Andrea Eigel leitet zahlreiche Erfa-Gruppen – und ist somit ganz nah dran am Handwerk. In ihrer Kolumne beantwortet die erfahrene Beraterin Fragestellungen aus der Praxis. Folge 7: Kündigung.

Wo Mangel herrscht, bricht schnell Panik aus. Das ist menschlich, aber eben nicht immer gerechtfertigt. Das ist nachvollziehbar, trübt aber oft den Blick auf die eigentlichen Realitäten. Derzeit lässt sich beides bei der Personalsituation im Handwerk besichtigen. Der Fachkräftemangel hängt wie ein Damoklesschwert über den Chefs und Chefinnen der Betriebe. Kündigt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, zumal ein scheinbar enorm wichtiges Teammitglied, fällt die Reaktion der Geschäftsleitung oft irgendwo zwischen Schockstarre und panischer Verzweiflung aus.
„Woher, um Himmels Willen, sollen wir einen Ersatz bekommen – das schaffen wir nie!“ oder „Ohne diesen Mitarbeiter geht bei uns nichts mehr – die Kundschaft wird uns reihenweise abspringen!“ sind Sätze, die ich bei diesen Gelegenheiten immer wieder in Erfa-Gruppen zu hören bekomme. Nun, die Wirklichkeit entwickelt sich glücklicherweise häufig viel besser als in diesen Angstszenarien. Das zeigt die Erfahrung eines rund 30-köpfigen Betriebs, den ich mit gezieltem Coaching durch eine solche Mitarbeiterkündigung begleitet habe. Über die Chancen, die in Mitarbeiterkündigungen stecken.
Die Welt bricht bei einer Kündigung nicht zusammen
Völlig aus dem Blauen heraus hatte bei diesem Ausbau-Unternehmen der kreative Kopf der Gestaltungswerkstatt gekündigt. Der Abteilungsleiter war bei der Geschäftsführung beliebt und galt als der Ideenmotor für hochwertige Gestaltung. Im ersten Moment saß der Schreck tief: Was, wenn mit dem Weggang des Mitarbeiters nun auch jegliche Form von Kreativität aus dem Unternehmen verschwinden würde? Wie die Stelle gleichwertig von außen nachbesetzen? Ich riet der Unternehmensleitung zunächst Ruhe zu bewahren und anschließend dorthin zu schauen, wo sich erfahrungsgemäß viel Potenzial im Verborgenen entwickelt: im bestehenden Team.
Tatsächlich ergab das Gespräch mit den Mitarbeitenden der Gestaltungswerkstatt interessante Erkenntnisse. Zum einen kristallisierte sich heraus, dass eine bestehende Mitarbeiterin nicht minder kreativ und natürlich bestens mit den Gegebenheiten des Betriebs vertraut war. Zum anderen ergab der Austausch mit dem Werkstatt-Team, dass der bisherige Leiter zwar ein großes gestalterisches Talent gewesen war, aber enorme Defizite in Führungsaufgaben gehabt hatte und sich dadurch eine gestresste Unzufriedenheit in der Abteilung aufgebaut hatte. Diese Einblicke erwiesen sich als hoch interessant für die Geschäftsführung.
Es wurde klar, dass sie den bisherigen Abteilungsleiter eindimensional als „das unverzichtbare Kreativgenie“ wahrgenommen hatten und blind für allerlei Schattenseiten des Mitarbeiters gewesen war. Mit der neuen Abteilungsleiterin aus den eigenen Reihen hat der Betrieb die Stelle nicht nur sehr zufriedenstellend nachbesetzt – ihre gezielte Weiterentwicklung in der Mitarbeiterführung und eine neue Struktur in der Abteilung haben bereits für deutlich bessere Stimmung im Team gesorgt.
