Nachhaltiges Bauen Ersatzbaustoffverordnung: So entstehen Gebäude aus Recycling-Baustoffen

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Um klimafreundlicher zu bauen, liegen recycelte Baustoffe im Trend. Verschärfte Vorschriften wie die Ersatzbaustoffverordnung, die ab 1. August in Kraft tritt sowie Vorzeigeobjekte und Qualitätssiegel tragen dazu bei, dass die Produkte mit Vorleben auf den Bauprojekten häufiger eingesetzt – und sogar als Design-Elemente geschätzt werden.

Stefan Schindele, Leiter Baubiologie bei Baufritz
Stefan Schindele, Leiter Baubiologie bei Baufritz, will beim Bauen noch mehr Recyclingmaterialien verwenden. - © Lisa Hörterer

Wenn Stefan Schindele die Philosophie seiner Firma beschreibt, verweist er gerne auf den Bürotrakt des Erkheimer Holzhausherstellers Baufritz. Von der Decke zum Dach über jede Wand: Alles war schon einmal anderswo verbaut. „Unser gesamtes Gebäude in Holztafelbauweise besteht aus Elementen der Messepavillons, die wir eigens für die Gartenausstellung 1983 in München errichtet und anschließend rückgekauft haben“, erklärt Stefan Schindele, der sich als Leiter Baubiologie bei Baufritz um die Wohngesundheit kümmert. So landeten die gebrauchten Materialien nicht im Abfall, sondern leben weiter – bis heute.

Über nachhaltiges Bauen wertvolle Rohstoffe sparen

Verschraubt, nicht verklebt: Das ist für den Baubiologen die Formel, die den Rückbau von Bestandsbauten erlaubt. „Solange keine Klebstoffe verwendet wurden, die häufig gesundheitsschädigend sind, gelingt es einfach, verwendete Materialien auseinanderzunehmen und weiterzuverwerten“, sagt er. Um nachhaltig zu bauen, hat sich Baufritz für die Holztafelbauweise entschieden. Allein das Tragwerk besteht aus der ökologisch wertvollen Ressource Holz – im Gegensatz zur Massivholzbauweise. Das Gefach, also der Raum zwischen den Holzständern der Wand, wird mit einem speziellen Dämmstoff ausgefüllt, den Schindele „eine echte Besonderheit“ nennt. Als Alternative zum umstrittenen Kunststoff Polystyrol oder Zellulose, das weitgehend aus recyceltem Papier besteht, verwenden die Erkheimer Fichtenholzspäne, die aus Reststoffen umliegender Hobelwerke stammen. In der hauseigenen Anlage bereiten die Mitarbeiter die Holzspäne, die beim Hobeln von Balken und Brettern anfallen, so auf, dass sie sich perfekt als Dämmstoff eignen. „Zunächst werden die Späne gesiebt, dann mit Molke und Soda behandelt und am Ende in die Bauteile gepresst“, beschreibt der Baubiologe die Schritte zum Recycling-Baustoff. Baufritz hält für die hauseigene Erfindung eine Europäische Technische Zulassung (ETA) und ein Patent.

Die Bauunternehmer aus dem schwäbischen Unterallgäu machen vieles richtig. Darauf verweisen die etlichen Auszeichnungen, beispielsweise der Deutsche Nachhaltigkeitspreis, den die Fertighaus-Firma 2009 erhielt. Trotzdem zeigt sich Schindele besorgt, wenn es um das Bauen in der Zukunft geht. Die Vorgaben haben sich verschärft: Ab kommenden August tritt die Mantelverordnung Ersatzbaustoffe (EBV) in Kraft. Die bundeseinheitliche Regelung schreibt erstmals rechtsverbindlich vor, wie Baufirmen nachhaltig mit mineralischen Ersatzbaustoffen umgehen müssen.

Von den jährlich circa 220 Millionen Tonnen Bauabfällen entfällt der größte Anteil auf Böden und Steine, ein weiterer auf Bauschutt wie Beton, Ziegel und Fliesen. Die restliche Menge setzt sich aus Bitumengemischen beim Straßenbau, Gipsbaustoffen sowie Baustellenabfällen wie Holz, Glas, Kunststoff, Metall und Dämmstoffe zusammen. Mit circa 90 Prozent lebt das Gros dieser mineralischen Bauabfälle bisher weiter – in den meisten Fällen jedoch über ein Downcycling. So wurden Beton-, Ziegel- und Fliesen-Bauschutt vor allem zu Schüttgütern für den Straßen- und Erdbau aufbereitet.

