Sozialversicherungsprüfung Scheinselbstständigkeit: Wie Unternehmer den Einsatz von Soloselbstständigen rechtssicher aufsetzen

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Sind die Sozialversicherungsprüfer erst einmal im Betrieb, bleiben die Handlungsspielräume schmal. Besser, Unternehmer setzen Auftragsverhältnisse von vornherein rechtssicher auf und nutzen das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung.

Fachkräftemangel wird zur Schlinge
Ist die Soloselbstständige über Dienstpläne in betriebliche Abläufe eingebunden, könnten die Sozialversicherungsprüfer eine Scheinselbstständigkeit vermuten. - © Monkey Business - stock.adobe.com

Von Ulla Farnschläder

Michael Hadersdorfer, Betriebsberater der Handwerkskammer für München und Oberbayern, unterstützt Betriebe in sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Das Thema Scheinselbstständigkeit hat er regelmäßig auf dem Schreibtisch. Aktuell wird für Handwerksbetriebe der Fachkräftemangel zur Schlinge. Jede Kraft ist auf der Baustelle gefragt, Auftragsspitzen fangen Chefs üblicherweise mit Soloselbstständigen und Subunternehmen ab. „Genau hier ist Vorsicht geboten“, weiß Hadersdorfer. Der hohe Auftragsdruck zwinge Unternehmer zu schnellen Kooperationen per Handschlag oder Arbeiten auf Zuruf. „Das ist im Handwerk gang und gäbe. Hier prallen allerdings zwei Kulturen aufeinander, einerseits die Schnelllebigkeit auf Baustellen, andererseits das detaillierte Vorgehen der Sozialversicherungs­träger“, schildert er seine Erfahrungen.

Prüfung alle vier Jahre

Hadersdorfer bedauert: „Viele Betriebe wenden sich erst im Vorfeld einer Sozialversicherungsprüfung an uns, doch da bleiben unsere Handlungsspielräume überschaubar.“ Dr. Yannick Bähr, Rechtsanwalt und Arbeitsrechtsexperte der Kanzlei Noerr in Düsseldorf, relativiert: „Oft können wir insofern gegensteuern, dass die Behörde doch eine Selbstständigkeit feststellt. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, erreichen wir regelmäßig, dass die Nachzahlungspflichten erheblich gemindert werden.“ Besser sei definitiv, Statusfragen im Vorfeld zu klären und die Akten für die in der Regel alle vier Jahre stattfindende Prüfung aktuell zu halten.

Statusklärung jetzt im Vorfeld

„Mit dem reformierten Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung (DRV) können Betriebe schon im Vorfeld klären, wie das Auftragsverhältnis einzustufen ist, gerade, wenn es sich um eine rechtlich nicht scharf abgrenzbare Form der Zusammenarbeit handelt“, erklärt Hadersdorfer. Dies betreffe die Kooperation mit Sub­unternehmern auf der Baustelle oder die Vermietung eines Stuhles im Friseursalon gleichermaßen. „Hier kann es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handeln, obwohl es auf den ersten Blick wie eine selbstständige Tätigkeit aussieht“, warnt er. Doch wo genau liegen die Vorteile des Angebots? Bereits vor Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit können über die DRV-Clearingstelle Prognoseentscheidungen eingeholt werden. Die Antwort soll innerhalb von vier Wochen vorliegen. Bislang warteten Unternehmer durchschnittlich 82 Tage. Außerdem gibt es jetzt die Möglichkeit von Gruppenfeststellungen für identische Arbeitsverhältnisse. Das DRV-Gutachten für einen Auftrag, den ein Unternehmer vergibt, gewährt dann Sicherheit für all die anderen gleichen Vertragsverhältnisse. Seit Anfang April verzeichnete die DRV insgesamt 244 Anfragen, die überwiegende Zahl bezog sich auf die Feststellung des Erwerbsstatus vor Aufnahme der Tätigkeit (216).

Sicherheit durch Vertrauensschutz

„Der Vertrauensschutz für das Auftragsverhältnis, der mit dem DRV-Gutachten einhergeht, gibt Unternehmern Sicherheit“, erklärt Bähr. Er empfiehlt, die Tätigkeiten gegenüber der DRV-Clearingstelle genau zu beschreiben, ohne entscheidende Tatsachen zu verschweigen. „Wer etwa nicht angibt, dass der Auftragnehmer das Firmenfahrzeug nutzt oder betriebseigenes Werkzeug, riskiert auch den Vertrauensschutz“, erklärt er. Ändern sich die Umstände bis zu einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit, muss der Auftraggeber dies unverzüglich mitteilen. Treten Änderungen erst später ein, kann die DRV die Statusfeststellung und damit den Vertrauensschutz gegebenenfalls auch rückwirkend zurücknehmen. Bähr empfiehlt auch für diesen Fall, sich rechzeitig beraten zu lassen.

