das Glas halb leer. Er sieht keinen Grund, warum Banken den Zinsanstieg nicht an ihre Sparer weitergeben sollten. - © Dominik Fritz/Urban & Kollegen Vermögensmanagement

Bei den Sparern ist von der Zinswende bisher wenig angekommen. Auf Bankguthaben in Deutschland gibt es, abgesehen von einigen Lockangeboten für Neugelder, derzeit kaum ein Prozent Zins. Das Kalkül der Banken: Solange sie den Einlagenzins nur zögerlich anheben, können sie risikolos Geld verdienen. Das geht mit keiner anderen Dienstleistung so gut wie mit dem Geld der Sparer. Entsprechend gering ist ihre Motivation, Bestandskunden marktgerechte Einlagenzinsen oder kurzlaufende lukrative Bundesanleihen anzubieten.

Doch Sparer haben einen Handlungsspielraum: Kurzlaufende Euro-Staatspapiere und Eurogeldmarktfonds bringen aktuell rund drei Prozent Zinsen pro Jahr. Kein Wunder, dass die genannten Anlageformen rekordmäßige Zuflüsse verzeichnen. So kommen Sie ohne verhandeln zu müssen an marktgerechte Zinsen. Zudem haben Sie eine 100-prozentige und betraglich nicht begrenzte Rückzahlungs- und Zinsgarantie bei deutschen Staatspapieren.

Rationales Handeln wirkt

Je mehr Anleger diesen rationalen Schritt vollziehen, desto mehr Banken werden dazu gezwungen, vernünftige Zinsen zu bezahlen. Doch sie sitzen in der Zinsfalle: Erhöhen sie den Zins auf den Einlagen, um die Sparer zu halten, schrumpft ihre Zinsmarge – was die Bankerfolgsrechnung schmälert. Erhöhen sie die Sparzinsen nicht, riskieren sie, dass Kundengelder abgezogen werden.

Für Ihre Verhandlung im Bereich der Tagesgeld- oder Spareinlagenverzinsung können Sie die offiziellen Seiten der Europäischen Zentralbank (EZB) nutzen. Die dort genannten Zinsen bekommt die Bank, wenn sie Ihr Geld bei der EZB platziert. Etwas mehr Zinsen gibt‘s, wenn Kundeneinlagen im Interbankenmarkt geparkt werden. Beispielhaft liegen dort die Zinsen für die Dreimonatsanlage bei 3,11 Prozent, für zwölf Monate sind es bereits 3,58 Prozent p.a. (13. April 2023).

Fakt ist auch, dass der deutsche Staat deutlich mehr Zinsen bezahlt, als Banken für Festgeld und Termingeldeinlagen hergeben. Suchen Sie sich auf der offiziellen Seite des Bundesfinanzministeriums einfach eine passende Laufzeit für Ihre Gelder aus.

Eine weitere Option: Variabel verzinste Anleihen guter Bonität oder Floater mit regelmäßiger Marktzinsanpassung, die über Fonds und ETF erwerbbar sind, oder günstige Geldmarktfonds mit Renditen von um die drei Prozent p.a. Wer auf die Spesen achtet, hat auch nach Abzug der Kosten einen Mehrertrag zur Bankeinlage. Sie haben jetzt alle Informationen zur Hand, die Sie für das nächste Konditionsgespräch mit Ihrer Bank benötigen. Nutzen Sie sie.

Vita: Gottfried Urban

Gottfried Urban ist Geschäftsführer der Urban & Kollegen Vermögensmanagement in Altötting. Seit mehr als 35 Jahren berät der Diplom-Bankbetriebswirt Privat- und Firmenkunden bei der Kapitalanlage.