Überblick und Tarifvergleich Schutz der Arbeitskraft: Teure Berufsunfähigkeitsversicherung oder günstige Grundfähigkeitsversicherung?

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Das Risiko, berufsunfähig zu werden, ist für Handwerker hoch. Entsprechend teuer ist die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Exklusiv haben wir für 30 Handwerksberufe ermittelt, wie viel sie für eine BU zahlen müssen. Die Alternative: Grundfähigkeitsversicherung (GFV). Etwas weniger Schutz für deutlich weniger Geld.

Lars Eulert, Schornsteinfegermeister aus Radeberg.
Lars Eulert, Schornsteinfegermeister aus Radeberg. - © Stephan Floss

Fliesenleger leben gefährlich – findet die Versicherungsbranche. Deshalb zahlt ein selbstständiger Fliesenleger im Vergleich zum selbstständigen Augenoptiker eine Prämie für eine Top-Berufsunfähigkeitsversicherung, die 2,6-mal höher ist. Konkret: 287 Euro für den Fliesenleger, 109,30 Euro für den Augenoptiker. Die hohe Belastung durch das Arbeiten auf den Knien und das Tragen von Fliesen dürfte den Beruf des Fliesenlegers in den Augen der Versicherer so gefährlich machen. „Würde man den Vergleich auf alle Tarife am Markt ausweiten – und nicht nur die von uns als top bewerteten Policen heranziehen –, würde die Police des Fliesenlegers gar rund das 2,8-Fache von der des Augenoptikers kosten“, erklärt Thorsten Saal, Leiter der Abteilung Mathematik bei der Ratingagentur Morgen & Morgen.

Für handwerk magazin hat die Agentur bei 30 Handwerksberufen ermittelt, welche Prämien für Selbstständige in den Top-Tarifen der Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsversicherung aufgerufen werden. Aus den günstigsten fünf Angeboten haben wir die Durchschnitts­prämie errechnet und kamen so zu einem Risikoranking der Berufe. Denn die Versicherer staffeln ihre Prämien nach der Höhe des Gefahrenpotenzials einer Tätigkeit. Laut Morgen & Morgen zahlen Handwerker im Vergleich zu Büroarbeitern je nach Beruf bis zu viermal so viel für den Schutz ihrer Arbeitskraft. Im Schnitt zahlt der Fliesenleger das Dreifache des Beitrages eines Bürokaufmanns. Die Folge der hohen Prämien: Viele Handwerker verzichten auf den Schutz ihrer Arbeitskraft.

Berufsunfähigkeits- oder Grundfähigkeitsversicherung

Aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten Versicherte eine monatliche Rente, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf nicht mehr zu mindestens 50 Prozent ausüben können. Die Statistik sagt, dass bereits jeder vierte Berufstätige berufsunfähig wird.
Die Ursachen dafür liegen vermehrt im psychischen Bereich. So sind etwa Burn-outs keine Seltenheit. Dies ist ein Trend, der sich nach Erkenntnis der Analysten von Morgen & Morgen fortsetzt. Nervenkrankheiten bleiben mit 34,5 Prozent die häufigste Ursache einer Berufsunfähigkeit (Grafik Seite 54). Besonders betroffen von psychischen Krankheiten sind die junge und mittlere Generation. Insbesondere Menschen in der Lebensmitte von 41 bis 50 Jahren neigen mit 35,7 Prozent zu psychischen und anderen Nervenerkrankungen. Die Folge: BU-Policen sind teuer.

Wer dennoch seine Arbeitskraft ab­sichern möchte, kann zu einem geringeren Schutz greifen. Diesen bietet die Grundfähigkeitsversicherung. Sie zahlt eine monatliche Rente, wenn der Versicherte elementare Fähigkeiten durch Unfall oder Krankheit verliert: Sehen, Sprechen, Stehen, Treppensteigen, Knien, Gebrauch eines Armes, die Fähigkeit Auto zu fahren.

