Diskussion "halb voll, halb leer" Der digitale Euro: Instrument zur Kontrolle der Menschen oder sinnvoller Schritt in die Unabhängigkeit?

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Die Europäische Union plant den digitalen Euro einzuführen. Während digitales Geld sich längst etabliert hat, wird eine digitale Währung kontrovers diskutiert. Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank sieht im E-Euro vor allem Vorteile. Professor Peter Bofinger warnt vor dem digitalen Euro und hält ihn zudem für überflüssig.

Pro und Contra: Digitaler Euro
Bargeld? Digitaler Euro? Oder sogar ein neues europäisches Zahlungssystem? Die zwei Experten sind da unterschiedlicher Meinung. - © Carl Keyes, i-picture - stock.adobe.com

"Mit dem digitalen Euro werden wir Europäer unabhängiger."

„Der digitale Euro erleichtert Zahlungsvorgänge“, sagt Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Er erklärt, warum wir die digitale Währung brauchen.

Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, sieht den digitalen Euro als Stabilitätsfaktor für Europa.
Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, sieht den digitalen Euro als Stabilitätsfaktor für Europa. - © Bundesbank; Carl Keyes, i-picture - stock.adobe.com

Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre Kundinnen und Kunden könnten immer und überall im Euroraum das gleiche digitale Zahlungsmittel nutzen. Ähnlich wie Bargeld von „Hand zu Hand“, ließe sich dieses Zahlungsmittel leicht von „App zu App“ weitergeben. So könnten Handwerker direkt vor Ort bezahlt werden, ohne Kartenterminal. Oder es könnte bequem und kostengünstig in Ihrem Laden oder Online-Shop genutzt werden, und zwar von allen Menschen im Euroraum. Das hätte aus meiner Sicht enorme Vorteile für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger. Ein digitaler Euro könnte dies und noch mehr leisten. Doch der Reihe nach.

Geld gibt es in unterschiedlichen Erscheinungsformen: als Geschäftsbankengeld auf dem Bankkonto oder als Zentralbankgeld, in Form physischer Scheine und Münzen. Bargeld wird jedoch im Alltag immer seltener verwendet. Damit gewinnen Zahlungsmittel auf Basis von Geschäftsbankengeld wie Debit- und Kreditkarten, Apps zum Bezahlen mit dem Smartphone an der Kasse oder spezielle Bezahlverfahren für Internetkäufe an Bedeutung. An solchen Zahlungen sind nicht nur die kontoführenden Institute beteiligt, sondern immer öfter Dritte, wie global agierende Tech-Konzerne. Diese gewinnen zunehmend an Marktmacht und treiben damit die Preise für die Zahlungsempfänger nach oben.

Mit dem digitalen Euro wollen wir in Europa unabhängiger von diesen Konzernen werden. Das Eurosystem würde mit dem digitalen Euro ein neues Zahlungsnetz knüpfen, über das alle Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen im Euroraum erreicht werden können. Banken und andere Zahlungsdienstleister würden wie bisher dafür sorgen, dass auf Basis EU-weiter Regeln einfache, bequeme und sichere Bezahlangebote entstehen.

Praktisches Zahlungsmittel

  • Die Vorteile liegen auf der Hand: Erstens stünde den Menschen in jeder Situation ein praktisches Zahlungsmittel zur Verfügung, zusätzlich zum Bargeld – nur digital. Und in einer Offline-Variante würde es auch ohne Internet funktionieren.
  • Zweitens würden Zahlungsdaten nicht, wie bisher bei Karten- oder Internetzahlungen, von Tech-Konzernen kommerziell verwertet. Die Privatsphäre der Menschen bliebe gewahrt.
  • Drittens würden Zahlungen direkter, schneller und günstiger, vor allem für die Zahlungsempfänger.
  • Viertens entstünde mit dem digitalen Euro, würde er eingeführt, eine neue öffentliche Infrastruktur, die es privaten Anbietern ermöglichen würde, innovative digitale Anwendungen zu entwickeln. Ein Beispiel wären sogenannte programmierbare Zahlungen. Die Nutzerinnen und Nutzer könnten dabei festlegen, dass bei Erfüllung bestimmter Bedingungen automatisch eine Zahlung ausgelöst wird. Ist beispielsweise die Wartung einer Heizungsanlage durchgeführt, fließt automatisch Geld. Oder der digitale Euro könnte für Zahlungen – auch in kleineren Beträgen – von „Maschine zu Maschine“ genutzt werden.

