Diskussion "halb voll, halb leer" Verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige: Sinnvolle Maßnahme oder unnötige Überregulierung?

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Wahr ist: Selbstständige sorgen meist gut für sich – auch für ihren Ruhestand. Sie investieren in Versicherungen, Immobilien und die Börse. Wahr ist aber auch: Altersarmut trifft Selbstständige nicht selten. Denn geht es dem Betrieb zwischenzeitlich schlecht, liegt die Auflösung der Altersvorsorge nahe. Es entsteht eine Versorgungslücke, die bis zur Rente nicht mehr zu schließen ist. Dann greift die Grundsicherung. Ist es also eine gute Idee, alle Gründer und neue Selbstständige künftig einer gesetzlichen Rentenpflicht zu unterwerfen? Zwei, die es wissen sollten, legen ihre Überzeugung dar: Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung und Andreas Lutz, Vorstand des Vereins der Gründer und Selbstständigen.

Gesetzliche Rentenpflicht künftig für alle neuen Selbstständigen? Die zwei befragten Experten sind da unterschiedlicher Meinung. - © Carl Keyes, Rakib Uzzaman - stock.adobe.com

"Es ist ein wichtiges sozialpolitisches Ziel, Selbstständige abzusichern"

Die Einführung einer verpflichtenden Altersvorsorge für Selbstständige hält Gundula ­Roßbach, Präsidentin der Deutschen Renten­versicherung, für wichtig und richtig.

Gundula Roßbach ist von der gesetzliche Rente für Selbstständige überzeugt.
Gundula Roßbach ist von der gesetzliche Rente für Selbstständige überzeugt. - © Bildarchiv DRV Bund/Nürnberger; Carl Keyes, Rakib Uzzaman - stock.adobe.com

Selbstständige sind ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Auch für diese Personengruppe eine ausreichende Absicherung im Alter sicherzustellen ist ein wichtiges sozialpolitisches Ziel. Der Koalitionsvertrag sieht deshalb vor, die Selbstständigen obligatorisch in die Alterssicherung einzubeziehen. Für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, soll eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit eingeführt werden.

Das ist auch notwendig. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weist immer wieder darauf hin, dass Deutschland zu den ganz wenigen der 38 Mitgliedsstaaten gehört, in denen es keine verpflichtende Alterssicherung für Selbstständige gibt. Das führt dazu, dass viele Selbstständige nicht über eine ausreichende Absicherung im Alter verfügen. Das Risiko, im Alter auf Grundsicherungsleistungen angewiesen zu sein, ist unter Selbstständigen fast doppelt so hoch wie bei abhängig Beschäftigten.

Wettbewerbsverzerrungen

Wenn für alle Selbstständigen eine obligatorische Vorsorgepflicht bestünde, würden damit auch Wettbewerbsverzerrungen vermieden. Diese können auf­treten, wenn vergleichbare Tätigkeiten einerseits von sozialversicherungspflichtigen, andererseits aber auch von nicht obligatorisch versicherten Erwerbstätigen erbracht werden. Hierauf weisen gerade Arbeitgeberverbände immer wieder hin – und das Handwerk kennt ja entsprechende Beispiele: Die in Anlage A der Handwerksordnung ein­getragenen handwerklichen Tätigkeiten sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, die in An­lage B eingetragenen Tätigkeiten dagegen nicht.

Wenig Bürokratieaufwand

Bei der Einführung einer obligatorischen Altersvorsorge für alle Selbstständigen sollte der Gesetzgeber konsequent auf digitale Verfahren setzen, bei denen die Betroffenen die notwendigen Informationen mit minimalem Aufwand – und vor allem nur einmal (Once-only-Prinzip) – den beteiligten Einrichtungen mitteilen.

Diese Informationen können dann im digitalen Datenaustausch zwischen allen beteiligten Einrichtungen genutzt werden, ohne dass für die Selbstständigen weiterer bürokratischer Aufwand ­anfällt.

Die Rentenversicherung stellt auch für Selbstständige ein umfassendes Leistungspaket zur Verfügung. Neben der Altersrente bietet sie auch Rehabilitationsleistungen und Schutz bei Erwerbsminderung. Darüber hinaus sichert sie Hinterbliebene ab. Damit ist die Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch eine attraktive Option für Selbstständige.