Praxisfall: Der richtige Schutz macht gelassen

Lars Eulert hat Stress. Als Energieberater wird er gerade von vielen Haushalten angefragt. „Hier auf dem Land haben viele einen engen persönlichen Bezug zu mir. Da merke ich, wie das neue Energierecht die Menschen verunsichert. Ich muss immer wieder Aufklärungsarbeit leisten.“ Gleichzeitig sei die Lage am Heizungsmarkt katastrophal. „Es fehlen jede Menge Ersatzteile.“

Neben dem Anfragestress hat Eulert das für Schornsteinfeger typische hohe Unfallrisiko. „Das ist aber je Kehrbezirk verschieden“, wiegelt er ab. In den Städten würden oft die Energieberatung und die Heizungsüberprüfung im Keller dominieren. Aber: „Meister müssen für die gesetzlich vorgeschriebene regelmäßige Feuerstättenschau auch noch auf das Dach“, erzählt Eulert. Zum Glück gibt es meist solide Sicherheitseinrichtungen, die das Risiko eines Sturzes deutlich mindern. „Die Arbeitswege für Schornsteinfeger müssen nach einer DIN-Norm gebaut sein.“ Ist das nicht der Fall, beheben Fachkräfte die Fehler. Darauf legt der Unternehmer großen Wert: „Ich lasse keinen Mitarbeiter aufs Dach, bis hier nicht alles ordnungsgemäß ist.“

Ursachen für eine Berufsunfähigkeit

Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für eine Berufsunfähigkeit. Aber auch Krebs und andere bösartige Geschwüre bedeuten oft das Ende der Berufstätigkeit.

© Quelle: Morgen & Morgen/Chart: hm

Doch trotz Stress und Risiko ist Lars Eulert entspannt: Er hat sein persönliches Risiko privat umfangreich abgesichert. Neben Unfällen können ja auch Krankheiten zu einem Leistungsverlust führen. Über Empfehlungen von Kollegen hat Eulert den Versicherungsmakler Rainer Schamberger aus Dresden kennengelernt. „Der hat es nun geschafft, dass meine private Berufsunfähigkeitsversicherung bis zum 67. Lebensjahr läuft“, freut sich der Unternehmer. Und die Absicherung ist so hoch, dass er im Fall einer Berufsunfähigkeit seinen Lebensstandard halten kann. „Das gibt mir ein gutes, sicheres Gefühl“, sagt er. Diese Absicherung hat er auch gleich seinem Gesellen empfohlen: „Eine private Berufsunfähigkeitsversicherung ist für unseren Berufsstand ein Muss. Die sollten schon Lehrlinge haben“, ist Eulert überzeugt.

„Sowohl die Laufzeit des Vertrages als auch die Höhe der Absicherung sind bei Schornsteinfegern immer noch ein echtes Problem“, weiß Versicherungsmakler Schamberger. Viele Versicherer möchten „ungewollte“ Berufe nur bis zum 63. Lebensjahr absichern“, sagt er. Zudem würde das Gehalt von Schornsteinfegern, das zwischen 4.000 und 5.000 Euro läge, meist nicht voll abgesichert. „Die Assekuranzen machen meist noch immer bei 2.500 oder 3.000 Euro einen Cut“, so Schamberger. Die Lösung, die er in diesen Fällen anbietet: eine hohe Dynamik. Das bedeutet, dass die abgesicherte Rente Jahr für Jahr steigt. „Zudem vereinbaren wir in der Altersvorsorge, in die oft auch 1.000 Euro pro Monat eingezahlt werden, eine Beitragsbefreiung im Fall der Berufsunfähigkeit“, ergänzt er. Insgesamt würde der Handwerker dann mit der Absicherung schon nahe an sein reales Einkommen herankommen.

Keine Angst vor der Gesundheitsprüfung

Die Versicherer wollen wissen, welches Risiko sie in ihre Bücher nehmen. Daher ist die Gesundheitsprüfung vor Vertragsschluss keine Lappalie. Dennoch ist der Umgang mit Vorerkrankungen heute rationaler als noch vor einigen Jahren. Schamberger weiß: Wer früher vor Abschluss der BU eine Psychotherapie gemacht hatte, sei fast immer kategorisch abgelehnt worden. Heute ließen die Versicherer mit sich reden und prüften den Einzelfall. So sei etwa ein Todesfall mit Therapie zur Trauerbewältigung kein Grund mehr dafür, dass die Police abgelehnt oder die Erkrankung ausgeschlossen würde. „Möglich ist es zudem, einen Ausschluss auf Zeit, etwa drei Jahre, zu vereinbaren. Gibt es dann in dieser Zeit keine Erkrankung mehr, lebt der Schutz voll auf“, erläutert der Makler.

Übrigens: Wer Normalgewicht hat und nicht raucht, zahlt weniger. Morgen & Morgen hat ermittelt, dass Raucher im Schnitt rund acht Prozent – im Maximum sind es 20 Prozent – mehr für ihre Berufsunfähigkeitsversicherung bezahlen. Wer Übergewicht hat, zahlt eine Mehrprämie von bis zu sechs Prozent.