Hadersdorfer kennt die Fälle aus der Beratung. „Die Sozialversicherungsprüfer haben das Recht, in das Rechnungswesen des Betriebs Einblick zu nehmen.“ Er fügt hinzu: „Taucht regelmäßig derselbe Rechnungssteller auf, gerät der Subunternehmer ins Visier.“ Der erhält dann Post mit Fragen zugeschickt, die dieser beantworten sollte. Hadersdorfer: „Man bekommt bisweilen den Eindruck, es wird dem Auftraggeber angelastet, wenn der Partner nicht antwortet.“

Teamarbeit ist Mitarbeit

Die Fragen an die Soloselbstständigen hätten es in sich: „Brisant ist zum Beispiel, inwieweit der Soloselbstständige mit Mitarbeitern des Auftraggebers zusammengearbeitet hat und wie genau die Kooperation erfolgt ist“, erklärt Hadersdorfer. „Hand-in-Hand-Arbeit und Teamarbeit gelten als deutliches Indiz für eine versicherungspflichtige Beschäftigung“, ordnet der Betriebsberater ein. Ein ganzer Katalog an Kriterien entscheidet darüber hinaus, wie der Partner sozialversicherungsrechtlich einzusortieren ist.

Checkliste: Indizien einer Scheinselbstständigkeit

2021 prüfte die DRV rund 392.000 Betriebe. Tritt der Selbstständige zwar als Unternehmer auf, ist aber mit Erledigung seiner Aufgaben weisungsgebunden und in Abläufe des Betriebs involviert, liegt Scheinselbstständigkeit vor. Diese Kriterien sprechen dafür, dass es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitnehmerverhältnis handelt:

  • Der vermeintlich Selbstständige ist vorwiegend oder sogar ausschließlich für einen Auftraggeber tätig.
  • Er hat feste Arbeitszeiten und kann nicht frei über Arbeitszeiten entscheiden.
  • Eine Integration in Prozesse oder die Infrastruktur des Auftraggebers ist gegeben, etwa die Arbeit in den Räumen des Auftraggebers.
  • Er ist bei der Erfüllung seiner Aufgaben unmittelbar weisungsgebunden.
  • Er beschäftigt keine eigenen versicherungspflichtigen Angestellten.
  • Er nimmt Reporting-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber wahr.
  • Er erhält regelmäßig feste Bezüge.
  • Er hat keine eigene Betriebsstätte.
  • Der Arbeitende hat keine Möglichkeit, Aufträge abzulehnen.
  • Im Krankheitsfall erfolgt Entgeltfort-zahlung.
  • Der Arbeitende macht Urlaubsanspruch geltend und spricht Urlaubszeiten mit anderen Arbeitnehmern ab.
  • Er trägt kein unternehmerisches Risiko.

Auch Nicol Andreas Lödler, Fachanwalt für Arbeits- und Strafrecht im Anwaltshaus in Augsburg, beschäftigt sich regelmäßig mit den Abgrenzungskriterien: „Problematisch wird es immer dann, wenn der Auftragnehmer zwar laut Vertrag selbstständige Dienstleistungen für ein Unternehmen erbringt, tatsächlich aber weisungsgebunden arbeitet und sich an Dienstzeiten halten muss.“ Er führt aus: „Die Betriebe bewegen sich oft in einer Grauzone.“ Bähr erläutert: „Letztlich muss man sich das so vorstellen: Die Kriterien für oder gegen eine Scheinselbstständigkeit werden wie kleine Gewichte auf die jeweilige Waagschale gelegt.“ Je nach Gewicht falle die Entscheidung für oder gegen eine Scheinselbstständigkeit.

