Bäcker forcieren Bürokratieabbau Bürokratieentlastung im Handwerk: Perspektiven und Möglichkeiten unter der Lupe

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Eine Studie des Normenkontrollrats Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit Bäckerhandwerk und Handwerkstag geht in die Details, um Betriebe von überbordenden Bürokratiepflichten zu befreien. Sie lässt sich auf andere Gewerke übertragen und setzt bundesweit längst überfällige Prozesse in Gang.

Martin Reinhardt, Inhaber der Bäckerei Reinhardt in Knittlingen und Landesinnungsmeister des württembergischen Bäckerhandwerks.
Martin Reinhardt, Inhaber der Bäckerei Reinhardt in Knittlingen und Landesinnungsmeister des württembergischen Bäckerhandwerks. - © Annette Cardinale

Martin Reinhardt ist Bäcker aus Leidenschaft. Der 59-Jährige bewegt sich behände in der Backstube der gleichnamigen Bäckerei in Knittlingen in Baden-Württemberg, ebenso wie auf Podien auf Landes- und Bundesebene. Hier kämpft er als Landesinnungsmeister des württembergischen Bäckerhandwerks für sein Gewerk und hat sich gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Handwerkstag (BWHT) und dem Normenkontrollrat des Landes (NKR) den Kampf gegen Bürokratie zur Aufgabe gemacht. Seine Innung vertritt 260 Betriebe in Baden-Württemberg.

Die Klage über Bürokratie ist alt

„Seit mehr als 20 Jahren empört man sich in Deutschland über die Zunahme von Bürokratie, dabei würde weniger Büroarbeit gerade in diesen Tagen den Handwerkeralltag um so vieles einfacher machen“, ist er sich sicher. Als Reinhardt vor 34 Jahren seinem Chef den gut eingeführten Bäckereibetrieb abkaufte, in dem er zuvor als Meister tätig war, konnte er sich nicht vorstellen, dass er später einmal so viel Zeit am Schreibtisch verbringen würde. „Damals war mein Schwerpunkt tatsächlich noch das Backen, heute steht das Betriebswirtschaftliche im Vordergrund.“ Und dafür opfert er regelmäßig Teile des Wochenendes, während andere mit dem Motorrad ausgedehnte Touren unternehmen – auch seine liebste Freizeitaktivität. Reinhardt beschäftigt heute 44 Mitarbeiter, die an vier Verkaufsstellen in und um Knittlingen seine Backwaren anbieten. Seine Frau Andrea und seine Tochter Sabrina engagieren sich mit im Betrieb.

Sein Innungsamt – seit 25 Jahren ist er aktiv – sieht man ihm nicht an, Reinhardt tritt auch zu offiziellen Anlässen meist in der weißen Bäckerjacke der Innung auf: „Ich stehe ja für meine Branche, das erzeugt mehr Aufmerksamkeit als der Anzug“, sagt er. Er ist ein zupackender Mann mit Werten und Idealen. Daher erstaunt es nicht, dass er sich umgehend an die Arbeit machte, als der Normenkontrollrat bei ihm im März 2020 anklopfte mit der Bitte, einen detaillierten Blick auf den Bürokratieanfall eines Bäckerbetriebs zu werfen. Man wolle nachsehen, welchen Bürokratieaufwand ein durchschnitt­licher Handwerksbetrieb tatsächlich zu stemmen habe, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr.

Unmut über die Menge an Pflichten

Reinhardt gibt sich nachdenklich: „Jede kleine Neuregelung der letzten Jahre ist für sich keine große Sache in der Umsetzung. Aber immer zu Jahresbeginn kamen neue Regeln oben drauf.“ Das hat ihn, wie viele seiner Kollegen aus anderern Gewerken, geärgert. Wieso aber wurde ausgerechnet das Bäckerhandwerk auserkoren? „Die Bonpflicht und der Unmut, den sie auslöste, hat uns veranlasst, uns intensiver mit dem Bäckerhandwerk zu beschäftigen“, sagt Dr. Gisela Meister-Scheufelen, Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg. Reinhardt ergänzt: „Allein der Papierverbrauch, ein Wahnsinn!“ Zudem könnten die Bons, die auf Thermopapier gedruckt werden, nur im Restmüll entsorgt werden. Der betriebswirtschaftliche Berater der Akademie des deutschen Bäckerhandwerks Süd-West, Eduard Kunkel, stellte die einzelnen Posten, die in den Betrieben anfallen, in Ruhe zusammen. „Wir haben das sehr praxisnah gestaltet und unsere Erfahrungen aus Backstube und Büro unmittelbar einfließen lassen“, erinnert sich Reinhardt.

