Abhängig angestellt oder selbstständig? Statusfeststellung: Deutsche Rentenversicherung entscheidet nicht mehr über Sozialversicherungspflicht

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Zum 1. April 2022 ändert sich das Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Dort ist ab diesem Zeitpunkt nur noch der Status einer Tätigkeit abzufragen – es wird nicht mehr über die Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung geurteilt. Was Betriebe daher jetzt beachten sollten.

Statusfeststellungsverfahren
Unternehmen erfahren nun nicht mehr, ob eine Versicherungspflicht vorliegt oder nicht. - © Marco2811 - stock.adobe.com

Die wesentliche Neuerung des Verfahrens bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund ist: Sie stellt künftig nur noch den Erwerbsstatus fest, also ob die Tätigkeit im Unternehmen eine abhängige Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit darstellt. Bislang eruierte sie auch die Versicherungspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung. Das wird künftig Aufgabe der Krankenkassen sein, heißt es auf der DRV Bund-Homepage. Die Verfahren in der Clearingstelle sollen damit deutlich beschleunigt werden, bislang zogen sie sich über Monate hin. Vorerst probeweise und bis 30. Juni 2027 befristet, gelten folgende Regelungen:

  • Prognoseentscheidung vorab: Bei der DRV Bund können nun ab 1. April 2022 Prognoseentscheidungen eingeholt werden, und zwar bereits vor Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit. Innerhalb von vier Wochen soll dann bereits eine Antwort vorliegen. Dafür müssen der DRV Bund vertragliche Vereinbarungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vorliegen sowie genaue Angaben zu den geplanten Tätigkeiten. Im Fall einer negativen Entscheidung der Clearingstelle kann der Unternehmer nachjustieren. Eventuell lassen sich Verträge und die geplante Tätigkeit an die Vorgaben der DRV Bund anpassen.

  • Gruppenfeststellung für gleiche Arbeitsverhältnisse: Es wird die Möglichkeit der Gruppenfeststellung geben. Das heißt, das Gutachten für einen Auftrag, den ein Unternehmer vergibt, kann Sicherheit für alle gleichen Vertragsverhältnisse liefern. Doch Vorsicht, es handelt sich lediglich um eine gutachterliche Äußerung auf Basis der Tätigkeit, der zugrunde gelegten Vertragsbedingungen und der beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung. Es muss sich also tatsächlich um identische Arbeitsverhältnisse handeln. Idealerweise wird die Einschätzung der DRV Bund für diese Verträge gemeinsam mit den Entgeltunterlagen aufbewahrt.

  • Sonderfall Dreiecksverhältnis: Für Dreiecksverhältnisse, also Verträge, an denen mehrere Parteien beteiligt sind – etwa bei Arbeitnehmerüberlassungen - lässt sich klären, wer rechtlich der tatsächliche Arbeitgeber ist. Es wurde dafür ein eigenes Antragsrecht für Dritte geschaffen. Das Antragsrecht ist allerdings nur gegeben, wenn der Dritte als Verpflichteter zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in Betracht kommt.
  • Möglichkeit der mündlichen Anhörung: In einem möglichen Widerspruchsverfahren wird es die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung geben. Der Widerspruch muss allerdings zuvor schriftlich begründet werden. Bisher gab es nur die Möglichkeit des schriftlichen Widerspruchs, entsprechend war die Erfolgsquote nur gering. Die echte Auseinandersetzung mit Widersprüchen erfolgte häufig erst vor dem Sozialgericht.

  • Bindungswirkung: Die Aussage über den Erwerbsstatus ist für alle Versicherungsträger bindend. Allerdings trifft die bloße Statusfeststellung keine Aussage über die Versicherungspflicht. Die muss über das Einzugsstellenverfahren zur Klärung der Beitragspflicht bei den Krankenkassen erfolgen. Folge: Stellt die DRV Bund eine Beschäftigung fest, muss der Arbeitgeber demnach auch Meldung an die Einzugsstelle erstatten. Die Klärung der Beitragspflicht bei den Krankenkassen sollte möglichst umgehend, spätestens innerhalb von sechs Wochen erfolgen, damit die Beiträge korrekt abgeführt werden können und keine Säumniszuschläge entstehen. Antrag und Bescheid zum Statusfeststellungsverfahren nimmt der Arbeitgeber zu den Entgeltunterlagen.
  • Änderungsmitteilung: Künftig ist die Mitteilung wesentlicher Änderungen von Vertragsverhältnissen binnen eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit verpflichtend

Vor- und Nachteile des geänderten Verfahrens

Welche Folgen hat das neue Statusfeststellungsverfahren für Unternehmer? Ecovis-Steuerberater und Leiter der Rentenberatung, Andreas Islinger: „Das neue Verfahren bietet für Unternehmen Vor- und Nachteile.“  Der große Nachteil sei demnach, dass die Unternehmen nun nicht mehr erfahren, ob eine Versicherungspflicht vorliegt oder nicht. Islinger: „Dafür müssen sich Unternehmen zukünftig an die zuständige Krankenkasse des Mitarbeitenden wenden und in einem weiteren Verfahren die Versicherungspflicht oder -freiheit feststellen lassen.“ Er kritisiert vor allem: „Für die Unternehmen bedeutet das den doppelten Aufwand.“

