Serie New Work, 8. Folge Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance: So sind Betriebe offen für Kinder, Eltern und Träume

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Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle, Fachkräftemangel, Mitarbeitermotivation, New Work und Teilzeit

Ob kleine Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder ­einfach nur Zeit fürs Hobby: Wer heute Mitarbeiter gewinnen und im Betrieb halten will, muss sie dabei unter­stützen, Beruf und Privates unter einen Hut zu bringen. Wie Sie das perfekte Arrangement für beide Seiten finden.

Friseurmeister Armin Sengenberger: »Wir finden im Team für fast alle Wünsche eine Lösung, die für jeden passt.«
Friseurmeister Armin Sengenberger in Neustadt an der Waldnaab setzt beim Festlegen der Arbeitszeiten auf vorausschauende Planung und eine offene Kommunikation. - © Stephan Minx

Kein Homeoffice, keine Gleitzeit und noch dazu Wochenendarbeit: Wenn es um Work-Life-Balance geht, hat die Friseurbranche, wie viele Handwerkssparten, auf den ersten Blick wenig zu bieten. Wie man trotzdem Familienfreundlichkeit hinbekommt, zeigt der Friseursalon von Armin Sengenberger aus Neustadt an der Wald­naab. Ob Elternzeit, Teilzeitarbeit, ein ­kurzer Tag für alle Vollzeitkräfte, Ferien­lösungen für Mitarbeiterinnen mit Schulkindern oder finanzielle Unterstützung bei der Kinderbetreuung – mit flexibler Arbeitszeitplanung und guter Absprache im Team ermöglicht der Betrieb mit zwölf Mitarbeitern eine gute Vereinbarkeit von Job und privaten Bedürfnissen.

Als Beispiel nennt Sengenberger etwa eine Mitarbeiterin mit Kleinkind, die bislang auf die Mutter als Babysitterin setzen konnte. Doch jetzt falle die Oma wegen einer Operation längere Zeit aus. „Mit dieser Mitarbeiterin haben wir einen Jahresarbeitszeitplan erstellt, um die Zeiten, an denen sie jetzt nicht mehr kann, so zu verschieben, dass sie trotzdem auf ihre Stunden kommt.“

Ungeliebte Samstagsarbeit aufteilen

Ein weiteres „heißes Thema“ in Sengenbergers Salon ist der Samstag. Auf diesen umsatzstarken (halben) Tag kann der Chef nicht verzichten, gleichzeitig möchten viele seiner Mitarbeiterinnen dann frei haben. „Ein freies Wochenende ist für die meisten wichtiger als Geld“, weiß Sengenberger aus vielen Teamgesprächen. Für ihn ist das ein klarer Auftrag, für „attraktivere Arbeitszeiten zu sorgen und den Betrieb fit für die Zukunft zu machen“. Als Lösung für den Samstag stellt er sich eine Grundbesetzung aus drei Friseurinnen und einem Azubi vor. Dafür plant er die Samstage jetzt weit im Voraus. „An einigen stehe ich bislang nur alleine drin“, sagt er. „Da müssen wir uns noch einmal zusammensetzen, aber ich bin sicher, dass wir das lösen können.“

Geregelte Arbeitszeiten, Zeit für Familie und Hobbys und ein Arbeitgeber, der sich auf individuelle Bedürfnisse einstellt – was früher nach Wunschkonzert klang, sind heute klare Forderungen, die Beschäftigte und Stellenbewerber an Unternehmen stellen. Wenn es um die Attraktivität von Arbeitgebern geht, rangiert Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance in Umfragen auf den vordersten Plätzen (siehe Grafik Seite 36). Auch bei der Bindung ans Unternehmen, oder umgekehrt: Beim Wunsch, den Job zu wechseln, nennen viele die „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“ als wichtigen Faktor, wie auch eine Umfrage von meinestadt.de zeigt. Zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance sind laut dieser Studie aber nur rund 40 Prozent der befragten Fachkräfte – ein großer Pluspunkt also für Betriebe, die sich hier gut aufstellen.