Der NKR Baden-Württemberg ging die Sache fundiert an: In Zusammenarbeit mit der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft fand eine repräsentative Online-Befragung von Bäckerbetrieben des Landes statt, an der sich 35 Prozent der Betriebe beteiligten. Zusätzlich wurden sechs Bäckereien interviewt – zwei kleine Betriebe (Jahresumsatz bis 500.000 Euro), zwei mittelgroße (Jahresumsatz von 500.000 Euro bis 1.500.000 Euro) und zwei große Backbetriebe (Jahresumsatz bis 5.000.000 Euro). „Es sollte ein guter Querschnitt sein, um die Probleme sauber abbilden zu können“, erklärt Reinhardt die Vorgehensweise. In einem anschließenden World Café mit 25 Bäckerinnen und Bäckern saßen verschiedene Gruppen beisammen: Der jeweilige Unternehmer setzte sich mit Behördenvertretern – etwa dem Veterinäramt, das die Einhaltung der Hygieneregeln kontrolliert, Krankenkasse oder Finanzbehörde – an einen Tisch, um im Detail die möglichen Entlastungsschritte durchzugehen. Auch Vertreter von Kommunen und der Landesregierung Baden-Württemberg waren geladen. Ein zentrales Resultat dieses Treffens sei gewesen, endlich miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Verbesserungsmöglichkeiten zu formulieren. „Das ist gelungen“, freut sich Reinhardt.

Mit Gesprächen Gesetze verhindern

Die Forderung nach besserer Kommunikation ist keine neue. Um nur ein Beispiel zu nennen, die Bonpflicht wäre womöglich nicht Gegenstand eines Gesetzes geworden, wenn es vorher zu einem Austausch zwischen Politik und Betrieben gekommen wäre, ist sich Reinhardt sicher: „Hätte sich mal jemand unsere Kassen vorher angeschaut“, meint er. Von seinen 1.200 Kunden, die er pro Tag mit Backwaren versorge, wolle höchstens ein Kunde den Bon sehen. „Sollte mal jemand unzufrieden sein, ersetzen wir die Brezel auch ohne Nachweis“, erklärt er. Zudem erfasse die Technische Sicherheitseinrichtung der Kasse jeden Vorgang im Detail. „Wo soll denn da Betrug stattfinden?“, fragt er sich.

Stattdessen stünden Kosten im Raum: Laut NKR Baden-Württemberg verursacht allein die Bonpflicht Bürokratiekosten von 9,4 Millionen Euro pro Jahr für die Bäcker des Landes. Zwar sei der Zeitaufwand für Druck und Übergabe an den Kunden nicht allzu groß, aber die Häufigkeit des Vorgangs, Kosten für Papier plus gestiegene Müllgebühren summieren sich – Kunden lassen Bons in der Regel im Laden, Bonpapier ist schwer recycelbar und kann nicht als Altpapier entsorgt werden.

Die Liste, die Reinhardt darüber hi­naus aufzählt, ist lang: die schriftliche Dokumentation der Kühltemperatur, die Reinigungsprotokolle, die kleine Betriebe ebenso vorhalten müssen, wie Großbetriebe, die uneinheitliche Verwaltungspraxis. „In ländlichen Regionen lassen Kontrolleure viel eher mit sich reden als in der Stadt“, erklärt Reinhardt und fordert ein einheitliches Vorgehen. Auch die Verbesserung der Behördensprache ist ihm und vielen seiner Kollegen ein Anliegen: „Denn was bringt ein offizielles Schreiben, das keiner versteht?“, fragt er. Handlungsanweisungen müssten viel einfacher und verständlicher formuliert werden und trotzdem rechtssicher sein. Der NKR springt ihm bei: Missverständnisse und häufige Nachfragen, sogar Bußgelder wegen Nichterfüllung könnten vermieden werden, wenn die Papiere einfacher zu lesen wären. Mehr Kundenorientierung und zentrale Ansprechpartner in den Ämtern würden vieles deutlich leichter machen.