Vita: Gundula Roßbach

Gundula Roßbach ist seit 2017 Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die Juristin ist zudem Mitglied in der von der Bundesregierung eingesetzten Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“.

"Die Regierung muss ihre Hausaufgaben noch machen"

Selbstständige sollen in die gesetzliche Rente. Warum das noch keine gute Idee ist – aber zu einer werden kann, erklärt Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen.

Dr. Andreas Lutz mahnt die Politik, handwerklich sauber zu arbeiten bei den Regelungen für die gesetzliche Rente für Selbstständige.
Dr. Andreas Lutz mahnt die Politik, handwerklich sauber zu arbeiten bei den Regelungen für die gesetzliche Rente für Selbstständige. - © Dr. Andreas Lutz; Carl Keyes, Rakib Uzzaman - stock.adobe.com

Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition sieht vor, dass in dieser Legislaturperiode alle künftigen Selbstständigen einer Altersvorsorgepflicht unterworfen werden sollen, nicht aber die Bestandsselbstständigen, die bisher nicht versicherungspflichtig sind. Gründer sollen die Wahl haben, entweder in die gesetzliche Rente einzuzahlen oder in eine private Altersvorsorge, sofern diese insolvenz- und pfändungssicher ist. Ich bin froh, dass die etablierten Selbstständigen nicht unter die Altersvorsorgepflicht fallen werden, denn viele zahlen in private Rentenversicherungen ein und finanzieren Immobilien. Wenn sie ihre Beiträge nun plötzlich anderswo einzahlen müssten, würde das ihre Altersvorsorge massiv verschlechtern.

Im Detail großer Nachbesserungsbedarf

Vor der Einführung der Altersvorsorgepflicht muss die Regierung noch einige Hausaufgaben erledigen: Die Mehrheit der Selbstständigen ist freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Ihre Beiträge sind bis zu einem Monatseinkommen von 4.000 Euro mindestens 20 Prozent höher als das, was Angestellte und Arbeitgeber zusammen zahlen. Die zu viel bezahlten Beiträge fehlen für die Altersvorsorge. Wenn künftige Selbstständige nun auch noch überhöhte Altersvorsorgebeiträge zahlen müssen, werden noch weniger Menschen gründen.

Geplant ist eine Opt-out-Möglichkeit, doch die ist wenig attraktiv, wenn es neben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) nur die Rürup-Rente als Alternative gibt. Verbraucherschützer sehen sie wegen der hohen Kosten sehr kritisch. Von ihren steuerlichen Vorteilen profitieren nur Selbstständige mit hohem Einkommen.

Die Lösung wäre ein Altersvorsorgedepot (AV-Depot) – ein Sperrdepot mit Fonds oder ETFs, auf das man erst im Alter zugreifen kann. Es wäre pfändungs- und insolvenzsicher. Umschichten wäre erlaubt, Verkauf und vorzeitige Auszahlung aber nicht. Durch geringere Verwaltungskosten sowie bessere Renditen kämen höhere Renten heraus.

Auch für Handwerker wäre ein AV-Depot eine Verbesserung. Allerdings wird der Gesetzgeber in den ersten 18 Jahren wohl weiterhin auf Einzahlung in die DRV bestehen – und für die Zeit danach die Altersvorsorgepflicht einführen. Mein Rat: Machen Sie sich für frühzeitige und attraktive Opt-out-Möglichkeiten stark.

Wichtig: Die DRV wird die Daten von Gründern erhalten, um die Einhaltung der Altersvorsorgepflicht zu überwachen. Sie kann dann intensiver nach Scheinselbstständigen suchen. Dieses führt bei Auftragnehmern oft zum Verlust der Aufträge und zu hohen Nachzahlungen bei Auftraggebern. Daher gehört das Statusfeststellungsverfahren parallel zur ­Rentenreform reformiert.

Vita: Dr. Andreas Lutz

Dr. Andreas Lutz ist Diplom-Kaufmann und Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen. Er hat zehn Ratgeber für seine Zielgruppe verfasst und über 2.000 Seminare für Unternehmer gehalten.