Digitalisierung, Geschäftsideen, Nachhaltigkeit, Start-up und Technologietransfer
Empfindliche Schäden am Flachdach frühzeitig erkennen. Dieser Idee hat sich einer der Seifriz-Preisträger 2022 verschrieben und mittlerweile ein eigenes Start-up dafür gegründet. Die Hintergründe des Innovationsprojekts.
Christoph Schendel lacht, als er vom Gerüst aufs nasse Flachdach springt – und der Berichterstatter ein wenig zögerlich folgt. Doch hier oben in Neu-Ulm, am Standort der Aurnhammer Bedachungen GmbH und direkt an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg, kann der Dachdeckermeister und Inhaber des Traditionsunternehmens den Wissenstransfer zwischen Handwerk und Wissenschaft am besten erklären. Wetter hin oder her.
Dächer intelligenter und nachhaltiger machen
Nachhaltige Dächer smart vernetzt – für dieses Projekt hat der Handwerkschef gemeinsam mit Kevin Kupilas, damals Wirtschaftsinformatik-Student der Hochschule Karlsruhe, kürzlich einen der begehrten "Seifriz"-Preise erhalten. Eine Auszeichnung, auf die Schendel sichtlich stolz ist, so der Eindruck bei der Preisübergabe, die coronabedingt zum zweiten Mal nach 2020 im Delegations-Format direkt in den Siegerbetrieben stattfand. Und auch Markus Jehle freut sich über das gelungene Innovationsprojekt. Der Beauftragte für Innovation und Technologie (BIT) der Handwerkskammer Ulm hatte den 25 Mitarbeiter großen Betrieb bei der Seifriz-Bewerbung tatkräftig unterstützt. Da sich der Sitz der Aurnhammer Bedachungen GmbH, also der Gesellschaft, in Ulm befindet, geht der Preis somit nach Baden-Württemberg.
Wie kann man Dächer intelligenter und nachhaltiger machen? „Diese Frage trieb mich schon länger um“, betont der stellvertretende Landesinnungsmeister Schendel. „2018 hatte ich dann die erste Idee fürs smarte Dach.“ Dabei nutzt der umtriebige Unternehmer die Möglichkeiten der Digitalisierung. Oder konkret: das Internet of Things (IoT). So landen die via Dachmonitoring-Lösung gesammelten Daten in einem zentralen IoT-Betriebssystem – über ein integriertes Dashboard lassen sich diese dann auswerten. Das Ziel: die intelligente Früherkennung sowie vollständig digitale Zustandsüberwachung.
Gezielte Schadenprävention
Wie kann man beispielsweise einen Feuchtigkeitseintritt im Dachschichtenpaket frühzeitig erkennen? Denn lang anhaltende Feuchtigkeitseinwirkungen zwischen Abdichtungsbahn und Dampfsperre können zu Feuchtigkeitsaufnahme der Dämmstoffe und Einbußen bei der Dämmleistung führen. „Bei Fehlstellen in der Flachdachabdichtung geschieht es häufig, dass sich Dämmstoffe oftmals unbemerkt durchfeuchten. Die Schäden treten oft erst Jahre später im Gebäudeinneren auf“, weiß Schendel aus seiner langjährigen Praxiserfahrung.
Überzeugender USP
Damit das nicht passiert, sitzen auch im eingangs erwähnten Neu-Ulmer Flachdach spezielle Sensoren, die die vorausschauende Instandhaltung von Flachdächern überhaupt erst möglich machen. Big Data in Bayern. „Das Dachwissen wird in den Computer geholt“, so Schendel. Dabei ist dem 39-jährigen Dachdeckermeister ein Punkt ganz wichtig: „Die Intelligenz liegt in der Analyse.“
Vor allem die Kolleginnen und Kollegen aus seinem Gewerk sollen den Mehrwert erkennen und von der Innovation profitieren: „Von Dachdeckern für Dachdecker“, so beschreibt der Unternehmer das Alleinstellungsmerkmal seiner Lösung. Ressourcen schonen, Dächer erhalten und Material sparen – allein schon diese drei Argumente klingen überzeugend. Doch der Preisträger, der seinen Handwerksbetrieb in der vierten Generation führt, schiebt noch eines nach: „Ein Flachdach abzureißen ist ein Knochenjob. Wenn man sich diese Arbeit sparen kann, ist das top!“ Alle würden gewinnen: die Umwelt, die Mitarbeiter und der Chef. Kein Wunder, dass Schendel viele „begeisterte Reaktionen“ erhält, wie er es selbst nennt.
Start-up steht in den Startlöchern
Damit nun viele Dachdecker in den Genuss der smarten Lösung kommen können, gründete Schendel gemeinsam mit IT-Experte Riccardo Baral, den er auch über die Hochschule Karlsruhe kennt, im Januar 2021 die Smart Roof Solutions GmbH in Karlsruhe. Eine Ausgründung, die derzeit in den Startlöchern steht und Dachdeckern, Immobilieneigentümern und Hausverwaltungen Komplettlösungen bieten möchte. Und ambitionierte Ziele verfolgt: Fürs Jahr 2024 nimmt sich das Start-up 630.000 Quadratmeter monitorte Dachfläche vor. Doch damit nicht genug: Mittelfristig möchte man die Geschäftstätigkeit noch um die Aspekte Holzfeuchte-Monitoring und smarte Entwässerung sowie eine KI-gestützte Dachdiagnose erweitern.
Das ist der „Seifriz“
Der Seifriz-Preis wird seit über 30 Jahren als Wettbewerb für Wissenstransfer unter der Federführung des Baden-Württembergischen Handwerkstages durch den Verein Technologietransfer Handwerk e.V. und in Zusammenarbeit mit handwerk magazin veranstaltet. Partner des Preises sind die Holzmann Medien Gruppe, die Signal Iduna Gruppe für Versicherungen und Finanzen und der B2B-Kongress „Zukunft Handwerk“. Zu den weiteren Unterstützern zählen der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), die Steinbeis-Stiftung, das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg sowie Sponsoren aus der Wirtschaft.
Der Preis wird ermöglicht durch eine bundesweite Jury und das Engagement einer Vielzahl von Beratern in den Kammern und Fachverbänden. Benannt ist er nach dem baden-württembergischen Politiker Adalbert Seifriz, der die Wirtschaftspolitik des Landes in der Nachkriegszeit wesentlich prägte.
Foto:
Doppelte Freude: Joachim Krimmer (2. v. l.), Präsident der Handwerkskammer Ulm,
überreichte Christoph Schendel (3. v. l.) und Vertretern der Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Gestaltung Konstanz (HTWG) auch noch einen Seifriz-Sonderpreis. Das Thema: Erweiterung des digitalen Ökosystems durch innovative Gebäudeversicherungsdienstleister.