Interview mit Regina Otto Krise direkt nach der Betriebsgründung: "Der Austausch im Netzwerk hat mir ­extrem geholfen"

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Frauen im Handwerk, Konjunktur und Ukraine-Konflikt

Knapp einen Monat vor dem russischen Angriffskrieg hat ­Regina Otto ihren Handwerksbetrieb an den Start gebracht. Im Interview spricht die Augenoptikermeisterin ganz ehrlich über beunruhigende Stille in der Innenstadt, zurückhaltende ­Kunden und ihr ­wertvolles Frauen-Netzwerk.

Augenoptikerin Regina Otto aus Eschwege
Augenoptikerin Regina Otto aus Eschwege hat in der Polykrise viel Kraft aus einem neuen Frauen-­Netzwerk gezogen. - © Tim Wegner

Regina Otto wollte sich schon immer als Augenoptikerin selbstständig machen. Nach Stationen im Einzelhandel sowie im traditionellen Augen­optik-Fachgeschäft und langen Jahren in der Industrie, war es am 20. Januar 2022 für die Augenoptikermeisterin so weit. An ihrem Geburtstag. Damals ahnten nur wenige, dass ein paar Wochen später der russische Angriffskrieg und im Anschluss die Energiekrise die mediale Berichterstattung dominieren würden. „Sich in seinem Traumhandwerksberuf im Jahr 2022 selbstständig zu machen hatte viele ungeahnte Höhen und Tiefen: Kriegsbeginn in Europa, Corona-Einschläge, Energiekrise“, schrieb sie an die Redaktion. Das wollten wir genauer wissen – Zeit für ein Gespräch.

Frau Otto, die Poly­krise schlägt vielen Handwerks­chefinnen und -chefs aufs Gemüt. Wie geht es Ihnen aktuell?

Otto: Ja, das stimmt. Das letzte Jahr hat vielen aufs Gemüt geschlagen, weil ja viele Krisen nacheinander auf einen eingeprasselt sind und dabei suggeriert wurde, dass eine große Unsicherheit in der Zukunft liegt. Aktuell geht es mir eigentlich ganz gut – der Austausch mit verschiedenen Unternehmen hat mir wahnsinnig gutgetan. Heißt: Ich bin viel im Netzwerk unterwegs, versuche viel mit anderen ­Unternehmern zu reden. Das hat mir ex­trem geholfen.

Die ständig schlechten Nachrichten können einen aber auch ganz schön runterziehen. Bei Ihnen wirkte sich der mediale Krisenmodus direkt auf die Kundenbesuche im Betrieb aus.

Das hat man wirklich gemerkt. In der Psychologie sagt man, dass es sechs ­Wochen dauert, bis man massive Einschläge verarbeitet. Und genauso war das bei uns auch. Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs war hier die Innenstadt sechs Wochen ruhig und leer. Die Verunsicherung der Verbraucher hat man schon stark gemerkt. Und mit dem Beginn der Energiekrise war es genauso. Sechs bis acht Wochen Stille! Da macht man sich dann schon Gedanken, wie man als frisch Selbstständige weitermachen kann und das Ganze übersteht.

Zweifelt man dann zunächst an seinem Geschäftsmodell?

An dem Konzept nicht. Das ist ein Rundum-sorglos-Paket, gut durchdacht und kommt bei den Kunden gut an. Wichtig: Es ging ja nicht nur mir so – sondern allen!

Haben Sie überlegt, wie Sie den Nutzen, den Sie bieten, noch klarer kommunizieren und somit in Ertrag verwandeln können?

Die Möglichkeit, eine Kommunikation zu ändern, war gar nicht vorhanden. Stichwort: Stille. Selbst beim kleinen Bäcker, der den täglichen Bedarf bedient, war es komplett ruhig. Die Leute sind wie bei Corona lieber erst einmal zu Hause ­geblieben.

Gestandene Unternehmerinnen und Unternehmer konnten sich in den Krisenmonaten auf ihr Netzwerk verlassen. Das scheint Sie für die Gründung Ihres eigenen, regionalen Unternehmerinnen-Netzwerks inspiriert zu haben. Was ist der größte Benefit für die aktuell rund 40 Frauen?

