Die rentenpolitischen Maßnahmen der Regierung zur Sicherung von Fachkräften könnten für Handwerkschefs die Möglichkeit sein, Fachkräftelücken im Betrieb mit älteren Mitarbeitern zu schließen. Denn eine Rentenaufschubprämie könnte Anreize für Mitarbeiter im Rentenalter schaffen, weiter für den Betrieb da zu sein. Nun stellt sich die Frage: Müssen Handwerkschefs ihre Rentner-Mitarbeitern künftig beraten, wenn diese weiterarbeiten möchten?

Deutschland benötigt viele gut qualifizierte Fachkräfte – für den Klimaschutz, den digitalen Wandel und eine älter werdende Gesellschaft. Dafür müssen alle vorhandenen Potenziale genutzt werden. „Dabei geht es zuallererst um die Menschen, die hier leben, aber arbeitslos sind oder ohne Ausbildung“, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium. Auch diejenigen wolle man fördern, die gern mehr arbeiten würden, bei denen das aber nicht geht oder erschwert wird, beispielsweise weil die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz das nicht zulassen oder weil Kinderbetreuung fehlt.
Wichtig sei aber auch das Potential älterer Erwerbstätiger. Sie sollen so lange wie möglich und nach ihren individuellen Wünschen im Berufsleben bleiben können. Hieran knüpfen die rentenpolitischen Maßnahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung an. Sie richten sich vor allem an jene, die über die Regelaltersgrenze hinaus dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen wollen und können. Damit werde ein Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet.
Inwieweit die Maßnahmen greifen werden – mit solchen Prognosen hält sich das Bundesarbeitsministerium noch zurück: „Da die rentenpolitischen Maßnahmen der Wachstumsinitiative neue Instrumente darstellen und das zukünftige Verhalten der Rentenberechtigten nicht vorhersehbar ist, fehlen jegliche Erfahrungswerte zur tatsächlichen Nutzung. Aus diesem Grund lassen sich auch keine konkreten, belastbaren Prognosen zur Inanspruchnahme treffen“, so ein BMAS-Mitarbeiter.
Rentenbeiträge an den Arbeitnehmer auszahlen: Mehr Bürokratie für die Betriebe?
Dass die Auszahlung der Sozialversicherungsbeiträge zu Renten- und Arbeitslosenversicherung – wie es mit den neuen Maßnahmen geplant ist - mehr Arbeit für die Buchhaltungen von Handwerksbetrieben bedeuten könnte, davon sei nicht auszugehen: „Die Möglichkeit für Arbeitgeber, künftig einen Betrag in Höhe des Arbeitgeberbeitrags zur Renten- und zur Arbeitslosenversicherung direkt an Beschäftigte im Rentenalter zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn auszuzahlen, erfordert geringfügige Programmierarbeiten in den Lohnabrechnungssystemen“, so der BMAS-Vertreter. Der Beitragsgruppenschlüssel im Meldeverfahren müsse einmalig angepasst und die Entgeltbescheinigung erweitert werden. Dies werde im Rahmen der routinemäßigen halbjährlichen Updates der Entgeltabrechnungssoftwares bei den Arbeitgebern erfolgen.
Durch eine mögliche Einführung der Rentenaufschubprämie ändere sich nichts für Arbeitgeber. Für sie mache es keinen Unterschied, ob ihre Beschäftigten über die Regelaltersgrenze hinaus weiterarbeiten, ihre Rente aufschieben und sich anschließend für die Zuschläge entscheiden, die die Rente schon nach geltendem Recht erhöhen, oder für die Rentenaufschubprämie. Auch Dietrich Loll, Steuerberater und Rechtsanwalt der ETL-Gruppe in Berlin winkt ab: „Arbeitgeber müssen ja auch jetzt schon diverse Informationen ihrer Mitarbeiter abfragen – etwa in welcher Krankenversicherung sie versichert sind, oder ob sie an eine private oder gesetzliche Krankenkasse Beiträge entrichten - da kommt nun womöglich eine Abfrage oben drauf, das sollte nicht zu aufwendig werden.“ Loll fügt übrigens hinzu, dass jeder Unternehmer ein gutes Arbeitnehmerstammblatt für seine Mitarbeiter führen sollte.
Rentner weiter beschäftigen: Arbeitsvertragliche Besonderheiten
Grundsätzlich sei das Arbeitsrecht nicht an bestimmte Altersgrenzen gebunden. Es finde Anwendung auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ungeachtet ihres Alters. „Dementsprechend gibt es auch keine gesetzliche Altersgrenze für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen“, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium. Weder das Erreichen des Rentenalters noch der Anspruch auf oder der Bezug von Altersrente beende das Arbeitsverhältnis automatisch.