Die EBV gibt nun über rechtsverbindliche Vorgaben vor, die Materialien strenger auf ihre Wiederverwertung hin zu überprüfen. Dabei legt die Regelung für die jeweiligen Baustoffe Grenzwerte bei Schadstoffen fest. Zudem gibt es jeweils strikte Angaben, wie einzelne Recyclingprodukte eingebaut werden müssen. Während bei erster Vorschrift, die Hersteller in der Pflicht stehen, sind es bei der zweiten die Bauunternehmen.

EBV: Was sich ändert

Wenn die Ersatzbaustoffverordnung – kurz EBV – am 1. August 2023 in Kraft tritt, müssen Bauunternehmer einiges beachten.

In Deutschland fallen laut Initiative Kreislaufwirtschaft Bau jährlich rund 220 Millionen Tonnen an mineralischen Bauabfälle an. Mit der Mantelverordnung Ersatzbaustoffe (EBV), die ab 1. August 2023 für das gesamte Bundesgebiet gilt, sollen diese Reststoffe wieder in den Baustoff-Kreislauf rückgeführt werden.

Die EBV lässt die Beseitigung von Abfall nur noch dann zu, wenn eine Weiterverwertung nicht möglich oder wirtschaftlich ist. Um die Qualtität der Materialien zu sichern, schreibt die Regelung für die jeweiligen Ersatzbaustoffe Grenzwerte in Bezug auf bestimmte Schadstoffe vor, die die jeweiligen Hersteller über Güteüberwachung gewährleisten sollen. Des Weiteren sieht die EBV angepasste Einbauweisen vor, die vom Bauunternehmen beim Einbau in das technische Bauwerk zu beachten sind. Die detaillierten Informationen zur Mantelverordnung gibt es online: bmuv.de/faqs/mantelverordnung

Schadstoffe als Hindernis bei der Wiederverwertung

Baubiologe Schindele sieht einige Hürden. Sein Bauunternehmen zieht zwar schon viele Materialien mit einem Vorleben heran, doch überwiegen die Primärbaustoffe. Das Verhältnis will er gerne umdrehen. In der EBV erkennt er daher prinzipiell eine gute und notwendige Sache. Ziel ist es, eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen, bei der alle verarbeiteten Materialien nach einmaligem Gebrauch nicht in der Deponie landen, sondern weiterbestehen. „Aus Bauabfällen tatsächlich verwertbare Recyclingmaterialien zu machen ist nicht gerade einfach“, begründet Schindele seine Bedenken. Wenn ein Bestandsbau zerschlagen wird, fallen die Materialien ja nicht fein säuberlich in ihrem Ursprungszustand auf geordnete Haufen zurück. Vielmehr lässt die Abrissbirne ein Konglomerat an verschiedenen Einzelteilen übrig. „Gipskartonplatten wieder sortenrein und schadstofffrei zu trennen ist eine große Herausforderung, da sie mit asbesthaltigen Spachtelmassen oder Klebern beaufschlagt sein könnten“, sagt der Baubiologe. Altholz wiederum läuft Gefahr, giftige Holzschutzmittel wie PCP, Lindan oder DDT zu enthalten.