Für Prüfungen gerüstet sein

Was aber können Betriebe tun, wenn sie Soloselbstständige beschäftigen? Hadersdorfer hält einen entscheidenden Tipp parat: „Die Parteien sollten einen Werkvertrag auf Grundlage eines Angebots des Subunternehmers schließen, der auch Vergütung und Zeitfenster enthält, um den Prüfern klare Anhaltspunkte zu geben.“ Bähr ergänzt: „Der Unternehmer pocht idealerweise darauf, dass der Soloselbstständige mit seinem Werkzeug und eigenem Fahrzeug antritt.“ Nutzt der Auftragnehmer teures Spezialwerkzeug des Auftraggebers, schließen die Parteien besser einen Mietvertrag. Und noch ein Tipp: „Lassen Sie Ihre Subunternehmer aus betrieblichen Ablaufplänen unbedingt außen vor“, ergänzt Lödler.

Wie ist der Ablauf, wenn die Prüfer der Sozialversicherung kein Auftrags-, sondern ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis des vermeintlich Selbstständigen feststellen? Dann kann der Betrieb im Rahmen der Anhörung seine Bedenken vorbringen. Denn bevor der Staat Sozialversicherungsbeiträge eintreibt, muss der Einzelne zu Wort kommen. Erst dann folgt der Nachforderungsbescheid, gegen den der Chef Widerspruch einlegen kann. „Das sollte allerdings nicht ohne Beratung erfolgen“, sagt Bähr.

Prüfungsablauf und Folgen

Stellt die DRV Scheinselbstständigkeit fest, hat das zunächst arbeitsrechtliche Folgen. Lödler erklärt: „Dies sind der Anspruch auf bezahlten Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz.“ Er erläutert: „Dem gegenüber stehen eventuell Rückzahlungspflichten des Scheinselbstständigen, der die Differenz zwischen dem in Rechnung gestellten Betrag und dem im Betrieb üblichen Arbeitslohn erstatten muss – wenn der Arbeitgeber zwischen Vergütung von Arbeitnehmern und Soloselbstständigen differenziert.“

Sozialversicherungsrechtliche Folgen seien die Nachzahlung der Beiträge an Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zuzüglich Säumniszu­­schlägen von einem Prozent pro Monat. „Hohe Beträge ergeben sich, weil der Unternehmer sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil zu übernehmen hat“, erklärt Lödler und ergänzt: „Als Berechnungsgrundlage wird der in Rechnung gestellte Nettobetrag des Scheinselbstständigen herangezogen.“ Der könne, was den Arbeitnehmeranteil angeht, zwar beteiligt werden, aber nur durch Abzug von den drei folgenden Gehaltsabrechnungen – unter Berücksichtigung von Pfändungsfreigrenzen. Lödler weiter: „Im Fall von Arbeitsunfällen droht zudem Regress der gesetzlichen Unfallversicherung. Hinzu kommen strafrechtliche Folgen: Das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geahndet.

Steuerliche Auswirkungen

Im Übrigen zeige sich: „Werden Sozialversicherungsträger fündig, lässt das Finanzamt oft nicht lange auf sich warten“, meint Bähr. Steuerrechtliche Folgen könnten Betriebsinhaber und Scheinselbstständige gleichermaßen treffen. „In der Regel wird der Auftraggeber herangezogen, weil er liquider ist“, so Bähr. Es besteht das Risiko, dass der Unternehmer bis zu zehn Jahre Lohnsteuer nachzuzahlen hat. Bereits abgeführte Steuer des Selbstständigen für Jahre, für die er die Steuererklärung abgegeben und Steuer entrichtet habe, werde häufig gegengerechnet. Dem Scheinselbstständigen könne wiederum der Vorsteuerabzug versagt werden.

Unterstellt die DRV aber im Zweifel eher eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung? Dirk Manthey von der DRV dementiert: „Mit dem Statusfeststellungsverfahren stellt die DRV in der überwiegenden Zahl der Fälle eine selbstständige Tätigkeit fest.“ Bähr kommentiert: „Statistisch mag wohl zutreffen, dass Prüfer häufig eine Selbstständigkeit dia­gnostizieren.“ In bestimmten Branchen allerdings – das Handwerk eingeschlossen – entscheide sie mit Verweis auf Gerichtsurteile zu vermeintlich vergleichbaren Sachverhalten häufig zuungunsten von Unternehmern.

Statusfeststellung: Wer veranlasst die Prüfung?

Die Prüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, kann von verschiedenen Seiten veranlasst werden:

  • Auftraggeber

  • Auftragnehmer (Freelancer)

  • Deutsche Rentenversicherung

  • Finanzamt

  • Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Hauptzollämter

  • Krankenversicherung