Mitarbeiterwünsche: Hobbys und Träume ernst nehmen

„Die Arbeit soll zum Leben passen und nicht umgekehrt“, beschreibt Umberta Andrea Simonis, Beraterin für Servicekultur im Handwerk, den Wertewandel insbesondere der jüngeren Generation. Gerade in Branchen wie dem Handwerk, wo Arbeitskräfte dringend gesucht werden, brächten Bewerber das Thema Work-Life-Balance beim Einstellungsgespräch offen auf den Tisch. „Betriebe sollten diese Karte daher von Anfang an offensiv spielen“, rät Simonis. „Nur so wird man überhaupt als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen.“

Zum Thema Vereinbarkeit gehört aus ihrer Sicht aber weit mehr als „nur“ die klassische Sorgearbeit in Familien. „Arbeitgeber sollten sich flexibel zeigen“, so Simonis. Manche Mitarbeiter wünschten sich mehr Zeit für ein Hobby, für die eigene Weiterentwicklung oder auch eine Auszeit, um sich einen Lebens­traum zu erfüllen. „Das wäre früher in vielen Betrieben absolut tabu gewesen“, sagt Simonis. „Heute sichern sich Chefs mit dem Eingehen auf diese Wünsche loyale und hoch motivierte Mitarbeiter.“

Offen und auf Augenhöhe kommunizieren

Im Team Armin Sengenberger führt die mitarbeiterorientierte Personalarbeit auf jeden Fall zum Erfolg. „Ich bin gut besetzt und habe aktuell auch neue Auszubildende mit mittlerem Schulabschluss gewinnen können“, sagt der Friseurmeister. Dass er Rücksicht auf die Bedürfnisse seines Teams nimmt – und dafür sorgt, dass es schon mal am Freitagnachmittag zu einem Festival losfahren könne –, spreche sich rum. „Ich habe fast nur langjährige Mitarbeiterinnen, die bei mir gelernt haben. Das gute Image hilft bei der Personalsuche.“

Für ein solches Betriebsklima muss vor allem die Kommunikation stimmen. „Ohne geht es nicht und das ist gleichzeitig etwas, was man auch mit wenig Geld machen kann“, sagt Julia Naetsch, Mitarbeiterin der Servicestelle Familienpakt Bayern. Damit entgegnet sie gleich dem gängigen Argument – vor allem kleinerer Betriebe –, sich Familienfreundlichkeit nicht leisten zu können. „Haltung und Miteinanderreden kosten nichts“, sagt Naetsch. „Auch ein kleiner Handwerksbetrieb kann offen und auf Augenhöhe mit seinem Team sprechen.“

Mitarbeitergespräche: Termine festlegen und einhalten

Friseurmeister Armin Sengenberger hat dafür feste Termine: „Wir führen zweimal im Jahr ein intensives und mehrere kleine Mitarbeitergespräche“, sagt der Unternehmer. Das sei auch in der Corona-Zeit nicht abgebrochen, sondern habe sich lediglich nach online verlagert. Einbezogen werden hier auch die Mitarbeiter, die wegen Elternzeit oder Krankheit fehlen – „damit sie am Ball bleiben“. Außerdem gibt es jede Woche im Salon eine halb- bis einstündige „Aktuelle Stunde“, bei der neben fachlichen Themen auch Organisatorisches beredet wird.

Aktuell probiert der Unternehmer sogar ein neues Gesprächsformat: Er geht mit seinen Mitarbeitern spazieren, was die Gedanken in Fluss bringen und für eine entspannte Atmosphäre sorgen soll. Doch egal, ob im Büro oder im Stadtpark – für Sengenberger sind diese Gespräche ein absolutes Muss, um Mitarbeiter langfristig zu halten: „Nur wenn du als Chef die Bedürfnisse deiner Mitarbeiter kennst, kannst du darauf eingehen.“

Doch natürlich gibt es auch Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen, die man nicht flexibilisieren kann. „Oder die Mitarbeiter sind in Situationen mit besonderen Ansprüchen, die ein Betrieb nicht erfüllen kann“, so Julia Naetsch. Wichtig ist aus ihrer Sicht aber, dies offen und ehrlich zu kommunizieren – und keinesfalls so zu tun, als seien Lösungen möglich, und dann passiere nichts. „Man kann als Unternehmer auch sagen: Wir können das nicht machen, weil es organisatorisch oder ­finanziell nicht stemmbar ist“, sagt ­Naetsch. „Dann kennen die Beschäftigten den Rahmen.“

Checkliste: So gelingt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Praxis

Mal später kommen, früher gehen oder bei Krankheit des Kindes ins Homeoffice ausweichen: In der Theorie scheinen die Lösungen oft leicht. Doch in der Praxis ist das Kind dann krank, wenn ein wichtiger Kundenauftrag fertig werden muss. Wie Arbeit­geber die Herausforderungen rund ums Thema Familie und Work-Life-Balance lösen.