Mit dem digitalen Euro würden die Grundlagen für einen zukunftsfähigen Zahlungsverkehr in einer digitalen Welt gelegt, zum Nutzen der Menschen und Unternehmen im Euroraum.

Vita: Burkhard Balz

Burkhard Balz war von Juli 2009 bis August 2018 Mitglied im Europäischen Parlament für die Region Hannover, die Landkreise Diepholz, Hameln-Pyrmont, Nienburg sowie Schaumburg. Seit dem 1. September 2018 ist er Vorstands­mitglied der Deutschen Bundesbank.

"Der digitale Euro ist wie Wein ohne Alkohol."

Die Europäische Zentralbank (EZB) prüft die Einführung des digitalen Euros. „Doch er löst kein einziges Problem“, findet Peter Bofinger. Zudem ermöglicht eine Digitalwährung eine lückenlose Überwachung der Menschen – das sei eine große Gefahr. Bofinger plädiert stattdessen für etwas ganz anderes: ein europäisches Zahlungssystem.

Für Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre, Uni Würzburg ist das Glas halb leer. Er hält den digitalen Euro für überflüssig.
Für Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre, Uni Würzburg ist das Glas halb leer. Er hält den digitalen Euro für überflüssig. - © Peter Bofinger; Carl Keyes, i-picture - stock.adobe.com

"Es gibt kein Problem, das mit einer staatlichen Digitalwährung gelöst würde“, stellt der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger die Notwendigkeit für die Einführung eines digitalen Euros infrage. Er nennt für seine Überzeugung drei Hauptgründe.

Erstens: Mit dem digitalen Euro soll jeder Bürger ein Konto bei der Zentralbank bekommen – Einlagen bis zur aktuell diskutierten Höhe von 3.000 Euro wären dann gesichert. Tatsächlich sind aber bereits heute alle Bankguthaben bis 100.000 Euro geschützt.

Zweitens: „Der digitale Euro soll so etwas wie digitales Bargeld werden. Das ist ähnlich unattraktiv wie alkoholfreier Wein. Die Menschen mögen Wein, weil er alkoholisch ist, und sie schätzen Bargeld, weil es physisch verfügbar ist.“ Letztlich ist der Euro sowohl Zahlungsmittel als auch Wertspeicher. „Und die Leute möchten ihre Privatsphäre schützen und weiter in bar bezahlen, denn sie haben Angst vor einem Überwachungsstaat, der ihnen in die Geldbörse reinguckt“, erklärt er.

Scheine und Münzen sind wichtig

Drittens: Selbst wenn Scheine und Münzen im alltäglichen Zahlungsverkehr keine Rolle mehr spielen sollten: Bürger müssen ihr Vermögen auf Bankkonten in physisches Bargeld umtauschen können. Denn: Verlieren sie das Vertrauen in die Geschäftsbanken und wollen ihr Geld abheben, muss die Notenbank diesen physischen Geldfluss sicherstellen, damit sich die Lage wieder beruhigt – das ist das dritte Argument gegen den digitalen Euro. „Die EZB muss deshalb die Infrastruktur für Bargeld ohnehin vorhalten.“

„Europa braucht etwas ganz anderes als den digitalen Euro“, ist Bofinger überzeugt: „Wir brauchen eine Zahlungsautobahn, wie sie die Amerikaner haben: So können Nutzer bei Paypal und den Kreditkartenfirmen mit 25 Währungen ‚fahren‘. Das ist genial“, so Bofinger. Aber: „Wenn wir Europäer diese Autobahn nutzen, sind wir abhängig davon, dass sie für uns offengehalten wird. Schaltet sie jemand – etwa ein US-Präsident – ab, nützt uns auch ein digitaler Euro nichts. Er ist ja nur ein Auto, keine Autobahn.

Die Lösung ist ein eigenes Zahlungssystem für Europa. Dieses können auch die privaten Banken aufbauen, das muss nicht die EZB erledigen. Die Schweizer haben beispielsweise seit 2017 das privat organisierte System Twint. Sie können selbst auf der Almhütte einen QR-Code mit dem Handy scannen und ihre Rechnung bezahlen. In Brasilien gibt es mit Pix ein von der Notenbank organisiertes, ähnlich breit akzeptiertes System, das ohne einen digitalen Real auskommt. Anders China: Hier wird der digitale Yuan gepusht – das hat viel mit dem Kontrollwunsch der Regierung über ihre Bürger zu tun.“

Vita: Peter Bofinger

Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Von März 2004 bis Ende Februar 2019 war er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.