Auch bemängelt Islinger, dass Unternehmer, die die DRV Bund schon vor Aufnahme der Tätigkeit um eine Aussage über den Erwerbsstatus bitten, zwar noch Änderungen der Verträge und die Art der Tätigkeit vornehmen können, letztlich aber an die Vorgaben gebunden sind. Islinger: „Die Unternehmen müssen dann alles so umsetzen, wie sie es bei der Deutschen Rentenversicherung angegeben haben“, sagt der Experte, „ansonsten kommt es zu einer Korrektur oder es besteht kein Vertrauensschutz in der nächsten Betriebsprüfung.“ Die Gruppenfeststellungen gäben eine gewisse Sicherheit, Islinger gibt aber zu bedenken: „Eine gutachterliche Stellungnahme bedeutet, dass weder die Rentenversicherung noch andere Versicherungsträger an diese Stellungnahme gebunden sind.“ Erst das Statusfeststellungsverfahren für jedes einzelne Auftragsverhältnis gebe die endgültige Sicherheit. Islinger: „Die gutachterliche Stellungnahme bietet wohl einen gewissen Vertrauensschutz für die Vergangenheit, kann aber jederzeit für die Zukunft aufgehoben werden.“ Sabine Kraatz von der DRV Bund relativiert: „Der einmal geprüfte Sachverhalt soll nicht anlasslos einer erneuten Prüfung unterzogen und anders beurteilt werden. Sollte dies dennoch der Fall sein, beginnt die aufgrund einer abweichenden Statusbeurteilung gegebenenfalls eintretende Versicherungspflicht nicht bereits mit Aufnahme der Beschäftigung, sondern erst mit Bekanntgabe eines entsprechenden Bescheids.“ Voraussetzung sei, dass der Auftragnehmer über eine den Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung entsprechende Absicherung verfüge.

Tülay Biecker, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin der Wirtschaftskanzlei Noerr in München bemerkt auch: „Die gutachterliche Äußerung gilt nur für künftige Auftragsverhältnisse und erstreckt sich nicht auf bestehende Auftragsverhältnisse, die vor Eingang des Schreibens begründet wurden.“ Auch die DRV Bund bestätigt auf Nachfrage, dass ein Vertrauensschutz nur für Auftragsverhältnisse vorgesehen ist, die innerhalb von zwei Jahren seit Zugang der gutachterlichen Äußerung geschlossen werden. „Dies bedeutet, dass der Vertrauensschutz ausschließlich auf zukünftige gleiche Auftragsverhältnisse anwendbar ist“, bestätigt Kraatz von der DRV Bund. Darüber hinaus müsse bereits eine rechtskräftige Einzelfallentscheidung vorliegen. Biecker weist darauf hin, dass eine Kopie der gutachterlichen Äußerung sowohl für künftige Vertragsschlüsse auszuhändigen sei, als auch für bestehende – ob die Papierform geboten ist oder ob die elektronische Form ausreicht, sei noch unklar.

Das Verfahren nicht auf die lange Bank schieben

Unternehmer sollten das Statusverfahren bei der DRV Bund innerhalb des ersten Monats nach Aufnahme der Tätigkeit in Gang setzen. Vorteil: Sie müssen dann keine Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, sollte die DRV Bund eine Beschäftigung feststellen. Denn Beiträge werden erst mit Bescheiddatum fällig. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Beschäftigte dem späteren Eintritt der Versicherungspflicht zustimmt und vorher gegen das Risiko von Krankheit abgesichert und Vorsorgemaßnahmen zur Altersvorsorge getroffen hat – analog zu den gesetzlichen Leistungen. Islinger kommentiert: „Wer sich frühzeitig um eine Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status kümmert, kann das finanzielle Risiko erheblich reduzieren und echtes Geld sparen.“

Was müssen Unternehmer befürchten, die die Statusfeststellung nicht vornehmen lassen

Noerr-Anwältin Tülay Biecker warnt: „Wird später festgestellt, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer handelt, läuft der Chef Gefahr, dass Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden müssen.“ Für Unternehmer bedeute dies, dass sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil anfällt. „Der Unternehmer hat tatsächlich nur eingeschränkte Regressmöglichkeiten gegenüber der Fachkraft“, betont Biecker. Nachzahlungen könnten bis zu vier Jahre nach Fälligkeit erhoben werden, im Fall von Vorsatz sogar 30 Jahre plus der Säumniszuschläge in Höhe von 1 Prozent im Monat. Auch die Nachzahlung von Lohnsteuer falle an, nicht zu vergessen die komplizierte Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Auch die Unfallversicherungsträger könnten laut Biecker Regress fordern. Ganz zu schweigen von Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren, die die Behörden in die Wege leiten. Dies wiederum gehe mit Image- und Reputationsschäden einher, etwa wenn der Unternehmer im schlimmsten Fall von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen wird, oder weil der Geschäftsführer ein Verbot der Ausübung einer Leitungsaufgabe im Unternehmen erhält. Dies sei der Fall, wenn schwerwiegende Verstöße zu einer Freiheitsstrafe führen, die nicht auf Bewährung ausgesetzt ist.

Statusfeststellung ohne Hilfe, oder besser mit Anwalt oder Rentenberater?

Sowohl Islinger als auch Biecker empfehlen Statusfeststellungen bei der DRV Bund möglichst mit anwaltlicher Hilfe oder mit Hilfe eines Rentenberaters durchzuführen. Islinger: „Kleine Unternehmen können das Statusfeststellungsverfahren auch selbst in die Wege leiten.“ Dennoch rät er zur Vorsicht: „Eine ungenaue oder falsche Antwort kann teure Folgen haben. Daher ist fachliche Beratung sicher sinnvoll.“