  • Vertrauensvolle Kultur schaffen: Welche Werte teilen wir im Unternehmen? Wie gehen wir miteinander um? Wie reagieren wir auf Fehler oder Schwächen? Die Antworten auf diese Fragen helfen Ihnen beim Entwickeln und Leben einer Unternehmenskultur, welche den Mitarbeiter nicht nur als Arbeitskraft, sondern als Menschen mit individuellen Bedürfnissen erkennt. Am besten halten Sie die Werte auch schriftlich in einem Leitbild fest.
  • Bedürfnisse erkennen: Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern – über Bedürfnisse, Zufriedenheit und Wünsche, aber auch Ihre Angebote in Sachen Vereinbarkeit. Warten Sie nicht darauf, dass die Mitarbeiter mit Problemen zu Ihnen kommen, sondern signalisieren Sie von Anfang an Ihre Bereitschaft, bei Bedarf individuelle Lösungen zu finden. Thematisieren Sie dies immer wieder in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen oder größeren Runden mit der Belegschaft und bestimmen Sie einen festen Ansprechpartner für die Mitarbeiter.
  • Schwerpunktthemen aufbereiten: Dokumentieren Sie angebotene oder bereits von Mitarbeitern genutzte Vereinbarkeitsmaßnahmen und Fördermöglichkeiten, um bei neu eintretenden Bedarfssituationen schneller unterstützen zu können. Hilfreich sind auch Kontaktlisten von Beratungsstellen sowie Babysittern/Notfall-Tageseltern/Pflegediensten/ Essen auf Rädern oder Hol- und Bringsservices – als Hilfe bei Betreuungsengpässen.
  • Vorbild sein: Für die praktische Umsetzung hilft es, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen und vorleben, wie Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können. Ermöglichen und fördern Sie andererseits das Inanspruchnehmen von Maßnahmen. Sprechen Sie etwa werdende Mütter/Väter von sich aus an und beschreiben Sie mögliche Lösungen.
  • Das Team einbinden: Wenn einer Vorteile erhält und andere nicht, kommt schnell das Thema Gerechtigkeit auf den Tisch. Entscheiden Sie daher nicht „von oben herab“, sondern binden Sie das Team ein: Ist die Mehrarbeit für euch machbar oder wie können wir das ausgleichen? So signalisieren Sie Wertschätzung und erreichen Lösungen, mit denen sich alle wohlfühlen. Sensibilisieren Sie Ihr Team zudem für das Prinzip des Gebens-und-Nehmens. So lassen sich Vorteile in der Familienphase später dann wieder durch mehr Rücksicht auf andere Kollegen ausgleichen.
  • Freiräume ermöglichen: In der Regel wollen Mitarbeiter – wie alle Menschen – ihr Bestes geben, aber sie wollen den Rahmen dafür zunehmend selbst bestimmen. Ermög­lichen Sie diese Freiräume und nutzen Sie das Potenzial Ihres Teams, etwa indem Sie, wo möglich, flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten oder den Wechsel von Auszeiten und voller Leistung im Betrieb bieten.
  • Erfolge kommunizieren: Zeigen Sie Ihr Engagement für Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance – nach innen und außen. Besonders eignen sich dafür auch selbst produzierte Mitarbeitervideos auf Social Media und Erfolgsgeschichten auf der Firmenwebsite. Feiern Sie mit Ihren Mitarbeitern, wenn Situationen gemeinsam gelöst werden konnten, das stärkt den Teamgeist enorm. Bewährt haben sich auch Firmenfeste oder Tage der offenen Tür, bei denen die gesamte Familie eingeladen ist.