Teuer, aber sehr hohes Leistungsniveau bei der BU

Wichtig für alle Handwerker, die noch ohne Berufsunfähigkeitsschutz sind: Die Leistungen der Tarife sind auf einem sehr hohen Niveau. Der Wettbewerb der letzten Jahre hat so zu einem sehr hohen Anteil an Fünf-Sterne-Bewertungen im Morgen & Morgen-Rating für die Berufsunfähigkeitsversicherung geführt. Er liegt bei 78 Prozent. Bei Grundfähigkeitstarifen liegt der Anteil an top bewerteten Tarifen sogar bei 86 Prozent. Daher kommt es längst zu einem Preiswettbewerb. Es lohnt sich also, Angebote zu vergleichen und sich für den Antrag gut beraten zu lassen.

Warum das wichtig ist, erklärt Makler Matthias Helberg aus Osnabrück: „Unsere Kunden kommen eigentlich immer mit Risiken in der Gesundheitshistorie, den Freizeitaktivitäten oder dem Beruf – da macht die Assekuranz schnell einen Rückzieher.“ Ziel sollte es sein, vollen Versicherungsschutz ohne Ausschluss von Vorerkrankungen oder ausgeübten Sportarten zu bekommen. „Um den passenden Anbieter zu finden, empfehlen sich anonymisierte Risikovoranfragen an die Versicherer. Da das Einzelfallentscheidungen sind, lässt sich nicht vorher­sagen, welcher Versicherer die besten Konditionen bietet“, so Helberg.

Der Zahlbeitrag ist wichtiger als der Höchstbeitrag

Die aktuell günstigsten Tarife für die Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsversicherung für einen Musterfall haben wir in unserem Download dargestellt – sortiert nach dem Zahlbeitrag. Es ist der Betrag, den der Versicherte aktuell zahlen muss. Er ist kleiner als der Höchstbeitrag, den die Versicherer ebenfalls ausweisen. Damit werden mögliche Prämienerhöhungen für den Versicherten kalkulierbarer. Der Höchstbeitrag wird fällig, wenn alle einkalkulierten Risiko- und Zinsgewinne entfallen. Zinsgewinne entstehen durch Anlage der Beiträge am Kapitalmarkt. Risikogewinne entstehen, wenn weniger Versicherte erkranken oder verunfallen, als die Assekuranz kalkuliert hat. Da aktuell die Zinsen steigen, bekommen die Versicherer Zinserträge aus der Kapitalanlage der Prämien, sodass der Höchstbeitrag vorerst eher eine untergeordnete Rolle spielen dürfte.

Die Leistungen einer GFV vor Abschluss genau prüfen

Wer vor der Wahl steht, ob er eine Berufsunfähigkeits- oder eine Grundfähigkeitsversicherung abschließen soll, sollte sich die Leistungsbedingungen der GFV sehr genau erklären lassen. „Leider vermitteln viele Versicherer und Vertreter ein, meines Erachtens, vollkommen falsches Leistungsniveau der Grundfähigkeitsversicherung“, warnt Experte Helberg. Sein Beispiel: Ein Malermeister, der keine halbe Stunde mehr „über Kopf“ arbeiten kann, ist meist berufsunfähig und bekommt dann eine Rente aus der BU. Maßstab sei die konkrete Tätigkeit in gesunden Tagen. „Um aber Leistungen aus einer GFV zu bekommen, darf der Handwerker vielleicht gar nicht mehr beide Arme über Schulterhöhe heben können“, erklärt Helberg. Hier herrsche noch viel Intransparenz und es gebe große Unterschiede am Markt.

Wege, um die BU günstiger zu gestalten

Wer den vollen Schutz aus einer BU möchte, kann seine Police mit Zugeständnissen günstiger gestalten. „Eine wichtige Stellschraube ist eine Karenzzeit“, nennt Makler Schamberger ein Beispiel. Diese regelt bei Feststellung einer Berufsunfähigkeit, dass der Versicherer beispielsweise nicht rückwirkend leisten muss, sondern erst nach Ablauf der Karenzzeit von sechs Monaten. „Diese sechs Monate muss man dann natürlich als Rücklage parat haben“, stellt Schamberger klar. Gleichzeitig oder alternativ könne man die Leistungsdauer begrenzen, also die maximalen Jahre, die eine BU-Rente nach der medizinischen Feststellung gezahlt wird. „Der Handwerksmeister kann die Leistungsdauer also beispielsweise auf 15 Jahre begrenzen und diese Zeit zur Umorganisation nutzen, statt als vollständigen Einkommensersatz bis zur Altersrente“, so Schamberger. Solche Varianten seien besser, als ganz auf den Schutz zu verzichten oder an der Qualität zu sparen.