Der Prozess geht weiter

Nach Monaten der Detailarbeit und schließlich der Präsentationsveranstaltung „Weniger ist MehrWert – Bürokratieabbau im Handwerk“ Ende letzten Jahres ist der Prozess längst nicht beendet: „Die Studie ist abgeschlossen, das Papier liegt vor, nun sind wir dabei, auf die Landesregierung zuzugehen und eine einheitliche Handhabung etwa von Kontrollen einzufordern und dafür eine Verbindlichkeit herzustellen“, sagt Reinhardt. Dafür wurde eigens ein Eckpunkte-Papier auf einer DIN-A4-Seite ausgearbeitet, mit dem man die Politik immer wieder konfrontiere. „Wir bleiben weiter im Gespräch“, äußert sich Reinhardt zufrieden über neu gewonnene Kontakte, die das Ins-Handeln-Kommen erleichtern. „Wenn keiner von den Problemen des anderen weiß, wird eine Änderung wohl schwierig“, stellt er fest.

Die Ergebnisse von Online-Befragung, Interviews und World Café flossen in der NKR-Studie zusammen. Insgesamt enthält sie 20 konkrete Vorschläge, um Büroarbeit zu reduzieren. Was Reinhardt besonders begeistert: „Alles, was wir mühevoll und detailliert ausgearbeitet haben, kann auf andere Gewerke übertragen werden.“

Bäckerstudie in Baden-Württemberg: 20 Vorschläge zur Bürokratieentlastung

Durchschnittlich 12,5 Stunden pro Woche Bürokratieaufwand hat ein Bäckereibetrieb in Baden-Württemberg. Mit diesen Optimierungen könnte das baden-württembergische Bäckerhandwerk in den nächsten fünf Jahren um 70 Millionen Euro entlastet werden.

ThemenfeldOptimierungsvorschlatDetail/Begründung
Arbeitsschutz1. Einführung einer KleinbetriebsklauselBetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern sollten von der Dokumentationspflicht laut Arbeitsschutzgesetz (Paragraf 6 Absatz 1) und Arbeitsstättenverordnung
(Paragraf 3 Absatz 3) bei der Gefährdungsbeurteilung ausgenommen werden.
2. Gefährdungsbeurteilungen nur ­anlassbezogenNur dann, wenn die Tätigkeit von einer Frau ausgeführt wird, soll eine Gefährdungsbeurteilung für den mutterschutzrechtlichen Aspekt notwendig sein, statt sie generell vorhalten zu müssen.
3. Abgestimmte MustervorlagenFür die Gefährdungsbeurteilung von Tätigkeiten sollte es Ausfüllhilfen geben, die alle Kontrollbehörden anerkennen.
Betriebs­sicherheit4. Hersteller einbeziehenHersteller von Maschinen und Arbeitsmitteln sollten dazu verpflichtet werden, Angaben zu Gefährdungen zu machen, die bei der Verwendung ihrer Produkte auftreten (nach Paragraf 3 Absatz 8 Betriebssicherheitsverordnung).
Lebensmittelhygiene5. Kühlprotokoll automatischVerzicht auf die tägliche schriftliche Dokumentation der Kühltemperatur bei automatischer Anzeige der Temperatur durch den Kühlschrank und/oder Warnfunktion bei Abweichung von Normwerten.
6. Einheitliche KontrollenDie amtliche Lebensmittelkontrolle sollte unabhängig von Standort und Kontrolleur einheitlich vorgehen.
7. Reinigungs­pläne nur für GroßeBetriebe mit nur einer Betriebsstätte könnten auf Dokumentation von Hygienestatus und einzelner Reinigung verzichten.
8. Eigenkontrolle WareneingangLebensmittel werden bereits beim Wareneingang aus Eigeninteresse kontrolliert, daher Verzicht auf Dokumentation.
Beleg­ausgabe9. Bonpflicht ab BagatellgrenzeNach französischem Vorbild könnte die Belegausgabepflicht erst ab einem Betrag von zehn Euro gelten.
10. Einsatz digitaler BonsDigitale Bons, die dem Kunden per E-Mail oder via App übermittelt werden, könnten Papierbons ersetzen. Fördermaßnahmen würden Anschaffungs- und Lizenzkosten für Software reduzieren.
Sozialver­sicherung11. Meldungstermine verändernSozialversicherungsbeiträge zum drittletzten Arbeitstag des Monats zu bezahlen, wie aktuell üblich, sollte 2006 Liquiditätsengpässe der Versicherungen verhindern. Heute würde der 10. des Folgemonats reichen. Beiträge würden dann zeitgleich mit der Lohnsteuer fällig.
Arbeitszeit­dokumen­tation12. Verzicht auf Dokumentation der wöchentlichen ArbeitszeitSofern die Arbeitszeit bereits schriftlich in Dienstplänen erfasst oder vertraglich geregelt ist, ist eine zusätzliche ­Dokumentation nach Paragraf 17 Mindestlohngesetz nicht mehr notwendig.
13. Verlegung auf MonatsendeDie Dokumentation sollte nicht wöchentlich, sondern zum Monatsende erfolgen, parallel zur monatlichen Lohn­abrechnung.
14. Digitale ZeiterfassungDigitale Zeiterfassungssysteme (Lizenzgebühren und Hardware) sollten via Mittelstandsförderung unterstützt werden.
Melde­pflichten ­Statistisches Landesamt15. Häufigere RotationAuch Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern übermitteln Daten für eine vierteljährliche Produktionsstatistik, machen Angaben zu Reparatur-, Montage- und Lohnveredelungsarbeiten sowie zu Mitarbeitern, Lohn- und Gehaltssummen, ­Umsatz sowie Investitionen, zu Energieverwendung und erneuerbaren Energien. Häufigere Rotation könnte die Betriebe ent­lasten.
16. Daten aus der BetriebssoftwareBei Kleinst- und Kleinbetrieben sollte die statistische Erhebung auf Daten aus der Betriebssoftware beschränkt werden.
Verwaltung17. Einheitlicher VollzugUnterschiedliche Anforderungen von Kontrollbehörden und ihren Mitarbeitern müssen vereinheitlicht werden.
18. Zentrale InformationsplattformSie könnte über rechtliche und bürokratische Pflichten sowie Anforderungen verschiedener Behörden informieren und Merkblätter sowie Checklisten zu Themenbereichen (etwa Arbeitsschutz oder Hygiene) gebündelt zur Verfügung stellen.
19. Behördenschreiben ­vereinfachenBehördenschreiben und Formulare sollten verständlicher formuliert werden.
20. Once-Only-Prinzip umsetzenBetriebe sollten Informationen gegenüber Behörden nur noch einmal übermitteln müssen.