Das Erreichen des Rentenalters oder der Anspruch auf Altersrente berechtige den Arbeitgeber nicht zur Kündigung. Vereinbarungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag führten aber regelmäßig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze (sogenannte Altersgrenzenvereinbarungen). „Es besteht die Möglichkeit, mit Bewerberinnen und Bewerbern im Renteneintrittsalter ein Arbeitsverhältnis einzugehen, und dies sollte aus Sicht der Beschäftigten und der Unternehmen nichts Außergewöhnliches sein“, so der BMAS-Vertreter. Für einen Arbeitsvertrag mit einer Rentnerin oder einem Rentner würden grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen wie für jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sodass beispielsweise ein unbefristeter oder ein mit Sachgrund befristeter Arbeitsvertrag geschlossen werden kann.
Mit der Wachstumsinitiative sei eine Erleichterung bei sachgrundlosen Befristungen vorgesehen: Um Personen nach Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rückkehr zu ihrem bisherigen Arbeitgeber zu ermöglichen, soll das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen für diesen Personenkreis eingeschränkt werden. „Damit wird auch eine sachgrundlose Befristung mit dem bisherigen Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht“, heißt es aus dem Ministerium.
Rentenaufschubprämie oder Gehalts-Zusatz: Für welche Option entscheidet sich nun der Arbeitnehmer?
Von welcher der neuen Maßnahmen der Rentner künftig profitieren kann, hängt davon ab, ob die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer bereits eine Altersvollrente bezieht oder nicht. Die Rentenaufschubprämie setzt die Nichtinanspruchnahme der Altersrente voraus. Anders bei der Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags: Hier müsse der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin eine Altersrente als Vollrente beziehen. Auch diejenigen, die zu einem früheren Zeitpunkt die Regelaltersgrenze erreicht haben und bereits neben ihrer Altersrente weiterarbeiten, könnten ab dem Inkrafttreten die Zahlung erhalten. Die Rentenaufschubprämie werde ab dem 1. Januar 2028 ausgezahlt, wenn zuvor mindestens ein und maximal drei Jahre lang eine mehr als geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und auf die Rente verzichtet wurde. Mit dem Anspruchsaufbau für die Rentenaufschubprämie – sprich der Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze – kann frühestens ab 1. Januar 2025 begonnen werden.
Wer Mitarbeiter im Renteneintrittsalter berät: Deutsche Rentenversicherung, Bundesarbeitsministerium, Bundesarbeitsagentur – oder der Chef?
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales informiert allgemein über die neuen Maßnahmen. Außerdem geben die Rentenversicherungsträger Auskünfte und beraten die Beschäftigten zu den verschiedenen Möglichkeiten des Übergangs in die Rente. Die Rentenversicherungsträger bieten zudem ein kostenfreies Beratungsangebot für Unternehmen. „Über den Firmenservice werden eine Vielzahl von Informationen rund um die Themen gesunde Beschäftigung, Rente und Altersvorsorge sowie Sozialabgaben unter anderem für Arbeitgeber und Personalverantwortliche angeboten“, sagt der BMAS-Vertreter. Auch die Bundesarbeitsagentur bietet Informationen an, sowohl für Chefs aber auch für arbeitswillige Rentner.
Und der Unternehmer selbst? Ist er nicht im Rahmen seiner Fürsorgepflicht aufgefordert, den Mitarbeiter zu beraten? „Sicher kann der Betriebsinhaber den einen oder anderen Hinweis geben, aber eine offizielle Beratung des Rentenversicherungsträgers ersetzt dies natürlich nicht“, sagt Rechtsanwalt Loll. Dr. Peter Meyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner der Kanzlei Weimann & Meyer in Berlin und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein wendet ein: „Natürlich hat der Mitarbeiter die Möglichkeit sich von einem Rentenberater beraten zu lassen, aber in der Praxis wird er sich zuerst an seinen Chef wenden - gerade, wenn das Vertrauensverhältnis gut ist.“ Der Unternehmer laufe dann allerdings Gefahr, falsche Antworten oder Empfehlungen zu geben.
Unternehmer können durch Falschauskünfte in die Haftung geraten
„Dass der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter Hinweise gibt, ist wiederum ganz natürlich, denn er hat ein berechtigtes Interesse daran, den Mitarbeiter im Unternehmen zu halten“, so Meyer. Folglich werde der Unternehmer Überlegungen anstellen und womöglich Empfehlungen aussprechen. „Dies alles geschieht vor dem Hintergrund, eine gute Lösung für den Betrieb und den Rentner-Mitarbeiter zu finden“, erklärt Meyer. Hier seien Betriebsinhaber gefordert, immer wieder darauf hinzuweisen, dass sich Mitarbeitende von offizieller Stelle beraten lassen müssen und dass die Antwort des Chefs quasi ohne Gewähr erfolgte. Es gebe genügend Fälle, in denen Unternehmer durch Falschauskünfte in die Haftung gerieten. „Das ist natürlich bei kleinen und mittleren Handwerksbetrieben ein echter Spagat“, gibt Meyer zu bedenken. Alternativ könnte man auch Berater in den Betrieb holen, die die Rentner-Mitarbeiter informieren. Aber selbst die könnten Falschauskünfte erteilen. „Der sicherste Weg ist daher immer der Verweis auf die offiziellen Stellen“, so Meyer.