Eine weitere Herausforderung liegt im Ruf der Secondhand-Baustoffe. Der Begriff Abfall wirkt abschreckend, auch wenn es sich bei den gütegesicherten Ersatzbaustoffen um hochwertige Bauprodukte handelt. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) spricht sich deshalb dafür aus, dass die geprüften und gesicherten Recyclingmaterialien schon jetzt nicht länger als „Abfall“ bezeichnet werden, wie ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa vom Bundesumweltministerium fordert. Dass der jüngste Beschluss zur Mantelverordnung Ersatzbaustoffe und Bodenschutz jedoch davon Abstand genommen hat, wertet der ZDB als negatives Signal. „Nur wenn Recyclingmaterial nicht mehr der Makel des Abfalls anhängt, wird es als neues ­Baumaterial eingesetzt werden“, glaubt Pakleppa. Kein Bauherr werde Recyclingmaterial verwenden, wenn er damit rechtlich gesehen Abfall verbaue. "Das eindeutig geregelte Abfallende innerhalb der Ersatzbaustoffverordnung wäre ein echter Hebel zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft gewesen", kommentiert der ZDB-Chef die Entscheidung der Regierung, den "Makel des Abfalls" weiterhin beizubehalten. "Wir appellieren dringend an die politischen Entscheidungsträger, sich zeitnah mit uns an einen Tisch zu setzen, um schnellstmöglich eine praktikable Lösung für die Zukunft zu finden.“

Der Weg zum qualitativ hochwertigen Recycling-Produkt

Bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) beschäftigt sich Geschäftsführer Johannes Kreißig mit der Problematik. Um beim Rückbau von Gebäuden für mehr hochwertige Verwertung der Baumaterialien zu sorgen, hat er ein Rückbauzertifikat als Qualitätssicherungsinstrument entwickeln lassen. „Es geht uns darum, Stoffströme konsequent zu schließen und eine höhere Wertigkeit der Bausubstanz zu fördern“, sagt der DGNB-Chef. Für die Qualitätssicherung ist es wiederum nötig, über „mehr Fachpersonal und Know-how“ beim Abriss von Bestandsgebäuden zu verfügen.

Spezielle Unternehmen wie der Entsorgungsfachbetrieb Heinrich Feess im baden-württembergischen Kirchheim/Teck bauen solche Kompetenzen auf. Die geschulten Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Baustoffe unbedenklich wiederverwendet werden können. Auf der Baustelle geht es los: Mit Brecher- und Sieb­anlagen bereiten die Mitarbeiter die Ausgangsmaterialien direkt vor Ort auf und transportieren sie dann in einen der hauseigenen Recyclingparks. In den Recyclingprozess befördern sie nur sortenreine Materialien wie Beton, Asphalt, Gleisschotter und Bauschutt – ohne Störstoffe wie Kunststoffe, Isoliermaterialien oder Asbest. „Über solche Aufbereitungsprozesse entstehen saubere Materialien, die für Bauvorhaben eine echte Alternative mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit sind“, urteilt Kreißig. Schließlich stehen für die Herstellung von Primärrohstoffe immer knappere Ressourcen parat. Anstatt Raubbau an der Umwelt zu betreiben und im Steinbruch neuen Schotter zu sprengen, um ihn für die Betonproduktion zu verwenden, ist recycelter Betonabbruch die umweltverträgliche Lösung.

Das mag nach einem Kompromiss klingen – doch kommt es darauf an, was man daraus macht. Als ein Paradebeispiel für einen gelungenen Mix aus wiederverwendeten und recycelten Materialien gilt Deutschlands erstes Recyclinghaus in Hannover-Kronsberg. Es zeigt, wie Bauen in einer Kreislaufwirtschaft funktionieren kann. Die Fassade des Mietshauses besteht etwa aus gebrauchten, dunkelgrau neu beschichteten Faserzementplatten, Holzlatten aus Saunabänken und Profilbaugläsern. Die Gläser stammen aus dem Abbruch einer ehemaligen Lackiererei in Hannover und sind unterschiedlich gefärbt. Das ist sogar ein Benefit, weil es die Fassade lebendig aussehen lässt. „Gebrauchte Baustoffe können ein schönes Design-Element für eine neue Art von Architektur sein“, findet Kreißig.

Beim Bauen das Ende des Objekts gleich mitdenken

An solchen zukunftsweisenden Projekten arbeiten auch Stefan Schindele und sein Team bei Baufritz in Erkheim. Zusammen mit einigen Hochschulen und Universitäten entwickeln die Baubiologen nach dem Motto „Design for Recycling“ die Bauwerke von morgen. Die Fertighaushersteller können mit ihrer Expertise bei vorgefertigten Bauprodukten einiges beitragen. Für Baubiologe Schindele ist vor allem eines wichtig: „Wer ein Gebäude plant, sollte immer auch gleich an den Rückbau denken.“ Der nächste Nutzer freut sich.