Bürokratieentlastungsgesetz-Interview Bürokratieabbau: Das muss laut Normenkontrollrat passieren, damit das Handwerk endlich entlastet wird

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Der Normenkontrollrat in Baden-Württemberg gab in Zusammenarbeit mit dem Bäckerhandwerk und dem Baden-Württembergischen Handwerkstag die Studie "Entlastungen für das Bäckerhandwerk" heraus. Aufgelistet werden 20 konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau, die das Handwerk konkret entlasten könnten. Dr. Gisela Meister-Scheufelen ist Vorsitzende des Normenkontrollrats. handwerk magazin sprach mit ihr über die wichtigsten Erkenntnisse.

Bürokratiepflichten im Bäckerhandwerk
Die Studie "Entlastungen für das Bäckerhandwerk" listet im Detail auf, welchen Bürokratiepflichten Baden-Württembergs Bäcker aktuell nachkommen – und macht Vorschläge, wie man sie entlasten könnte. - © contrastwerkstatt - stock.adobe.com
Was hat Sie an den Ergebnissen der Bäckerstudie am meisten erstaunt?


Dr. Meister-Scheufelen:
Besonders überrascht waren wir von den vielen Dokumentationspflichten, die ein Bäckereibetrieb zu leisten hat. Die Kühlprotokolle müssen sogar täglich handschriftlich unterzeichnet werden, selbst wenn die Kühlschränke ein automatisches Kühlprotokoll ausgeben und die Geräte über Alarmfunktionen verfügen, die eine Veränderung der Kühltemperatur sofort melden. Auch fanden wir bemerkenswert, dass Kontrollen der Behörden in unseren 44 Stadt- und Landkreisen völlig unterschiedlich gehandhabt werden. Diese Erkenntnis lässt sich mit Sicherheit auf das Bundesgebiet übertragen und zeigt uns: Hier fehlen oft Maß und Mitte. Denn gesetzlich vorgeschrieben ist die strenge Kontrolle nicht, vielmehr werden die Betriebe über EU-Recht zur Eigenkontrolle verpflichtet. Die Verwaltungen wollen sich auf diese Weise offenbar absichern, dass sie alles tun, damit gesetzliche Vorschriften eingehalten werden.
 

Wie wurde die Studie von der Landesregierung angenommen? Und wie geht es jetzt weiter?


Den Ministerien war zum Teil nicht bewusst, wie die Verwaltungen vor Ort arbeiten. Aktuell ist die baden-württembergische Landesregierung dabei zu prüfen, welche unserer Vorschläge an welchen Stellen umgesetzt werden können, und wofür es berechtigte Gegenargumente gibt. Letztlich können neun unserer 20 Vorschläge über die Landesregierung in Bundesratsinitiativen münden. Denn es muss klar sein: Landes- und Kommunalverwaltungen vollziehen etwa 80 Prozent des Bundesrechts.

Was erwarten Sie von der Bundespolitik und dem Normenkontrollrat des Bundes, der ja jetzt an das Bundesjustizministerium angegliedert wurde?


Mit der neuen Regierung ist ein neues Kapitel aufgeschlagen, es gibt einen neuen Justizminister, der Normenkontrollrat ist erstmals dem Bundesjustizministerium unterstellt, das Gremium hat mit Lutz Goebel, bislang Präsident des Verbands Die Familienunternehmer einen neuen Vorsitzenden. Die Karten sind neu gemischt, das kann einen neuen Schub mit sich bringen.

Würde ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz das Handwerk entlasten? 

Aber ganz bestimmt. Bereits 2006 hatte sich die Vorgänger-Regierung vorgenommen, innerhalb von fünf Jahren 25 Prozent Bürokratiekosten abzubauen. Das ist gelungen. Zehn Jahre später könnte ein neues Bürokratie-Abbau-Ziel, idealerweise 20 Prozent, angezeigt sein. Ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz ist dafür das richtige Instrument.

Wie können Sie Handwerkern in der aktuellen Krisen-Situation Mut machen?

Allein mit der „One-in-One-Out Regel“ – die Selbstverpflichtung des Bundes, für eine neue Belastung an anderer Stelle Entlastungen zu generieren - konnten 2 Milliarden Euro eingespart werden. Auch der Bürokratiekostenindex des Statistisches Bundesamtes belegt, dass der Bürokratieanfall durch Bundesrecht eher abnimmt als zunimmt.

Aber das Handwerk beklagt die Zunahme von Regeln und Pflichten. Wie kann das sein?

Ja, die Beschwerden sind berechtigt. Denn Bürokratiekosten entstehen nicht allein durch Bundesgesetze, sondern auch durch die EU, die Länder und die Verwaltung. Das sollte jedoch nicht Anlass sein, zu resignieren. Es wäre alles viel schlimmer, hätte es die Bürokratieentlastungsgesetze nicht gegeben. Immerhin konnten in den letzten 16 Jahren etwa 14 Milliarden Euro eingespart werden. Und was noch positiv zu bemerken ist: Bund und Länder sind entschlossen, konsequent zu handeln.

Was kann das Handwerk selbst tun, um einen besseren Kontakt mit Behörden herzustellen und selbst aktiv zum Bürokratieabbau beizutragen?

Sie müssen die Belastungen der Betriebe über Handwerkskammern und Innungsverbände konkret benennen und möglichst auch Lösungen vorschlagen. Bürokratieabbau ist Detailarbeit. Zum Beispiel bei der Belegausgabepflicht für bargeldintensive Betriebe könnten Kassensysteme mit digitaler Anzeige helfen. Sie sind in der Lage über einen QR-Code den Bon digital an das Handy des Kunden zu übermitteln. Das Thema Kassenbon hat ja noch einen weiteren Aspekt. Es handelt sich um beschichtetes Papier, das nicht recycelt werden kann. Nun muss es darum gehen, die Verbreitung dieser Möglichkeit sicherzustellen.

Wie soll dem Thema unverständliche Behörden-Kommunikation begegnet werden?

Auch da haben die Bäcker recht, wenn sie sagen, dass die Gesetzeslage unübersichtlich und Regeln oft nur schwer verständlich sind. Aus unseren Befragungen wissen wir, dass der Mittelstand rechtstreu und guten Willens ist, geltendes Recht auch umzusetzen. Das ist ganz wunderbar! Dennoch fehlt den Betrieben der Überblick, was sie eigentlich einzuhalten haben. Landes- und Kommunalverwaltungen müssen viel klarer formulieren und kommunizieren. Die verständliche Behördensprache sollte in die Ausbildung für Verwaltungsfachkräfte und in das Jura-Studium aufgenommen werden. Auch sollte die Verständlichkeit der Rechts- und Behördensprache fester Bestandteil von Weiterbildungsseminaren sein.

Zur Person:

Dr. Gisela Meister-Scheufelen
© NKR BW

Dr. Gisela Meister-Scheufelen ist Vorsitzende des Normenkontrollrats in Baden-Württemberg.

Das unabhängige Expertengremium unterstützt die Landesregierung dabei, den Bürokratieaufwand zu verringern. Es berichtet direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen).