Appartementprojekt in Eichenzell Interview zu energieautarker Gebäudetechnik: „Die Wärmepumpe ist unnötig und teuer“

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Das volldigitalisierte Neubau-Projekt Riedwiese im hessischen Eichenzell setzt komplett auf Elektrizität. Warum sie sich auch beim Heizen für eine Elektrodirektheizung auf Basis von Infrarot entschieden haben und die derzeit heiß diskutierten Wärmepumpen persönlich für veraltet halten, erklären Bauherr Joachim Weber und David Mehler, Projektleiter Smart Home beim Energiesystem-Anbieter KSE Konzept.

Das Appartementprojekt Riedwiese im hessischen Eichenzell ist zu 80 Prozent energieautark. - © KSE

Wie sich Gebäude künftig möglichst energieautark mit Strom und Heizung versorgen lassen, darüber diskutieren Politiker aktuell mit Experten und Handwerksverbänden. Welche Lösungen kommen bei Ihrem Appartementprojekt Riedwiese zum Einsatz?

Joachim Weber: Ziel unseres Projekts Riedwiese mit 20 Wohneinheiten war es, mit den derzeit modernsten technischen Möglichkeiten, die es auf dem Markt gibt, sparsames und energieeffizientes Wohnen zu ermöglichen. Ich selbst bin ein Technik-Enthusiast und beschäftige mich schon seit Jahren mit erneuerbaren Energien: Seit acht Jahren fahre ich ein Elektro-Auto und betreibe mehrere Photovoltaik-Anlagen (PV) und bin an einem Windpark beteiligt. Herausgekommen ist bei unserem Projekt ein volldigitalisierter Appartementkomplex nach dem Standard KW 40 plus, der auch bei der Energieversorgung einen völlig neuen Weg geht. Über eine große PV-Anlage erzeugen wir 110.000 Stunden Energie pro Jahr – das ist mehr Energie als wir verbrauchen. Den Überschuss von aktuell 45.000 KW Stunden Energie verkaufen wir dann an der Börse.

Die Riedwiese läuft also komplett energieautark?

Im Sommer kann man das so sagen, da wir überschüssigen Strom im Gebäude in einem 150 KW-Speicher lagern. Im Winter, wenn die Sonne weniger häufig scheint, kaufen wir zu. Mit der Lösung des Automatisierungsanbieters Loxone geht das voll automatisiert: Das System scannt permanent den internen Stromverbrauch und hat auch die Strompreise an der Börse im Auge. Wenn der Preis am niedrigsten ist, meistens nachts, kauft das Programm zu. Im Gegenzug verkauft es den überschüssigen Strom von unserer PV-Anlage dann tagsüber – somit erwirtschaften wir sogar einen Gewinn.

Für was wird die Energie im Einzelnen genutzt?

Auf dem Dach haben wir eine Wetterstation, die Wind oder Regen an die Zentrale des Automatisierungssystem von Loxone meldet. Dieser Miniserver regelt dann je nach Sonnenstand oder Wind die Rollos in den Wohnungen optimal, in dem er diese automatisiert hoch- und herunterfährt und darüber für Wärme und Licht oder Abschattung sorgt. Auch die Lüftungsanlage und das Licht werden darüber selbsttätig gesteuert. Wenn ich einen Raum betrete, geht über Bewegungssensorik zum Beispiel das Licht an oder die Heizung. Bei unserem Heizsystem haben wir uns übrigens für eine Elektrodirektheizung auf Basis von Infrarot entschieden.

Ist eine Infrarot-Heizung denn dazu in der Lage einen gesamten Raum effizient aufzuheizen?

David Mehler: Bei der Projektierung sollte man natürlich darauf achten, dass eine 1200-Watt-Platte nicht mitten an einer Decke im Raum hängt. Sonst funktioniert das Heizkonzept nicht. Wenn man aber kleinere Panele verwendet und diese gleichmäßig verteilt, sorgt das schnell für Wärme im gesamten Raum. Die Strahlungswärme von Infrarot wird außerdem vom Boden reflektiert, so dass er immer leicht aufgeheizt ist.

Weber: Die Infrarotheizung ist im Vergleich zu einer Wärmepumpe außerdem viel kostengünstiger. Wenn Sie anfangen für 20 Wohnungen Heizleitungen und Ventile zu verbauen und Zählsysteme zu implementieren, um damit Heizkörper oder eine Bodenheizung zu versorgen, holen Sie sich ein Monsterwerk an alter Technik ins Haus, die sich durchs gesamte Haus schlängelt. Das brauchen wir gar nicht. Ich verstehe daher die gesamte Diskussion um Wärmepumpen gar nicht: Die Pumpen sind unnötig und teuer.