In der BU gibt es zudem einen Meister-Bonus. „Je nach konkreter Tätigkeit können die Nachlässe deutlich sein“, heißt es bei der Zurich Deutschland. Der Versicherer will künftig mit einem komplexen Scoring-Modell die Versicherungsprämie noch besser dem individuellen Risiko anpassen. Relativ neu ist auch der Tarif „Deutsche Handwerker BU Aktiv“ des Münchener Vereins. Er leistet bei jeder Krankheit und bei jedem Unfall wie ein Vollschutz. Die Leistung ist aber eingeschränkt, wenn die Berufsunfähigkeit nicht durch einen Unfall oder eine Erkrankung oder Verletzung der Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskeln oder der Wirbelsäule und der sie umgebenden Strukturen, ausgelöst wird. Dann zahlt der Versicherer nur 50 Prozent der versicherten Rente. Damit soll der BU-Schutz für Handwerker bezahlbarer werden.

Warum eingeschränkter Schutz riskant ist

Das Motto: „Eine alternative Absicherung ist besser als gar keine“ mag statistisch richtig sein. Im Individualfall ist die Alternative aber oft verfehlt: „Denn sie nützt den Betroffenen herzlich wenig, wenn sie eine ‚falsche‘, nicht versicherte Krankheit erleiden“, sagt Versicherungsmakler Gerd Kemnitz aus Stollberg. Sein Rat: „Schon Schüler sollten versichert werden.“ Mit dem Abschluss einer Motorradversicherung könne man warten, bis man ein Motorrad besitze – mit der BU nicht. Der frühe Abschluss habe den Vorteil, dass der zu zahlende Beitrag niedrig ist. „Damit die Beiträge dauerhaft niedrig bleiben, muss jedoch ein Tarif gewählt werden, bei dem keine Nachmeldung bei Beginn einer Berufsausbildung oder Berufstätigkeit gefordert wird“, erläutert Kemnitz, der sich mit BU-portal24.de auf Arbeitskraftschutz spezialisiert hat. Er befürwortet den zusätzlichen Arbeitsunfähigkeitsschutz, die AU-Klausel, die in allen in der Tabelle dargestellten Berufsunfähigkeitstarifen enthalten ist. Immer mehr Versicherer würden solche Tarife anbieten. Damit kann der Versicherte spätestens nach sechsmonatiger ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit (Krankschreibung) Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung beantragen – auch wenn der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 Prozent liegt oder noch nicht feststeht.

Fazit: Wer seine Arbeitskraft früh absichert, bekommt die besten Konditionen. „Viele Handwerksmeister melden sich bei uns mit Anfang 50“, sagt Dennis Sturm, Versicherungsmakler und Jurist von STC aus Westerburg. „Dann ist der Weg in einen privaten Berufsunfähigkeitsvertrag oft sehr erschwert.“ Denn vielfach werde eine medizinische Untersuchung fällig. Sturm erklärt: „Handwerker haben dann zwar einen kostenlosen medizinischen Check-up, doch aufgrund von Vorerkrankungen hagelt es Ausschlüsse, Risikozuschläge oder sogar eine Ablehnung.“

Daher prüft der Makler in solchen Fällen regelmäßig, ob nicht eine Grundfähigkeitsversicherung möglich ist. „Sie hat auch den Vorteil, dass man sich bei Krankheit oder nach einem Unfall nicht mit dem Thema Umorganisation beschäftigen muss“, so Sturm. Denn immer wieder erlebt der Versicherungsexperte, dass der BU-Schutz bei Handwerksmeistern nicht zahlt, weil sie nach den Versicherungsbedingungen erst ihren Betrieb umorganisieren müssen. „Der Chef soll dann im Büro bleiben und Papierkram erledigen“, erläutert Sturm. Selbst bei kleinen Handwerksbetrieben, die weniger als fünf Mitarbeiter haben und für die die Umorganisationsklausel eigentlich nicht gelte, gebe es immer wieder Probleme beim BU-Schutz, weil dann plötzlich Verwandte oder die Putzfrau als Mitarbeiter mitgezählt würden. Solchen Ärger gibt es beim privaten Grundfähigkeitsschutz nicht.