Ich hatte damals die Idee fürs „Female Business“ und daraufhin eine Freundin gefragt, die seit 20 Jahren selbstständig ist, wen man hierfür noch ansprechen könnte. 20 Einladungen sind dann rausgegangen, 15 Frauen haben direkt zugesagt. Wir dachten: Wahnsinn – der Bedarf ist da! Seit Mitte letzten Jahres haben vier Treffen stattgefunden. Beim ersten Mal haben wir uns einfach vorgestellt, beim zweiten Mal tauschten wir uns zum Beispiel über das Thema Personal aus, der Klassiker! Wie sucht ihr? Wie haltet ihr? Das hat mir unheimlich viel Mehrwert gebracht. Eine Teilnehmerin, die seit 30 Jahren Apothekerin ist, stellte beispielsweise daraufhin ihre Feedbackgespräche um. Nach jedem Treffen schreiben wir einen kurzen Pitch, der festhält, was an dem Tag gelaufen ist und welche Themen diskutiert wurden. Auch eine WhatsApp-Gruppe für den schnellen Austausch existiert.

Es sind also nicht nur Handwerkerinnen im „Female Business“.

Ja, das ist ganz gemischt. Von Industrie über den Gesundheitsbereich bis hin zu einer Social-Media-Marketing-Agentur. Das macht es ja so interessant!

Wie sind Sie den Netzwerk-Aufbau angegangen?

Das hat eine Eigendynamik angenommen. Die eine hat’s der nächsten erzählt und gefragt: „Magst Du nicht auch mal kommen?“ Inzwischen hat mich auch schon ein Personalberater angerufen, der mir drei Telefonnummern von Frauen ­gegeben hat, die gerne dazukommen würden.

Wie offen ist der Austausch in Ihrem Netzwerk und braucht es dafür spezielle Spielregeln?

Spielregeln gibt es nur für die erwähnte WhatsApp-Gruppe. Für jedes Treffen geben wir einen Themenbereich und zwei, drei Fragen vor. Jede kann offen darüber reden, was für sie wichtig oder nicht wichtig ist. In einem geschlossenen Raum. Alles was dort besprochen wird, bleibt auch dort.

Welche Denkanstöße konnten Sie hier bereits mitnehmen?

Bei jedem Treffen habe ich etwas Neues mitgenommen. Beim ersten Treffen war ich beispielsweise überrascht, dass 15 Menschen, die sich überhaupt nicht kennen, offen über Probleme reden. Eine Teilnehmerin, die schon lange selbstständig ist, hat zum Beispiel offen darüber gesprochen, dass sie aktuell nicht die Kurve kriegt und nicht weiß, was sie machen soll. Das ist für mich nicht selbstverständlich – das hat mit Vertrauen zu tun und damit, dass ein wirklicher Bedarf für Austausch auf Augenhöhe besteht!

Auch schon aus Fehlern gelernt, die andere Chefinnen in der Vergangenheit gemacht haben?

Beim Thema Personalsuche hat eine Teilnehmerin beispielsweise kritisch über Zeitungsanzeigen gesprochen: „Ich habe 10.000 Euro für eine Anzeige investiert und nicht eine Bewerbung bekommen!“ Wie geht man gezielt vor? Wie findet man am besten Personal? Auf Social ­Media? Wir sprechen ganz offen darüber, was geholfen und was nicht geholfen hat.

Welche Tipps können Sie unseren Lesern geben, die ein neues Netzwerk aufbauen wollen?

Ich würde mir als Erstes überlegen: Für wen möchte ich das Netzwerk machen? Soll es regional sein? Rein für Frauen? Und was möchte ich damit erreichen? Aus meiner Sicht ist es das Wichtigste, ganz offen und mutig zu sein und auf Leute zuzugehen. Lerne ich heute durch Zufall eine Frau kennen, die selbstständig ist, lade ich sie mit den Worten ein: „Wir sind eine ganz wilde Mischung – von jung bis erfahren. Davon kann man profi­tieren.“

Vita: Regina Otto

Regina Otto, Jahrgang 1982, hat 2022 „OttO – Visuelles Kompetenz Zentrum“ in Eschwege eröffnet. Mit dem Ziel, Lebensfreude im Zusammenspiel mit der visuellen Wahrnehmung zu fördern und zu erhalten. „Wir sind weit mehr als der klassische Augenoptiker, wie man ihn so kennt“, betont Otto.

Man kümmere sich von Anfang bis Ende persönlich um die individuellen Herausforderungen im Bereich des Sehens. „Bei uns gibt es auch einen kompletten Gesundheitsbereich.“ In puncto Vorsorge können sich Kunden über eine Ausstattung wie beim Augenarzt freuen. „Bei jedem Kunden, der in den Laden kommt, schauen wir uns das Auge auch gesundheitlich an.“

Doch damit nicht genug: Eine künstliche Intelligenz prüft die Bilder der Kundenaugen, ob eine Erkrankung vorliegt. Otto: „Falls wir Auffälligkeiten feststellen, verweisen wir sofort an den Augenarzt.“