12,5 Stunden Büroarbeit pro Woche

Denn schwarz auf weiß steht nun eine Zahl im Raum: 12,5 Stunden Bürokratieaufwand pro Woche leisten Baden-Württembergs Bäckereichefs durchschnittlich, ergab die Online-Befragung im Vorfeld der Studie. Viele Betriebsinhaber hätten Schwierigkeiten, den Überblick über alle gesetzlichen Verpflichtungen zu behalten. Sie erfüllen daher oft nur die Pflichten, die vom jeweiligen Kontrolleur vor Ort eingefordert werden. Der Gesamtüberblick fehle ihnen aber, genauso wie das Verständnis für den Sinn der konkreten behördlichen Anforderung, heißt es in der Studie, die auch in gedruckter Form vorliegt. Eine weitere Erkenntnis: Das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg könnte durch gezielte Maßnahmen in den nächsten fünf Jahren um 70 Millionen Euro entlastet werden.

„Die Zahlen bleiben bei Politikern hängen“, freut sich Reinhardt. Die wissenschaftliche Ausarbeitung bringe eine völlig andere Dimension ins Spiel – über Baden-Württemberg hinaus. Denn Studie und Forderungspapier wurden an den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks weitergereicht. „Das wird nicht isoliert betrachtet“, betont Reinhardt, „schließlich betrifft der Bürokratieabbau nicht nur das Handwerk, sondern die Wirtschaft allgemein – im Prinzip ganz Deutschland“.

Aktuell läuft eine Umfrage bei den Betrieben, inwieweit erste Änderungsvorschläge bereits umgesetzt werden und ob Verbesserungen bereits spürbar sind. Im Mai werden die Ergebnisse vorliegen. So viel steht schon fest: 300 Betriebe haben bereits geantwortet.

