Diskussion "halb voll, halb leer" Immobilienmarkt: Erholung und Wachstum oder weiterer Einbruch?

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Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlichte jüngst die Preisentwicklung für Wohnimmobilien (Häuserpreisindex). Im zweiten Quartal 2023 sind diese im Vergleich zum Vorjahresquartal um im Schnitt 9,9 Prozent gefallen. Nie – seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 2000 – gab es einen stärkeren Rückgang. Die Frage ist also: Wie geht es weiter? Die Chefvolkswirtin der KfW, Dr. Fritzi Köhler-Geib, rechnet nicht mit weiteren Einbrüchen. Anders ist die Überzeugung von Dr. Konstantin Kholodilin, Wissenschaftler am DIW: Er sagt: "Das Ende des Preisverfalls ist noch nicht in Sicht." Zwei Experten, zwei gegensätzliche, gut begründete Meinungen.

Meinung Immobilienmarkt
Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, und Dr. Konstantin Kholodilin diskutieren über die Preisentwicklung für Wohnimmobilien. - © PlutusART - stock.adobe.com; KfW

"Einen Crash bei Wohnimmobilien halte ich für wenig wahrscheinlich."

„Ich rechne eher mit Wachstum als Schrumpfung mit gesamtwirtschaftlichen Folgen“, sagt Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), rechnet mit Wachstum.
Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), rechnet mit Wachstum. - © Carl Keyes, PlutusART - stock.adobe.com; KfW

Die gegenwärtigen Preisrückgänge für Wohnimmobilien sind vor dem Hintergrund des Booms der vergangenen Jahre zu sehen. Gemäß dem Häuserpreisindex des Statistischen Bundesamtes stiegen die Preise für Wohnimmobilien seit 2015 um über 50 Prozent. Das hat auf regionalen Wohnungsmärkten zu Überbewertungen geführt. Was wir jetzt sehen, sind Preiskorrekturen, ausgelöst durch den starken Anstieg der Kreditzinsen. Wer heute eine Immobilie verkauft, muss Preisnachlässe gewähren. Denn durch den Anstieg der Zinsen sind Wohnimmobilien für viele Kaufinteressierte weniger erschwinglich geworden.

Die Preisrückgänge betrugen im ersten Quartal rund sieben Prozent. Die Wertverluste halten sich also gegenüber den Steigerungen der vergangenen Jahre in Grenzen, und für hochwertige Immobilien in guten Lagen werden weiterhin Spitzenpreise bezahlt. Wir haben auf den Wohnungsmärkten in Ballungsräumen immer noch eine Überschussnachfrage, die aufgrund des verhaltenen Neubaus vorerst bestehen bleibt. Das spricht dort für Wachstum statt Schrumpfung.

Ein Crash mit gravierenden gesamtwirtschaftlichen Folgen wäre nur dann zu erwarten, wenn es unter den Auftraggebenden für Bauprojekte aufgrund der gestiegenen Zinsen zu einer starken Zunahme der Insolvenzen käme und Immobilien als Kreditsicherheit so stark an Wert verlören, dass Kreditinstitute dadurch in Schwierigkeiten gerieten. Diverse Stabilitätsanker, so auch eine wach­same Finanzaufsicht, lassen eine solche Entwicklung unwahrscheinlich erscheinen.

Die Immobilienkäufe sind solide finanziert. Der durchschnittliche Beleihungsauslauf für Wohnimmobilien­finanzierungen, also das Verhältnis von Kredit zum Beleihungswert der Immobilien, lag im Mai bei etwa 80 Prozent. Damit ist er seit Jahren weitgehend unverändert.

Ohne Kreditboom keine Blase

Ein Kreditboom, wie er für Spekulationsblasen am Immobilienmarkt typisch ist, ist ausgeblieben. Seit dem vergangenen Jahr ist die Vergabe von Wohnungsbaukrediten gar stark zurückgegangen. Außerdem haben die Kreditinstitute in den letzten Jahren ihre Standards zur Kreditvergabe angehoben und die Risikomargen erhöht. Beides zeigt, dass Käufer und Kreditinstitute risikobewusst handeln.

Daten der Bundesbank zur Verschuldung lassen erkennen, dass sich die Schuldenlast für private Haushalte seit Corona nur gering erhöht hat und in den letzten 20 Jahren deutlich gesunken ist.

Für zusätzliche Sicherheit sorgt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im April 2022 einen Systemrisikopuffer in Höhe von zwei Prozent für Wohnimmobilienkredite eingeführt hat. Dieses von den Banken zusätzlich vorzuhaltende Eigenkapital macht sie resistenter gegen Kreditausfälle. Die Bankenaufsicht lässt zudem die Kreditinstitute Stresstests durchführen, in denen simuliert wird, welche Auswirkungen gravierende Kreditausfälle hätten. So könnte sie nötigenfalls rechtzeitig weitere Vorkehrungen zur Erhöhung der Stabilität des ­Finanzsektors treffen.