Ist es allein der Einbau der Leitungen, der bei Wärmepumpen mehr kostet?

Nicht nur der aufwändige Einbau kostet mehr – auch der Stromverbrauch ist bei Wärmepumpen ein höherer. Denn um Räume nach der Nachtabsenkung wieder komplett aufzuheizen, benötigt eine Wärmepumpe über konventionelle Heizkörper viel mehr Strom, um über Luftzirkulation Wärme zu erzeugen, als eine Elektro-Infrarotheizung. Da die gefühlte Temperatur bei der Infrarotheizung sofort da ist, haben wir ein viel breiteres Temperaturspektrum und somit eine bessere Energieeffizienz. Die Bewohner der Riedwiese können beispielsweise auch unserer Automatisierungslösung vorgeben, dass ihr Badezimmer schon zehn Minuten zu heizen anfängt, bevor sie aufstehen. Damit heizen wir sehr bedarfsgerecht.

Im Zug der Klimawende wird ja auch viel über die Überlastungen des SHK-Handwerks gesprochen, die für den Einbau der Wärmepumpen zuständig sind. Macht Infrarot diese Debatte obsolet?

Mehler: Bei Sanierungen sind Wärmepumpen auf jeden Fall eine gute Lösung, da die Infrastruktur in Form der Heizungsleitungen schon in den Gebäuden verbaut ist. Die Wärmepumpe ist dann eine Plug & Play-Lösung, weil sie sich auf die vorhandenen Anschlüsse aufsetzen lässt und der SHK-Handwerker nur im Keller Umstellungen vornehmen muss. Natürlich lässt sich auch Infrarot in bestehenden Gebäuden verbauen, allerdings muss dann eine neue Kabelinfrastruktur an der Decke geschaffen werden. Bei einer Kernsanierung ist das eine Überlegung wert, doch betreffen die meisten Sanierungen ja nur das Heizsystem oder die Gebäudehülle.

Weber: Das sehe ich genauso. Bei den allermeisten Sanierungsprojekten soll ja nur die Heizung verändert werden, nicht die Grundstruktur. Aber wenn ich auf der grünen Wiese neu baue, kann ich auf die alte Heizungstechnik völlig verzichten. Das SHK-Handwerk ist dann nur noch bei der Verlegung und Abdichtungen von Wasserleitungen gefragt sowie der Sanitärinstallation im Badezimmer. Für die Verlegung von PV-Modulen auf dem Dach oder der Technik im Haus werden dann vor allem die Gewerke Dachdecker und Elektro benötigt.

Welche Mieter sind in der Riedwiese eingezogen: lauter Technik-Begeisterte?

Unsere Wohnungen haben wir nach vier Wochen allesamt vermietet, an jüngere technikaffine Menschen aber auch an ältere. Bei den Wohnungen, die zwischen 80 und 140 Quadratmeter groß sind, liegen die Nebenkosten bei jeweils 350 Euro im Monat. Darin ist alles enthalten: Die Gigabyte-Flatrate für ein schnelles Glasfaserkabel sowie Strom, Heizung, Warmwasser, Müllabfuhr und der Hausmeister. Bei uns ist die Nebenkostenabrechnung bereits jedes Jahr am 1. Januar fertig, ganz einfach, weil es keine gibt.

Viele Menschen machen sich beim automatisierten Smart Home Sorgen, ob es auch sicher ist. Wie hoch ist denn bei der Riedwiese die Gefahr vor Cyber-Einbrüchen?

Weber: Wenn Sie an der Haustür überfallen werden und Ihnen jemand den Schlüssel abnimmt, ist das die wahrscheinlichere Variante als dass so ein Haus gehackt wird. Wir haben viele Sicherheitsbarrieren, darunter etwa die Zwei-Faktor-Authentifizierung und eine Face ID in der App. Probleme hat das Smart Home vor allem dann, wenn ich es mir aus verschiedenen Systemen zusammenbastle. Verschiedene Geräte von verschiedenen Herstellern schaffen nun mal Sicherheitslücken. Aber wenn eine Lösung aus einer Hand verbaut wird, dann ist sie sicher. Bei Riedwiese liegen die Daten auf den jeweiligen Miniservern im Gebäude.

Mehler: Jeder Wohnung ist ein Miniserver zugeordnet, dort werden die Daten lokal verwaltet. Das hat den Vorteil, dass die Daten dem Bewohner gehören und die Automation auch dann vollständig funktioniert, wenn das Internet abgeschaltet ist. Ein Backup der Daten liegt auf dem jeweiligen Mini-Server.

Anmerkung der Redaktion: Bitte beachten Sie, dass das Interview die persönliche Meinung und Erfahrung der Gesprächspartner wiedergibt.