Versprechungen vor den Wahlen

Dass die Hoffnung auf Änderung durch die Studie des baden-württembergischen Normenkontrollrats berechtigt ist, bestätigt auch Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT) und der Handwerkskammer Stuttgart. „Ob sich dann tatsächlich etwas tut, da lassen wir uns gern überraschen“, meint Reichhold lakonisch. Der Handwerkspräsident kennt die Versprechungen der Politik, vor allem im Vorfeld von Wahlen: „Regelmäßig wird uns vom Vorgehen zum Bürokratieabbau berichtet, aber Tatsache ist auch, davon kommt in den Betrieben nichts an.“ Als Ausrede werde dann gern genommen, Landesrecht sei eben nicht Bundesrecht und umgekehrt. „Deshalb sagen wir mit der Studie nun ganz konkret, was wir uns auf den unterschiedlichen Ebenen wünschen“, fügt Reichhold hinzu.

Er erwartet sich weitere Impulse durch einen Workshop der Landesregierung, der eigentlich im März hätte stattfinden sollen, pandemiebedingt aber auf Sommer verschoben wurde. „Hier werden wir ganz konkret sehen, wo die Landesregierung auf unsere Forderungen eingeht“, sagt der BWHT-Präsident. Denn an anderer Stelle drohen neue Herausforderungen fürs Handwerk: etwa die EU-Taxonomie oder die immer schwierigere Zusammenarbeit von Handwerkern mit Banken. Große Hoffnung setzt er in die Digitalisierung: Sie werde langfristig für Erleichterung sorgen, ist er sich sicher.

Endlich ins Handeln kommen

Doch Bürokratieabbau brauche mehr: Ein Umdenken von Politik und Behörden und mehr Austausch, auch von Behörden untereinander. Silodenken müsse ein Ende haben, man müsse endlich ins Handeln kommen – das fordert Rechtsanwalt Dr. Friedemann Berg, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks und dort zuständig für Arbeitsrecht, Tarifvertragsrecht und Berufsordnung. Die Studie aus Baden-Württemberg sei bereits in den Forderungskatalog für ein Büro­kratieentlastungsgesetz IV eingeflossen, für das der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks insgesamt 48 Vorschläge abgegeben hat. Rührig kämpft der Verband weiter für die Abschaffung der bereits genannten Bonpflicht. Oft fehle Politikern und Behörden der Blick fürs Ganze, das habe sich gerade hier gezeigt. Die Einführung einer Bagatellgrenze für die Belegausgabepflicht von zehn Euro je Einkauf – in Frankreich aktuell in der Pilotphase – würde die Branche deutlich entlasten. Ebenso der Wegfall der Ausgabepflicht, sofern der Kunde den Bon nicht verlangt.

Anwendung One-in-one-out-Regel

Berg kritisiert auch, dass die „One-in-one-out“-Regel nicht wie gedacht zur Anwendung kommt. Sie besagt, dass für jedes Gesetz, das Unternehmern zusätzlichen Aufwand beschert, eine andere Regel entfallen müsse. Sie sei von der Politik etwa beim Gesetz zur Einführung manipulationssicherer Registrierkassen nicht eingehalten worden mit dem Argument, es ginge in diesem Fall nicht. Berg fordert: „Wenn die Politik von einer Zeitenwende spricht und davon, unsere Resilienz zu stärken, gehört dazu auch, dass man kleine und mittlere Unternehmen nicht einem Regeldickicht aussetzt, das praktisch nicht mehr handelbar ist.“ So hätten den Verband Berichte von an und für sich zukunftsfähigen Betrieben erreicht, die wegen ausufernder Bürokratie aufgegeben hätten. Die zahlreichen Pflichten führten mittlerweile auch dazu, dass Betriebe keinen Nachfolger mehr finden, zudem nehme die Bereitschaft ab, Unternehmen zu gründen. All dies habe unangenehme Folgen: Junge Leute würden der selbstständigen Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung vorziehen, die großen Volksparteien verlieren an Zustimmung – beides gefährliche Entwicklungen.

Demokratie fördern

„Wehrhaft oder – wie man nun sagt – resilient wollen wir sein. Dazu muss auch gehören, dass mit höchster Priorität überzogene Bürokratie abgebaut wird“, erklärt Berg und ergänzt: „Dazu müssen die vorliegenden Vorschläge der Verbände zum Bürokratieabbau schnell umgesetzt werden.“ Behörden seien besonders in der aktuellen Situation gefordert, in der Auslegung der Gesetze mit Augenmaß zu handeln. Um Bürokratieabbau zu realisieren, könnte ein sogenannter Belastungs-TÜV mit Mitgliedern aus Regierung, Verbänden und dem Normenkontrollrat des Bundes für einen begrenzten Zeitraum Gesetze anhalten, die die Betriebe über Gebühr beeinträchtigen. Eine Idee sei überdies, den Normenkontrollrat künftig generell mit weitreichenderen Befugnissen in Gesetzgebungsprozessen auszustatten. Das Beratungsgremium, in der Vorgänger-Regierung unter der Ägide Angela Merkels, wurde soeben dem Justizminister unterstellt, Mitte April gab das Bundesjustizministerium die Namen der Mitglieder bekannt.