Vita: Dr. Fritzi Köhler-Geib

Dr. Fritzi Köhler-Geib hat über 20 Jahre Arbeitserfahrung bei der Weltbank, dem internationalen Währungsfonds und im Finanzsektor. Sie war Chefvolkswirtin für Zentralamerika bei der Weltbank. Seit 2019 ist sie Chefvolkswirtin bei der KfW.

"Es fehlt das spekulative Element, das die Immobilienpreise stützt."

„Es wird einen Einbruch am Immobilienmarkt geben – eher langsam und lang anhaltend als schnell und heftig“, ist Dr. Konstantin Kholodilin, Wissenschaftler am DIW, überzeugt.

Dr. Konstantin Kholodilin, Wissenschaftler und Experte für Immobilienmärkte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, ist von einem Einbruch am Immobilienmarkt überzeugt.
Dr. Konstantin Kholodilin, Wissenschaftler und Experte für Immobilienmärkte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, ist von einem Einbruch am Immobilienmarkt überzeugt. - © DIW/PlutusART - stock.adobe.com; KfW

Es kann nicht anders sein, als dass die Immobilienpreise in den nächsten zwei bis drei Jahren deutlich nachgeben. Ich rechne mit einem Minus von rund zehn Prozent, vielleicht auch mehr. Die Gründe liegen auf der Hand: Eine Immobilie kann Konsumgut sein – dann wirken Einkommen, Bevölkerungsentwicklung und der Zinssatz auf Angebot und Nachfrage. Sie ist dann vor allem zur Eigennutzung gedacht. Die Hoffnung auf steigende Verkaufspreise mag eine Rolle spielen, ist aber nicht ausschlag­gebend. Für Eigennutzer sind die gestiegenen Zinsen ein enormer Kostenfaktor, den sie – anders als Vermieter – nicht über die Miete weitergeben können. Kaufen ist deshalb für alle, die eine Finanzierung benötigen, teuer geworden. Gleichzeitig haben auch die Baukosten aufgrund von Materialengpässen, höheren Löhnen und dem Fachkräftemangel – letzterer sorgt für eine teure Verzögerung des Baufortschritts – enorm angezogen. Mit dieser Entwicklung haben die Einkommen nicht Schritt gehalten. Hinzu kommen die geopolitischen Unsicherheiten, die dazu führen, dass die Menschen vorsichtiger kalkulieren und einen Immobilienerwerb erst mal zurückstellen. Gleichzeitig wird die Gesellschaft immer älter, es kommen weniger junge Menschen nach, die kaufen könnten. Die Folge: Nachfrage und Preise sinken.

Eine Immobilie kann aber auch Investitionsgut sein – dann spielt das Spekulationsmotiv eine wichtige Rolle. Investoren wollen kaufen, um später zu einem höheren Preis zu verkaufen.

Keine Fantasie bei den Preisen mehr

Doch auch diese Käufer halten sich derzeit zurück. Denn die Erwartung steigender Preise ist aus dem Markt. Das war noch vor wenigen Monaten anders: Der Zuzug von Menschen in die Großstädte sorgte dafür, dass die Nachfrage nach Wohnraum stieg. Das ohnehin knappe Angebot wurde noch knapper – sowohl Mieten als auch Preise stiegen. Internationalen Investoren galt Deutschland als sicherer Hafen mit vergleichsweise niedrigen Preisen. Damit trieben sie die Preise in die Höhe. Über rund 15 Jahre entstand eine Blase, aus der nun die Luft entweicht. Denn Kapitalanleger warten derzeit ab – sie haben andere Möglichkeiten, ihr Geld ertragreich und risikolos anzulegen – etwa in Anleihen. Und noch etwas stört Investoren: die Diskussionen um regulatorische Beschränkungen, wie Enteignung und Mietpreisbremse. Damit versuchen lokale Regierungen, den Markt zu lenken. Wohnen soll kein Luxus sein. Doch der Eingriff hat Nebeneffekte: So sorgt etwa die Mietpreiskontrolle dafür, dass Mieteinnahmen fallen und weniger gebaut wird. Tatsächlich erfordert die starke Zuwanderung deutlich mehr und nicht weniger Mietwohnungen, sodass letztlich der Mangel an Wohnraum durch den staatlichen Eingriff verstärkt wird.

Insgesamt erwarte ich eher einen langsamen, aber stetigen Rückgang der Preise als einen plötzlichen Einbruch. Die Banken wirken hier stabilisierend: Sie prüfen Kreditnehmer genau, bevor sie Geld zur Verfügung stellen. Das sorgt ­dafür, dass nur baut oder kauft, wer die Finanzierung auch stemmen kann.

Vita: Dr. Konstantin Kholodilin

Dr. Konstantin Kholodilin stammt aus Russland. 2003 promovierte er in Barcelona und erlangte 2012 seinen Dr. habil. in Deutschland. Seit 2005 ist er Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin mit Schwerpunkt Immobilienmärkte.