Wichtig: Probephase für neue Arbeitszeitlösungen vereinbaren

Zudem rät sie Betrieben, mögliche Lösungen einfach auszuprobieren. „Vereinbaren Sie bei neuen Maßnahmen zum Beispiel eine Probephase und besprechen Sie anschließend im Team, ob es passt oder nicht.“ Es gehe darum, gemeinsame ­Lösungen mit den Beschäftigten zu ent­wickeln. „Man sollte hier neue Wege gehen, mutig sein und auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen.“ Wer Pluspunkte für Familien und Work-Life-Balance bietet, muss das aber auch deutlich zeigen. „Viele Beschäftigte und Bewerber wissen gar nicht, welche Maßnahmen das Unternehmen eigentlich bietet“, berichtet Naetsch. Diese Vorteile (Stichwort: „Was wir bieten“) lassen sich etwa in Stellenanzeigen, der Karriererubrik auf der Firmenhomepage, der E-Mail-Signatur, Firmenzeitungen oder Social-Media-Kanälen herausstellen.

Auch gewonnene Auszeichnungen oder die Mitgliedschaft in Initiativen wie dem Familienpakt Bayern eignen sich als Werbung für die Familienfreundlichkeit des Betriebs. Wer hier Schwierigkeiten mit der Form hat, kann sich auch auf der Seite des Familienpakts Anregungen und Beispiele herunterladen. „Wir empfehlen zudem, ein Leitbild zu formulieren und auf der Firmenwebsite zu veröffentlichen“, sagt Naetsch. „Wenn ich diese Werte ohnehin schon lebe, kann ich mich auch mit dem gesamten Team hinsetzen und einige Zeilen über die Unter­nehmenskultur festhalten.“

Fünf-Wege-Fahrplan: Wie Chefs ihr Team unterstützen

Im Gegensatz zu Großbetrieben können gerade kleinere Unternehmen ihre familien­bewussten Maßnahmen oft individuell, flexibel und schnell umsetzen. Folgende Instrumente helfen dabei, die Mitarbeiter passgenau zu unterstützen.

  1. Flexible Arbeitszeiten
    Verschiedene Modelle sind möglich, etwa eine Flexibilisierung des Umfangs (z. B. Teilzeit), der Lage der Arbeitszeit (etwa Schichtmodelle, Gleitzeit, Jahresarbeitszeit­konten) oder Möglichkeiten der Arbeitsunter­brechung (z. B. Pausen- und Urlaubsregelungen, Sonderurlaub, längere Auszeiten). Teilzeitmodelle mit Jahresarbeitszeitkonten kommen etwa Beschäftigten mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen entgegen, die so flexibel auf Betreuungsengpässe oder Notfälle reagieren können.
  2. Familienbewusste Vertretung
    Beschäftigte mit Familienaufgaben müssen manchmal den Arbeitsplatz kurzfristig verlassen, weil die Kinderbetreuung plötzlich ausfällt oder ein familiärer Notfall eingetreten ist. Wenn Sie im Vorfeld im Team vereinbaren, welche Vertretungsregelungen gelten, können Mitarbeiter stressfreier auf Notfälle reagieren. Verteilen Sie Aufgaben und Zuständigkeiten auf eine oder mehrere Vertretungspersonen, um den kurzfristigen Ausfall schnell zu kompensieren.
  3. Führung in Teilzeit
    Ein optimales Instrument, um Führungsfrauen/-männer mit Familie zu gewinnen oder im Job zu halten. Empfehlenswert sind etwa die Reduktion der Arbeitszeit auf 75 Prozent oder das Jobsharing einer Stelle durch zwei Führungskräfte in Teilzeit.
  4. Ausbildung in Teilzeit
    Ermöglicht etwa Bewerbern/Beschäftigten mit familiären Betreuungsaufgaben eine Ausbildung anzufangen oder fortzusetzen. Die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit im Betrieb kann bis auf die Hälfte verkürzt werden, die Ausbildungsdauer verlängert sich dann entsprechend. Die Ausbildungszeiten in der Berufsschule lassen sich aber meist nicht verkürzen.
  5. Geldwerte Leistungen
    Zum Beispiel Zuschüsse zu Kosten der Kinderbetreuung, zinsgünstige Darlehen oder andere geldwerte Leistungen wie Geburtszuschüsse oder Boni für Kinder beim Weihnachtsgeld. Auch die finanzielle und technische Unterstützung von Heimarbeitsplätzen oder subventionierte Freizeit- und Ferienangebote unterstützen Familien.