Forderungen des Handwerks

Dr. Markus Peifer, Abteilungsleiter Recht und Organisation beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), skizziert: „Der Koalitionsvertrag greift zahlreiche Vorschläge des Handwerks auf.“ Und er fügt hinzu: „Die erforderliche Kommunikation mit der Praxis im Vorfeld von Gesetzgebungsprozessen wird künftig mehr Gewicht erhalten“. So soll etwa der im Koalitionsvertrag genannte Praxischeck Lebenslagen und absehbare Belastungen auf den Prüfstand stellen und im Detail durchleuchten, um politischen Entscheidern, Ministerien und Behörden die Auswirkungen klar zumachen, bevor ein Gesetz in Kraft tritt. Auch der ZDH mahnt, dass Verwaltung effizienter und einheitlicher werden und stärker als Partner der Wirtschaft agieren muss. „Gesetzliche Vorgaben dürfen nicht durch weitere Vorgaben der Verwaltung verkompliziert und Verfahren so in die Länge gezogen werden“, meint Peifer.

Politik im Handlungsmodus

Auf die Frage, ob das Handwerk selbst etwas zur Bürokratieentlastung beitragen kann, winkt Innungsbäcker Reinhardt ab: „Das bleibt Sache des Staates.“ Er blickt wie viele Handwerkschefs gespannt nach Berlin. Man hört, dass die Ministerien längst in den Startlöchern stehen, um Erleichterungen zu ermöglichen. Aufbruchstimmung und ein neuer Spirit in der Politik sei durch die Grünen im Regierungstrio durchaus spürbar, heißt es. Überdies sei allen bewusst, dass ohne Mentalitätswandel, ohne Erleichterungen für die Wirtschaft die Einhaltung der Klimaziele und die Energiewende nicht zur Umsetzung kommen. Und um die gehe es schließlich – gerade jetzt.

Bürokratieentlastungsgesetz IV: Mögliche Inhalte

Die Bundesregierung hat sich das Thema Bürokratieabbau zeitnah vorgenommen, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) will möglichst rasch ein Bürokratieentlastungsgesetz IV auf den Weg bringen. Vor allem von Steueroptimierungen könnten Unternehmer profitieren:

  • Anhebung der Grenze für die Ist-Besteuerung im Umsatzsteuergesetz von 600.000 € auf 1.000.000 €
  • Anhebung der Grenze zur Bilanzierungspflicht von 600.000 € Umsatz auf 1.000.000 € im Handels- und Steuerrecht
  • Ende der Bilanzierungspflicht für Gewerbebetriebe bei Unterschreiten von 60.000 € Gewinn
  • Zeitnahe Betriebsprüfungen
  • Verkürzung von Aufbewahrungsfristen für Unterlagen im Handels- und Steuerrecht schrittweise auf fünf Jahre
  • Anheben der Schwellenwerte zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen von 1.000 € auf 1.500 € (vierteljährliche Voranmeldung) und von 7.500 € auf 9.000 € (monatliche Voranmeldung)
  • Melde- und Abgabefristen bei der Umsatzsteuer harmonisieren
  • Einführung einer Bagatellgrenze bei der Belegausgabepflicht
  • Anhebung der Schwelle für Kleinbetragsrechnungen von 250 € auf 300 €
  • Erhöhung der einkommensteuerlichen Grenze für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter auf 1.000 €
  • Rechtsanspruch auf verbindliche Auskunft im Steuerrecht umsetzen
  • Absenkung der Entgeltschwelle zur Pflicht der Arbeitszeitdokumentation im Mindestlohnsektor auf 2.000 € brutto für alle Arbeitnehmer mit verstetigtem Entgelt und für Teilbeschäftigte proportional
  • Anhebung des Schwellenwerts für die Bestellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten von 20 auf 100 Beschäftigte.

Quelle: Eigene Recherche