So wird aus dem Problem eine Chance für Ihr Unternehmen
Wie in diesem Praxisbeispiel können auch Sie, sofern Sie ein mittleres oder größeres Handwerksunternehmen leiten, aus einer zunächst als katastrophal empfundenen Mitarbeiterkündigung eine Chance für Ihren Betrieb machen. Diese Leitlinien helfen Ihnen dabei:
- Regel Nummer 1 – Ruhe bewahren: Lassen Sie sich von der Enttäuschung über die oft unvermittelte Kündigung von Mitarbeitenden nicht zu Panikreaktionen hinreißen. Tatsächlich ist jede und jeder ersetzbar – oft sogar aus den bestehenden Reihen mit deutlichem Zugewinn an erfrischender Energie.
- Reisende soll man nicht aufhalten: Sehen Sie bei kündigenden Mitarbeitenden, die keine konkrete und behebbare Unzufriedenheit mit ihrer Stelle äußern, davon ab, sie um jeden Preis halten zu wollen. So entgehen Sie der Gefahr, unverhältnismäßige Zugeständnisse zu machen, erpressbar zu werden – und dennoch ein halbes Jahr später den nächsten Kündigungsbrief vom selben Mitarbeitenden in Händen zu halten.
- Vorhandenes genau unter die Lupe nehmen: Schauen Sie sich die betrieblichen Strukturen sowie die Kolleginnen und Kollegen, mit denen der kündigende Mitarbeitende tätig war, genau an. Wie wurde der ausgeschiedene Mitarbeitende im Team wahrgenommen? War wirklich alles Gold, was scheinbar glänzte? Was muss in Zukunft in diesem Team besser laufen? Und: Wer aus dem Team ist motiviert und fähig, die Position zu besetzen?
- •Aus der Erfahrung für die Zukunft lernen: Leistungsträgerinnen und -trägern im Team gebührt Wertschätzung. Dennoch lohnt sich der kühle Blick auf ihre Gesamtleistung: Verstecken sich hinter einer oder weniger herausragenden Eigenschaften nicht auch Defizite, die Schaden im Betrieb anrichten? Nutzen Sie das Wissen, dass Sie nach dem Weggang eines Mitarbeitenden gewonnen haben, auch, um den Nachfolger oder Nachfolgerin optimaler anzulernen und die entsprechende betriebliche Struktur zu verbessern.
Fazit: Eine Kündigung kann für positive Impulse sorgen
Verlässt ein als unverzichtbar wahrgenommenes Teammitglied das Unternehmen, ist ein besonnener Wechsel der Perspektive auf die Chancen der richtige Ratgeber. Denn in Handwerksunternehmen bricht mit dem Weggang einer Schlüsselkraft in der Regel nicht, wie viele Chefinnen und Chefs befürchten, das betriebliche Fundament zusammen. Eine Nachbesetzung aus dem vorhandenen Mitarbeiterstamm ist meiner Erfahrung nach in vielen Fällen möglich. Zusätzlich gibt solch ein Mitarbeiterwechsel den Blick auf Missstände im Team oder der Abteilung frei, die sich eingeschlichen hatten. Wer an dieser Stelle ansetzt und gezielt optimiert, gewinnt – nicht nur Manpower aus den eigenen Reihen, sondern oft genug auch mehr Produktivität und eine verbesserte Stimmung. Genau hinschauen, Gespräche mit dem Mitarbeiterstamm führen und gezielte Verbesserungen in der betrieblichen Struktur durchführen lohnt sich bei jeder Kündigung von wichtigen Mitarbeitenden!
Haben Sie ähnliche oder ganz andere Erfahrungen mit kündigenden Mitarbeitenden gemacht? Wie haben Sie den Weggang eines Teammitglieds positiv für Ihren Betrieb gewendet? Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte.
Über Kolumnistin Andrea Eigel:
Andrea Eigel unterstützt Unternehmerinnen, Unternehmer und Führungskräfte im Handwerk dabei, Kunden und Mitarbeitende zu gewinnen und nachhaltig zu binden – und dabei auch selbst bei Lust und Laune zu bleiben.
Sie hält Vorträge, macht Workshops und Coachings, moderiert Veranstaltungen und leitet seit vielen Jahren Erfa-Gruppen. Nebenberuflich ist sie Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.